NPR top 100 books SF & Fantasy

Literatur und Medien, die die Grenzen der bekannten Welt sprengen - die Zukunft der Menschheit und ihre Abenteuer in fantastischen Welten.
Traitor
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Sa 22. Okt 2011, 21:20 - Beitrag #1

NPR top 100 books SF & Fantasy

Die Matrix hat ihre Wichtigen Bücher SF und Wichtigen Bücher Fantasy. Viele andere solche Listen gibt es natürlich längst, aber eine, die von NPR (anscheinend ein US-Radionetzwerk), zu finden hier, hat in der letzten Woche ziemlich viel Internetaufmerksamkeit bekommen, insbesondere dank der recht amüsanten graphischen Aufbereitung mit eindeutigen Disgrammqualitäten.

Negativ aufgefallen sind mir vor allem das fast völlige Fehlen von Pre-Tolkien-Fantasy (Alice, Lilith, Ouroboros...), die starke Fokussierung des SF-Zweiges auf die klassischen Überautoren (Asimov, Clarke, Heinlein, Bradbury) mit jeweils sehr vielen Büchern pro Autor und das völlige Fehlen des Alternate-History-Subgenres unter SF (Difference Engine? Pavane? Orakel vom Berge / High Castle?). Ansonsten aber eine für den sonst oft kritischen Erzeugungsweg (Publikumswahl plus Expertennachlese) recht ansprechend diverse Liste. Und das Dia(/s)gramm macht natürlich Spaß.

Ipsissimus
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Mo 24. Okt 2011, 13:07 - Beitrag #2

ist eine sehr konservative Liste; obwohl vieles Wichtige dabei ist, überzeugt mich die Wichtung doch nicht so richtig, und das, was fehlt, ist fast noch schlimmer^^

janw
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Mo 24. Okt 2011, 15:12 - Beitrag #3

Was fehlt denn Deiner Meinung und was würdest Du aus der Liste werfen?

Ipsissimus
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Di 25. Okt 2011, 11:41 - Beitrag #4

na ja, erst mal würde ich keine gemeinsame Liste ausgeben, Fantasy galt eine Zeitlang zwar als eine Art anrüchiger Science Fiction, aber das dürfte selbst in den USA längst vorbei sein^^ jedenfalls sind das für mich zwei unterschiedliche Genres, die imo nicht vermengt werden dürfen, wenn ihnen beiden Gerechtigkeit widerfahren soll

zum Fantasy-Teil - alles schön und gut, aber Tolkien immer noch als primus inter pares zu sehen, ist schon arg problematisch - hinsichtlich der literarischen Qualität und der inhaltlichen und philosophischen Tiefe gehören da mittlerweile ganz andere an die Spitzenposition, Donaldsson mit den Geschichten von Covenant, dem Zweifler, Eriksson mit dem Spiel der Götter, Jordan mit dem Rad der Zeit, McKillip mit der Erdzauber-Trilogie, Le Guin mit dem Erdsee-Zyklus, um nur ein paar wenige zu nennen.

Und wenn - zurecht - von Neil Gaiman die Sandman-Stories in der Liste stehen, dann aber von Piers Anthony die Inkarnationen der Unsterblichkeit fehlen, kann ich nur den Kopf schütteln.

Dass die Sage vom Ende der Zeit, Michael Moorcocks Geschichten um die Inkarnationen des Albinokönigs Elric von Melniboné und sein Schwert Sturmbringer, das dieses Ende schließlich herbeiführt, nur auf Platz 90 gelandet ist, darf auch getrost als besonders schlechter Scherz aufgefasst werden^^

und ganz besonders bitter, die Romane über Meister Li und Nummer 10, der Ochse von Barry Hughart fehlen ganz

ob die beiden erwähnten Pratchett-Bände wirklich den Gipfel seines Schaffens markieren, darf auch bezweifelt werden

alle die bisher genannten Autoren bzw. Werke mit Ausnahme Gaiman würde ich vor Tolkien einstufen.

Den Enwor-Zyklus von W. Hohlbein finde ich auch nicht sooo schlecht^^

im Science Fiction Teil - ich verbeuge mich tief vor Adams und seiner Hitchhiker-Trilogie, aber das ist keine echte Science Fiction sondern irgendetwas anderes. Dass "Ender´s Game" (deutsch: Das große Spiel) pars pro toto so weit vorne landete, freut mich dann wieder, ich halte den Zyklus um die Wiggins-Geschwister auch für wirklich genial, wie das meiste von O.S. Card (vor allem Abyss hätte ich mir noch in der Liste gewünscht).

Warum im SF-Teil soviele Klassiker vorkommen, dann aber wirklich zentrale Leute wie A.E. van Vogt (Expedition der Space Beagle, Null-A-Zyklus, Kinder von Morgen) oder E.E. Smith (Lensmen-Zyklus) oder F. Pohl (Gateway-Zyklus) gar nicht vorkommen, erschließt sich mir sachlich auch nicht wirklich.

