Das neue Tierschutzlabel

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Mi 9. Jan 2013, 22:41 - Beitrag #1

Das neue Tierschutzlabel

Der deutsche Tierschutzbund führt, wie auf www.tierschutzlabel.info dargestellt, ein neues Tierschutzlabel ein, mit dem Fleisch im Handel gekennzeichnet werden wird, dessen Erzeugung bestimmte Kriterien erfüllt.
So sollen die Tiere, zunöchst geht es um Schweine und Hühner, deutlich mehr Platz in besserem Umfeld (zB andere Böden im Schweinestall) haben und manch anderes ist auch "neu" (Verbot unbetäubten kastrierens der Eber, Strohballen und andere Beschäftigungsmöglichkeiten für Hühner verpflichtend).

Für laut - ich meine - WDR-Radio rund 20-30% Aufpreis (und somit mit hinreichend Absatnd zum weit teureren Bio-Fleisch) sollen Mitte Januar die ersten Produkte im Handel verfügbar sein.

Ich bin gespannt - aich darauf, wie schnell das Angebot wie groß sein wird und welche Handelsketten direkt von Anfang an dabei sind.

Traitor
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Mi 9. Jan 2013, 23:31 - Beitrag #2

Schon von der Grundidee her schwierig. Einerseits bemerkenswert praktisch gedacht, mit einem realistischen Projekt zumindest kleine Verbesserungen "für eine möglichst große Anzahl an Tieren" zu erreichen. Andererseits ist
Das Label ist keine Werbung für den Fleischkonsum.
sehr naiv gedacht und wahrscheinlicher ist, dass es tatsächlich eher zur Gewissensberuhigung und zu verbreiteter Zufriedenheit mit den sicher nicht gerade hohen Standards der "Einstiegsstufe" führen wird.

Praktisch scheinen nur die Bedingungen des "Premium"-Labels in etwa denen von Bio-Siegeln zu entsprechen, schwächer in den Haltungsbedingungen, teils schärfer in den einzelnen erlaubten oder verbotenen "medizinischen" Grausamkeiten. Unklar ist, ob alle bio-zertifizierten Produkte (nach Gebührenentrichtung, s.u.) automatisch das Label bekommen sollen, der Satz, den ich dazu fand, ist uneindeutig:
Daher bringen die Bio-Betriebe die Grundvoraussetzungen mit, neben dem Bio-Siegel auch das neue Label tragen zu können.


Stammen die 20-30% vom WDR? Wohin sollen die genau fließen? In der FAQ finde ich nur Aussagen zu einer "Lizenzgebühr", was vermutlich weniger ausmachen würde. Teilweise müssten natürlich Ausbauten refinanziert werden, aber im Zweifel kassieren die Hersteller und Händler auch einfach noch einen gewissen Aufpreis ohne Verwendungszweck...

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Do 10. Jan 2013, 00:22 - Beitrag #3

Ich sehe auch ein generelles Glaubwürdigkeitsproblem bzw. Wahrnehmnungsproblem, da es inzwischen derart viele Siegel unterschiedlicher Herkunft, Seriosität und Aussagekraft gibt, dass es für den Verbraucher einen regelrechten Lernaufwand braucht, damit er sicher sagen kann, was wirklich relevante Siegel sind und wobei es sich mehr um dumpfklinge(l)nde Marketing-Luftblasen handelt.

Ich verstand den WDR so, dass der Ladenpreis von dem so gesiegelten Fleisch (Siegel welcher Stufe wurde nicht ausgeführt) um 20-30% übder dem Preis von konventionell erzeugtem Fleisch läge.
Wie sich der Mehrpreis auf höherer Herstellunhgskosten und Gewinnmargen auf welcher Ebene verteilt wurde nicht thematisiert.

