Religiöse Symbole in Schulen

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e-noon
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Mi 18. Feb 2009, 22:18 - Beitrag #1

Religiöse Symbole in Schulen

Ich pack's mal hierhin...
Religiöse Symbole in Schulen ja oder nein? Gleichberechtigung religiöser Symbole in der BRD ja oder nein?

-E-Auch in Deutschland erscheint es mir sinnvoll, Atheisten/Naturalisten zusammenzufassen - wenn es zum Beispiel um Kruzifixe in Schulen geht oder die Einführung des Kreationismus im Schulunterricht, wünsche ich mir eine möglichst große, und möglichst organisierte, Opposition dagegen.

-P-Kruzifixe in Schulen ist halt eine ähnliche Sache wie 'Oh, du fröhliche' zu singen...man sollte das nicht zu ernst nehmen, ist halt so eine Kulturgeschichte...

-E- Für die Anhänger einer Kultur sind deren Symbole selten ernstzunehmende Probleme ^^ Man sollte sich nur immer fragen, ob man selber dann auch bereit wäre, seine Kinder "Fatima" oder "God was never on your side" singen lassen.
Und wenn man Kruzifixe (in jedem Klassenraum, also deutlich mehr mit dem Staat verbunden als einzelne Lehrpersonen) nicht so ernst nimmt, warum dann Kopftücher?

-P- Was heißt Anhänger dieser Kultur? Auch wenn ich selbst z. B. kein Christ bin, erkenne ich an, dass ich in einer christlich geprägten Kultur lebe und auch selbst von dieser geprägt wurde. Wenn man diese Prägung erneuert, indem man traditionelle Lieder singt, habe ich nichts dagegen; das gilt genauso für 'Oh, du fröhliche' wie für 'Hänschen Klein' oder 'Nehmt Abschied, Brüder'. Ich glaube nicht, dass die weltanschaulichen Untertöne darin eine große Wirkung entfachen. Ich hätte auch nichts dagegen, wenn meine Kinder ein paar linke Lieder wie 'Bella ciao' oder meinetwegen auch 'Das Einheitsfront' oder die 'Internationale' singen (obwohl ich sicherlich kein Linker bin), solange das nicht mit bewusster Propaganda verbunden ist, sondern mehr als Vertrautmachen mit dem üblichen Liedbestand und Kultur zusammen mit einer gewissen Freude am gemeinsamen Singen verstanden ist.
Prinzipiell wäre es mir natürlich auch recht, wenn die von dir genannten Songs, in der Schule gesungen würden, so lange sie nicht propagandistisch eingesetzt werden. Ein Song ist nicht der richtige Ort für eine sachliche Auseinandersetzung mit einem Thema. Prinzipiell fände ich es aber vermutlich schöner, wenn in der Schule primär Liedgut gepflegt wird, dass nicht von Aggression geprägt ist.
Und ich habe nichts gegen Kopftücher in Klassenräumen, sowohl von Schülerinnen als auch von Lehrerinnen....(oder um der Gleichberechtigung willen auch nicht von Schülern oder Lehrern). Trotzdem finde ich es durchaus eine verständliche Position, wenn man nicht für eine völlige Gleichberechtigung der Religionen oder auch der religiösen Symboliken im Alltag eintritt, da eine Religion nun einmal traditionell und kulturell dominant ist. Sonst ist natürlich jeglicher Sonntagsschutz auch sofort weg (wenn man ihn abschaffen will, denke ich, sollte man es nicht aus diesem Grund tun). Auch würde ich durchaus auch Kirchenglocken anders einordnen als die Rufe des Muezzins.