Und wenn Stanislav Lem und die Strugatzkis, Arkadi und Boris, keine Klassiker sind und unter die ersten 20 Einträge gehören, dann gibt es keine Klassiker^^ aber bei einer Liste einer amerikanischen Institution, von amerikanische Lesern erstellt, darf es vielleicht nicht verwundern, wenn die Geschichte der SF und Fantasy im Wesentlichen an der amerikanischen West- und Ostküste beginnt und endet^^

Cyberpunk ist unterrepräsentiert, da gehören mindestens noch die Vakuumblumen von M. Swanwick und Blutmusik von G. Bear hin.

es fehlen als absolute Pflichtlektüre für interessierte SF-Leser:

Als es noch Menschen gab und Time and Again (dtsch: Tod aus der Zukunft) von C.D. Simak
Hothouse (Am Vorabend der Ewigkeit, Der grüne Nachmittag der Erde) von B. Aldiss
Was aus den Menschen wurde von Cordwainer Smith
Vom Leben und Tod Gottes und Die Stimmen der Zeit von J.G. Ballard
Sternenflut von D. Brin
Es stirbt in mir von R. Silverberg

auch darf die Positionierung des Culture-Zyklus von Iain Banks für lächerlich gelten^^ der gehört direkt hinter Card

den SF-Teil halte ich auch dahingehend für fraglich, dass Romane wie Brave New World oder 1984 mit aufgenommen wurden, die nicht wirklich SF sind. Und auch, wenn ich dafür ausgelacht werde, wenigstens erwähnen können hätte man die Perry Rhodan Serie, die hat mittlerweile mehr für die Entwicklung der SF getan als mancher hochgelobte Schriftsteller. Dafür hätte man getrost Star Wars raushalten können^^

na ja, so für´s erste^^

janw
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Di 25. Okt 2011, 13:50 - Beitrag #5

Die Vermengung von SciFi und Fantasy irritiert mich auch etwas, vielleicht soll damit einfach mehr Publikum für die ansonsten triviale Sache gezogen werden.

Mir scheint es auch eher eine sehr mainstreamig-amerikalastige Hitparade zu sein, der sicher das eine oder andere fehlt und deren Gewichtungen sicher zu hinterfragen sind.
Tolkien würde ich aber schon an höhere Stelle drin behalten, wenn er als...spiritus rector?^^ nicht vielleicht außer Konkurrenz steht.
Die Entwicklung der eigenen Sprache und Schrift geht für mich doch deutlich über vieles an anderen Werken hinaus.

Am meisten stört mich die Einbeziehung von Zukunfts-Romanen wie Brave New World, 1984 und Fahrenheit 459. Sie sind von ihrer Anlage und Absicht ernst zu nehmende Literatur, das Genre ist hingegen Unterhaltungsliteratur.
Etwas wie "Bolero", "Bilder einer Ausstellung" oder "Forellenquintett" in einer Hitliste ab 1800.

Perry Rhodan fehlt übrigens wirklich^^

Ipsissimus
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Di 25. Okt 2011, 17:09 - Beitrag #6

wenn Tolkien nicht so ... langweilig^^ wäre, würde ich dir bereitwilliger beipflichten^^ so ist er aber nur ein älterer Bruder eines Tad Williams, der womöglich noch langweiliger, wenn auch genauso langatmig ist^^

Traitor
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Di 25. Okt 2011, 20:26 - Beitrag #7

@Ipsi: Einige deiner Bemängelungen kann ich so unterschreiben. Insbesondere fehlt mir auch die Internationalität der Liste. Wie du schreibst, war das ja kaum anders zu erwarten, zumindest Lems Solaris mit einer existenten amerikanischen Verfilmung hätte man aber eigentlich erwarten können. ;) Viele klassische Serien fehlen, neben den von dir genannten Erdsee und -zauber zumindest noch Tad Williams' Osten Ard und Otherland und Zimmer-Bradleys Darkover. Und Fritz Leiber.
Einige andere der genannten Werke kenne ich nicht, kann sie also nicht beurteilen.

Über deine Tolkien-Ignoranz müssen wir aber ganz dringend nochmal reden. ;) Zumindest Jordan vor Tolkien zu stellen war hoffentlich nur ein Fehler in der "alle mit Ausnahme Gaimans"-Formulierung? "Rad der Zeit" ist doch lupenreine Massenware und zumindest am Anfang reine Abkupferei. Bei den anderen kann man vielleicht noch drüber diskutieren, auch wenn deine Einstufung Tolkien als literarisch-inhaltlich-philosophisch überrundet mir doch nach eher oberflächlicher Beurteilung klingt.

im Science Fiction Teil - ich verbeuge mich tief vor Adams und seiner Hitchhiker-Trilogie, aber das ist keine echte Science Fiction sondern irgendetwas anderes.
Womit wir, wie auch nachher bei den Dystopien, bei der Frage wären, was SF "echt" macht. Wenn man es rein auf den eigentlichen Begriffsinhalt beziehen will, interessiert sich Adams trotz allen Humorismus doch sogar deutlich mehr für die Science in seinen Werken als manch anderer, unhumoristischer Autor.

