Gar keine Bildung?

Alles über das weite Feld von Schule, Studium, Beruf und Karriere - Informationen, Diskussionen und Erfahrungsberichte.
aleanjre
Moderatorin im Ruhestand
Moderatorin im Ruhestand

Benutzeravatar
 
Beiträge: 2071
Registriert: 10.05.2004
Di 3. Mai 2005, 22:58 - Beitrag #1

Gar keine Bildung?

Hab mich so was von geärgert heute. Ich war bei meinem Nachhilfeschüler. Er liest gerade seine erste Englischlektüre. Sie spielt in Amerika der späten 80er, es geht um eine Sekte, die sich auf politischer Ebene einmischen will. Als Internethausaufgabe hatte ich ihm u.a. letztes Mal aufgetragen, eine Passage auf Englisch zusammenzufassen, die er in der Schule gelesen hatte. Er schickte mir ein wenig grottenschlechtes Gestammel zu der anderen Aufgabe und entschuldigte sich, dass er die Zusammenfassung nicht machen könnte, er würde den Text nicht verstehen. Das ließ mich so ein ganz klein wenig an meiner Arbeit zweifeln, die ich seit 1 ½ Jahren in diesen jungen Mann investiere, aber nun. Er pubertiert, er hat ADS, er hasst Englisch.
Heute also zu ihm hin. Er erklärte mir, dass die Passage in der Schule weder übersetzt noch besprochen worden war, die Lehrerin hatte nur ein paar Vokabeln an die Tafel geschrieben, die Schüler sollten den Kram lesen. Fertig. Etliche Begriffe kannte er nicht. Ich ermunterte ihn mal wieder, dass aufzeigen und fragen keine Schande ist, sondern dem Lehrer Interesse zeigt. Wir gingen den Text durch, er kam einigermaßen klar. Was nicht bedeutet, dass sein Leseverständnis irgendeiner zweiten Erwähnung wert wäre. Aber was will man von einem jungen Mann erwarten, der niemals freiwillig ein Buch berührt und nach 1 ½ Jahren fieser Gedankenindoktrination seitens seiner Nachhilfelehrerin lediglich bereit ist, den Sportteil der Zeitung aufzuschlagen?
Allerdings - eigentlich ist er ein sehr, sehr helles Köpfchen. Nur, dass seine Intelligenz ihm nichts nutzt. Wie Schneeketten in der Wüste eben.
Zusammen konnten wir was erarbeiten.
Mir war schon häufiger aufgefallen, dass er eine unglaublich schlechte Allgemeinbildung "besitzt". In der Lektüre sind mehrere biblische Anspielungen: "Schlange im Paradies", "das goldene Kalb"... die kannte er allesamt nicht. Hab schon so manche Stunde damit verbracht, sein Wissen aufzumoppen und ihm lustige Storys aus der Bibel, politische Zusammenhänge oder geographische Spezialitäten aufzubereiten.

Heute dann die Krönung. Ich geb’s mal als Dialog wieder, es ist einfach irrwitzig.

Er: „Was bedeutet „communists“?“
Ich: *blubb* „Ähm – Kommunisten natürlich.“
Er: *BLUBB* *schweig*
Ich: „Du weißt doch, was Kommunisten sind?“
Er: *lach*
Ich: „Aber der kalte Krieg ist dir sicher ein Begriff? Und Mao, in China?“
Er: „Was ist kalter Krieg?“
Ich: *blubb* „Amerika und Russland – sagt dir das was?“
Er: „Haben die Krieg geführt?“
Ich: „Nein. Ein heißer Krieg bedeutet, dass Bomben fallen und Soldaten ballern. Ein kalter Krieg findet auf diplomatischer Ebene statt, vereinfacht gesagt.“
Er: *grinsverlegen*
Ich: "Ganz einfach gesagt: Die Amis mochten keine Kommunisten."
Er: "Ach, das sind also Schwarze?"
Ich: :wand: *neinichsagnichtsneinichsagnichtsneinichsagnichts*
Ich: „Was lernt ihr eigentlich in eurer Schule – Däumchendrehen?“
Er: „Na ja, wir hatten immer nur 1 Stunde Geschichte pro Woche, und das ist ganz lange immer wieder ausgefallen. Das letzte halbe Jahr war nichts, die Lehrerin war schwanger.“
Ich: „Und was habt ihr gelernt?“
Er: „Na ja- da war ein Ludwig. Und – Weltkrieg.“
Ich: *neinichfragnichtwelcherLudwig* „Okay. Hm – wenn du schon nicht lesen willst, dann sieh dir doch mal die ganz alten James Bond – Filme an. Die sind lustig, und du lernst zumindest ein paar Schlagworte zu dem Thema „kalter Krieg“.
Er: „Okay.“
Seine Mutter kommt hinzu. Ich rege mich ein bisschen auf, was für ein Saftladen von Schule das ist.
Sie: „Och, das war schon immer so. In der 1. Klasse hab ich aufgegeben zu kämpfen. Die hatten ständig neue Experimente mit den Kindern. In der 1. Klasse wurde ihm immer Montags ein Wochenplan gegeben, den er bis Freitag abzuarbeiten hätte. Damit war er dann Montagabend um 18.00 Uhr immer spätestens fertig und hat den Rest der Woche mit malen verbracht. Die Lehrerin fand das toll – so würde er „im Kollektiv malen lernen.“ Nur deutsche Sprache und Rechnen, das kam nicht vor. So ist es dann geblieben. Im Moment lesen die in Deutsch den Dürenmatt. Keines der Kinder versteht, was da drin steht, weil keiner auch nur weiß, was ein Genitiv ist.“

(…)
Später versuchte ich dem Knaben den Begriff „infiltrieren“ zu erklären. Militärischer Terminus. Auch auf Chemie übertragbar. Chemie findet aber auch nur gelegentlich statt, und in seinen Kriegs- PC – Spielchen ist ihm das Wort noch nicht begegnet.