-E- @Padreic: Ich stimme dir zu, dass man sich nicht über einzelne Lieder aufregen sollte, solange man dieses Recht allen Liedern zugesteht (bzw. denen aller Kulturen, nicht allen Liedern aller Kulturen). Bezüglich Anhänger einer Kultur meine ich genau das, was du geschrieben hast. Dennoch finde ich, dass es weit mehr gute Gründe für den Sonntag als freien Tag gibt als den, dass eine Handvoll Leute (es sind schon einige, aber mehr, die es nicht tun) in die Kirche geht. Beispielsweise die Internationalität dieses freien Tages und die Wichtigkeit für alle Bereiche des Lebens, einen möglichst gut abgestimmten freien Tag in einem sieben-tage-rhytmus zu haben, damit Familien, Freunde etc. gemeinsam entspannen können. Sicher haben auch die meisten Atheisten Lust, zur Weltrevolution des abgeschafften Sonntags aufzurufen; ich denke nicht, dass eine rationale Begründung des Sonntags ihm schaden würde, im Gegenteil.
Auch ist nicht jede verständliche Position eine begrüßenswerte ^^
Kirchenglocken, meiner Meinung nach, SIND etwas anderes als Muezzinrufe, und daher anders zu bewerten, nicht, weil sie "unserem" Gott besser gefallen bzw. aus der europäischen Tradition erwachsen statt einer anderen.

-T- Auch das Thema "erzwungene christliche Elemente im Alltag" ist umfangreich und diffizil. Bei Liedern und Kruzifixen stimme ich Padreic zu, dass man damit gut leben kann. Bei den Kirchenglocken bitte ich aber zu beachten, dass es hier nicht nur um rein ideelle "Beleidigungen" Neutraler oder Andersgläubiger geht, sondern auch um ganz handfeste Lärmbelästigung, die von jedem Anderen als den Kirchen stammend einhellig als hochkriminell bewertet würde, also um ein Problem einer ganz anderen Kategorie.

Anaeyon
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Fr 20. Feb 2009, 18:53 - Beitrag #2

Nein.

Zum Glück bin ich hier in meinem Bundesland solchen Unglaubensbeleidigungen aber eh nicht ausgesetzt. ^^

Deutschland ist kein christliches Land. Die christlichen Werte, die nicht schon allgemein als menschliche Werte zu bezeichnen sind und nicht im Grundgesetz erwähnt werden, sind mmn. schädlich. Ich wurde laut meinen Eltern nach "christlichen" Werten erzogen, allerdings würde ich da eher "sozial" einsetzen. Ich sehe absolut keine Daseinsberechtigung für christliche Symbolik auf neutralem Boden.

Und ja, Kirchenglocken sind mir auch nur dann angenehm, wenn sie den Muezzin übertönen Bild

Maglor
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Sa 21. Feb 2009, 12:19 - Beitrag #3

Ich selbst verbrachte den größten Teil meiner Schulzeit unter Kruzifixen. Das lag aber nicht am Bundesland sondern am kirchlichen Schulträger. ;)
Das fand ich an sich weder störend noch bedeutungsvoll. Das geht wohl auch den meisten Menschen so. Jene, die sich vehement gegen Kreuze an der Wand und Weihnachtslieder im Musikunterricht wehren, kommen ja meist aus der radikal religiösen Ecke, Zeugen Jehovas, Wahabisten...
Wenn man nicht an die Magie des Kreuzes glaubt und kein Vampir ist, braucht man sich doch eigentlich keine Sorgen zu machen.

Ansonsten stimme ich darin überein, dass die Ungleichbehandlung der Religionen, also die Bevorzugung der Amtskirchen, ein Unding ist. Wenn Kopftücher verboten werden und Kreuze erlaubt bleiben, kommen mir doch deutliche Zweifel an der Säkularität der BRD. :(

janw
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Sa 21. Feb 2009, 13:34 - Beitrag #4

Wenn Kopftücher verboten werden und Kreuze erlaubt bleiben, kommen mir doch deutliche Zweifel an der Säkularität der BRD.

In Ausdehnung des Religionsbegriffs auf bestimmte Bereiche der Wirtschaft - vieles, was da gesagt wird, hat eher den Charakter von Glaubensaussagen, denn von belastbaren Tatsachenaussagen - erscheint mir dies fast noch bedenklicher.
Wenn ich sehe, daß selbst jetzt noch Schülern Aktien als Weg zur Finanzierung von Untenehmen erklärt werden, wenn da noch vom Interesse an den Unternehmen und ihrem operativen Geschäft gesprochen wird, und dann die Schüler zur Teilnahme an einem Börsenspiel animiert werden inclusive Lobhudelartikel in der Tageszeitung für die gewinnmaximierendste Gruppe und Ausflug in eine Ausstellung von Autos, die kein Vernünftiger haben wollen kann, dann frage ich mich wirklich, wo da das unabhängige Schulsystem geblieben ist.

