Welches geschichtliche Ereignis hat euch persönlich geprägt?

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Maurice
Analytiker
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So 3. Jun 2007, 14:21 - Beitrag #1

Welches geschichtliche Ereignis hat euch persönlich geprägt?

Um wieder was für die Harmonie im Forum zu tun, eröffne ich diesen Thread, der vor allem (aber nicht nur) für die User gedacht ist, die mit dem Stil von Lykurgs Thread nicht zufrieden waren. Das soll keine negative Kritik an Lykurgs Thread sein! Ich habe lediglich den Eindruck, dass eine Gruppe das Konzept des Threads als zu streng empfunden hat, während eine andere Gruppe den Diskussionsstil der anderen als nicht ernsthaft genug empfunden hat. Damit die "Analytikergruppe" in Lykurgs Thread weiter ihre "theoretischen Männergeschichten" diskutieren kann (Achtung Ironie!), aber die "Frauengruppe" auch ohne männliche Unterdrückungsversuche für die Relevanz des Tampons eintreten kann, kann jetzt jeder hier schreiben, was für ihn persönlich die wichtigsten geschichtlichen/politischen/gesellschaftlichen Ereignisse in seinem Leben waren.
Ich grenze das Thema also zeitlich deutlich ein, damit es überschaubar bleibt. Wenn jemandem nun das Erscheinen der ersten "Emma" wichtig war, soll er das schreiben. Wenn für jemanden die erste Mondlandung prägend war, soll er das auch schreiben. Wichtig ist nur, dass es ein Ereignis war, das geschah, als er schon lebte. Ich weiß, dass damit die jüngeren User eindeutig im Nachteil sind... aber wie gesagt die Ordnung ;) *sich nicht ganz vom analytischen Denken lösen kann* ...
Und wie der Titel schon sagt, geht es um geschichtliche Ereignisse (im weiten Sinne auch politische, gesellschaftliche, kulturelle usw.) und nicht um z.B. die eigene Hochzeit, die natürlich persönlich von großer Relevanz ist, aber nicht als "geschichtliches Ereignis" zu bezeichnen ist. Außer natürlich, derjenige kann zeigen, warum seine Hochzeit die Welt verändert hat. ;)

Natürlich kann hier auch diskutiert werden, statt nur Listen von persönlich wichtigen Ereingissen zu posten. Dann aber in einem lockereren Stil als in dem Parallel-Thread! Wir wollen ja eine ausgewogene Mischung aus schwierigen und umgänglichen Threads. :)

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

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So 3. Jun 2007, 15:54 - Beitrag #2

Die mir wichtigsten Ereignisse zu Lebzeiten: Mauerfall (/Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs) und 11. September.

Die erste Nachrichtensendung, an die ich mich erinnern kann, muß am 30. September 1989 gewesen sein: Genscher tritt in der deutschen Botschaft in Prag auf den Balkon und verkündet den jubelnden Botschaftsflüchtlingen, sie könnten nun in die Bundesrepublik... [der Satz wurde wohl nie vollendet^^] Diese Szene ist mir, da sie später nicht mehr so oft wiederholt wurde, gewissermaßen aus erster Hand präsenter als manche anderen Bilder der Wendezeit. (Feiernde Menschen vor dem Brandenburger Tor bzw. Trabbis in der Menschenmenge erinnere ich aber auch noch recht gut aus dem Fernsehen.) Vorher hatte ich immerhin auf einer Reise noch die schaurigen Grenzkontrollen erlebt und insofern einen kleinen Einblick davon, was nun endete. Die nun möglichen Kontakte zum Osten haben mein Leben in vielfacher und nicht wegzudenkender Hinsicht bereichert... ;)

Der 11. September 2001 mit dem folgenden Klima der Angst und des Mißtrauens hat einen Teil der gewonnenen Freiheiten, vor allem das rauschhafte Gefühl, in der besten der möglichen Welten zu leben, stark beschädigt. Seine Nachwirkungen bedeuten gleichermaßen eine Belastung für meinen Optimismus und die schwindenden humanistischen Idealvorstellungen...

Ipsissimus
Dämmerung
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Mo 4. Jun 2007, 10:23 - Beitrag #3

am stärksten berührt hat mich ein aus deutscher Sicht eher randständiges Ereignis, die Ermordung Salvadore Allendes (und mehrerer tausend Anhänger Allendes - als ich vom Tod Victor Jaras las, war ich kurz vor´m Durchdrehen) durch putschende, von der CIA unterstützte chilenische Militärs, übrigens - ein kaum gesehener, aber mich zutiefst befriedigender Treppenwitz der Geschichte - am 11. September 1973. Das war jenes Ereignis, welches den letzten Rest naiven Zutrauens in politischen Problemlösungswillen aus mir herausspülte.