Nee, also ehrlich! Und da wundert sich noch irgendjemand, dass die momentane Lehrlingsgeneration zu mindestens 30% (oder so) nicht vermittelbar ist!
Er geht auf eine Realschule. Nächstes Jahr ist er fertig. Danach will er auf die HöHa, sein Fachabi basteln, von dort aus zum Bund, in die Sportkompanie. Falls die dann noch existiert. Fest verpflichten (falls dann noch möglich) und nebenher BWL studieren.
Und das mit einer Allgemeinbildung, die kaum größer als die von meiner 6jährigen ist. :wand:

Ich hab ihm eindringlich geraten sich einen Plan B bereitzuhalten. Man hat sich schließlich mal schneller die Kniescheibe rausgeschlagen als man denkt. Und er ist definitiv nicht studientauglich, er kann ja noch nicht mal einen einfachen deutschen Text schreiben, weil sowohl Groß- und Kleinschreibung, Orthographie als auch Interpunktion für ihn Bücher mit 7 Siegeln sind. Wo er doch eh nie ein Buch berührt. Komischerweise hat er gute Noten in Deutsch.
Mann, bin ich froh, dass in der Grundschule zumindest eine Trendwende vorhanden ist! Da wurde eine ganze Schülergeneration systematisch verblödet.

Ist das noch irgendwie normal? Was denkt ihr? :mecker:

Noriko
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 5864
Registriert: 15.11.2001
Di 3. Mai 2005, 23:14 - Beitrag #2

Himmel hilf...
Ich will auf den armen dummen Menschen gar nicht näher eingehen und sage mal was zur Grundschule:
An der Grundschule meiner Nichte wird die Erste und zweite Klasse zusammengelegt und ein(!) Lehrer soll sich um diese Doppelklasse kümmern, ist angeblich besser für die Erstklässler die dann mit Zweitklässler zusammen lernen... Was das den Zweitklässlern bringen soll weis ich nicht, und meine Schwester auch nicht, kommt ihr Kind doch in die zweite Klasse (diese Entscheidung wurde übrigens ohne Einverständnis der Eltern getroffen die ziemlich auf die Barrikaden gegangen sind, ohne erfolg)

aleanjre
Moderatorin im Ruhestand
Moderatorin im Ruhestand

Benutzeravatar
 
Beiträge: 2071
Registriert: 10.05.2004
Di 3. Mai 2005, 23:31 - Beitrag #3

Die Idee ist folgende:
Die Erstklässler sollen vom Wissen der Älteren profitieren, die Zweitklässler ihr soziales Bewußtsein schärfen (Rücksicht nehmen, jüngeren helfen etc.). Natürlich haben die Älteren anderen Stoff. Jedes Kind soll dann individuell nach seinem persönlichen Vermögen lernen können. Die ganz Flotten können sich dann vielleicht in Mathe schon zu den Großen setzen, bleiben in Sachkunde aber in ihrer Altersgruppe oder so, und können von der 1. Klasse direkt in die 3. durchmaschieren. Die ganz, ganz langsamen Vertreter und auch die Sprachfremden machen dann quasi die 1. Klasse zweimal, ohne demütigend zurückgesetzt zu werden.

Schöne Idee vom grünen Tisch, die absolut nur dann funktionieren kann, wenn ausreichend und gut fortgebildete Lehrer vorhanden sind.

Skandalös finde ich, dass die Eltern nicht ordentlich "aufgeklärt" wurden?
Unsere Schule durfte diese politische Vorgabe ablehnen, weil sie nicht genug Personal stellen kann.

Wombat
Excellent Member
Excellent Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 630
Registriert: 28.06.2004
Mi 4. Mai 2005, 00:24 - Beitrag #4

Skandalös ist auch, dass die Eltern nicht gemeinsam für die Bildung ihrer Kinder kämpfen oder sie auf eine andere Schule schicken oder wenigstens zu Hause zur Bildung beitragen oder ...

Ich weiß nicht, ob ich bei Deiner Darstellung lachen oder weinen soll. Einfach unfassbar.

Feuerkopf
Moderatorin
Moderatorin

Benutzeravatar
 
Beiträge: 5707
Registriert: 30.12.2000
Mi 4. Mai 2005, 00:46 - Beitrag #5

Zitat von Wombat:Skandalös ist auch, dass die Eltern nicht gemeinsam für die Bildung ihrer Kinder kämpfen oder sie auf eine andere Schule schicken oder wenigstens zu Hause zur Bildung beitragen oder ...


Schule kann nur einen bestimmten Bereich an Bildung abdecken. Das Interesse an Neuem, die gesunde Neugier, die müssen schon die Eltern bei einem Kind wecken und fördern.

Dummerweise ist eine gute Allgemeinbildung gar nicht sooo sehr gefragt, sondern immer mehr das extreme Spezialistentum.
Die Heranbildung einer guten Allgemeinbildung erfordert zumindest vordergründige Beschäftigung mit einer Thematik. Diese Zeit geht aber dann der Spezialbildung verloren.

Vielleicht ist es für Jugendliche auch schwierig, aus dem übergroßen Wust an Informationen, die auf sie eindringen, die wirklich wichtigen herauszufiltern.

Wombat
Excellent Member
Excellent Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 630
Registriert: 28.06.2004
Mi 4. Mai 2005, 09:58 - Beitrag #6

Zitat von Feuerkopf:Schule kann nur einen bestimmten Bereich an Bildung abdecken. Das Interesse an Neuem, die gesunde Neugier, die müssen schon die Eltern bei einem Kind wecken und fördern.