Hinsichtlich des Kruzifixes stimme ich Dir zu, das hat IMHO nichts in einem Klassenraum verloren, das Kopftuch ist so eine Sache für sich. Von einem zweckmäßigen Kleidungsstück in vielen agrarischen Kulturen und einer Möglichkeit für islamische Frauen, sich anzüglichen Blicken von Männern zu entziehen, hat es sich zu einem für islamische Frauen im öffentlichen Leben teilweise unabdingbaren Kleidungsstück entwickelt, da Frauen, die es nicht tragen, vielfach zugesprochen wird, sie wollten bewusst mit ihren weiblichen Reizen auffallen, was dann in Zuweisungen wie "unzüchtig" u.ä. mündet.
Damit könnte man sagen, daß die Duldung von Kopftüchern eben gerade diese Entstellung des Gegenstands und die damit verbundene Wertherabsetzung der Frau in einigen islamischen Bereichen unterstützt.
Das Problem ist, daß das Kopftuch als Möglichkeit weiterhin vom Koran incl. Hadithen explizit gestützt wird, die Entstellung ist Teil der Auslegung. Ein Unterschied, der vielen Frauen nicht klar ist...

Traitor
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So 22. Feb 2009, 15:08 - Beitrag #5

Zumindest aus diesem Thread kann man doch Wirtschaftsbashing heraushalten, oder? Das ist doch schon sehr gezwungen reininterpretiert.

In erster Linie erscheinen mir die Kruzifixe als harmlose Folklore. Solange sie einfach nur ein traditioneller Wandschmuck sind und beispielsweise auch ihr Umdrehen nicht mit mehr als einem "ach Kinder, lasst doch den Blödsinn" quittiert wird, habe ich nichts gegen sie. Sollte ihnen aber vom Lehrpersonal explizit Bedeutung und Autorität zugewiesen werden (und nicht nur darüber gesprochen werden, was etwas anderes ist), so verfehlt die Schule ihren Auftrag zur neutralen Erziehung.

Etwas anderes sind Kopftücher und, meines Erachtens vollständig analog, Nonnentrachten bei Lehrerinnen. Im Gegensatz zum Kreuz, das friedlich an seiner Wand hängt, werden diese eben von der Lehrkraft getragen und sind somit untrennbar mit deren Position verbunden; alles, was gesagt wird, wird also auch mit dem in Verbindung gebracht, wofür diese Kleidungsstücke stehen. Und dass sie für bestimmte Weltanschauungen stehen, ist nicht wegzudiskutieren.

Bei Schülerinnen wiederum besteht diese Gefahr eigentlich nicht, Kopftücher sollten eigentlich unter deren Kleidungsfreiheit fallen. Aufgrund der überragenden negativen Signalwirkung dieser Kleidung halte ich es hier jedoch vertretbar, ebenfalls ein Verbot zu haben, insbesondere, da es ja im Endeffekt zu mehr Freiheit führt.


Auf der politischen Ebene betrachtet, haben wir leider die Lage, dass die BRD im Gegensatz zu Frankreich nicht säkular ist. Wir haben offiziell eine Staatsreligion, auch wenn das der Realität der Bevölkerung längst nicht mehr entspricht. Daher ist es leider so schwer, all diese Sachverhalte vom Gesetzgeber logisch regeln zu lassen.

janw
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So 22. Feb 2009, 15:58 - Beitrag #6

Es geht mir nicht um Wirtschaftsbashing, sondern darum aufzuzeigen, daß unter dem neoliberalen Kurs mitnichten Säkularität in den Schulen herrscht, sondern daß die Symbole und Aussagen tradierter Religionssysteme durch solche ersetzt werden, die von ihrer Qualität pseudoreligiösen Charakter besitzen und mit Werten verbunden sind, die man im gesellschaftlichen Kontext durchaus bedenklich finden kann.
Den Jugendlichen Bereicherung mit Kapitalrenditen >12% als Wert zu vermitteln, Egoismus statt Solidarität, Eigennutz statt Verantwortung, ist gerade jetzt mehr als zynisch.

