Deutsche versus ausländische Fantasy - ein düsteres Kapitel?

Literatur und Medien, die die Grenzen der bekannten Welt sprengen - die Zukunft der Menschheit und ihre Abenteuer in fantastischen Welten.
Fargo
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Mo 28. Jun 2004, 23:54 - Beitrag #1

Deutsche versus ausländische Fantasy - ein düsteres Kapitel?

Kein Zweifel, es gibt sie: deutsche Fantasy. Über Namen und Bücher ihres bekanntesten Autors Wolfgang Hohlbein dürften sogar absolute Fantasymuffel schon mal gestolpert sein. Keine Sortimentsbuchhandlung, in der nicht wenigstens ein paar seiner Werke zu finden sind, auch wenn es dort nicht einmal eine ausgewiesene Fantasy-Ecke gibt.

Trotzdem: der Markt wird auch in Deutschland von angelsächsischer Fantasy dominiert. Vom Übervater Tolkien bis hin zu Tad Williams, von George R. R. Martin bis Terry Pratchett, von Matt Ruff bis hin zu, na klar, auch sie gehört dazu, Joanne K. Rowling, die Briten und Amerikaner erzielen die hohen Auflagen, erzielen den großen Umsatz. Das stimmt auch noch dann, wenn man „Harry Potter“ als Phänomen ganz für sich mal beiseite lässt.

Sind die Angelsachsen einfach besser? Und worin, wodurch, warum? Oder können die deutschen Autoren zwar erzählerisch mithalten, werden aber von Verlagen und Buchhandel (und vielleicht auch Lesern) zu Unrecht zu wenig beachtet? Wenn ja, wie kam es Eurer Meinung nach dazu? Wie wird sich der Markt entwickeln? Und was ist mit Fantasy aus anderen Ländern, aus Frankreich, Japan, Russland, etc. – gibt’s die, kennt die jemand?

Als wir in einem anderen Thread, in dem aleanjre, selbst deutsche Fantasy-Autorin, über die Entstehung ihres Romanes berichtet, auf das Thema deutsche vs. ausländische Fantasy zu sprechen kamen, reagierte aleanjre jedenfalls spontan so:

Deutsche versus ausländische Fantasy:
Uaaah. Düsteres Kapitel. Nein, ist mir zu traurig, darüber etwas zu schreiben.


Das Thema scheint Emotionen auszulösen. Mir als Gelegenheitsfantasyleser war das gar nicht so klar.

Fargo

aleanjre
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Do 1. Jul 2004, 09:26 - Beitrag #2

Wenn jetzt wirklich keiner will, schmeiss ich mal ein paar Kommentare in den Raum.

Fantasie, Horror und Sci - Fi sind Sub - Genre, die von der Leserschaft gefordert und geschätzt werden. Trotzdem gibt es nicht genug Masse, als das die großen Verlage Lust haben, sich groß die Finger zu verbrennen. Weil es so schön einfach ist, hat man also Jahrzehnte lang Lizenzen erprobter Meister eingekauft. Und alle Versuche deutscher Autoren von sich gewiesen, weil es so viel teurer und mühsamer ist, als mal schnell ein Werk übersetzen zu lassen. Dazu noch die schon vorhandenen Pressestimmen draufdrucken, und alles ist prima.

Jetzt werden die US - Lizenzen aber immer teurer. Die Jungs da drüben sind ja nicht blöd. Viele Leser beschweren sich, das da unendlicher Müll zu uns rüberschwappt und boykottieren die 97. Sword & Sorcerer - Serie, bei der erst ab Band 295 das Rätsel von Band 1 gelöst wird... (etwas überspitzt). Plötzlich fällt den Verlagen auf, dass sie den Nachwuchs im eigenen Land völlig vernachlässigt haben. Anstatt aber nun Ausschau nach den wenigen Perlen zu halten und sie in guter Verpackung zu präsentieren, die es ja nun wirklich gibt, wird lieber die Phantasie - Abteilung in ein Tochterunternehmen ausgelagert, der Vorschuss um 40% gekappt, auf kostspielige Cover verzichtet...

Was nicht heißt, dass es so GAR keine Chance gibt, mit einem gelungenen Phantasie-, Horror- oder Sci - Fi - Skript im Regal zu landen, OBWOHL man einen deutschen Nachnamen hat. Es ist nur extrem schwierig als Neueinsteiger.
Ein Großteil der deutschen Phantasie - Autoren konnte über die DSA - Reihe einen Einstieg finden. Aber auch hier wird geknausert.