Ich habe auch nichts anderes behauptet. Im Grunde genommen sind doch immer die Eltern schuld ;)

aleanjre
Moderatorin im Ruhestand
Moderatorin im Ruhestand

Benutzeravatar
 
Beiträge: 2071
Registriert: 10.05.2004
Mi 4. Mai 2005, 11:04 - Beitrag #7

Tja, und die Lehrer entstammen ebenfalls der Elterngeneration... ;)

Nein.
Diese Frau, die Mutter des armen Jungen, ist keine Kämpferin. Sie hat versucht, ihre eigene Liebe zu Büchern weiterzugeben, aber ihr Sohn wollte lieber Sport machen. Was auch immer sie ihm nachgetragen, vorgetragen, auf den Nachttisch gelegt hatte, es wurde ignoriert. Na ja, Sport ist gesund, also war es eben Fußball und Schwimmen. Er ist in einer Jugendauswahl von B. M'Gladbach, er schwimmt Wettkämpfe.
Den Kampf gegen seinen Bildungsunwillen hatte sie viel zu früh verloren.
Auch gegen die Schule kam sie nicht an. Andere Grundschule war nicht möglich (wegen Zuständigkeitsgehuddel). Als sie sich wegen der merkwürdigen Unterrichtszustände beschwerte, sagte man ihr:
"Gute Frau, davon verstehen Sie nichts."

Genauso war es bei der ADS - Diagnostik. Der Saftladen von Schule hatte überhaupt nicht festgestellt, was für massive Konzentrationsprobleme der Junge hat. Irgendein Grundschullehrer hatte der Mutter zwar mal gesagt:
"Oh, der wird es mal schwer haben, aber pfiffig, wie er ist, packt der das schon!" - aber näher spezifiziert hat er's nicht.
Als ich vor vor 1 1/2 Jahren zu ihm kam, fielen mir schnell mehrere Dinge auf:

1. In den ersten 5 Minuten ist er geradezu brillant. Danach mit jeder Minute fallend schlechter. Nach 30 Minuten intensivem Lernen kann er kaum noch seinen eigenen Namen buchstabieren.
2. Er frisst Erklärungen ohne Probleme. Die Englisch - 5 musste andere Ursachen haben als mangelndes Talent.
3. Er ist ein seltener Lerntyp - er lernt ausschließlich über das Lesen, zu einem geringen Prozentsatz über Akustik. Aber er liest nicht. Normalerweise sind diese Lerntypen so süchtig nach dem geschriebenen Wort, dass man die Buchstaben vor ihnen retten muss.

Das alles hab ich der Mutter erzählt und sie gebeten, mal einen vertrauensvollen Arzt aufzusuchen. 6 Monate später folgendes Ergebnis:
Er hat ADS. Und kriegt keine Therapie. Zitat Arzt:
"Der zündet keine Häuser an, schlägt niemanden tot und kann ein Gespräch 20 - 30 Minuten lang verfolgen. Der braucht nichts."

Daraufhin war Sohnemann durch nichts mehr zu bewegen, einen anderen Arzt aufzusuchen. Mutter kämpft nicht, sie kann ihn nicht zwingen. Fertig. Und ich bin nicht in der Position ihr zu sagen, dass sie ihrem Kind damit keinen Gefallen tut. :(

Nun denn. In diesem Fall liegt es an ungünstigen Umständen, Pech und Inkompetenz von Fachleuten.
Aber in seiner Klasse sind noch eine Menge Schüler, die weder ADS noch Pech haben. Vielleicht muss man mit 15 nicht wissen, wer "Kommunisten" sind. Aber von der "Schlange im Paradies" sollte man schon mal diffus gehört haben. Zumal, wenn man das Jahr davor konformiert wurde und 2 Jahre Bibelunterricht dafür hatte. Man sollte in diesem Alter auch den Unterschied zwischen Subjekt, Objekt und Adjektiv kennen, oder einen Genitiv erkennen, wenn er schon beißt. Wie kann es sein, dass Schüler der 9. Klasse eine 2 in Deutsch haben und dies alles nicht wissen? Das bedeutet schließlich, dass der gesamte Klassenschnitt schlecht sein muss. Und das ist einfach nur - ärgerlich.

blobbfish
Listenkandidat
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 3022
Registriert: 26.01.2003
Mi 4. Mai 2005, 13:26 - Beitrag #8

Wie kann es sein, dass Schüler der 9. Klasse eine 2 in Deutsch haben und dies alles nicht wissen?


Ich umschreibe das einmal mit dem Wort "Realschule". In der Mittelstufe sind bei mir aus der Klasse einige hängengeblieben, anstatt das Jahr zu wiederholen haben sie auf Realschule gewechselt. Ohne sich nennenswert zu ändern wurde sie durchweg zu den Besten in ihren Klassen. Wobei eine andere Realschule die Krönung ist: Gute Noten gibt's in der 9. und 10. Klasse immernoch, wenn man regelmäßig seine Hefte neu abschreibt.
Ich als Gymnasiast fühlte mich dann recht verarscht, wenn ich in einer Arbeit eine 5 bekam, die Cousine eines Bekannten hingegen im selben Fach eine Eins mit sicherlich nicht zuwenig Sternchen, aber keinen Schimmer hat, was Grammatik ist und nichtmal den einleitenden Satz des Textes von besagter Arbeit versteht. Letzteres wurde übrigens empirisch gemessen.

Was die Verschlossenheit angeht, so liegt das wirklich an den Eltern. Meine Eltern haben darauf geachtet, dass ich als ich klein war, viel lese. Das zahlt sich heute noch aus, obwohl ich eher selten Bücher lese. Das wird allerdings teilweise dadurch ausgeglichen, dass ich nicht unbedingt wenig am Computer lesen, aber ein Ersatz ist es sicherlich nicht. Was neue Lernkonzepte angeht, wie erste und zweite Klasse zusammenlegen, bin ich sehr konservativ. Ich bin der Meinung, dass der klassische Unterricht ein sehr effektives Lernen ermöglicht. Und das sehen bei uns die Lehrer auch so, die haben schon einige Experimente an uns gemacht. Inhalt sinnvoll rüberbringen ist keine Frage, mit welchen Methoden, sondern mit welchen Erklärungen, wie es rübergebracht wurde. Ein Grund, warum in unserem Physik-LK überdurchschnittlich viele Leute sitzen ;)

In so einem Fall wie bei dir hilft sicherlich nur ein recht strenges Fortbildungsprogramm. Vielleicht auch mal einige Besuche bei diversen Firmen. Der Tag der offenen Tür bei VW Baunatal vor einigen Jahren hat bei nicht wenigen Schülern einiges an der Einstellung geändert ...

