Der theoretische Gehalt von Kunst: Will uns die Kunst etwas über die Welt sagen?

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Maurice
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Di 8. Mai 2007, 20:56 - Beitrag #1

Der theoretische Gehalt von Kunst: Will uns die Kunst etwas über die Welt sagen?

Ich habe heute ein Referat über Rudolf Carnaps Aufsatz "Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache" gehalten, in dem Carnap unter anderem behauptet, dass die Kunst keinen theoretischen Gehalt besäße, also nichts empirisch prüfbares über die Welt aussagt, sondern stattdessen nur ein gewisses Lebensgefühl ausdrückt.
Da es hier eine Reihe an Usern gibt, die in irgendeiner Weise an Kunst interessiert sind, sollte fast jeder etwas zu dieser These sagen können.

Ich selbst kann dieser These nicht zustimmen. Es gibt Kunst, die ganz offensichtlich etwas über die Welt aussagt, bzw. der Künstler etwas über die Welt durch das Kunstwerk aussagen will. Zwei Beispiele:
1. Ein naturalistisches Drama, in dem die negativen gesellschaftlichen Verhältnisse dargestellt werden sollen. Man kann der Aussage des Dramas "unsere Gesellschaft ist so und so" entweder zustimmen oder sie verneinen. Dieses Urteil über die Aussage (die "Message") des Dramas lässt sich wiederum mit empirischen Daten stützen. (Ein Drama stellt für mich ein literarisches Kunstwerk dar.)
2. Wenn ich MTV einschalte und ein Rapper erzählt mir, dass es die Ausländer in Berlin schwer haben einen Job zu bekommen und deshalb kriminell werden, dann ist das eine Aussage der ich zustimmen kann oder nicht. Auch dieses Urteil lässt sich wieder empirisch stützen. (Ob mir nun HipHop als Musik gefällt spielt dabei keine Rolle. Es bleibt Musik und damit eine Form von Kunst.)

Natürlich werden die Aussagen in der Kunst nicht so codiert, wie z.B. in einer soziologischen Feldstudie oder einer Abhandlung über Quantenphysik. Dennoch haben wir es hier meiner Meinung nach oft mit Aussagen zu tun - eben nur in anderer Form.
Schwieriger finde ich dagegen die Frage, ob jede Kunst etwas aussagen will. Hat z.B. das angehängte Bild von Paul Klee einen theoretischen Gehalt?
Bild
Wollte uns Klee etwas durch dieses Bild mitteilen? Oder geht es bei solcher Kunst "nur" um den Ausdruck von Emotionen? Ist aber nicht auch der Versuch, seine Emotionen auszudrücken, ein Versuch, etwas über die Welt zu sagen? Kann man hier von Aussagen sprechen und können sie bejaht oder verneint werden?
(Neben abstrakter Malerei sind auch viele musikalische Werke Beispiele für solche Problemfälle. Wollte uns z.B. Mozart mit seiner kleinen Nachtmusik etwas über die Welt sagen?)

Ich hoffe, dass sich an dieser Diskussion auch ein paar beteiligen, die in dieser Sektion normalerweise nicht aktiv sind. Ich denke, das sind Fragen, zu denen jeder was sagen kann. Zwar ist Sprachphilosophie kein einfaches Gebiet, aber von mir aus kann es in diesem Thread ruhig ein wenig lockerer zugehen, wenn dafür eine interessante Diskussion entsteht. :)

PS: Niemand braucht Carnap, seine Philosophie oder den von ihm genannten Aufsatz zu kennen, um hier was sagen zu dürfen. Der Verweis auf Carnap sollte nur erklären, was mich zu diesem Thread motiviert hat. ;)

Anaeyon
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Di 8. Mai 2007, 21:12 - Beitrag #2

Maurice, bei einem realistischen, gezeichneten Bild, kann man da das Bild auf empirische Wai stützen, oder die Aussage des Künstlers dazu?

