Bund deutscher Kriminalbeamter fordert milderes Senioren-Strafrecht

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009
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So 3. Feb 2013, 14:33 - Beitrag #1

Bund deutscher Kriminalbeamter fordert milderes Senioren-Strafrecht

Wie beispielsweise hier (weil noch nicht auf Verbandseigener Seite zu finden) nachzulesen:
Der Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, fordert ein „Seniorenstrafrecht“: Rentner, die eine Straftat begehen, sollen weniger hart bestraft werden als normale Bürger. Der BDK-Vorsitzende sagte der Hamburger Morgenpost“, dass bei der Bestrafung von Rentnern die steigenden Altersarmut zu berücksichtigen sei. Viele Rentner könnten nur noch überleben, indem sie sich all kriminelle Weise ein Zubrot verschaffen. Die rechtliche Sonderstellung für Alte soll dem Jugendstrafrecht entsprechen: Auch Jugendliche bekommen für Vergehen ein geringeres Strafmaß, weil ihnen die volle Einsicht in ihre Tat fehlt.


Zudem sollen Vergehen gegen alte strenger sanktioniert werden:
Umgekehrt sind die Alten verstärkt Opfer von Betrügern. Ganze Banden haben sich darauf spezialisiert, den Senioren die Ersparnisse aus der Tasche zu ziehen, sagte Schulz. Er forderte, dass diese Banden härter bestraft werden müssen. Der Betrug an den Alten soll ähnlich behandelt werden wie die Kindesmisshandlung.


Letzteres finde ich nur auf den ersten Blick gut. Ist den ein betrogenes Opfer mehr geschädigt, weil es älter sit? Wenn dort eine höhere Strafe gefordert wird ist es wohl eher die Frage, ob generell die Strafen bei Betrug noch angemessen sind.

Altersarmut durch eine weniger schwere Bestrafung von dem entgegenwirkenden Taten zu begegnen halte ich für den Beginnd er Bankrotterklärung des Sozialstaates.

Traitor
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So 3. Feb 2013, 14:48 - Beitrag #2

Völlig unsinnig begründete Vorschläge.

Das Jugendstrafrecht hat nichts mit wirtschaftlicher Situation zu tun, sondern, wie da ja schon steht, mit (angenommener) nicht voller Schuldfähigkeit. Die kann aber genauso auch bei Erwachsenen und natürlich auch Rentnern festgestellt werden, wenn z.B. schon altersbedingte geistige Defizite vorliegen.
Armut wiederum als Strafreduktionsgrund kann höchstens als generischer "mildernder Umstand" herangezogen werden, ganze Bevölkerungsschichten wegen statistischer Armut rechtlich besser zu stellen, wäre absurd. Und selbst wenn man das wollte, warum dann alle Rentner, nur weil manche Rentner arm sind, und nicht alle Armen?

Auch der Status des Opfers kann kein Kriterium für eine härtere Bestrafung von Betrügern sein, höchstens kann bei (wiederum gerichtlich festgestellter) eingeschränkter Geschäftsfähigkeit des Opfers ein zusätzliches Vergehen hinzukommen - kein simpler Wirtschaftsbetrug durch Verkauf illegaler oder inexistenter Produkte/Verträge mehr, sondern zusätzliche Beeinflussungs- und Ausnutzungsdelikte.

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So 3. Feb 2013, 15:35 - Beitrag #3

Und weil das alles so unsinnig wirkt, überkommt mich dann doch ein gewissens Unbehagen, weil dies nicht von einzelnen, sondern der Spitze eines Berufsverbandes verbreitet wird, die doch gerade strikt nach existentem recht und Gesetzt und nicht nach eigenem Gutdünken handeln sollten.

Ipsissimus
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Mo 4. Feb 2013, 15:12 - Beitrag #4

Aus meiner Sicht sind vereinheitlichende Algorithmen grundsätzlich ungeeignet, das diffizile Verhältnis zwischen Recht, Gerechtigkeit und Schuld auszuloten. Sehr viel wünschenswerter als derartige generalisierende Vorgehensweisen empfinde ich ein individuelles Hinschauen auf den Einzelfall.