Noriko
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 5864
Registriert: 15.11.2001
Mi 4. Mai 2005, 14:06 - Beitrag #9

Alea, es gibt in ganz Haan nur eine Grundschule die das macht, und das sit die auf die meine Nichte geht, die anderen haben das abgeschmettert, zurecht wie ich finde. Und wie gesagt, die Eltern haben sich massiv dagegen gestellt, dass das gemacht wird, hat aber nichts genuzt, gemacht wirds trotzdem.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mi 4. Mai 2005, 14:52 - Beitrag #10

ich glaube, daß bei allem berechtigten Ärger über die Einzelphänomene verkannt wird, daß das kein Zufall ist, sondern mit System betrieben wird. Das Ideal der Schule ist über Jahrzehnte hinweg langsam aber sicher weg von Bildung hin zu Ausbildung gerutscht, darin den Forderungen der Wirtschaft folgend, die zunehmend Teile der betrieblichen Ausbildung bereits in die Schule verlagert sehen wollen. Kurz, die Schulen ziehen verstärkt Fachidioten statt breitgefächerte Allrounder heran.

Habe letzthin ein ganz interessantes Gespräch mit meinem Chef gehabt, der von einer Konferenz zurückkam, in der es u.a. um die Entwicklung des Arbeitsmarktes in Deutschland ging. So, wie er es darstellte, ist es in den Führungsschichten der Unternehmen völlig klar, daß im Laufe der nächsten 15 bis 20 Jahre die Menge an Arbeit, für die Personal im klassischen Sinne benötigt wird, auf 15 Prozent des heutigen Wertes gesunken sein wird, und dieses Personal wird sich aus extremst spezialisierten Personen rekrutieren. Für alle anderen wird kein Platz mehr da sein, bzw. sie werden in die Schein-Selbständigkeit von Dienstleistern maneuvriert.

Es besteht gesellschaftsweit einfach kein Interesse mehr an Bildung, Alea. Gebildet zu sein ist nur noch ein lobenswertes privates Hobby. Wir stehen am Anfang der Ernte, die von der Globalisierungslobby gesät wurde.

Feuerkopf
Moderatorin
Moderatorin

Benutzeravatar
 
Beiträge: 5707
Registriert: 30.12.2000
Mi 4. Mai 2005, 15:24 - Beitrag #11

Zitat von Ipsissimus:Es besteht gesellschaftsweit einfach kein Interesse mehr an Bildung, Alea. Gebildet zu sein ist nur noch ein lobenswertes privates Hobby. Wir stehen am Anfang der Ernte, die von der Globalisierungslobby gesät wurde.


Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass enorm viel Wissen verloren gehen wird.
Bin gespannt, wann sich das rächt...

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Mi 4. Mai 2005, 20:44 - Beitrag #12

Naja, ich bin mir nicht so sicher, ob hier wirklich ein Fall planmäßiger verschwörerischer Bildungszersetzung vorliegt.

Aleas "Kandidat" hat ja eindeutig ein besonderes pathologisches Problem, welches ihn an normaler Interaktion und Rezeption hindert. Ein Problem, das aber mit geeigneten Mitteln hätte behandelt oder kompensiert werden können, vielleicht auch noch könnte.

Ich bin mir nicht ganz sicher über den Entstehungshintergrund von ADS, wieweit hier auch psychosoziale Aspekte eine Rolle spielen.
In jedem Falle scheint mir, daß sowohl von der Diagnostik bis hin zur Erkennung der Behandlungsbedürftigkeit und der geeigneten Behandlung wohl exemplarisch alles schief gegangen ist was konnte.
Was tun? Als letztlich engste Kontaktperson hängt tatsächlich von der Mutter am meisten ab, sie müßte bei Vwersagen eines Arztes den nächsten konsultieren, Therapien durchziehen und ein System installieren, das den Sohn zum Lernen animiert und ablenkende Dinge wie Fernsehen, Computerspiele ggf. als Belohnungen dosiert zuläßt.
Alea, ich kenne aus meiner engeren Umgebung einen ähnlichen Nachhilfefall - Mädchen mit ADS, das nach kürzester Zeit absolut nichts mehr auffassen kann, aber stundenlang mit Freundinnen durch die Stadt zieht, Nachhilfetermine verschludert usw. mit einer Mutter, die ebenfalls keine Zügel anlegen kann.
Die Nachhilfelehrerin hat nach etwa einem Jahr gesagt, sie würde gerne weiter machen, aber erst müsse die Mutter Struktur in das Leben der Schülerin bringen - und die Nachhilfe bis auf Weiteres abgebrochen.

Vielleicht wäre dies eine Option, keine schöne, das weiß ich wohl - aber wie mir scheint müssen auch Mütter gelegentlich an ihren Part erinnert werden.

Nun zur von der Schule vernachlässigten Allgemeinbildung. Meine Allgemeinbildung stammt nur teilweise aus vormittags besuchten rechteckigen Zimmern, bevor ich meine Schnürsenkel binden konnte, habe ich die Tageszeitung auf dem Kopf gelesen, daß sie auf dem Kopf lag, lag eben daran, daß ich mich eigentliich mit Schleifknoten anfreunden sollte. Und wenn ich etwas nicht verstand, habe ich Menschen Löcher in den Bauch gefragt. Der Anreiz zu alldem kam letztlich von zu Hause.
Es liegt mir fern, das Schulsystem und etliche der versuchsweise eingeführten Modelle gut zu heißen, aber ich frage mich doch ein wenig, ob nicht allzuoft die Verantwortung von den Eltern auf die Schule geschoben wird, Schule für alle individuellen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht wird, die Eltern dem hilflos ausgeliefert.
Vielleicht auch in diesem Falle?