1. Ein naturalistisches Drama, in dem die negativen gesellschaftlichen Verhältnisse dargestellt werden sollen (jedoch auch andere Interpretationen möglich sind, und es somit keine klare Aussage hat, sondern man sich einfach nach der des Künstlers richtet..). Man kann der Aussage des Dramas (des Künstlers!) "unsere Gesellschaft ist so und so" entweder zustimmen oder sie verneinen. Dieses Urteil über die Aussage (die "Message") des Dramas (des Künstlers!) lässt sich wiederum mit empirischen Daten stützen. (Ein Drama stellt für mich ein literarisches Kunstwerk dar.)


2. Wenn ich MTV einschalte und ein Rapper erzählt mir, dass es die Ausländer in Berlin schwer haben einen Job zu bekommen und deshalb kriminell werden, dann ist das eine Aussage der ich zustimmen kann oder nicht. Auch dieses Urteil lässt sich wieder empirisch stützen. (Ob mir nun HipHop als Musik gefällt spielt dabei keine Rolle. Es bleibt Musik und damit eine Form von Kunst.)

Auch hier gibt es einen Unterschied zwischen der Kunst und der Aussage. Die Aussage sind einfache, klare Worte, die Kunst jedoch ist vielleicht die Reimform, das Video und die Musik, welche die klare Aussage unterlegt.

Ist nun die Kunst empirisch überprüfbar, oder nur die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten (Fall 1) bzw. die klare Aussage, die sich von der Kunst abgrenzt (Fall 2).

Pardon, falls ich das Ziel deiner Frage verfehlt habe Bild

Maurice
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Di 8. Mai 2007, 21:27 - Beitrag #3

Ich würde nicht sagen "hier ist die Kunst - da die Aussage". Ich sage ja auch nicht "hier ist die Hausarbeit - da die Aussage". Die Kunst bzw. die Hausarbeit ist das Medium, das die Aussage transportiert.
Dass natürlich das Drama an sich keine Aussagen machen kann ist klar. Das war die vereinfachte Formulierung für "Der Künstler tätigt durch das Drama bestimmte Aussagen" wie ich es an einer stelle auch explizit formuliert habe. Aus sprachökonomischen Gründen, habe ich den Künstler aber nicht jedes Mal wieder extra betont, weil ich davon ausging, dass es klar sei, dass es um den Künstler geht. Es ist ja auch ok, wenn wir sagen "Ich lese Grass." statt "Ich lese ein Buch von Grass." - in so einem Fall versteht auch jeder, was gemeint ist.
Den Versuch, alles haargenau zu formulieren, würde ich erstmal hinten anstellen, um nicht wieder die Mehrheit der Member zu verschrecken. Wenn wir dann merken, dass ohne eine präzise Ausdrucksweise alles drunter und drüber geht, können wir immer noch zu dieser mahnen. ;)

jedoch auch andere Interpretationen möglich sind, und es somit keine klare Aussage hat, sondern man sich einfach nach der des Künstlers richtet

Aber meine Interpreationsmöglichkeiten sind nicht dasselbe wie die Aussage des Kunstwerks (bzw. die Aussage, die der Künstler durch das Kunstwerk ausdrücken will). Mit meinen Interpretationen versuche ich den Code des Kunstwerks zu knacken, um an die dahinterliegende Aussage des Künstlers zu kommen. Meine Interpreation kann dabei richtig oder falsch sein, aber hat keinen Einfluss auf die Intension, die hinter dem Kunstwerk steckt.

Anaeyon
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Di 8. Mai 2007, 22:22 - Beitrag #4

Maurice, ich hasse Haarspaltereien abgrundtief, aber ich dachte es sei hier wichtig, da du evtl. durch diese Ungenauigkeit Carnaps Meinung falsch verstehst. Auch wenn ich davon ausging, dass du als Haarspalter (nicht negativ gemeint) da wohl eh um eine Ecke mehr als ich dachtest. Bild

Maurice
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Di 8. Mai 2007, 22:50 - Beitrag #5

Du kennst den Carnap-Text? :confused:
Ich glaube nicht, dass ich ihn falsch verstanden habe. Immerhin habe ich heute ein Referat darüber gehalten und das Dozent hat mich in keinem Punkt korregiert.
Was Carnap denkt, ist hier auch nicht weiter wichtig. Es geht um die These, wie ich sie dargestellt habe (und die hoffentlich soweit klar ist). Wenn ich hier ein Thread über die Interpretation philosophischer Texte aufmachen würde, könnte ich gleich Selbstgespräche führen. ^^*