Zitat von Ipsissimus:den SF-Teil halte ich auch dahingehend für fraglich, dass Romane wie Brave New World oder 1984 mit aufgenommen wurden, die nicht wirklich SF sind.
Zitat von janw:Am meisten stört mich die Einbeziehung von Zukunfts-Romanen wie Brave New World, 1984 und Fahrenheit 459. Sie sind von ihrer Anlage und Absicht ernst zu nehmende Literatur, das Genre ist hingegen Unterhaltungsliteratur.
Wie hat es dieses Argument denn bitte plötzlich wieder aus der Mottenkiste geschafft? Dass alle klassische Musik E und aller Rock U ist, ist ja leider beim besten Willen nicht totzukriegen, aber das Literaturäquivalent, dass nicht nur Gegenwartssozialdramen E und nicht alle SF-Werke U sind, sollte doch eigentlich außer bei Reich-Ranicki und Stockholm inzwischen überall angekommen sein... Die drei großen Dystopien beschäftigen sich mit den sozialen Auswirkungen politischer, aber auch technischer Entwicklungen und sind damit nicht weniger SF als beispielsweise Asimovs Foundation, Heinleins Stranger oder Gibsons Neuromancer.

PS: Die SF-Fantasy-Vermengung der Liste finde ich gar nicht so schlimm, schließlich haben die beiden ja auch bei uns ein eigenes Forum, sehr praktisch. ;) Außerdem gibt es genug Werke auf der Liste (und abseits von ihr), bei denen die Zuordnung bei Trennung ziemlich schwierig wäre. Gerade die Überwindung von "Fantasy ist dumme SF" erlaubt doch, die beiden inklusive aller Zwischenformen gleichberechtigt und auf einer gemeinsamen Skala zu betrachten.

Padreic
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Di 25. Okt 2011, 23:57 - Beitrag #8

Bei Tolkien ist sicherlich ein Problem, das nur ein Bruchteil seines Schaffens zu Lebzeiten veröffentlicht wurde. Obgleich ich mich als Jugendlicher viel mit ihm beschäftigt habe, glaube ich gar nicht, seine Qualität voll zu erfassen. Es scheint jedenfalls klar zu sein, dass Tolkien, fasste man das Fantasy-Genre so eng wie janw die Science-Fiction, da mit seinem Gesamtwerk sicherlich nicht reinpasst. [übrigens finde ich den Zauberberg auch sehr langweilig, bezweifle trotzdem nicht, dass er gewisse literarische Qualitäten hat ;)]

Zur Genre-Diskussion will ich noch hinzufügen, dass ich Animal Farm noch deutlich deplatzierter finde als alle genannten Beispiele. Was soll das sein, Fantasy? Wo ist dann Aesop in der Liste? Ältere Sachen fehlen aber anscheinend allgemein: wo sind z. B. Dracula und Frankenstein? Größtenteils scheint das Genre der Fantasy hier von mittelalter-like moderner Fantasy her zu betrachtet zu sein, von komischen Ausnahmen wie Animal Farm abgesehen. Die Definition von Fantasy dürfte (wie von den meisten Genres) eine schwierige sein. Hinzu kommt, dass man großer Literatur traditionell kein Genre zuordnet (zu sagen, dass Moby Dick ein herausragendes Beispiel der Seemannsliteratur ist, würde normalerweise als Beleidigung fungieren...).

Ipsissimus
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Mi 26. Okt 2011, 10:57 - Beitrag #9

wie zu erwarten, ist die Positionierung steter Anlass zur Diskussion^^ aber du hast recht, Traitor, Jordan ist von den von mir genannten sicher der Schwächste, von daher bestehe ich nicht darauf, ihn öffentlich vor Tolkien einzustufen (würde es im stillen Kämmerchen aber weiter so machen^^)^^ und natürlich muss das eine offene Liste sein, mir fallen auch immer wieder Sachen ein, die "eigentlich" drauf gehören

Womit wir beim Thema Tolkien wären. Es steht zu befürchten, dass ich spätestens nach der Lektüre des Silmarillion als Fan für ihn verloren ging^^

Aus meiner Sicht ist die Fantasy Tolkiens verkappte christliche Mystik. Wir haben den einen Schöpfergott, Eru Ilúvatar, wir haben Engel, die Ainur, darunter die besonders mächtigen Erzengel, die Aratar, als Führungselite der Valar (jene Engel, die auf der Erde für Ordnung sorgen sollten) und last not least den Abgefallenen, Melkor den Mächtigen aka Morgoth, dann noch die Scharen niederer Diener, die Maiar, zu denen u.a. Sauron und Gandalf zählen. Und Manwe ist zwar kein direktes Äquivalent zu Jesus, steht aber von allen Ainur Eru Ilúvatar am nächsten und kann als sein höchster und eigentlicher Repräsentant, wenn schon nicht Inkarnation, auch auf der Erde gelten.