Tja, und was hab ich dann an Allgemeinbildung in der Schule gelernt?
Meine ersten vier Jahre auf einer Waldorfschule waren - von zwei Fremdsprachen ab der 1. Klasse abgesehen - etwas unergiebig, wohl auch weil hier ein anderes Bildungskonzept verfolgt wurde, das für die vorherrschende Schülerklientel vielleicht auch nicht abwegig war.
Danach wurde ich damit konfrontiert, daß ich für die 4. Klasse Grundschule einiges an Mathe und die Existenz von Subjekt, Objekt, Partizip und Genetiv nachlernen mußte. All das war dort Gegenstand gewesen, und unsere Lehrerin brachte uns dann in WuK oder wie das hieß die nordrhein-westfälische und besonders die sauerländische Geographie näher.
Das war 1982, und schon damals war in der Klasse gut zu erkennen, daß das Beigebrachte dort gut haften blieb, wo die Eltern sich um eine Nachbereitung kümmerten.
Dummheit regierte, wo nachmittags der Fernseher dudelte oder Sohnemann Bälle umherschoß.

Im Prinzip gilt das so auch für den Rest meines Schullebens, sieht man von einer tragischen Ausnahme in Physik ab, wo ein durch chronischen Alkoholkonsum verdummter Lehrer mir das Fach zu einem Buch mit sieben Siegeln werden ließ, und irgendeinem mir selbst unklaren traumatischen Ereignis, dessentwegen ich in Mathe über Jahre nur Sechsen produzierte.
Schule hat in all den Jahren die Rahmenrichtlinien erfüllt, das Elternhaus für die Vertiefung des Gelernten gesorgt, hinter den Hausaufgaben hergesessen (wogegen ich aber auch meine Mittel hatte *g*) und letztlich die Atmosphäre geschaffen, in der soetwas wie Bildungsappetit entstehen kann.

Ich frage mich nun aber, sind die 80er gelobte alte Zeit, gefolgt vom Untergang, den wir hier beklagen?

Was alternative Schulmodelle betrifft:
Für mich lassen sich für jedes Schulmodell Argumente finden und solche, die dagegen sprechen, letztlich sind sie alle, einschließlich der Regelschule, nur so gut, wie das sie umsetzende Personal einschließlich der Eltern.
Es ist unbestreitbar, daß die Regelschule sehr unterschiedlich leistungsfähige Schüler in einer Klasse vereinigt, damit Schwache überfordernd und Starke unterfordernd. Und gerade die Unterforderung leistungsfähiger Schüler ist ein nach wie vor verkanntes Problem, das diese Schüler auf Dauer an einer Erreichung ihnen angemessener Lernziele hindern kann.
Die Zusammenführung der 1. und 2. Klasse mit der Einführung von fachspezifischen Leistungsgruppen soll gerade diesem Problem begegnen, denn Begabungen wie Mängel betreffen sehr oft nur einzelne Fächer oder Segmente. Daß es dabei auch entsprechend aus - und fortgebildeter Lehrer bedarf, ist klar, wird aber von der Bildungsbürokratie allzugern vergessen. Unverständlicherweise eigentlich, denn zwar liegt hier auch ein wesentlicher Kostenfaktor vor, aber auch der Schlüssel zum Erfolg - und was würde ich den Linken mehr gönnen, als dem Philologenverband und den rechten Socken mal einen Erfolg alternativer Konzepte präsentieren zu können?

@blobbfish: Was Du beschreibst, macht zum Teil durchaus nicht Unsinn.
Schon von den Rahmenrichtlinien her werden an Gymnasien und Realschulen unterschiedliche Anforderungen gestellt, und aus einem schlechten Gymnasiasten kann da durchaus ein guter Realschüler werden.

Wobei es natürlich da problematisch wird, wo, wie Du schreibst, gute Noten auf abgeschriebene Hefte vergeben werden, in der Mittelstufe in Deutsch grammatikalische Kenntnisse und grundlegendes Textverständnis fehlen. Da haben wirklich Lehrer ihre Pflichten nicht erfüllt und evtl. auch Eltern nicht die ihren.

@Ipsi: Tja, von der DDR lernen heißt siegen lernen - es lebe die berufliche Bildung in der Schule! ;)
Nun ja, schon der klassische Spruch "Non scholae..." impliziert ja schon, daß Schule auf das Leben vorbereiten soll und damit Aspekte des Arbeitslebens auch ihre Redeutung haben sollten - sicher auf der Haupt- und Realschule vertiefter als auf dem Gymnasium.
In welchem Bereich arbeitest Du, ist die Aussage Deines Chefs vielleicht branchenspezifisch zu sehen?

Ich kann mir das Szenario gut vorstellen, wenn ich die bisherige Mechanisierung und Computerisierung extrapoliert denke. Es wird in jedem Falle für all jene ein Problem werden, die rein begabungstechnisch nicht so leistungsfähig sind - das Wegfallen der vielen "kleinen Berufe" ist ja schon jetzt ein Problem. Ich persönlich favorisiere ein Modell einer alternativen Besteuerung, bei der menschliche Arbeit von der Mehrwertsteuer befreit wird o.ä. Es führt hier vom Thema weg, aber nur mal als Ausblick.

Bauer-Ranger
Good Member
Good Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 439
Registriert: 11.11.2004
Do 5. Mai 2005, 02:13 - Beitrag #13