@Haarspalterei: Ich mag sie normalerweise. Liegt wohl an meinem Selbsthass. ;)

Btt: Sind wir nun soweit einer Meinung oder siehst du die Sache anders, als ich es im letzten Post formuliert habe? Wenn nicht, ist das ok, nur hätte ich dann gerne noch ein paar Erläuterungen, damit ich deinen Standpunkt besser nachvollziehen kann. :)

Anaeyon
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Di 8. Mai 2007, 23:20 - Beitrag #6

Aye. Nene, ich kenn den Text von ihm nicht, ich bezog mich nur auf deine Mini-Zusammenfassung seiner Therorie (Einleitungspost, "dass die Kunst keinen theoretischen Gehalt besäße, also nichts empirisch prüfbares über die Welt aussagt,").

Mh,...naja, klar können Kunstwerke so gesehen Aspekte enthalten, die empirisch prüfbar sind. Jedoch denke ich, dass in der Kunst diese empirischen Dinge immer auch mit einem Gefühl vermischt sind, welches weder "ja" noch "nein" sein kann, da es eben eine subjektive Empfindung ist.

Gibt es Kunst, die rein empirisch prüfbar ist und keine subjektiven Empfindungen enthält? Mh, wenn Carnap von "keinem theoretischen Gehalt" redet, meint er, dass Kunst also nichtmal empirisch prüfbare Teilaspekte enthält, oder? Dann würde ich ihm folglich auch widersprechen.

Rosalie
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Di 8. Mai 2007, 23:38 - Beitrag #7

Leutz, das ist nicht fair: jetzt habe ich nach langer, langer Zeit wieder mal einen Kommentar verfasst und urplötzlich :boah: ... flutsch, war er weg ... welche Geisterhand hat ihn verschlungen :confused: :confused: ???

Nun, werde ich nochmals versuchen aus der Erinnerung zusammenzufassen:

Ich denke, teils entstehen Kunstwerke aus spontanen Emotionen heraus, u.U. als Eigentherapie des Künstler, und sind selbst für den Ausführenden schwer zu interpredieren.

Doch sicherlich wird Kunst auch bewußt eingesetzt, um eine persönliche Meinung "an den Mann zu bringen". siehe in ganz extremen Maße: Kunst in der Werbung, in der Politik ...

Kunstwerke aus vergangenen Jahrhunderten zeigen uns etwas von der Weltanschauung der damaligen Menschen, wobei die Interpredation derselben, dadurch erschwert wird, dass wir sie mit den Sinnesorganen unseres Jahrhunderts wahrnehmen und damit vielleicht nicht die Intension des Künstlers erfassen können.

Und bevor wieder ein Geist alles löscht ... ganz schnell online stellen ;)

Ipsissimus
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Di 8. Mai 2007, 23:42 - Beitrag #8

nun, es gibt zumindest das, was allgemein als "ästhetische Theorie" bezeichnet wird, etwas burschikos gesagt die Summe aller Aussagen, die Künstler (und Kunstwissenschaftler) darüber getätigt haben, warum was wie gestaltet wurde. Insofern eine ästhetische Theorie zum Referenzsystem eines Künstlers zählt, enthält dessen Kunst implizite Aussagen über die der Welt; dies kann man ab etwa der Mitte des 19ten Jahrhunderts beginnend bei sehr vielen Künstlern voraussetzen.

Maurice
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Mi 9. Mai 2007, 00:04 - Beitrag #9

Rosalie, es freut mich, dich hier auch mal wieder lesen zu dürfen. :)
Ich hoffe, es ging nicht zuviel Inhalt verloren. Wäre schade, wenn wir jetzt nur eine inhaltlich abgespeckte Version deiner Gedanken lesen könnten.