Mir ist zum ersten Mal ein Kruzifix in der vierten Klasse begegnet, als ich gerade auf die Regelschule gewechselt war in einer katholischen Gegend im Ruhrgebiet. Ich fand es eigenartig, es hat mich aber nicht weiter beeinflusst, weil ich von zu Hause aus eh moderat christlich geprägt war. Ein guter Freund von mir, der in Bayern aufgewachsen war, erzählt mir aber, daß ihn diese Symbole deutlich stärker gestört hätten, das mag, so denke ich heu8te, damit zusammenhängen, daß dort zumindest damals zusätzlich noch am Beginn der Stunde gebetet wurde, d.h. das Symbol wurde regelrecht mit einem Ritual verknüpft.

Hinsichtlich des Kopftuchs sehe ich es teils ähnlich wie Traitor, Lehrerinnen sollten IMHO keines tragen. Schülerinnen kann man es IMHO aber wohl nicht verwehren. Allerdings sollte IMHO entsprechender islamischer Religionsunterricht - den es geben muss! - auch auf die Zwiespältigkeit des Kopftuchs eingehen, damit die Schülerinnen in die Lage versetzt werden, sich frei dafür oder dagegen zu entscheiden.

Lykurg
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So 22. Feb 2009, 17:56 - Beitrag #7

janw, ich sehe (ähnlich wie Traitor) die Verbindung zur Wirtschaft nicht. Ein "Ersetzen" religiöser durch kommerzielle Symbole kann ich hier nicht erkennen. Aktiengeschäfte und Prinzipien des Marktes sind kein religiöses Thema, sondern eine Grundlage des Funktionierens unserer Gesellschaft; wenn man Schüler dagegen indoktriniert bzw. von den damit zusammenhängenden Wissensgebieten gezielt abschottet, tut man ihnen keinen Gefallen - aber das steht wirklich auf einem anderen Blatt.

Ich hatte nie unter einem Kruzifix Schulunterricht, nur gelegentlich (mit einem rein weltlichen Chor) Chorproben in einem Gemeinderaum, in dem eines hängt. Tatsächlich fällt es mir dort regelmäßig ins Auge, stört mich als christlich geprägten Menschen aber (natürlich) nicht. Ich kann mich daher schlecht bis gar nicht in Personen hineinversetzen, die sich grundsätzlich gegen das Symbol ereifern; wenn sie in der Klasse zur Teilnahme am Gebet genötigt werden, sieht das natürlich anders aus, ist dann aber in meinen Augen keine Frage des Symbols an sich, sondern nur die 'greifbare' Zielscheibe der Kritik einer problematischen Praxis. (In diesem Sinn wird das Kruzifix im Moment seiner erzwungenen Abnahme zum zweiten Mal Zeichen einer stellvertretenden Sühnehandlung...^^)

Hinsichtlich der Kopftuchfrage möchte ich es Lehrerinnen auf jeden Fall verbieten, tue mich aber auch bei Schülerinnen/Studentinnen sehr schwer damit, weil ich die Grenze zwischen eigener Entscheidung und äußerlichem Zwang der Eltern/Brüder (/älteren Männer 'aus dem Dorf') als völlig verschwommen ansehe. Nach Lektüre mehrerer Bücher von Seyran Ates halte ich das Kopftuch für ein Unterdrückungssymbol übelster Sorte, auch unabhängig davon, ob der Träger dazu erzogen ist, es tragen zu wollen.

Maglor
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Mo 23. Feb 2009, 23:20 - Beitrag #8