Christliche Mystik, angereichert mit einem Schuss heidnischem Pantheon, um die Eindeutigkeit zu nehmen. Und aus all dem schlussfolgere ich mühelos^^ dass die triefende Moral, die ich im Herrn der Ringe festzustellen mich gezwungen fühle, nicht zufällig hinein geraten ist, sondern als echte Botschaft gelten darf. Deren Anspruch zurückzuweisen ich mich berechtigt fühle^^das hat imo in Fantasy nichts zu suchen.

Wenn ich dann noch sehe, dass in Tolkiens Friendlist^^ der Name C.S. Lewis ganz oben steht, hege ich überdies für mich plausible Vermutungen, woher dieser Anspruch kommt. Lewis hat in seinen Narnia-Geschichten etwas ganz ähnliches versucht und es geschafft, christlichen Glauben in eine literarische Form zu gießen, die den Gehalt verschleiert, ohne ihm seine Wirkung im Sinne fundamentalistischer Auffassungen zu nehmen. Und es ist bekannt, dass ohne Lewis´ Einfluss der Herr der Ringe nie geschrieben worden wäre, da Tolkien keine Illusionen über seine literarischen Qualitäten hegte.

Von daher, Tolkien hat sicher seine Verdienste, aber für mich ist das nichts mehr, seit ich seine Hintergründe ein bisschen besser verstanden habe. Dass er ein Mit-Wegbereiter war, bestreite ich nicht, auch wenn es andere gab, wie Lovecraft, Howard oder Haggard, die Jahrzehnte vor ihm wichtige Fantasy oder Fantasy-artige Literatur schrieben. Aus dieser Perspektive finde ich die häufig zu findende Feststellung der Zentralität der Rolle Tolkiens für die Entwicklung moderner Fantasy als überzogen.

interessiert sich Adams trotz allen Humorismus doch sogar deutlich mehr für die Science in seinen Werken als manch anderer, unhumoristischer Autor
wie z.B. beim Bistromatic-Antrieb, auf der Grundlage reziprovers-exklusiver Zahlen?^^ ich will gerne glauben, dass der Hitchhiker Future Fiction ist, aber Science Fiction?

Und auch hinsichtlich der genannten Dystopien würde ich eher auf Future Fiction tippen. Wenn man die allerdings aufnimmt, muss ich wieder das Fehlen bedeutender Werke reklamieren, z.B. "Geschützte Männer" und "Malevil" von R. Merle oder "Der Report der Magd" und "Oryx und Crake" von M. Atwood, wobei vor allem das erstere und das letztere deutlich mehr "Science" enthalten als die anderen Dystopien zusammen

Na ja, solche gemeinsamen Listen fand ich in der Zeit, in der Fantasy noch zur SF gerechnet wurde, schon problematisch. Aber heute hat sie sich eindeutig von der SF emanzipiert. Sie in einer gemeinsamen Liste zu wichten hat für mein Empfinden etwas Vergleichbares wie die gemeinsame Listung von Reiseberichten und Liebesromanen^^

Bzgl der Schwierigkeiten der Zuordnung einiger grenzwertiger Literatur, vor allem aus der Anfangszeit und früherer Jahrhunderte, Zustimmung zu Padreic.

janw
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Mi 26. Okt 2011, 14:41 - Beitrag #10

Zitat von Ipsissimus:wenn Tolkien nicht so ... langweilig^^ wäre, würde ich dir bereitwilliger beipflichten^^ so ist er aber nur ein älterer Bruder eines Tad Williams, der womöglich noch langweiliger, wenn auch genauso langatmig ist^^

Bezüglich des transportierten Weltbildes gebe ich Dir recht, das ist kritikwürdig.
Zur Langatmigkeit...die Welt der Hobbits ist nun mal etwas langsamer als unsere, könnte man doch auch beschaulich finden, oder?^^

Zitat von Traitor:Die drei großen Dystopien beschäftigen sich mit den sozialen Auswirkungen politischer, aber auch technischer Entwicklungen und sind damit nicht weniger SF als beispielsweise Asimovs Foundation, Heinleins Stranger oder Gibsons Neuromancer.

Ich denke, der Focus liegt eben auf den politischen Entwicklungen, die technischen Gegebenheiten sind eben Ausdruck der Zukünftigkeit, reine Hilfsmittel der beschriebenen Machtapparate, vor denen zu warnen das eigentliche Anliegen der Autoren ist.
So gesehen, könnten diese Dystopien gut mit Animal Farm eine Gruppe bilden, in der eben die Botschaft durch die Tiere verschlüsselt ist.