Ich möchte hier noch den Begriff des Bildungshungers erwähnen. Darunter versteht man, dass Leute an Bildung Spass haben und nicht mehr genug bekommen können. Das soll auch die vielen Leute erklären, die später, mit 30 Jahren oder so, ihr Abitur nachmachen und noch zum studieren anfangen oder so ähnlich.
Um den Bildungshunger zu wecken ist es jedoch dringend nötig, dass derjenige eine gewisse Grundbildung bekommt, um daran Spass zu haben. Er muss gewisse Grundfähigkeiten bei der Aufnahme von Bildung haben, um daran gefallen zu finden. Er muss seine Talente wissen und kennen lernen.
Der Spassfaktor beim Lernen kommt vom Dopaminsystem, das zum einen den Menschen zum Lernen motiviert und auch Glücksempfinden auslösen kann.
Erkennt nun ein Kind sein Talent, so ist er darin gut. Da das Kind gut darin ist, macht es ihm Spass, diese Tätigkeit auszuüben. Das Kind wird also alles daran setzen, seine Umgebung auf sein Talent auszurichten. Es ergeben sich Spiralen, das bedeutet, das Kind fördert sihc selber, wird dadurch noch besser und fördert sich nun noch mehr selber. Auch das soziale Umfeld wird in das Lernen mit einbezogen.
Nehmen wir als Beispiel ein musikalisches Talent eines Kindes. Es entdeckt sein Talent, indem es von den Eltern oder in der Schule mit einem Instrument konfrontiert wird und daran gefallen findet. Es wird nun versuchen, diese Tätigkeit auch zu Hause ausüben zu können. Die Eltern sollen also das gewünschte Instrument besorgen. Das Kind hat soviel Gefallen daran, dass es extra Musikunterricht haben will. Die Eltern werden von dem Kind also dazu gebracht. Das Kind wird dadurch noch besser, hat noch mehr Gefallen an dem Instrument und so weiter.
Wir sehen also, dass die Eltern auch (neben der Schule) dazu beitragen müssen, dass Kinder ihre Talente entdecken. Dies kann sehr unterschiedlich sein. Wenn nun ein Kind Spass daran gefunden hat, so sollte sich alles von alleine regeln, denn das Kind initiiert sein eigenes soziales Umfeld, das diese Begabung fördert.

Und nun noch zu meiner Karriere. Im Moment bin cih 19 Jahre und in der K13 eines Gymnasiums und ich schreibe am Freitag meine Mathe Abiturprüfung ;)
Angefangen hat bei mir alles im Kindergarten. Kann mich daran kaum noch erinnern. Ich kam dann in die erste Klasse, man muss hier anmerken, dass ich in einer sehr ländlichen, konservativen und katholisch geprägten Gegend wohne und dass ich nicht getauft bin. So ergaben sich soziale Turbulenzen mit meinen Mitschülern. Ich besuchte als einziger von meiner Klasse den Ethik Unterricht, alle anderen waren in katholischer Religion. Das Ausenseiterdasein hatte dann ein Ende damit, dass ich in begann, im Verein Fussball zu spielen.
Ich habe in der Grundschule immer meine Hausaufgaben gemacht, das reichte mir aber auch. Ich musste nicht extra Lernen. Ich kann mich daran erinnern, dass ich einmal gelernt habe, das war auf einen Test in HSK (Heimat und Sachkunde), da ging es um verschiedene Bäume und deren Merkmale. Meine Mutter hatte mich dazu gezwungen, ich hab dann eine 3 gehabt.
Nun ja, mit 10 Jahren gings dann aufs Gymnasium. Ich hatte einen Schnitt von 2,33 (also hier in Bayern zählte damals der Schnitt in den 3 Hauptfächern Mathematik, Deutsch und HSK). Mit diesem Schnitt wäre ich einige Jahre später nicht mehr auf das Gymnasium gekommen ohne Aufnahmeprüfung. Im Nachhinein ein Witz.
Auch auf dem Gymnasium hab ich zu allererst nur die Hausaufgaben gemacht und brauchte zu Hause nicht lernen. Meine Noten waren nicht in allen Fächern gut, gerade in solchen Fächern wie Englisch, die neu dazu kamen, war das nicht so einfach, ohne zu lernen gute Noten zu haben. Ich hatte in Englisch und Französisch immer 4er. (Man muss anmerken, dass ich Vokabeln schon zuhause gelernt habe) In Mathe tat ich mir sehr leicht, bis zur 7. Klasse hatte ich in allen Extemporalien nur Einser, wohingegen ich in Schulaufgaben nie über einen Zweier hinausgekommen bin. Lag daran, dass ich nicht darauf gelernt hab.
Später, so ab der 8. Klasse habe ich dann aufgehört, Hausaufgaben zu machen. In den Fächern, in denen Hausaufgaben noch kontrolliert wurden habe ich sie abgeschrieben, in anderen eben gar nicht gemacht. Zu dieser Zeit hab ich auch angefangen, vor Schulaufgaben zu lernen. Zumindest in solchen Fächern wie Französisch war das nun notwendig. Es ist noch anzumerken, dass ich gerade in Deutsch immer besser wurde. In der Grundschule hatte ich gerade noch einen Dreier, am Anfang des Gymnasiums hatte ich Vierer (jaja, die Erlebniserzählungen ;) ), das wurde dann immer besser, bis ich in der 10. Klasse zum ersten mal fast einen zweier gehabt hätte. Jetzt, in der Kollegstufe, hab ich Zweier in Deutsch. Dabei haben mir die Lehrerinnen in der Grundschule noch prophezeit, dass Deutsch mein großes Problem hätte werden sollen.
Später in der Kollegstufe war ich anfangs motiviert, hab auch wieder Hausaufgaben gemacht und gelernt. Das ganze ging dann solange, bis ich in der ersten Klausur in Mathe nur 10 Punkte hatte, da war dann die ganze Motivation weg. Hab dann langsam aber sicher auch wieder damit aufgehört, Hausaufgaben zu machen, gelernt wurde vor Klausuren.
Ich habe gerade in der Kollegstufe gemerkt, wie einfach es mir im Vergleich zu anderen fällt, durch Lesen Stoff aufzunehmen. So sind Lernfächer kein großes Problem für mich, obwohl gerade meine Einstellung was anderes anmuten lässt. Vor allem in Fächern wie Ethik muss ich fast nichts lernen, vor den Klausuren hab ich den Stoff immer einmal durchgelesen und das hat gereicht für gute bis sehr gute Noten. (Man muss anmerken, dass dieses Fach auch einer meiner Lieblingsfächer ist (siehe Dopaminsystem. Mit Spass lernt es sich einfacher) und ich immer jede Stunde, in der ich ausgefragt hätte werden können, in der Pause vorher den Stoff für die Stunde gelernt habe. Das waren immer so 1-2 DinA4 Seiten).
Letztendlich werde ich mein Abitur so in etwa mit einem Schnitt zwischen 2,0 und 2,5 abschließen. Studieren will ich Mathematik und als Nebenfach Philosophie.
So, lange Rede, kurzer Sinn. Was habe ich aus meiner Schullaufbahn gelernt?
Zum einen hatte ich manchmal das Gefühl, zu wenig gefördert zu werden. Mir fiel vieles zu einfach, so dass ich mich im Nachhinein gefragt hätte, ob ich durch mehr Anforderung auch mehr für die Schule gemacht hätte, so wie eben andere es auch machen müssen (also Hausaufgaben machen und lernen). Ich kann diese Sache mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit dahingegen beantworten, dass ich mehr gemacht hätte, wäre ich mehr gefördert geworden.
Außerdem fällt mir stark auf, dass wenn man als Kind/Jugendlicher nicht viel leistet (im Sinne von arbeiten), dass es dann sehr viel Überwindung erfordert, im späteren Leben sich einmal hinzusetzen und etwas zu tun. Ich denke die Tatsache, dass ich in31 Stunden meine Mathematik Abiturprüfung schreibe und ich hier einen ewig langen Text verfasse sollte Beleg genug dafür sein ;)