Maglor
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Sa 12. Jan 2013, 13:08 - Beitrag #4

Ich finde es grundsätzlich sehr durchdacht den Tierschutz labelmäßig von von nur scheinbar verwandten Eigenschaften wie biologisch-dynamisch, ökologisch oder gesund zu trennen. Diese Trennung wurde jedoch auch hier nicht durchgezogen. Der Verzicht auf transgene Futtermittel hat meines Erachtens nichts mit Tierschutz zu tun.
(Es kommt auch gar nicht mehr darauf, ob Schweinchen Dick Gen-Soja gefressen hat, wenn es anschließend mit irgendeinem soha-haltigen Soßen-Pulver garniert wird.) :crazy:

Die Kriterien sind eher im Bereich "naja" anzusiedeln.
Das Kastrieren und Kupieren von Schweine ohne Betäubung wird
langfristig ohnehin verboten.
Eigentlich ist das nur zukunftssichere konventionelle Tierhaltung, die schon die Vorschriften von Übermorgen berücksichtigt. Ist auch sicher sinnvoller als nachträgliche Umbauten.

Die Alternativen zur Kastration sind aber auch nur unwesentlich geschmackloser. "Impfung gegen Ebergeruch" als Alternative zur Kastration bedeutet nichts anderes als die chemische Kastration durch Medikamenteneinsatz (Hormone?). Das ist sicher das, was sich alle immer gewünscht.
Eine Kastration unter Betäubung durch den Tierarzt wird allein aus Kostengründen nie in Betracht kommen.

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So 13. Jan 2013, 00:33 - Beitrag #5

Es dürfte wohl in der Tat der geringsmögliche Kompromiß zwischen "wir sind argumentierbar besser" und "da machen gerne viele Produzenten mit und es wird nicht prohibitiv teurer" sein.
Interessant natürlich auch, dass viele Verbraucher bei ettlichen Siegeln wohl besser Qualität=Geschmack unterstellen, was aber nun gerade nicht gegeben sein muß.

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So 27. Jan 2013, 17:37 - Beitrag #6

Neue Informationen zum Aufpreis bietet der Focus. Demnach wird Wiesenhof, der beim Label dabei ist, bei ganzen Hähnchen einen 40% und bei Hähnchenteilen einen 70% höheren Preis setzen.,
Erleuchtendes dazu, wie sich der höhere Preis auf tatsächliche Mehrkosten durch veränderte Haltung, ggf. erhöhte Gewinnspanne oder Nutzungskosten für das Label aufteilt, bietet der Artikel nicht.

Maglor
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So 3. Feb 2013, 12:03 - Beitrag #7

Der Aufpreis ist sicherlich schon aufgrund des Marketingaufwandes und der Verwaltungskosten gerechtfertigt.

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So 3. Feb 2013, 13:32 - Beitrag #8

Wenn dem so wäre, würde ich mich da sofort bewerben, muss ja dolle Löhne geben...
Ein vermutlich bis hoffentlich nicht zu gerichger Teil der Mehrkosten dürfte aber sicher für die aufwendigere Haltung und Aufzucht der tiere entstehen.

Traitor
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So 3. Feb 2013, 13:45 - Beitrag #9

Daran habe ich weiterhin große Zweifel, die Kriterien sind zu lasch, um so hohe Mehrkosten zu verursachen. Marketing, Verwaltung und Gewinnsteigerung dürften einen großen Anteil haben.

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So 3. Feb 2013, 14:11 - Beitrag #10

Gefühlt macht der eigentliche höhere Produktionsaufwand vermutlich nicht (wesentlich?) mehr als 50% aus, aber selbst die laschen anderen Anforderungen sorgen dafür, dass es eben nicht die seit Jahren in großen Stückzahlen erproble und eingespielte "Produktion" mehr ist sondern eine neue, in mind. anfangs geringeren Stückzahlen und ggf. mit Startschwierigkeiten. Das kann, so denke ich und weis es zumindest aus dem Süßwarenbereich, je nach Art der Kostenrechnung schon erhebliche Mehrkosten auslösen.

Marketing incl. Außendienstbetreuung fast aller Verkaufsstellen, Sponsoring, individeulle Reaktionen auf Kundenanfragen usw. als Kostenblock kann zugegeben auch erstaunlich groß sein.
So ist es im Getränkebereich zb. so, dass es einen Hersteller gibt, der ein Produkt einmal als Herstellermarke mit entsprechenden Marketingaktivitäten und einmal als Handelsprodukt (da gibt es nur das reine Produkt in einer Variante, der Handel kann es nur lastzugweise, nicht in beliebigen kleineren Mengen bekommen; es gibt kein Marketing und keinen Außendienst) anbietet. Auf die logischerweise de facto identischen Produktionskosten kommt beim Handelsprodukt die Gewinnspanne, beim Markenprodukt erst die Marketingkosten, dann die prozentual gleiche Gewinnspanne obendrauf.
Ergebnis: prozentual bei beiden Produkten gleicher Gewinn, beim Markenprodukt aber absolut höherer Gewinn, weil Gewinnspanne auf höhere Produktion-+Marketingkosten berechnet.
Und der Käufer zahlt für den Markenartikel im Laden 20-30% mehr.