Der Punkt mit der Spontanität erscheint mir wichtig und habe ich bisher nicht genug bedacht. Um eine Aussage zu machen, muss man sich vorher Gedanken machen, was man sagen will. Wenn man aber etwas spontan und ohne Überlegung, ja quasi aus einem Affekt heraus malt, dann kann damit wohl keine Aussage verknüpft sein. Komischerweise scheint das mir aber nur bei der Malerei möglich zu sein. Musik kann man nicht aus dem Affekt komponieren und auch keine Texte schreiben. Beides bedarf eines Mindestmaß an Reflektion.


@Ana: Carnap vertritt (zumindest in diesem Aufsatz) die Auffassung, dass Kunst keinerlei theoretischen Gehalt haben. Ich deute ihn so, dass dies 0% entspricht. Sonst würde er wohl auch von "Teilaspekten" oder dergleichen sprechen. Er drückt sich in der Arbeit nämlich sehr differenziert aus und wenn er sagt "keinen theoretischen Gehalt" dann meint er wohl auch gar keinen.

Was ich an deinem letzten Post nicht nachvollziehen kann, ist warum der emotionale Hintergrund eines Werkes ein Problem darstellen soll. Wenn ich einen Bericht über eine Ausstellung in euphorischen Worten schreibe, wirkt dieser weniger sachlich. Ob ich nun aber schreibe "es sind 10 Werke von Picasso und 5 Werke von Klee ausgestellt" oder "es sind 10 phantastische Werke von Picasso und 5 grandiose Werle von Klee ausgestellt" ändert das nichts an den empirisch prüfbaren Behauptungen, dass 10 Werke von Picasso und 5 Werke von Klee ausgestellt sind. Die positive Bewertung bedeutet in diesem Fall kein weniger, sondern ein mehr an Informationen. Ob und inwiefern die Bewertungen prüfbar sind, sollten wir vielleicht erstmal hinten anstellen. Das ist nämlich kein einfaches Kapitel.

Das Kunst rein subjektive, nicht-prüfbare Elemente enthält widerspricht ja nicht meiner Eingangsthese. Ich frage nicht, ob Kunst ausschließlich theoretischen Gehalt besitzen, sondern ob Kunst überhaupt einen theoretischen Gehalt besitzt und welche Kunstwerke von dieser möglichen Regel ausgenommen sind.
Ob subjektive Gefühle (gibt es auch objektive Gefühle? *g*) nicht auch als eine Art von Behauptungen (unseres lymbischen Systems) über die Welt gedeutet und somit geprüft werden können, finde ich eine interessante Frage. Das führt uns aber im Moment wohl etwas zu weit weg. ;)

Anaeyon
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Mi 9. Mai 2007, 00:14 - Beitrag #10

Maurice, mit den Gefühlen wollte ich nur aussagen, dass Kunst nicht komplett empirisch prüfbar ist, weil (ich behaupte mal aus dem Bauch heraus ^^) Kunst ohne Gefühle keine Kunst ist. Und Gefühle sind von Betrachter zu Betrachter, von Künstler zu Künstler verschieden.

Also...Kunst kann empirisch prüfbare Aspekte enthalten, ist aber nie komplett prüfbar und ist nie (bzw. nur in den allerwenigsten Fällen) komplett frei von theoretischem Inhalt. Wenn das auch deine Meinung ist, dann sind wir uns einig.

Missverständnisse sind nur dadurch entstanden, dass ich deine Kurzzusammenfassung im Einleitungspost falsch verstanden habe.

Maurice
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Mi 9. Mai 2007, 00:35 - Beitrag #11

Deine Bestimmung von Kunst, dass man es nur dann mit Kunst zu tun hat, wenn Emotionen im Spiel sind, finde ich äußerst interessant. Warum? Weil mir die Idee davor auch schon gekommen ist. ^^
Kunst und Wissenschaft als zwei sich gegenüberstehende Prinzipien, bei denen es keine scharfe Trennlinie gibt und die sich durch den Grad an Emotionalität und Sachlichkeit unterscheiden. Als Ausformung beider Extreme würde ich auf der einen Seite die "affektuelle" Malerei nennen, auf der anderen die Formalwissenschaften Mathematik und Logik.