Traitor
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Mi 26. Okt 2011, 15:57 - Beitrag #11

@Padreic:
Bei Tolkien ist sicherlich ein Problem, das nur ein Bruchteil seines Schaffens zu Lebzeiten veröffentlicht wurde.
Inwiefern? Weil dadurch die literarische Endqualität seines Restwerkes durch Fragmentierung und Fremdeditierung litt? Oder eher darauf bezogen, dass er auf die Rezeption keinen kommentierenden Einfluss nehmen konnte? (Viele der nötigen Klarstellungen wurden ja durchaus durch die Briefe vorab vorgenommen.)

Ähnlich deplaziert wie "Animal Farm" erscheint mir noch "Watership Down". Anscheinend wurden sprechende Tiere als ausreichendes Kriterium für Fantasy angesehen... Klassische Fabeln dürften am generell zu erkennenden Vor-Jules-Verne-Veto gescheitert sein.

@Ipsissimus: Ich bin bekanntlich kein wesentlich größerer Freund des Christentums als du, und Tolkiens und erst Recht Lewis' Moral ist nicht die meine. Dennoch spreche ich ihnen das Recht zu, diese in ihren Werken zu präsentieren, und sehe keinen generellen Qualitätsverlust darin. Insbesondere fände ich es unfair, christliche Ideologie auszusperren, andere Richtungen aber zuzulassen. Lewis übertreibt es teils wirklich (ich rate dir, niemals, niemals "Perelandra" zu lesen ;)), aber ich finde nicht, dass Tolkien penetranter den Katholizismus propagiert als Orwell den Antistalinismus, Zimmer-Bradley den Feminismus, Clarke oder Pratchett den Humanismus.

Lovecraft (der auf der Liste natürlich auch fehlt, Horror wurde wohl auch gezielt ausgeschlossen) und Howard haben ganz andere Traditionen der Fantasy beeinflusst als Tolkien, der stand eher auf den Schultern von MacDonald und Eddison.

wie z.B. beim Bistromatic-Antrieb, auf der Grundlage reziprovers-exklusiver Zahlen?^^ ich will gerne glauben, dass der Hitchhiker Future Fiction ist, aber Science Fiction?
Bei dem Antrieb weniger, aber der Babelfish und der Guide selbst werden beispielsweise durchaus auf einem Niveau diskutiert, das ernsterer SF würdig wäre. Als Hard SF würde ich DNA sicher nicht etikettieren wollen, aber mehr ins Detail gehen viele Klassiker bei ihrer Technologiebeschreibung auch nicht. Es geht ja meist weniger darum, wie eine Technologie etwas macht, sondern was sie macht und was daraus folgt.

Und auch hinsichtlich der genannten Dystopien würde ich eher auf Future Fiction tippen. Wenn man die allerdings aufnimmt, muss ich wieder das Fehlen bedeutender Werke reklamieren, z.B. "Geschützte Männer" und "Malevil" von R. Merle oder "Der Report der Magd" und "Oryx und Crake" von M. Atwood, wobei vor allem das erstere und das letztere deutlich mehr "Science" enthalten als die anderen Dystopien zusammen
"Science" mag im Englischen seine unglückselige Einschränkung auf Naturwissenschaften haben, dennoch gibt es genügend Werke, denen niemand den SF-Status absprechen würde, die primär soziale Entwicklungne behandeln. Die Psychohistorik aus Asimovs Foundation ist doch als zentrales Element wohl deutlich näher an Orwells Ingsoc als an einem neuen Raumantrieb oder Teleporter. Dune wäre auch als Grenzfall zu nennen, da geht es auch mehr um die Ideologien. Und Soma aus Brave New World fällt genaugenommen sogar unter die Sciences.
Merle erscheint mir nach deinen Wblig-Einträgen als ein wichtiger Aufnahmekandidat, ja. (Und steht auf meiner erweiterten Lektüreliste...) Aber "Der Report der Magd" von M. Atwood? Wie wäre es denn mit Platz 22, "The Handmaid's Tale" by Margaret Atwood? ;)

Vergessen vom vorherigen Beitrag:
ob die beiden erwähnten Pratchett-Bände wirklich den Gipfel seines Schaffens markieren, darf auch bezweifelt werden
"Small Gods" halte ich für den besten Einzelband der Scheibenwelt-Reihe, oder zumindest für den, der am besten rausgelöst betrachtet werden kann. "Going Postal" halte ich auch eher für einen Fehlgriff. Ein "The Discworld Series" wäre auf jeden Fall sinnvoller gewesen. Ach ja, ich mag Gaiman ja sehr, aber 4 Werke von ihm? Offensichtlicher Internet-Abstimmungs-Bias.

@Jan:
Ich denke, der Focus liegt eben auf den politischen Entwicklungen, die technischen Gegebenheiten sind eben Ausdruck der Zukünftigkeit, reine Hilfsmittel der beschriebenen Machtapparate, vor denen zu warnen das eigentliche Anliegen der Autoren ist.
Zusätzlich zu meinen obigen Einwänden an Ipsissimus könnte man zumindest bei 1984 noch anmerken, dass die historische Entwicklung den Fokus verschoben hat: die Warnung vor dem Stalinismus ist längst überholt, die vor der technischen Dauerüberwachung hält das Buch aktuell.
So gesehen, könnten diese Dystopien gut mit Animal Farm eine Gruppe bilden, in der eben die Botschaft durch die Tiere verschlüsselt ist.
"Animal Farm" ist eine pure Allegorie, 1984, BNW und Fahrenheit dagegen beschreiben neben ihrem Warncharakter auch in sich geschlossene und hochinteressante Welten.