Das Grundproblem jeglicher Symbolik ist die Arbitrarität. Die Beziehung zwischen dem Symbol und der angenommenen Symbolik ist willkürlich und liegt ganz im Auge des Betrachters.
Dass Kopftücher ein Symbol für die Unterdrückung der Frau sind, behaupten viele. Die Trägerinnen verneinen dies. Hingegen behaupten manche Krawattenträger tatsächlich, die Krawatte sei ein Symbol für die Unterdrückung und Ausbeutung des Mannes.
Welcher Grund steckt also dahinter: Möchte da jemand sich als Aktivistin des politischen Islam profilieren? Oder ist es nur eine für Außenstehende überholt wirkende Tradition? Schamgefühl?
Für den Außenstehenden ist dies nicht überprüfbar. Man kann dem Gegenüber nicht in den Kopf schauen, höchstens sich dessen Worte anhören.
Gleich gilt auch für Kreuzanhänger. Simpler Modeschmuck oder evangelikales Statement? :crazy:
Ich würde mir wünschen, dass das muslimische Kopftuch mit katholischen Ordenstrachten und anderen religiös konnotierten Kleidungsstücken gleichgestellt wird. (Der Sikh-Turban steht irgendwie nie zur Debatte, genauso wenig wie die jüdische Kippa im umgekehrten Fall.) Entweder alle verbieten oder keinen!
Allerdings muss ich zugeben, dass mir die kemalistische Praxis des radikalen Kopftuchverbots nicht gerade sympathisch ist. Man kann es mit der Säkularität auch übertreiben.

janw
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Di 24. Feb 2009, 03:07 - Beitrag #9

In Erweiterung von Maglors Beitrag sei auch noch auf den Bart verwiesen, der im Islam nicht ganz bedeutungslos ist...
Und ist Säkularismus nicht auch wieder ein -ismus und damit quasi-religiösen Charakters?^^

Den Grundlagen des Funktionierens(?) unserer Gesellschaft werd ich beizeiten mal einen besonderen thread widmen...

Traitor
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Do 26. Feb 2009, 19:50 - Beitrag #10

@Jan:
Wirtschaftsunterricht als eine Form von Religionsersatz zu sehen, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Zum einen überwiegt hier ganz klar die Zahl der kritisch eingestellten Lehrer (wenn auch nur nach eigener Erfahrung und Hörensagen, ichb ezweifle, dass es da Statistiken gibt), zum anderen ist es einfach ein notwendiger Teil der Bildung über das Alltagsleben, der eher noch viel zu kurz kommt. (Ich hätte gerne mehr Ahnung von Steuern, Versicherungen und so aus der Schule mitgenommen.)
Islamischen Religionsunterricht "muss" es genausowenig geben wie christlichen, beides sollte ersetzt werden durch Religionswissenschaft, die neutral und kritisch sämtliche Religionen behandelt, in einem Verhältnis angemessen ihrer globalen und nationalen Bedeutung, sowie stets auch ihre säkularen Alternativen.

@Maglor: Bei der (Schülerinnen-)Kopftuchfrage ist es nicht ganz so einfach. Hier geht es nicht nur wie beim Kruzifix darum, ob man sich durch das Symbol "beleidigt" fühlt, hierauf träfe deine Deobjektivierung zu. Es geht hierbei auch, und sollte es sogar vor allem, darum, dass das Kopftuch (vermutlich) ein statistisch signifikantes Anzeichen für nicht-freiheitliche, unterdrückende Erziehung der es tragenden Mädchen ist, und es sich somit im Sinne des Sorgeauftrags der Schule lohnend erscheint, hier präventiv aufzuklären und Hilfsangebote aufzustellen. Ob ein Verbot und damit ein Konfrontationskurs mit dem häuslichen Hintergrund dafür der beste Weg ist, ist aber natürlich diskussionswürdig.

janw
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Fr 27. Feb 2009, 18:56 - Beitrag #11

Traitor, soweit es um sachliche Information über Kapitalanlagen geht, stimme ich Dir zu, ich habe nur selber etwas anderes erlebt - nämlich die Erzählung der Märchen von der Aktie als Beteiligung am Unternehmen, deren Wert sich aus dem Geschäftsverlauf ergebe, und nachfolgend die Animation zu Börsenspielen von der Sparkasse mit anschließender zeitungsöffentlicher Belobigung der maximalsten Kapitalmaximierer. Diese Börsenspiele finden auch jetzt noch statt, wie ich neulich in der Zeitung lesen durfte.

Kein Wort davon, daß die Kurswerte nach Belieben von irgendwelchen Fondsmanagern und angeschlossenen Anlageberatern hochgejubelt oder in den Keller geprügelt werden, für die Renditen von 15% quasi Menschenrecht sind.
Kein Wort von den Konsequenzen einer derartigen Praxis für unser Wirtschaftssystem, das eben ganz wesentlich auf einer Vielfalt mittelgroßer Unternehmen mit diversem know-how aufbaut, die durch die Fusionitis und Renditevernarrtheit sukzessive verschwinden.