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Mo 4. Feb 2013, 16:38 - Beitrag #5

Eben, und genau dafür gibt es ja die vom Richter in seinem Ermessen auszuwählenden konkreten Strafen, wo das Gesetz nur Strafrahmen vorgibt.

Maglor
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Mo 4. Feb 2013, 22:03 - Beitrag #6

Nur mal so als realistisches Beispiel:
Aufgrund des Alters des Angeklagten ist mit keiner erneuten Straftat zu rechnen. Ihm ist daher eine positive Sozialprognose auszusprechen.


Zum eigentlichen Thema:
Bislang gibt es spezielle Strafvorschriften, wenn es sich bei den Geschädigten um Minderjährige, Schutzbefohlene oder Patienten handelt. Derartige Taten werden nach StGB härter bestraft als gleichartige Taten gegen Erwachsene und Nicht-Schutzbefohlene.
Ältere, pflegebedürftige Menschen unterstehen keiner derartigen Sonderbestimmung, es sei den Tat geht von ihren direkten Pflegern aus.

Lykurg
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Mi 6. Feb 2013, 10:01 - Beitrag #7

Leider ist das von dir intendierte Beispiel abhandengekommen. Geht es um einen inländischen oder einen ausländischen Kriegsverbrecher? ;)

Wie Traitor et al. finde ich die Idee ziemlich blödsinnig und falsch. Schuldunfähigkeit oder mindernde Umstände können altersunabhängig festgestellt werden und ins Urteil einfließen, darüber hinaus eine generelle Altersreduzierung einzuführen, ist das falsche Signal, dafür gibt es auch viel zu viele renitente Rentner.

Und im Umkehrfall einen pauschalen Sonderstatus nur für diese Opfergruppe zu schaffen, ist ebenfalls nicht sinnvoll. Eher könnte man darüber nachdenken, im Betrugsparagraphen StGB §263 die Kriterien für schweren Betrug um einen Punkt, Ausnutzung hilfsbedürftiger Personen, zu ergänzen. Ich meine aber, daß bei Diebstahlsdelikten das Ausnutzen einer 'guten' Gelegenheit manchmal als Milderungsgrund gilt (im Sinne von Fahrlässigkeit des Opfers); hier wäre das dann quasi das gegenteilige Rechtsdenken, auch irgendwie schwierig.

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Mi 6. Feb 2013, 14:16 - Beitrag #8

Unschwierig in der Tat wohl nur so lange, wie Fahrlässigkeit nur von unhilfsbedürftigen "Deppen" begangen wird/gewertet wird und ansonsten eben die Handlung gegen schutzbedürftige eher strafverschärfend wirkt.

janw
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Mi 1. Mai 2013, 13:06 - Beitrag #9

Zitat von Ipsissimus:Aus meiner Sicht sind vereinheitlichende Algorithmen grundsätzlich ungeeignet, das diffizile Verhältnis zwischen Recht, Gerechtigkeit und Schuld auszuloten. Sehr viel wünschenswerter als derartige generalisierende Vorgehensweisen empfinde ich ein individuelles Hinschauen auf den Einzelfall.

Mich überkommt dabei immer wieder das Gefühl, daß das herrschende System der Sanktionierung wesentliche Probleme von Kriminalität nicht löst, teils sogar verstärkt.

Traitor
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Mi 1. Mai 2013, 13:39 - Beitrag #10

@009, wenn wieder auftauchend: Lykurg dürfte gerade gemeint haben, dass dein "ansonsten" ein Nebeneinanderexistieren zweier sich widersprechender Rechtsnormen bedeutet.

@Jan: Sanktionierung im Nachhinein ist immer schlechter als Vorbeugung, aber, sobald es zu erstmal zu einem "Nachhinein" gekommen ist, leider weitgehend alternativlos.

@Ipsi, wie von Jan zitiert: dann müsste dir doch das amerikanische "case law" sympathischer sein als unseres? Für mich wegen mangelnder Rechtssicherheit und demokratischer Beeinflussbarkeit ein Alptraum, zu dem wir uns dank regelungsfauler Legislative aber leider auch teilweise hinbewegen.