mfg Mich!

Feuerkopf
Moderatorin
Moderatorin

Benutzeravatar
 
Beiträge: 5707
Registriert: 30.12.2000
Do 5. Mai 2005, 15:39 - Beitrag #14

Wäre ich ein Mann und hätte zu Zeiten Goethes gelebt, so wäre es leicht für mich gewesen, denn da galt eine Universalbildung als erstrebenswert.
Eine Lehrerin sagte mal zu mir, mein Wissen sei sehr "breit", aber nicht besonders "tief".
Das charakterisiert es sehr gut! Ich bin neu-gierig, möchte über viele Dinge etwas wissen, Zusammenhänge kennenlernen, aber ich langweile mich schnell, wenn es um Details geht.

Allerdings habe ich erst 47 werden müssen, um mich deswegen nicht mehr zu genieren oder schlecht zu finden. Ich bin halt keine Wissenschaftlerseele. Studieren ist für mich absolut nicht das Richtige. Sich über einen langen Zeitraum mit einem kleinen Ausschnitt zu befassen, interessiert mich einfach nicht.

So bin ich bis heute auf der Suche nach Neuem, nach Herausforderungen. Aber ich bleibe nicht lange bei einer Sache - von einigen Ausnahmen abgesehen - und schon lockt mich etwas anderes.

Schule war deshalb für mich gar nicht schlecht: Ein großer Sack voller angerissener Themen, manche mehr, manche weniger gut zugänglich für mich.

So habe ich mir im Laufe der Jahre eine erstaunliche Bandbreite an Kenntnissen zugelegt, aber Fachfrau bin ich auf keinem Gebiet. ;)

Stalker
Active Member
Active Member

 
Beiträge: 179
Registriert: 11.09.2004
Do 5. Mai 2005, 19:15 - Beitrag #15

Die Jugend ist als Produkt der Gesellschaft nur ein Indikator deren. Die Stagnation der Bildungsqualität sehe ich nicht in der Jugend allein verwurzelt, sondern ein Prozess der tendenziell seit dem 20 Jahrhundert beginnt, und daher das gesamte Alterspektrum durchzieht. Obwohl mir ehrlich gesagt vergleichende Studien dazu fehlen sehe ich das exemplarisch an der Sprache, die zunehmend durch Xenismen und Lehnwörter verwaschen degeneriert.
Eigentlich finde ich die Entwicklung paradox, denn Wissen bzw. Information wird durch die Technik immer verfügbarer und immer stärker in das Leben integriert. Durch die Massenmedien, und auch durch die traditionellen Printmedien kann jeder Mensch – sofern ihm der Sinn danach strebt – alle ihm begehrende Informationen mit einem Minimum an Aufwand erlangen. Ich kann mir das nur so erklären, dass durch die Verfügbarkeit der Information eine Inflation derselben stattfindet. Das Individuum, das im Prinzip weder dümmer noch klüger als zu allen anderen Zeiten der Menschheit ist, wird alltäglich mit einem Übermaß an Information konfrontiert, was im Endeffekt dazu führt dass die Aufnahmefähigkeit allmählich verloren geht. Exemplarisch nehme man das Fernsehen: Er ist Neurologisch erwiesen das Fernsehkonsum dieselben Prozesse im Gehirn auslöst und reizt wie das Lernen. Das Verlangen zu lernen wird also durch Fernsehkonsum – egal welcher Qualität – absolut gestillt. Tja, traurigerweise steigt Quantitativ unser Informationskonsum weiter, und es nicht zu erwarten dass sich das alsbald ändern wird.
Ist aber nur meine Meinung.

Übrigens Großmutter, Platon sagte mal „Der Mensch soll Flöte spielen, aber nicht zu gut“^^

MartinR
Advanced Member
Advanced Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 321
Registriert: 22.07.2004
Fr 6. Mai 2005, 15:05 - Beitrag #16

Grade der Stundenausfall ist offensichtlich ziemlich groß!

Lehrermangel. Hm.

Ich frag mich seit längerem schon: Wofür brauchen Lehrer eine wissenschaftliche Ausbildung in der Sparte, in der sie Lehren sollen.
Also warum muß ein Mathelehrer quasi Vollmathematiker sein?

Es gibt ja jetzt das Projekt nicht ausgebildete Lehrer an Schulen zu lassen. Soweit gut!
Das dürfen aber nur Akademiker aus ihrem Bereich sein... Was ein Unsinn.

Bis zur 10 Klasse könnte doch ein halbwegs gebildeter Mensch fast jeden Unterricht halten!