Padreic
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Mi 26. Okt 2011, 21:07 - Beitrag #12

@Ipsissimus: Dass man Tolkiens Werk als fundamental christlich betrachten kann, ist sicherlich kein Geheimnis - Tolkien selbst schrieb (in einem Brief):
The Lord of the Rings is of course a fundamentally religious and Catholic work; unconsciously so at first, but consciously in the revision.
Dass das von C.S. Lewis kommt, siehst du, denke ich, falsch. Bekanntermaßen war Tolkien selbst maßgeblich an C.S. Lewis' Konversion zum Christentum beteiligt (was vielleicht auch seinen "Übereifer" erklärt). Als Tolkien mit den Arbeiten an dem, was später einmal das Silmarillion werden sollte begann, also noch im 1. Weltkrieg, war Lewis noch Atheist. Als ursprüngliche Motivationen geistern die Schaffung sowohl einer Mythologie für England als auch einer Heimstatt für seine Sprachen herum. Tolkien hat mit seinen Schriften sicherlich keine Konversionsabsicht gehabt; auch eine Gleichsetzung von Manwe mit Jesus halte ich absurd. Seine Absicht war vielmehr, "wahre Mythen" zu schreiben (wie er auch die Evangelien bezeichnete); es wäre da sicherlich heuchlerisch und unchristlich, das bewusst umzukehren, was man für wahr erachtet. Dass die Ablehnung der zugrundeliegenden Weltanschauung das Lesevergnügen trüben kann, verstehe ich, sollte aber niemals einziger Ausschlussgrund sein. Langeweile schon eher; ich fand das Silmarillion auch sicherlich nicht immer spannend, aber Stücke wie das Narn i chin Hurin haben mich schon überwältigt....

@Traitor: Dadurch ist viel von seinem Werk zersplittert in viele Versionen (was sich natürlich bei längerem Leben Tolkiens nicht geändert hätte) - für den Kenner mag das sogar ein zusätzlicher Reiz sein, für den Passanten kann das abschreckend wirken.

Zu den übrigen Werken würde ich mich liebend gern äußern, habe aber nur einen Bruchteil von gelesen. Manche Tipps haben aber anregend gewirkt.

Ipsissimus
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Do 27. Okt 2011, 10:38 - Beitrag #13

weitgehend Zustimmung, Padreic, meine Bemerkung zum Einfluss Lewis´bezog sich allerdings darauf, dass dieser Tolkien ermutigte, aus dessen Erzählungen für seine Kinder eine literarische Arbeit zu machen bzw. die bereits existierenden Vorgeschichten zusammenzufassen und zu einem größeren Werk zu bündeln. Ich vermute überdies allerdings, dass Lewis später, nach seiner Abkehr vom Atheismus und Zuwendung zum Christentum schon allein aufgrund seiner engen beruflichen Zusammenarbeit und privaten freundschaftlichen Bande ein stabilisierender Faktor für die religiöse Ausrichtung Tolkiens war.

Wie dem auch sei, natürlich hat jeder Autor das Recht, so viel von seiner persönlichen Ideologie in seinen Werken unterzubringen, wie ihm beliebt. Und ich habe das Recht, Werke genau aus diesem Grund zu kritisieren, zumal wenn von diesen Werken ein Übergriff, zum Beispiel durch eine obstruktive Moral, auf mich ausgeht. Dies erfolgt bei den Lewisschen Werken mit der großen Keule, bei Tolkien mit dem Skalpell, nichtsdestotrotz geschieht es, und ich kann mir angesichts der eigentlich sprachwissenschaftlichen Ursprünge der Tolkienschen Interessen immer noch vorstellen, dass das aufgrund des Einflusses von Lewis den Weg in Tolkiens Werk gefunden hat.

Das wäre auch meine Antwort an dich, Traitor. Es ist aus meiner Sicht nicht so schlimm, wenn persönliche Ideologie in Werken enthalten ist. Das schlimme entsteht, wenn diese Ideologie so eingearbeitet ist, dass daraus ein Übergriff erfolgt, unabhängig davon, ob einer bewussten Absicht folgend oder einer unbewussten Neigung und Schärfung der Darstellung. So etwas entsteht z.B. durch eine Mono-Perspektive auf die Geschehnisse, die so tut, als gäbe es keine diskutablen Alternativen zur Deutung der Geschichte.