stark geprägt hat mich auch die gesamte RAF-Thematik, wobei ich bis heute innerlich schwanke zwischen der teilweisen Zustimmung zu den politischen Zielen der RAF und dem Kopfschütteln über die bodenlosen Dummheit, mit der versucht wurde, diese Ziele in einer Weise durchzusetzen, von der von vornherein klar war, daß sie nur dazu dienen würde, die prompt erfolgende Einschränkung der Bürgerrechte zu begründen.

ansonsten hat mich noch ein quasi-kulturelles Ereignis geprägt, das Erscheinen der Perry-Rhodan-Serie^^ ich habe die Romane 15 Jahre lang verschlungen, und bis heute ist davon eine tiefe Zuneigung zu den Gattungen Science Fiction und Fantasy übrig geblieben (auch wenn ich über die literarische Qualität der PR-Romane längst nur noch den Kopf schüttele^^)

Milena
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Mo 4. Jun 2007, 10:26 - Beitrag #4

..der Bürgerkrieg im damaligen Jugoslawien. Weiss das Jahr schon nicht mehr,
weiss nur, dass ich das mitbekommen hab, da ich hier war,(eigentlich schon immer hier nur bin) und meine grosse Familie dort drüben,
wir haben spärlichen Kontakt geführt, selten Briefe bekommen.
Doch in einem stand drin, dass mein Onkel sich selbst die Finger abgehackt hat, um nicht einberufen zu werden.
Meine Mutter und ich hier, wir waren hilflos. Konnten vieles nur über Medien verfolgen. Armut dort drüben, aber hier genauso. Versuchten zu helfen, aber es ging nicht wirklich.
Nun herrscht Stille. Tödliche Stille. In der Stadt hier wissen die `Anderen`von welchem Staat wir eigentlich sind, und werden negiert, nicht gegrüsst. Wir sind doch ihre Feinde.
Anscheinend sind wir die Übeltäter. Wir sind die grausamere Fraktion.
Kalter Krieg.
Drüben ist es still. Keine Briefe. Keine Besorgnis. Massgeblich.
Und doch warte ich irgendwie.
Das es weitergeht.
Das es wieder losgeht.
Eine grosse Familie, die irgendwie kleiner wird,
und weiter sich von mir entfernt.

C.G.B. Spender
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Mo 4. Jun 2007, 13:33 - Beitrag #5

Tut mir leid für dich, Milena, das muß ziemlich schrecklich gewesen sein.

Mir sagte mal eine Bekannte von mir, die vor einer Weile erst wieder in Bosnien-Herzegowina war, es seien hauptsächlich fanatische Moslems gewesen, die dort die Menschen aufgehetzt hätten. Ich kann es nicht nachprüfen, ich war nicht dort. Vorstellen kann ich mir allerdings einiges.

Feuerkopf
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Mo 4. Jun 2007, 16:16 - Beitrag #6

Milena, ansatzweise kann ich deine Erfahrungen nachvollziehen. In meinem Bekanntenkreis gibt es ein paar Leute, die auch vom Balkankrieg betroffen waren und sind.

Maurice, du erwähnst die "Emma". Tatsächlich war das erste Erscheinen dieser Zeitschrift, die inzwischen sicherlich eine der journalistisch gepflegtesten Publikationen ist, die du in Deutschland kaufen kannst, ein Donnerkeil in unserer Gesellschaft. So habe ich das auch empfunden.
Es gab zwar Frauenzeitschriften wie "Constanze" oder "Frau im Spiegel" und auch "Brigitte", die auch schon mal frauenpolitische Artikel veröffentlichte, aber eine Zeitschrift, die politisch konsequent die Interessen von Frauen vertrat, die gab es so noch nicht.
Alice Schwarzer hatte ihre Erfahrungen in Frankreich gemacht und anschließend die politische Frauenarbeit in Deutschland etabliert, zumindest was die Breitenwirkung anging.
Kurz darauf erschien die noch wesentlich kämpferische "Courage".
Mir hat das sehr imponiert und nachhaltig mein Denken und Handeln beeinflusst. Für mich ist Alice Schwarzer eine der Mütter der deutschen Frauenbewegung nach dem Krieg.

Milena
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Mo 4. Jun 2007, 16:46 - Beitrag #7

...ja, Spender und Feuerköpfle, ^^ is schon ein Elend...und manch einer wird denken,
ach, die ist doch ganz weit davon entfernt....
ja, aber ganz tief im Innern bin ich so nah und es schmerzt unglaublich....

