Streng genommen haben wir doch alle einen "Migrationshintergrund", unsere Eltern sind mal mehr oder mal weniger weit von ihrem Geburtsort gelandet.
"migrare" heißt (aus)wandern, aus/wegziehen, übersiedeln. Der Umzug von einem Dorf in ein anderes war vor 100 Jahren im ländlichen Raum noch richtig bedeutend. Ich brauche mir bloß das nahe gelegene Sauerland anzugucken, wo es sogar Dialektunterschiede von Tal zu Tal gab.
Zieh als Norddeutscher mal ins bayerische Hinterland, dann bist du fremder als im europäischen Ausland.
Es hat immer wieder Menschen in andere Regionen verschlagen, sei es aus Not oder weil die Umstände halt so waren. Händler, wandernde Handwerker, Soldaten - sie sind immer schon in die Fremde gezogen und oft dort geblieben. Es hat Migration gegeben, weil das Klima es erzwang, weil die eigenen Anschauungen verfolgt wurden, weil man verschleppt wurde.
Ich z. B. habe Vorfahren aus dem heutigen Polen, aus Thüringen, aus dem Lippischen und vermutlich aus Frankreich. Mein Mann ist viel mehr verwurzelt in Westfalen, da kommt die Sippe aus Dortmund und dem sauerländischen Herscheid. Mein Schwiegersohn aus den USA hat Vorfahren aus Deutschland und Polen und ist quasi ein interkontinentaler Migrant.
Gestern habe ich mich mit einem Kollegen arabischer Provenienz unterhalten, der allerdings in Celle geboren wurde und nur noch "ausländisch" aussieht. Einen britischen Kollegen kann ich wunderbar mit all den Vorurteilen foppen, die hier so gang und gäbe sind, z. B., dass Briten im Winter immer in viel zu dünnen Klamotten rumlaufen, weil sie sich weigern zu frieren. Richtig fremd sind mir allerdings die Chinesen im Büro, bis auf die, die schon hier geboren wurden.
Es macht sich eben vieles an der gemeinsamen Sprache fest.
Ich kenne nichts Spannenderes, als mir von den Herkunftsländern und den dortigen Gepflogenheiten erzählen zu lassen. Die kulturelle Vielfalt ist so bereichernd!
Außerdem führen mir diese Gespräche vor Augen, dass ich anderswo eben auch ein Exot bin qua Herkunft. Deutsche sind im Ausland auch sonderbar.
Da bediene ich auch schon mal gern die klassischen Vorurteile und bin ordentlich und pünktlich - was übrigens auch auf hier lebende Zuwanderer abfärbt. Mein Physiotherapeut aus Eritrea bekommt inzwischen Zustände, weil es "zuhause" in Afrika so chaotisch zugeht.
Wenn ich mir überlege, dass ich in den 60ern es noch exotisch fand, mal beim Italiener zu essen oder gar beim Chinesen!