Und Gefühle sind von Betrachter zu Betrachter, von Künstler zu Künstler verschieden.

Wenn es nur eine handvoll Menschen auf der Welt gäbe und jeder von ihnen zu einem bestimmten Thema eine andere Meinung hätte, wäre das ein Grund anzunehmen, dass ihre subjektiven Meinungen nicht empirisch prüfbar wären?
Oder anders formuliert: Ich glaube nicht, dass alles was subjektiv ist, notwendig als nicht-prüfbar eingestuft werden muss.
Um doch nochmal auf die Idee zurückzukommen, Emotionen seien eine Art von Behauptungen meines lymbischen Systems über die Welt: Ich sehe einen Löwen in einem Käfig und bekomme Angst, als er mich böse anknurrt. Mein Vorschlag ist nun, dieses Ereignis so zu deuten, dass mein lymbisches System die Behauptung aufstellt "Dieser Löwe ist eine Bedrohung für dich, nimm dich in Acht!" und in diesem Fall wahrscheinlich falsch mit seiner Einschätzung liegt, da der Löwe ja in einem Käfig ist (und wir davon ausgehen, dass dieser robust genug ist, ihne gefangen zu halten).

Aber wie gesagt, so interessant ich diese Frage finde, bin ich mir nicht sicher, ob das nicht schon einen eigenen Thread wert wäre. Womit ich dich nicht davon abhalten will, darauf zu antworten, wenn du willst. Vielleicht sehen das die Mods nämlich ganz anders und meinen, die Betonung dieses Aspekts sei für die Diskussion sehr fruchtbar. ^^

Anaeyon
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Mi 9. Mai 2007, 00:49 - Beitrag #12

Ich glaube, mit der Frage bin ich zumindest für heute Abend mal überfragt. Jedoch würde ich das limbische System nicht als alleine funktionierend betrachten. Will gar nicht wissen, wie viele andere Faktoren noch eine Rolle spielen.

Äh..was meinst du denn überhaupt mit "empirisch prüfbar"? Also ich verstehe darunter, dass etwas, dass z.b. für mich wahr ist, objektiv belegt werden kann. Warscheinlich liege ich da jetzt daneben, deshalb korrigiere mich bitte erstmal hier ^^.

(denn wenn das zutreffen würde, wüsste ich nicht, wie du empirisch belegen willst, dass ich mit dem Wort "Mandragora" die Farbe Violett assoziiere. Nur als Beispiel. Wir reden hier ja von Kunst und nicht vom Zoo^^)

Maurice
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Mi 9. Mai 2007, 01:11 - Beitrag #13

Warum habe ich eigentlich die ganze Zeit "limbisches System" mit "Y" geschrieben? Wahrscheinlich wegen dem "SYstem" ^^* ...

Klar, das Gehirn ist ein System und da ist es verkürzt, bestimmte Subsysteme völlig isoliert zu betrachten. Auch hier habe ich mir eine sprachliche Vereinfachung erlaubt. Ich wollt erst "Unterbewusstsein" schreiben, was mir dann aber noch weniger gefiel...

@Empirisch prüfbar: Momentan vertrete ich einen starken Wissensbegriff, aus dem sich gepaart mit meiner kritischen Einstellung eine skeptische Position resultiert, die die Möglichkeit wirklicher Beweise (seien es nun logische oder emprisiche) verneint. Mit "empirisch prüfbar" meine ich etwa soviel wie "man kann empirische Untersuchungen durchführen, die einem überzeugende Gründe liefern, eine bestimmte Behauptung als wahr oder falsch zu bewerten".