Aber das müßte ja gar nicht sein.
Statt immer nur hohe Akademiker einzusetzen (Nicht mal FH Absolventen sind ja meißt zugelassen), könnten auch andere die Aufgaben erfüllen, die mindestens einen entsprechenden Beruf haben und vielleicht noch ein wenig Fortbildung.
So wäre es doch einfach explizit echte "Voll"-Pädagogen zur Überwachung und Schulung der Lehrkräfte einzusetzen und Praktiker und andere die Stunden halten zu lassen. Ich bin sicher, so würden sich viel mehr Lehrkräfte finden lassen, die Klassen könnten auf eine vernünftige Größe reduziert werden und alle hätten was davon.

Oder?

Zumindest ich würde gern auch in Schulen unterrichten! Die Erwachsenenbildung macht mir jedenfalls sehr viel Freude!

Und Kindern das Lesen von Büchern zu vermitteln halte ich für essentiell und Notwendig. Mit Dürrematt hat man mich in der Schule auch schon gequält. Schrecklich! Moby Dick, Ronja Räubertochter, spannende Kurzgeschichten z.b. über Computer sind da ganz bestimmt wesentlich geeigneter!!!

Feuerkopf
Moderatorin
Moderatorin

Benutzeravatar
 
Beiträge: 5707
Registriert: 30.12.2000
Fr 6. Mai 2005, 22:06 - Beitrag #17

Martin,
du sitzt einem beliebten Trugschluss auf: Nur, weil wir alle irgendwann mal zur Schule gegangen sind, denken wir, wir wüssten, wie man lehren muss.

Das ist so, als könne jemand, der einen Krankenhausaufenthalt hinter sich hat, fortan als Arzt praktizieren.

Die Tendenz, minderqualifiziertes Personal einzusetzen, führt nicht zu mehr, sondern zu weniger Bildung.

Sicherlich kann an der Lehrerausbildung etwas verbessert werden, aber zu diesem Beruf gehört mehr, als sich an der Uni Fachwissen in den Schädel zu bimsen.
Ich bin sicher, Maurice kann da einiges zu sagen. Ich empfehle, mal sein Weblog zu lesen.

Du möchtest gern unterrichten, hast aber vorsichtig schon mal auf "Erwachsenenbildung" abgehoben. Klug von dir! Da sitzen nämlich überwiegend Freiwillige, die lernen WOLLEN.

In den Klassen 1 - 13 sitzten Leute, die lernen MÜSSEN, die ihre familiären und pubertären Nöte mit in den Klassenverband bringen. Da ist nichts mit "Ich lese netten Kindern ein schönes Buch vor".

Ich bin seit über 20 Jahren mit einem Lehrer zusammen, kenne auch seine Kollegen. Ich sehe, wie sie von diesem System zermürbt werden. Von "oben" werden sie durch Vorschriftenwust demotiviert, von "unten" werden sie häufig missachtet. Toller Job!

Ich glaube, es gibt kein anderes Land, das die Erzieher von Kindern (Kindergarten, Schule etc.) so respektlos behandelt.

MartinR
Advanced Member
Advanced Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 321
Registriert: 22.07.2004
Fr 6. Mai 2005, 22:26 - Beitrag #18

Hi Feuerkopf!;)

Hm, nene, das es soooo leicht ist, glaube ich nicht! Ich denke schon, daß Unterrichten auch gelernt werden muß.
Ich frag mich nur, ob das gleich ein Studium sein muß. Eine gewisse Grundausbildung sollte sicher da sein, und ich schlug ja auch vor, mehr Pädagogen einzusetzen um die Lehrer zu "kontrollieren" (oder auch = auszubilden).

Und vielleicht bedeutet ja auch:
Weniger Schüler pro Klasse und mehr Unterrichtende = besser Qualität für alle.

Jedenfalls waren schon in meiner Klasse viel zu viele (25 oder so in der Zahl)
Latein hatte ich mal mit 6 anderen. Nicht, daß ich es dadurch besser konnte *smile* aber es war alles sehr viel friedlicher und es konnten alle ziemlich individuell gefördert werden.

(Nu fang nich an, zu diskutieren, ob das finanzierbar ist... ;) darum gehts grad nich!) *smile*

Liebe Grüße, Feuerkopf!!;)
Martin.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Fr 6. Mai 2005, 22:38 - Beitrag #19

Ich kann da Feuerkopf nur zustimmen, Lehrer werden didaktisch schlecht ausgebildet, bürokratisch überfrachtet und für jeden Fehler des Systems verantwortlich gemacht, notfalls, indem der Bundeskanzler sie als "Faule Säcke" tituliert.

Und, ich bin doch sehr dafür, Schüler mit hoher Literatur wie u.a. Dürrenmatt zu traktieren und nicht zeitgeistkonform auf comics abzusteigen

Einen Aspekt würde ich allerdings noch hinsichtlich des Bildungsniveaus früher anbringen wollen.
Und zwar hat das Wissen gerade in den letzten jahrzehnten extrem zugenommen, so daß der Anspruch des Bildungsbürgertums heute rein sachlich schwer aufrecht zu erhalten ist.
Es muß einen Paradigmenwechsel geben, hin zu lebenslangem Lernen, und in der Vermittlung der Fähigkeit zum selbständigen Lernen liegt wohl fast die größere Aufgabe von Schule. Aber das ist bisher nicht allgemein bewußt.

jaiden
Junior Member
Junior Member

 
Beiträge: 51
Registriert: 03.01.2005
Fr 6. Mai 2005, 23:19 - Beitrag #20

@Martin: und da sind wie schon wieder bei meinem Lieblingsthema: Klassengröße auf MAXIMAL (!) 15 Schüler senken, und das Thema ist vom Tisch.

Denn: in ner Klasse von 30 oder mehr kriegt der Lehrer praktisch kein positives Feedback von den Schülern, ist dadurch weniger motiviert (ob er das nun "will" oder nicht - Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel), und demotiviert die Schüler anschliessend noch mehr... der übliche Teufelskreis.

Aber wir wollen ja nahezu alles an der Lehrerausbildung, den Lehrmethoden, der Ausstattung, etc. ändern, nur nichts daran worauf es wohl wirklich ankommt: Zeit.

jaiden

Nächste

Zurück zu Beruf & Bildung

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 7 Gäste