Zitat von Traitor:Islamischen Religionsunterricht "muss" es genausowenig geben wie christlichen, beides sollte ersetzt werden durch Religionswissenschaft, die neutral und kritisch sämtliche Religionen behandelt, in einem Verhältnis angemessen ihrer globalen und nationalen Bedeutung, sowie stets auch ihre säkularen Alternativen.

Der christliche Religionsuntericht zu meiner Zeit war im Grunde genau das, wir haben damals die diversen Hintergründe der Bibel behandelt mit dem Ergebnis ihrer mehr oder weniger Dekonstruktion, außerdem wurden die anderen Weltreligionen vergleichend betrachtet. Das muss es IMHO auch in islamischer Form geben, dort eben mit einem starken Focus auf den koran als grundlegender Schriftquelle.
Ein gänzlich religionsübergreifender Weltanschauungsunterricht greift IMHO zumindest in den unteren Klassen zu kurz, da jeder Unterricht die Schüler dort "abholen" muss, wo sie gerade stehen. Kinder, die von Haus aus islamisch aufgewachsen sind, muss man zunächst mit den Problemen des koran konfrontieren, von da aus kann dann fortgeschritten werden.

Traitor
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So 1. Mär 2009, 17:10 - Beitrag #12

Die Börsenspiele erscheinen mir durchaus als sinnvolle Verständnisübung, die sowohl zum Resultat "boah cool, das will ich später machen" als auch zum "wie bescheuert, damit will ich nichts zu tun haben" führen kann. Die Lobpreisung für den Sieger ist keine andere als bei Musik-, Sport- oder Wissenschaftswettbewerben und sie gerade im Wirtschaftsbereich zu verbieten, wäre absurd.
Wenn allerdings die negativen Seiten und Konsequenzen des Börsensystems totgeschwiegen werden, dann hat der Lehrer versagt. Aber das ist Sache des Lehrers, nicht des Konzeptes an sich, es gibt ja auch Religionslehrer, die die Kreuzzüge unter den Tisch fallen lassen, Englisch-Lehrer, die nur Glorreiches über Amerika erzählen, und so weiter.

Der christliche Religionsuntericht zu meiner Zeit war im Grunde genau das, wir haben damals die diversen Hintergründe der Bibel behandelt mit dem Ergebnis ihrer mehr oder weniger Dekonstruktion, außerdem wurden die anderen Weltreligionen vergleichend betrachtet.
Mein Religionsuntericht schwankte stark, je nach Lehrer. Bei den zweien, bei denen ich den Großteil meiner Gymnasiumszeit hatte, war er auch recht wissenschaftlich und kritisch geprägt (der eine musste sich sogar von Kollegen anhören, er würde zum Atheismus erziehen), in der Grundschule und Unterstufe war der Schulunterricht aber kaum vom Konfirmandenunterricht zu unterscheiden. Und selbst bei den aufgeklärten Lehrern blieb die Grundhaltung des "das Christentum ist der normative Grundzustand, andere Religionen, Atheismus und Wissenschaft sind nur interessante Abweichungen", die meines Erachtens in ein modernes Bildungssystem nicht mehr hineingehört.
Ein gänzlich religionsübergreifender Weltanschauungsunterricht greift IMHO zumindest in den unteren Klassen zu kurz, da jeder Unterricht die Schüler dort "abholen" muss, wo sie gerade stehen. Kinder, die von Haus aus islamisch aufgewachsen sind, muss man zunächst mit den Problemen des koran konfrontieren, von da aus kann dann fortgeschritten werden.
Da ist durchaus etwas dran, allerdings könnte ein stärker ökumenischer Grundschulunterricht durchaus auch eine gute Basis für Toleranz bilden, ohne die Kinder zu verstören. Auch wenn mein Religionsunterricht nur Bibelgeschichten enthielt, wurden mir in meiner Freizeit doch auch griechische, orientalische, germanische und indianische Geschichten erzählt, und ich bezweifle, dass diese mich sehr irritiert hätten, wären sie im Religionsunterricht drangekommen.


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