Ipsissimus
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Mi 1. Mai 2013, 13:46 - Beitrag #11

Jan, mein Raumteiler, ein Soziologe und dezidierter Luhmann-Spezialist, würde dir in Anlehnung an selbigen jetzt antworten, dass der Staat seine Kriminellen braucht^^ die Begründung dafür ist ein wenig luhmannesk, läuft aber darauf hinaus, dass double binding-Systeme stabiler sind, wenn Reibungsverluste infolge Devianz auftreten, da dieser Umstand eine einfache und nachvollziehbare Begründung für Systemprämissen ermöglicht^^ selbst wenn sie rein willkürlich sind^^

/edit
Traitor, warum denn entweder-oder? warum nicht das Beste aus beiden Systemen nehmen und vereinigen? "Rechtssicherheit" ist ein äußerst zweischneidiges Schwert

Traitor
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Mi 1. Mai 2013, 14:56 - Beitrag #12

Solche eleganten Gedankenspielereien kann man immer anstellen, aber weder invalidieren sie die naheliegenderen Ursachen noch tragen sie zur Problemlösung bei. Führt aber hier auch über das Thema hinaus.

Keines der beiden Systeme liegt irgendwo auf der Welt in Reinform vor, sowohl US- als auch kontinentaleuropäisches Recht sind Versuche, "das Beste" zu vereinigen, gewichtet gemäß der jeweiligen Vorlieben. Leider läuft es in beiden Fällen oft eher darauf hinaus, das Schlechteste zu vereinigen. ;)
Mit der zweiten Schneide meinst du vermutlich, dass es Fälle geben kann, die offensichtlich mit Ergebnis A entschieden werden müssten, gemäß eindeutiger Präzedenz oder eben festem Gesetzestext immer mit B entschieden werden? Die wird im europäischen System (gibt es ein knackiges Antonym zu "case law"?) nominell dadurch abgestumpft, dass die Legislative jederzeit das Gesetz ändern kann und dies eigentlich von den Gerichten direkt umgesetzt werden muss; de facto klappt das nur nicht so gut, weil die Legislative davon zu selten Gebrauch macht und die Gerichte große Beharrungsfähigkeit auf den Wortlaut des Gesetzes haben, selbst wenn der Geist eigentlich klar ist. Im "case law" klappt das eher noch schlechter, da die nötigen Gesetzesänderungen viel grundlegender ausfallen, und mWn die Gerichte eine Änderung auch leichter kippen oder ignorieren können.

Ipsissimus
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Mi 1. Mai 2013, 15:23 - Beitrag #13

Traitor, deine grundlegende Argumentation scheint darin zu bestehen, dass das System gut ist, weil wir es immer noch verbessern könnten, selbst wenn wir es selten auch nur gut machen^^ die soziale Wirklichkeit ist die Crux jeder Gesellschaftstheorie. Und da finde ich bei den eleganten Luhmannschen Spielereien einen tiefgehenden Wirklichkeitsbezug, den die Staatsapologetik in meinen Augen nicht aufweist. Sein sollen != sein. Diese "Beharrungsfähigkeit" und diese Seltenheit der Anpassung ist System und nicht etwa Versagen des Systems.

janw
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Mi 1. Mai 2013, 15:43 - Beitrag #14

Meine Überlegungen gehen durchaus in eine Richtung, die den Rahmen dieses threads sprengen würde. Vielleicht komme ich mal dazu, es näher auszuarbeiten.

Traitor, zweischneidig ist Rechtssicherheit z.B. in dem Sinne, als sie neben ihrer "offiziellen" Bedeutung, der absehbaren Resistenz gegenüber einer gerichtlichen Überprüfung, auch ein inoffizielles Kalkül beinhaltet, wie wahrscheinlich es nämlich zu einer solchen gerichtlichen Überprüfung kommen werde.
Und so sehen dann die Urteile bei armen Schluckern aus und die Gutachten in Verfahren, in denen die Genehmigungen nicht von Verbänden beklagt werden können.

janw
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Mi 1. Mai 2013, 18:16 - Beitrag #15

Zitat von Traitor:@Jan: Sanktionierung im Nachhinein ist immer schlechter als Vorbeugung, aber, sobald es zu erstmal zu einem "Nachhinein" gekommen ist, leider weitgehend alternativlos.