Traitor
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Do 1. Jul 2004, 13:40 - Beitrag #3

Als Laie sehe ich das Problem hier vor allem in der Dominanz der Reihen. Im SF-Zweig gibt es ja noch ein recht großes Angebot an Einzelwerken, und da sieht man auch öfters deutsche Namen. In der Fantasy dagegen bestehen 99% des Marktes aktueller Werke aus Serien, Zyklen und Chroniken. Und an dieser Massenproduktion liefert der angelsächsische Raum schon genug erfolgreiche Verkaufsschlager, warum da noch deutsche Autoren ausprobieren?
Wenn der Markt mehr Einzelwerke zulassen würde, hätten diese sicher mehr Chancen. Ich würde gerne mal einzelne Fantasybücher neuer Autoren lesen, nur, direkt mit einem 10bändigen Zyklus anzufangen, ist es mir nicht wert. Und bei den Einzelbüchern wären dann sicher auch mal deutsche dabei.

Fargo
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Do 1. Jul 2004, 15:21 - Beitrag #4

Ich bin mir nicht so sicher, ob man die Verantwortung allein bei den Verlagen suchen kann.

Bei der auch erwähnten SF war es gewiss nicht so. Die auflagenstärkste SF-Serie der Welt kommt aus Deutschland und wird auch hauptsächlich hier gelesen , "Perry Rhodan", es gab also früh eine Blicklenkung auf deutsches Potenzial. Und nicht nur Rhodan-Autoren haben früher unter eigenem (Künstler)namen publiziert. Die meisten in den Siebzigern in der SF-Szene engagierten Verlage haben deutsche Autoren gedruckt, ja, haben versucht, sie aufzubauen - eben weil Deutsche schon damals wesentlich billiger als die ausländische Konkurrenz zu haben waren. Aber die Leser haben sie nicht in gleichem Maße wie die Amis akzeptiert. Die Frage ist jetzt: verdienter- oder unverdientermaßen?

Bei Fantasy könnte das doch ganz ähnlich laufen. Eventuell hat das ja damit zu tun, dass so viel kopiert wird. Wer das Buch eines unbekannten Autors in die Hand nimmt, denkt ja oft: "Aha, Tolkien." Oder "So so, Tolkien plus Leiber". Oder "Au weia, Marion Zimmer Bradley plus Anne Rice." Und da könnte es doch sein, dass die Leute, die bereit sind, Aufguss zu probieren, Aufguss aus dem Originalland vorziehen. Weil ihnen so eine Serie "näher dran" zu sein scheint an den Originalen.

Das mag ein irrationaler Impuls sein. Aber in dieser Variante wären es die Leser, die den Markt bestimmen. Es gibt ja deutsche FantasyautorInnen, die verlegt werden, Nina Blazon zum Beispiel, aber die Verkaufszahlen bleiben offenbar weit hinter denen der angelsächsischen Konkurrenz zurück.

Es könnte natürlich auch sein, dass die ausländischen Bücher einfach besser sind. das kann ich mangels Belesenheit nicht beurteilen. Würdet Ihr diese simple Erklärung ausschließen? Falls nein, warum und worin sind die Angelsachsen besser?

Fargo

Traitor
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Do 1. Jul 2004, 15:37 - Beitrag #5

Kopien, die nahe am Original sind, will ich überhaupt nicht, und das trifft wohl auf die meisten Fans der großen Autoren zu. Man mag diese wegen ihrer eigenen, großen Leistungen. Andere Autoren kann man dann nur akzeptieren, wenn sie ähnliches vollbringen - "ähnlich" auf ihre Leistung bezogen, nicht auf Stil oder Handlung. Und das kann man bei Kopien kaum finden.
Wirkliche Tolkienkopien findet man ja auch kaum - eher eben den zweihundertsten Endloszyklus. Dieses Genre hat wenig mit Tolkien zu tun.
Wenn Autoren den Mut hätten, sich klar davon zu distanzieren, könnten sie bestimmt auch Erfolg haben. Hohlbein zeigt das ja, er schreibt zwar IMHO keine tolle Fantasy, aber immerhin ist sie eigenständig.

Shockk
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Fr 2. Jul 2004, 23:48 - Beitrag #6

Ich lese priat hauptsächlich Science Fiction und die wiederrum zu > 95% von im Original englischsprachigen Autoren (i.O.e.A.).

Warum genau das so ist kann ich nicht sagen, bzw ich möchte mich nicht einfach auf "englischsprachige Autoren sind besser" / "deutsche sind schlechter" festlegen. Wenn ich Bücher kaufen gehe, dann meistens im größten Buchladen der Innenstadt und dort nicht selten auch, nachdem ich mir mehrere Bücher vorgenköpft habe und mal mindestens den Buchrücken, wenn nicht noch mehr gelesen habe. Soll heissen, ich kaufe nicht nur nach Autor oder Verlag oder Zyklus.

