Hab mich so was von geärgert heute. Ich war bei meinem Nachhilfeschüler. Er liest gerade seine erste Englischlektüre. Sie spielt in Amerika der späten 80er, es geht um eine Sekte, die sich auf politischer Ebene einmischen will. Als Internethausaufgabe hatte ich ihm u.a. letztes Mal aufgetragen, eine Passage auf Englisch zusammenzufassen, die er in der Schule gelesen hatte. Er schickte mir ein wenig grottenschlechtes Gestammel zu der anderen Aufgabe und entschuldigte sich, dass er die Zusammenfassung nicht machen könnte, er würde den Text nicht verstehen. Das ließ mich so ein ganz klein wenig an meiner Arbeit zweifeln, die ich seit 1 ½ Jahren in diesen jungen Mann investiere, aber nun. Er pubertiert, er hat ADS, er hasst Englisch.
Heute also zu ihm hin. Er erklärte mir, dass die Passage in der Schule weder übersetzt noch besprochen worden war, die Lehrerin hatte nur ein paar Vokabeln an die Tafel geschrieben, die Schüler sollten den Kram lesen. Fertig. Etliche Begriffe kannte er nicht. Ich ermunterte ihn mal wieder, dass aufzeigen und fragen keine Schande ist, sondern dem Lehrer Interesse zeigt. Wir gingen den Text durch, er kam einigermaßen klar. Was nicht bedeutet, dass sein Leseverständnis irgendeiner zweiten Erwähnung wert wäre. Aber was will man von einem jungen Mann erwarten, der niemals freiwillig ein Buch berührt und nach 1 ½ Jahren fieser Gedankenindoktrination seitens seiner Nachhilfelehrerin lediglich bereit ist, den Sportteil der Zeitung aufzuschlagen?
Allerdings - eigentlich ist er ein sehr, sehr helles Köpfchen. Nur, dass seine Intelligenz ihm nichts nutzt. Wie Schneeketten in der Wüste eben.
Zusammen konnten wir was erarbeiten.
Mir war schon häufiger aufgefallen, dass er eine unglaublich schlechte Allgemeinbildung "besitzt". In der Lektüre sind mehrere biblische Anspielungen: "Schlange im Paradies", "das goldene Kalb"... die kannte er allesamt nicht. Hab schon so manche Stunde damit verbracht, sein Wissen aufzumoppen und ihm lustige Storys aus der Bibel, politische Zusammenhänge oder geographische Spezialitäten aufzubereiten.
Heute dann die Krönung. Ich geb’s mal als Dialog wieder, es ist einfach irrwitzig.
Er: „Was bedeutet „communists“?“
Ich: *blubb* „Ähm – Kommunisten natürlich.“
Er: *BLUBB* *schweig*
Ich: „Du weißt doch, was Kommunisten sind?“
Er: *lach*
Ich: „Aber der kalte Krieg ist dir sicher ein Begriff? Und Mao, in China?“
Er: „Was ist kalter Krieg?“
Ich: *blubb* „Amerika und Russland – sagt dir das was?“
Er: „Haben die Krieg geführt?“
Ich: „Nein. Ein heißer Krieg bedeutet, dass Bomben fallen und Soldaten ballern. Ein kalter Krieg findet auf diplomatischer Ebene statt, vereinfacht gesagt.“
Er: *grinsverlegen*
Ich: "Ganz einfach gesagt: Die Amis mochten keine Kommunisten."
Er: "Ach, das sind also Schwarze?"
Ich: *neinichsagnichtsneinichsagnichtsneinichsagnichts*
Ich: „Was lernt ihr eigentlich in eurer Schule – Däumchendrehen?“
Er: „Na ja, wir hatten immer nur 1 Stunde Geschichte pro Woche, und das ist ganz lange immer wieder ausgefallen. Das letzte halbe Jahr war nichts, die Lehrerin war schwanger.“
Ich: „Und was habt ihr gelernt?“
Er: „Na ja- da war ein Ludwig. Und – Weltkrieg.“
Ich: *neinichfragnichtwelcherLudwig* „Okay. Hm – wenn du schon nicht lesen willst, dann sieh dir doch mal die ganz alten James Bond – Filme an. Die sind lustig, und du lernst zumindest ein paar Schlagworte zu dem Thema „kalter Krieg“.
Er: „Okay.“
Seine Mutter kommt hinzu. Ich rege mich ein bisschen auf, was für ein Saftladen von Schule das ist.
Sie: „Och, das war schon immer so. In der 1. Klasse hab ich aufgegeben zu kämpfen. Die hatten ständig neue Experimente mit den Kindern. In der 1. Klasse wurde ihm immer Montags ein Wochenplan gegeben, den er bis Freitag abzuarbeiten hätte. Damit war er dann Montagabend um 18.00 Uhr immer spätestens fertig und hat den Rest der Woche mit malen verbracht. Die Lehrerin fand das toll – so würde er „im Kollektiv malen lernen.“ Nur deutsche Sprache und Rechnen, das kam nicht vor. So ist es dann geblieben. Im Moment lesen die in Deutsch den Dürenmatt. Keines der Kinder versteht, was da drin steht, weil keiner auch nur weiß, was ein Genitiv ist.“
(…)
Später versuchte ich dem Knaben den Begriff „infiltrieren“ zu erklären. Militärischer Terminus. Auch auf Chemie übertragbar. Chemie findet aber auch nur gelegentlich statt, und in seinen Kriegs- PC – Spielchen ist ihm das Wort noch nicht begegnet.
Nee, also ehrlich! Und da wundert sich noch irgendjemand, dass die momentane Lehrlingsgeneration zu mindestens 30% (oder so) nicht vermittelbar ist!
Er geht auf eine Realschule. Nächstes Jahr ist er fertig. Danach will er auf die HöHa, sein Fachabi basteln, von dort aus zum Bund, in die Sportkompanie. Falls die dann noch existiert. Fest verpflichten (falls dann noch möglich) und nebenher BWL studieren.
Und das mit einer Allgemeinbildung, die kaum größer als die von meiner 6jährigen ist.
Ich hab ihm eindringlich geraten sich einen Plan B bereitzuhalten. Man hat sich schließlich mal schneller die Kniescheibe rausgeschlagen als man denkt. Und er ist definitiv nicht studientauglich, er kann ja noch nicht mal einen einfachen deutschen Text schreiben, weil sowohl Groß- und Kleinschreibung, Orthographie als auch Interpunktion für ihn Bücher mit 7 Siegeln sind. Wo er doch eh nie ein Buch berührt. Komischerweise hat er gute Noten in Deutsch.
Mann, bin ich froh, dass in der Grundschule zumindest eine Trendwende vorhanden ist! Da wurde eine ganze Schülergeneration systematisch verblödet.
Ist das noch irgendwie normal? Was denkt ihr?