Die Frage ist, ob die Sanktionierung irgendetwas von dem erreicht, was mit ihr beabsichtigt wird, oder ob sie nicht sogar in die falsche Richtung zielt, z.B. indem sie wichtige Betroffenheiten unberücksichtigt lässt.
Hält sie Menschen davon ab, verbotene Taten zu begehen?
Hält sie Täter davon ab, wieder verbotene Taten zu begehen?
Trägt sie dazu bei, das Leid Geschädigter zu mindern?


In diesem Sinne könnte man dem Kriminaler sogar in gewisser Weise zustimmen - die Wahrscheinlichkeit, zum Wiederholungstäter zu werden, stößt im Alter auf zunehmende Grenzen, zugleich führen altersbedingte Erkrankungen schnell zur Haftunfähigkeit, da wäre dann auch das Ende der Saktionierung.

Traitor
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Do 2. Mai 2013, 21:42 - Beitrag #16

@Ipsissimus: Nein, gut ist es deshalb noch lange nicht, aber zumindest auch nicht schlecht.
Diese kritischen Gedankenspiele stören mich nicht mehr, aber auch nicht weniger, als die der "staatsapologetischen" Seite. Beide neigen dazu, Allgemeinplätze als Ausrede zu benutzen, sich nicht mit konkreten Ursachen beschäftigen zu müssen. Mag sein, dass "das System" eine gewisse Kriminalitätsrate duldet, fördert oder gar braucht. Trotzdem hat jedes einzelne Verbrechen konkrete Gründe, und innerhalb "des Systems" gibt es viele Stellschrauben, mit denen man viele davon beheben oder zumindest dämpfen könnte. Auch außerhalb, bzw. durch Wechseln des Systems an sich. Aber kein anderes System ist kriminalitätsfrei, und ein Nichtsystem erst Recht nicht...

@Jan:
Ja, aber nicht vollständig.
Ja, aber nicht vollständig.
Eher selten.

Zurück zur Alterstrafrechtsthematik, danke: es gibt ja nicht nur Haftstrafen, und Alter oder Gebrechlichkeit sind ja schon im normalen Strafrecht übliche Gründe für Strafumwandlung oder -aussetzung. Der Vorschlag geht viel weiter, will das Alter an sich als Milderungsgrund für die Schuldfrage, nicht für das Strafmaß, heranziehen, und das nur aufgrund fragwürdiger statistischer Korrelationen mit dem eigentlich argumentationstragendenden Armutsaspekt.

Ipsissimus
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Do 2. Mai 2013, 23:23 - Beitrag #17

Das grundsätzliche Problem, Traitor, besteht darin, dass "kriminell" im erheblichen Maße eine willkürliche Zuschreibung ist. Zum Beispiel wurden Daumen mal pi 1920 in den USA über Nacht einige Millionen Personen "kriminell", als ein Paragraph der damaligen Antidrogengesetzgebung geändert wurde, ohne dass an diesen Personen irgendein Unterschied zwischen vorher und nachher feststellbar gewesen wäre. Sie waren vorher harmlose Kiffer und hinterher waren sie auch harmlose Kiffer. Nur waren sie nach diesem Datum kriminelle harmlose Kiffer.

Maglor
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Mo 6. Mai 2013, 22:05 - Beitrag #18

Es nützt schon viel nichts verhandlungsfähig zu sein, noch besser ist es natürlich, wenn man die Perspektive hat, in diesem Leben nie wieder verhandlungsfähig zu werden.
Bei Verkehrsstraftaten sollte man faierweise vom Entzug der Fahrerlaubnis absehen, da ja die Greisen praktisch keine Perspektive haben, eine neue zu erlangen, und auch ziemlich schlecht zu Fuss.
Auch wenn ein Greis körperlich kaum noch zu ernsten Gewalttaten in der Lage, gibt es doch nch genügend andere Tätigkeitsfelder für senile Berufskriminelle. Der berühmte Waffenhändler Karlheinz Schreiber führte seine größten Streiche auch mit jenseits der 60 aus.


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