Deine Warnung vor Perelandra kommt übrigens gut 25 Jahre zu spät^^

Mist, da habe ich die Atwood glatt übersehen^^

Traitor
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Do 27. Okt 2011, 15:10 - Beitrag #14

@Padreic: Dabei ist es wohl gerade dieser zusätzliche Reiz für Kenner, der Tolkien noch heute auf seine eigene Stufe stellt. Selbst wenn andere Autoren vielleicht bessere Romane geschaffen haben mögen, seine Welt bleibt weiter unerreicht.

@Ipsissimus: Wenn ich die Entstehungsgeschichten richtig in Erinnerung habe, hatte Tolkien den Hobbit schon aus eigenem Impuls als Roman ausgearbeitet und Lewis war dann nur einer unter mehreren, die die Veröffentlichung befürworteten, aber nicht der Ideengeber. Der Herr der Ringe war dann fast soetwas wie eine Verlagsauftragsarbeit. Und das restliche Legendarium hatte er ja bekanntlich für sich selbst in zig Ausfertigungen niedergeschrieben und veröffentlich wurde es nur posthum. Lewis war sicher der wichtigste Korrespondenz- und Gesprächspartner Tolkiens und die beiden haben sich viel beeinflusst, als Schrittmacher dafür, dass Tolkien überhaupt literarisch publizierte, halte ich ihn aber von dir für überbewertet.

Deinen "Übergriff" kann ich nicht ganz nachvollziehen, bzw. bin mir unklar, wo du die Schwelle dazu siehst. Gerade in der Phantastik finde ich selbst sehr starke Positionierungen erträglich, solange sie weltintern konsistent sind. Tolkiens Kosmos ist nunmal einer, in dem quasikatholische Moralvorstellungen absolut gelten, da es bekannte hohe Wesen gibt, die diese vertreten. Probleme habe ich nur, wenn der Autor als Autor mir als Leser Meinungen über die reale Welt aufdrängen will.

Damit betreibe ich quasi Apologetik der von dir kritisierten "Mono-Perspektive", das sehe ich ein. Und Welten, die eine solche haben, sind sicher weniger realistisch als pluralistisch angelegte. Aber dafür sind sie leichter konsistent zu halten, was wie im Falle Tolkiens den Realismusverlust mehr als ausgleichen kann.

Was mir noch fehlt, ist eine Antwort darauf, warum du ideologisch anders ausgerichtete Autoren nicht kritisierst. Nur dein gutes Recht auf persönliche Voreingenommenheit, oder siehst du diese auch sachlich als weniger "übergreifend"?

Zu Perelandra bemitleide ich dich dann herzlichst. ;) Mich zu "That Hideous Strength" durchzuringen, wird noch einige Überwindung kosten.

Ipsissimus
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Fr 28. Okt 2011, 12:04 - Beitrag #15

die Niederschrift vom Hobbit begann wohl erst 1930, auf der Grundlage besagter Kindergeschichten. Auch der Nachfolger, also der Herr der Ringe, war ursprünglich als Sammlung von Kindergeschichten angelegt, die dann allerdings kräftig erweitert wurden. In diesem letzten Kontext hatte C.S. Lewis einen starken Einfluss auf Tolkien.

Mag sein, dass der "Übergriff" als private Wahrnehmung und Bewertung gewertet werden muss. Aber es gibt andere Werke mit starkem moralischen Duktus, z.B. die Erdzauber-Trilogie, in der moralische Wichtung ein zentraler Aspekt der Spannungsbögen ist. In diesem Fall bleiben die moralischen Konflikte aber zwischen den Buchdeckeln, die Auseinandersetzung Morgons, des Landerben des Erhabenen, mit dem Volk des Erhabenen, den Erdherren, wird auf einer ethischen Ebene abgehandelt, und nie sind die Erdherren oder andere Gegner dabei bloße Monster, die in dieser Charakterisierung persönlich entwürdigt würden, obgleich sie natürlich eindeutige und anscheinend übermächtige Gegner sind. Aber Rendel liebt die Schönheit ihrer Macht, selbst Morgon kann sich dieser Schönheit nicht entziehen, obgleich er lernt, ihren Missbrauch zu fürchten.

Sprich, hier werden unterschiedliche Perspektiven nicht ausgeschlossen, McKillipp sagt mir nicht "Du musst das genau so verstehen wie Morgon oder der Erhabene das sehen, andernfalls bist du moralisch genauso verwerflich wie die Geschwister des Erhabenen." - Wenn du dich dagegen fragst, ob an Sauron und den Orks irgendetwas ist, das nicht als verwerflich zu charakterisieren wäre und nicht aus vollem Herzen antwortest "Selbstverständlich ist da alles ausschließlich verwerflich", teilst du schon fast selbst die orksche Verwerflichkeit, zumindest aus der Zielrichtung der Tolkienschen Moral. Ganz zu schweigen davon, dass das Buch dir permanent anbietet, die Entwürdigung der Orks zu wandelnden aggressiven Fleischmassen zu verinnerlichen.