..- dann bring ich mal die Bravo daher...^^
hat mir schon als Teeny bischen was aufgezeigt...;), da ich mir dato in keinster Weise einen nackten Mann vorstellen konnte...^^
ich liebte diese Zeitschrift, aber auch weil
so viele Poster von Elvis darin beinhaltet waren.....
und ich schwärmte für ihn, und übersetzte seine Gesangstexte und vertiefte so meine englischen Kenntnisse...^^

und dann waren da noch die Schlaghosen,
ich liebte sie einfach...
und das bis heute..^^:P

Maglor
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So 12. Okt 2014, 20:51 - Beitrag #8

Wenn es ein politisches Ereignis gab, dass mich nachhaltig geprägt hat, dann war es der Kosovokrieg.
Damals habe ich aufmerksam die Zeitung gelesen und vor allem aber solche Fernsehsendungen wie Panorama und Monitor verfolgt. Die dort abseits der 20:00-Uhr-Nachrichten offenbarten Kriegslügen (Uranmunition, "Hufeisenplan", Al Kaida im Kosovo) erschienen mir glaubhaft und führten am Ende dazu, dass ich den Glauben an die Nachrichten weitgehend verloren habe.
Wenn ich auch die fehlerhaften Darstellungen und die zweifelhafte Politik Deutschlands hinwies, führte das zu Verwunderung oder gar Ablehnung. Ein paar Jahre später sorgten die oben genannten Skandale kurzzeitig für kleine Schlagzeilen, verschwanden aber im Grundrauschen. Für mich war damit die Frage nach der Falschheit der Welt zumindest ein für alle mal geklärt.
In den folgenden Jahren, insbesondere nach dem 11. September, wurde ich immer verbohrter und abgeklärter, nicht zuletzt, weil das äußern abweichender politischer Positionen, zunehmend sanktioniert wurde. Bestätigt oder erschüttert hat er mich nicht mehr. Wir war schon am 11. September klar, als ich die einstürzenden Türme der World Trade Centers sah, dass man Osama bin Laden dafür verantwortlich machen und es Krieg in Afghanistan geben würde. Es gab da keine große Überaschung oder Erschütterung mehr. Die Welt war für mich die gleiche geblieben. Geändert hatte sich nur, dass die Lügen viel energischer und glaubhafter vertreten wurden als in den Vorjahren.

Ipsissimus
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So 12. Okt 2014, 21:15 - Beitrag #9

Zitat von Maglor:Geändert hatte sich nur, dass die Lügen viel energischer und glaubhafter vertreten wurden als in den Vorjahren.


Glaubhafter aus meiner Sicht eher nicht. Wesentlich stärker Bekenntnis heischend oder gar einfordernd, das ja.

Maglor
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So 12. Okt 2014, 21:20 - Beitrag #10

Ich schrieb mit Absicht kursiv und meinte es ähnlich wie du. Mir wurde klar, dass die Lügen geglaubt wurden.
Von da an habe ich mich immer ein bisschen wie Kassandra gefühlt, immer noch besser als Laokoon. ;)

Traitor
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Sa 25. Okt 2014, 12:29 - Beitrag #11

Oh, diese Prägung ist anno 2007 ja ganz an mir vorbeigegangen. In guter Tradition dieser Threadsorte muss ich aber natürlich erstmal die Frage auseinandernehmen... "persönlich" macht sie zwar schonmal spezifischer als die ursprüngliche, aber es bleibt Klärungsbedarf zwischen "ohne welches Ereignis wäre euer Leben ganz anders" und "auf welches Ereignis bezieht ihr besonders klare Entwicklungen", sowie zwischen Prägungen des Denkens einerseits oder des externen Lebenslaufsverlaufs andererseits.

Lebenslaufprägung, beide Interpretationen: Von den Ereignissen innerhalb meiner Lebenszeit hatte den größten Einfluss auf den gesellschaftlichen Kontext, in dem wir leben, vermutlich der Sowjet-Zusammenbruch und damit die deutsche Wiedervereinigung. Allerdings habe ich persönlich mit sehr wenigen Personen, Institutionen oder Gesetzen, die direkte Folgen davon sind, zu tun, also ist das für mich eher ein "ohne das wäre vieles anders" als dass ich konkrete Aspekte als Folge davon ausmachen könnte. Konkret wären es also vermutlich eher irgendwelche obskuren Bildungs-, Finanz- oder Verwaltungsreformen der BRD, die genaue Prägungssuche dürfte aber in Abwesenheit eines klar herausragenden Wirkmechanismusses schwierig bis unmöglich sein.

Denkprägung, beide Interpretationen: Wiederum hätte eine Nicht-Wende das gesellschaftlich-politische Klima, in dem ich aufwuchs, und damit meine Weltanschauung, wohl am stärksten verändert, gefolgt von Nicht-Anschlägen am 11.09.2001 (es sei denn, es hätte dafür dann Anschläge am 12.09.2001 oder so gegeben ;)) oder einem Nicht-Irakkrieg. Politisch-mediale Ereignisse, die bei mir besonders zur Bewusstwerdung und Meinungsschärfung beitrugen (siehe Ipsissimus und Maglor), waren wohl vor allem der Kosovo-Krieg, Schröders Wahlsieg und wieder der Irak-Krieg.


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