janw
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Mi 1. Mai 2013, 13:25 - Beitrag #11

Mehr Platz, d.h. weniger Tiere auf gleicher Fläche, und andere Böden, die vielleicht wieder Ausmisten erfordern, können schon zu einer Preiserhöhung führen. Die Gewinnmargen sind schon jetzt sehr knapp kalkuliert.
Die Frage ist, wie sich das im Gefüge Lohn-(Franchise)Mäster zu wirklich selbständigen Betrieben auswirkt.

Ipsissimus
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Mi 1. Mai 2013, 13:37 - Beitrag #12

Im Grunde ist das ein weiteres Indiz dafür, wie vollkommen irreal das Lohn/Gewinn/Preisgefüge ist. Es können keine angemessenen Preise bezahlt werden, weil keine angemessenen Löhne bezahlt werden sollen, weil die gesamte Kostenstruktur ein Albtraum ist.

Traitor
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Mi 1. Mai 2013, 13:42 - Beitrag #13

Jan, ich habe halt den Verdacht, dass die Mehreinnahmen stärker in die Ausweitung der knappen Gewinnmargen fließen als in Verbesserungen der Bedingungen.

Ipsi, im Allgemeinen schon, im speziellen Fall des Fleischkonsums aber Widerspruch - irreal wäre es, das Lohnniveau so anzuheben, dass sich jeder Konsument 7x die Woche angemessen teures Fleisch wäre. Wenn man ein "Recht auf Fleisch" und eine vernünftige Produktionsmethodik, somit einen hohen Preis, fordern will, dann muss der Konsum sinken, das Recht also auf eine gesunde Menge reduziert sein.

Ipsissimus
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Mi 1. Mai 2013, 13:51 - Beitrag #14

die alleinige Anhebung des Lohnniveaus wäre ja auch nur so eine einseitige Maßnahme, die dem Geflecht der Einflussfaktoren nicht gerecht würde. Die gesamten Grundlagen des Wirtschaftssystems müssten neu und nach validen Kriterien austariert werden.

janw
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Mi 1. Mai 2013, 14:38 - Beitrag #15

Ipsi, das sehe ich im Grunde genau so. Allerdings kommt man an einigen anderen Dingen auch nicht vorbei: Im europäischen Vergleich sind Lebensmittel, auch Fleisch, in Deutschland mit am günstigsten, bei gleichzeitig vergleichsweise hohem Lohnniveau. Gut, ersetze man Lohnniveau durch verfügbares Haushaltseinkommen... ich glaube, auch da sieht es - auch ohne Wirtschaftskrisenverwerfungen - recht ähnlich aus.
Zugleich ist auch der Fleischkonsum eher zu hoch, wenn man Herzerkrankungen und ähnliches betrachtet.
Man könnte daher denken, daß ein höherer Preis für Fleisch a)den Konsum auf ein ünstigeres Niveau senken, b)vor allem zu Lasten des Kaufes von smartphones und dergleichen gehen würde.
Daß das auch etwas zynisch wirken kann, ist klar.

In meinen Augen ist das Preisgefüge nicht mehr angemessen, als es die tatsächliche Wertigkeit bzw. den mit der Produktion verbundenen Mitteleinsatz, auch Ressourcenverbrauch, nicht repräsentiert.

Traitor
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Do 2. Mai 2013, 20:37 - Beitrag #16

Der Lebensmittelkonsum ist aber ein Problem, für dessen Lösung Anpassungen nur im Wirtschaftssystem nicht ausreichen. Oder zumindest keine innerhalb des klassischen Bilanzpostenapparats der Wirtschaft - wie Jan sagt, wäre ein wesentlicher Bestandteil, Umweltschäden und Ressourcenverbrauch mit einzupreisen.


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