Ein sehr beeindruckender Text, der auch meine Eindrücke perfekt einfängt.
Zugleich würde mich interessieren, wie diejenigen, die die dem meinigen benachbarten Elfenbeintürme aus Formeln und Zahlen bewohnen, den beschriebenen Sachverhalt sehen, ob sich ihnen der Zusammenhang ähnlich darstellt oder eine völlig andere Sicht ergibt.
Es sieht durchaus sehr ähnlich aus. Ich denke, wir kommen ein wenig glimpflicher davon als ihr, da bei uns schon immer die ersten 6 Semester lang der Großteil der Veranstaltungen festgelegt war. Aber prinzipiell gibt es dieselben Probleme - sinnloser Mehraufwand für bürokratischen Nonsens wie Klausuranmeldungen, unnötige Stoffkürzungen, um im Standardpensum zu bleiben, und ähnliches. Vor allem die Bachelor-Master-Aufteilung erscheint völlig grotesk, da ein 6-Semester-Physiker nun wirklich zu nichts zu gebrauchen ist. Wird das 30%-Zulassungskriterium für den Master tatsächlich durchgesetzt, werden massenweise nur fachfremd einsetzbare Absolventen produziert. Und auch so haben die, die weitermachen, erhebliche Einbußen durch einen künstlich auf ein falsches Ziel ausgerichteten Lehrplan.
In Gesprächen erklären alle Kollegen unisono, man dürfe die neuen Vorschriften nicht so ernst nehmen, man müsse sie hinbiegen, durchlöchern, unterlaufen, Etikettenschwindel betreiben und so „das Beste daraus machen“.
Dies ist auch genau die Haltung, die einem in der Physik begegnet. Es wird versucht, soviel wie möglich vom alten System nur umzubenennen und vielleicht ein bisschen zu permutieren, und dadurch bleiben uns wohl die schlimmsten eigentlich vorgesehenen Schäden erspart. Komplett ohne Stoffeinbußen geht es aber leider nicht.
Insgesamt kann ich nur mal wieder meine Überzeugung verkünden: Der Bologna-Prozess hätte in dieser Form ausschließlich auf Fachhochschulen angewenden werden sollen, bei gleichzeitiger Übertragung der meisten Ingenieurs-, BWL-, Medizin- und Jura-Studenten auf diese Einrichtungen. Dann hätte es ihrem Sinn und Konzept gut angepasste Wissenschafts- und angewandte Hochschulen parallel gegeben, die beide international respektabel wären.
Dass Juristen und Mediziner sich als letzte erfolgreich gegen die Umstellung wehren, ist übrigens äußerst paradox, gehören sie doch zu den Fachbereichen, die zum Großteil reine Berufsausbildung praktizieren und die somit eigentlich für das neue System prädestiniert sind. Aber sie haben halt mehr Lobby.