@"Mandragora" + die Farbe Violett: Die ideale Lösung wäre wohl, einen detailierten Hirn-Scan von dir zu besitzen, wenn du an Violett ohne "Mandragora" denkst und einmal mit "Mandragora". Das ist leider momentan nicht machbar (und bedarf natürlich gewisser Brückenhypothesen, die selbst wieder empirisch überprüft werden müssen).
Einfacher wäre es da wohl, dich an einen Lügendetektor anzuschließen und dich zu fragen, ob du bei dem Wort "Mandragora" an die Farbe Violett denkst. Vorausgesetzt wir wären uns soweit sicher, dass der Lügendetektor gute Arbeit leistet, könnten wir (im oben skizzierten Sinne) prüfen, ob diese Behauptung wahr ist.
Woebi man hier wieder als Brückenhypothese voraussetzen muss, dass du dich nicht selbst darüber täuschen kannst, dass du in einem Moment an die Farbe Violett denkst. Aber wenn wir das anzweifeln, wäre aus praktischer Perspektive imo schon arg übertrieben ^^ ...

janw
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Mi 9. Mai 2007, 03:16 - Beitrag #14

Ich denke, Kunst tut das, wozu Künstler sie nutzen und mehr - wenn sie Aussagen über die Welt transportieren wollen, so tut Kunst das, wenn Kunst etwas beim Betrachter auslösen soll, dann tut sie's auch - und sowieso immer.

Das Bild von Klee würde ich den "Auslöse-Bildern" zuordnen, es zielt darauf ab, daß Betrachter etwas erlebt beim Betrachten, daß es etwas bei ihm auslöst - das eben, was es bei jedem individuell auslöst.
In gewisser Weise eine heikle Sache, denn im Grunde rechtfertigt dies dann jede beliebige, durch das Bild ausgelöste Reaktion.
Es gab da mal ein bekanntes Beispiel, ein großformatiges Bild aus großen Farbflächen. Es hieß "Wer hat angst vor blau, gelb und rot?"
Tatsächlich hat das Bild bei einem Betrachter Angst ausgelöst, der es daraufhin angegriffen und stark beschädigt hat.

Man könnte somit sagen, daß Kunst den Anspruch hat, zu hinterfragen - sei es durch Postulierung von Aussagen über die Welt, die eben vom Betrachter eine Stellungnahme erzwingen, sei es durch Evozierung von Empfindungen beim Betrachter, die Teil einer Selbsthinterfragung des Betrachters sind.

Kunst in dieser Weise einen Anspruch zuzuweisen, ist allerdings heikel, da dann zwangsläufig der Kunst-Tatbestand davon abhinge, daß Künstler etwas intendiert. Es läuft wohl darauf hinaus, daß Kunst tut, was sie tut, egal, obs dem Künstler passt oder er dies beabsichtigt.

Guru Guru
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Mi 9. Mai 2007, 11:34 - Beitrag #15

in dem Carnap unter anderem behauptet, dass die Kunst keinen theoretischen Gehalt besäße, also nichts empirisch prüfbares über die Welt aussagt, sondern stattdessen nur ein gewisses Lebensgefühl ausdrückt.


Ich verstehe schon diese Aussage des Herrn Carnap nicht.
Entweder ist eine völlige Plattitude oder schlicht und einfach nonsens.

Kunst ist doch NIE die 1:1-Übertragung der Wirklichkeit.
Nehmen wir mal "Der aufhaltsame Aufsteig des Arturo Ui" von Bert Brecht. Da wird der Aufstieg und die Machtergreifung Hitlers nach Chikago verlegt in ein Gangstermilieu. (Ersparen wir uns mal die Diskussion, ob das auch GUTE Kunst ist, was Brecht da gemacht hat ;)).
Wenn wir dieses Theaterstück empirisch überprüfen, werden wir feststellen, daß in Chikago nie ein Arturo Ui gelebt hat, wohl auch kein alter und junger Dogsborough, und selbst, wenn es Dogsboroughs in Chikago gibt oder gegeben hat, sie nie das gemacht haben, was Brecht da in dem Stück beschreibt. Also: Plattidude, Herr Carnap.

Wenn wir auf der anderen Seite, die nur notdürftig veschlüsselten Änderungen des Herrn Brecht auf die Machtergreifung von Hitler übertragen, wird das sehr wohl empirisch überprüfbar. Also: Nonsens, Herr Carnap.

Oder habe ich das mit meinem schlichten Gemüt völlig falsch verstanden?