Trotzdem sind, wie gesagt, fast alle Bücher von i.O.e.A.. So gehören Stephen Baxter, David Brin, Greg Bear, Kevin J. Anderson u.A. zu meinen absoluten Favoriten, und ich glaube das letzte Buch von einem deutschen Autor hat mir absolut nicht gefallen :/. Will es aber nicht ausschliesslich auf Qualitätsunterschiede zurückführen - kann ja auch daran liegen, dass ich mich mit deutschen Autoren nicht auseinandersetze oder das mein Stammbuchladen selbige nur in geringen Zahlen führt.

Feuerkopf
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Di 27. Jul 2004, 12:28 - Beitrag #7

Deutsche Autoren findet man hin und wieder in Anthologien. Vielleicht liegt das Problem auch in der manchmal merkwürdigen Genre-Trennung. Lange Zeit gab es Sci-Fi und Fantasy-Puristen, die Crossing-Over gar nicht goutierten.
Der Darkover-Zyklus von Marion Zimmer Bradley ist vielen unbekannt, aus diesem Grund.

Hohlbein ist in dieser Hinsicht viel zu verdanken, denn er schreibt beides getrennt und auch gemeinsam. Auch betreut er den literarischen Nachwuchs und eine Anthologien-Reihe.

Cornelia Funke möchte ich in diesem Zusammenhang erwähnen. Ihr "Tintenherz" ist eine wundervoll geschriebene Fantasy-Krimi-Geschichte und auch ein wenig Entwicklungsroman, den auch Erwachsene mit Vergnügen lesen können.

Was ist mit Michael Ende? Habt ihr "Die Unendliche Geschichte" schon vergessen?

Hierzulande findet sich speziell im Jugendbuchbereich viel in der Richtung Fantasy, das absolut lesenswert ist.

Padreic
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Mi 28. Jul 2004, 16:21 - Beitrag #8

Ich persönlich schätze eigentlich auch am meisten die Fantasy-Autoren aus dem englischen Sprachbereich, allen voran Tolkien und dann eben Tad Williams, Patricia McKillip und Joanne K. Rowling usw.. Hohlbein konnte mich bisher nicht so überzeugen.
Ich bin kein großer Fantasy-Kenner, aber als ich mich früher noch ein wenig mehr mit Fantasy beschäftigt habe, bin ich eigentlich stets nur über englischsprachige Autoren gestolpert, nicht nur bei den modernen, selbst oder gerade auch bei den alten, Morris, Edisson, Dunsery, MacDonald etc. Im englischsprachigen Bereich scheint Fantasy eine viel größere Tradition zu haben als in jedem anderen Raum. Gerade auch wegen dieser Tradition halte ich die Vermutung, dass die Angelsachsen im Bereich der Fantasy schlicht besser sind (obwohl es ohne Zweifel Ausnahmen gibt), nicht für allzu abwegig. Ich kann es nicht nur auf Marketing zurückführen, dass in jeder Übersicht, über die größten Autoren der Fantasy die englischsprachigen dominieren. Die ebenso unsäglichen wie langen Reihen sind dabei nur gewisse Auswüchse für den Massenmarkt; an der Existenz der sehr qualitativen Fantasy aus diesen Landen ändert das nichts.

Aber was Feuerkopf angesprochen hat, ist sicherlich auch sehr zu beachten. Gute Fantasy gibt es auch in Deutschland (wenn auch nicht so viel), aber meist von einem anderen Typus, eben nicht der, der sich aus der angelsächsischen Tradition herausgebildet hat, wie vielfältig diese auch sein mag, sondern mehr etwas, was man wohl zur Unterscheidung zur Fantasy eher mit Phantastik bezeichnen sollte, die im deutschsprachigen Raum ja auch durchaus Tradition hat.

Padreic

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Fr 30. Jul 2004, 13:06 - Beitrag #9

Ich denke das ist nicht nur ein Fantasy Problem....

Ganz allgemein haben es Phantastischen bücher abseits von heftromanen in deutschland schwer. Es lasstest halt gerade auf dem genre immer noch der Vorurteil Schund an, weil die ersten S.F. hier halt in billigen Heften bzw taschen Bücher erschienen sind.

Ich glaub aus dieser misereheraus trauen sich viele deutsche Nicht in diesem bereich was zu schreiben und auch verlage scheuen sich deutsche Autoren in dem bereich mal gezielt zu veröffentlichen.

Das ändert sich zwar im moment etwas ich hoffe aber das es nicht wieder ein Strohfeuer wird . Es gab ja schon mal mehr deutsche Autoren die S.F./ fantasy geschrieben haben die aber heute historische Romane schreiben einfach weil sie da mehr mit verdienen könnnen :-(

<>< Torsten


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