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Mi 9. Mai 2007, 11:40 - Beitrag #16

Es gibt Kunst 'ohne' zugrundeliegende Emotionen des Künstlers bzw. mit deren Filterung in der Musik schon ziemlich lange, ein recht bekanntes (aber nicht das erste) Beispiel dafür ist Mozarts "Musikalisches Würfelspiel", in dem die Reihenfolge der (vorgegebenen) Takte nach bestimmten Regeln ausgewürfelt wird. Daß in der Gegenwart durch Computereinsatz oder entsprechende Begeisterung^^ das Prinzip auch mit völlig anderen oder ohne Regeln verwirklicht wird, in der modernen Aleatorik dementsprechend weniger geordnet wirkende Erzeugnisse hervorbringt, ist nur konsequent, das andere Extrem der Seriellen Musik, in der jeder Ton in Oktavlage, Dauer, Dynamik, Ausdruck etc. durch ein exakt durchgeführtes Schema im Voraus festgelegt ist, ebenso folgerichtig. Die Kunst dahinter liegt dann vor allem in der ästhetischen Theorie bzw. im Auge des Betrachters.^^ Entsprechendes gibt es aber auch im Bereich der bildenden Kunst - erwürfelte oder einer festgelegten Reihenfolge entsprechende Farbflächen gleicher oder unterschiedlicher Form...

Die meisten anderen Kunstwerke (und auch diese, insoweit ihre Aufbauprinzipien als formgebende Eingriffe des Künstlers zu verstehen sind oder er in ihrer Ausführung zugunsten des von ihm gesuchten Ausdrucks von der Regel abweicht) sind in irgendeiner Weise auch Ausdruck von Emotionen, vermitteln Stimmungen oder in vielen Fällen auch konkrete Inhalte (wobei Literatur, Kunst und Musik dies zwangsläufig in unterschiedlichem Maße tun - natürlich gibt es Musikstücke, die ein konkretes Geschehen durch Klangmalerei weit exakter abbilden als manche assoziativen literarischen Texte, aber im Normalfall dürfte die Tendenz klar sein). Carnap kann ich insofern nicht zustimmen, müßte mir vielleicht mal seinen Aufsatz beschaffen, um den Zusammenhang seiner Aussage zu sehen.^^

Maurice, auch (/gerade) Musik kann sehr gut aus dem Affekt heraus entstehen - siehe Improvisationen (wobei Stimmung und Zufall zusammenspielen können - ich hörte von einem guten Organisten, der, als jemand in die Tasten griff, um zu sehen, ob der Strom wieder liefe, und ein sehr schräger Akkord durch die Kirche dröhnte, an die Orgel sprang und über genau diesen Akkord [und die kurze Pause danach] improvisierte, als sei es seine Absicht gewesen^^).

Maurice
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Mi 9. Mai 2007, 13:02 - Beitrag #17

Ich poste hier mal meine Zusammenfassung des Carnap-Aufsatzes, den ich gestern als Referat gehalten habe. Da der Dozent in keinem Punkt Einspruch gegen die Korrektheit meiner Darstellung erhoben hat, gehe ich davon aus, dass ich die Aussagen richtig wiedergegeben habe.
Das soll jetzt keine Aufforderung an jeden hier sein, sich den Text durchzulesen. Die Kenntnis des Carnap-Aufsatzes ist nicht Voraussetzung, um hier mit zu diskutieren. Wer aber durch meine Andeutungen neugierig auf die Thesen dieses Autors geworden ist, braucht sich nicht den Originaltext aus irgendeinem Buch rauszusuchen oder per Wikipedia oder sonstwie nach einer Zusammenfassung suchen. :)
Noch eine Anmerkung: Da es sich um die Verschriftlichung eines Referates handelt, wird der Originaltext nicht bis ins Details wiedergegeben. Es handelt sich um eine Zusammenfassung, weshalb ich ein paar Punkte und Wiederholungen aus dem Originaltext nicht nenne. Nur für die, die den Text kennen werden und Einspruch auf die Vollständigkeit meiner Darstellung erheben könnten. ;)

PS: Ich hänge auch mal mein Handout mit den wichtigsten Stichpunkten an, die den Inhalt natürlich nochmal sehr verkürzt darstellen.


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