Das entwertet den Herrn der Ringe aus meiner Sicht. Wenn ich religiöse Indoktrination will, gehe ich in die Kirche. Unter guter Fantasie stelle ich mir eben keine pseudoreligiösen Mythen vor sondern realistische Menschen oder andere realistisch gezeichnete intelligente Wesen in plausiblen Konfliktsituationen ohne religiöse Überhöhung.

Ich kritisiere ideologisch anders ausgerichtete Autoren nach genau dieser Maßgabe. Da, wo ich Übergriff bemerke, widersetze ich mich, und das Werk verliert. Da, wo nur dargestellt wird, mir aber überlassen bleibt, wie ich mich dazu positioniere, ist auch kein Widerstand notwendig. Davon, dass mich Autoren von ihren moralischen Positionen überzeugen könnten, kann sowieso keine Rede sein. Ich kreide es nur an, wenn die Überzeugung mit Mitteln der Manipulation versucht wird; und Mono-Perspektive halte ich für so ein Mittel.

Traitor
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Sa 29. Okt 2011, 11:09 - Beitrag #16

Auch bei dieser Formulierung erscheint es mir immer noch so, dass für dich der Inhalt den "Übergriff" ausmacht, und nicht die Art, in der der Autor ihn dem Leser präsentiert. Man kann doch genauso eine eindimensionale Welt neutral darstellen und es dem Leser überlassen, wie relevant er diese findet, wie man eine zweidimensionale durch Subtext oder gar explizite Formulierungen zum Einhämmern bestimmter Botschaften nutzen kann. Schließlich gibt es auch genügend Autoren, die in Büchern mit Realweltbezug Propaganda betreiben, obwohl da jeder halbwegs intelligente Leser weiß, dass es eigentlich eine Zweitperspektive gibt.
Vielleicht liegt ein entscheidender Interpretationsunterschied hier aber darin, als wie losgelöst voneinander wir beschriebene Welt und konkreten Text sehen, oder Werk und Autor?

Bei den Orks schwingt zumindest noch ein gewisses christliches Mitleid mit den Verdorbenen mit, und sie haben durchaus ihre (seltenen) menschlichen Momente, etwa, als Frodo gefangen genommen wird und Sam die Orks belauscht. Ob sie letztlich im christlichen Sinne erlösbar sind, hat Tolkien sich iirc lange Gedanken gemacht, die "Lösung" müsste ich nachrecherchieren. Sauron und Morgoth sind aber natürlich so böse wie der Teufel.

Vielleicht erscheint Mono-Perspektive mir auch einfach nur als so platte Manipulationsmethode, dass sie mir gar nicht als ernstgemeinte solche erscheint, sondern gerade wieder als reine Darstellung, während ich geschickte Manipulation bei vorgeblicher Offenheit für viel gemeiner halte und eher bei dieser Abzüge vergebe.

Ipsissimus
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Sa 29. Okt 2011, 11:53 - Beitrag #17

nein, der Inhalt ist es nicht, denn der reduziert sich, aller inneren Ergriffenheit und überlasteten Seufzens der Guten entkleidet, einfach nur auf die kriegerische Auseinandersetzung zweier Aratar um die Macht, ausgetragen auf dem Rücken einiger Maiar und anderer niederer Wesen, Kollateralschäden inklusive. Ist also eine sehr gewöhnliche Handlung, zumindest ihrer Struktur nach.

Man kann den Orks übrigens nur wünschen, dass sie nicht erlösbar sind, denn das hieße aufgrund der Tolkienschen Schlichtheit letztlich ja nur, dass sie das Weltbild der guten Seite annehmen und ihren Machthunger auf Grundlage geänderter Begründungen und teilweise eventuell gegen andere Gegner ausleben^^

Padreic
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Sa 29. Okt 2011, 12:34 - Beitrag #18

Hitler ist genauso gut wie Stalin ist genauso gut wie Barbarossa ist genauso gut wie Friedrich der Große ist genauso gut wie Erzberger ist genauso gut wie Gandhi ist genauso gut wie Buddha...

weder Morgoth noch Sauron sind übrigens rein böse

Ipsissimus
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Sa 29. Okt 2011, 13:01 - Beitrag #19

ist nicht gerade das das Problem, Padreic? Wenn Hitler, Stalin und derengleichen die Inkarnation der Bösartigkeit waren, muss dieser Umstand sich dann nicht allen neutralen Beobachtern ohne Indoktrination erschließen, einfach aus der sachlichen Darstellung der Geschichte? Wozu ist dann diese permanente Indoktrination notwendig? Vielleicht weil eben doch nicht so klar ist, dass die dieser Indoktrination zugrunde liegende Perspektive die einzig mögliche, nicht doch nur eine von mehreren Perspektiven ist?

Was glaubst du denn, wüsstest du heute von Hitler, hätten die Nazis den Krieg an allen Fronten gewonnen? Du würdest ihn für einen Heiligen halten.

Padreic
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Sa 29. Okt 2011, 15:38 - Beitrag #20

@Ipsi:
Letzteres ist denkbar, wenn auch nicht notwendig (inwiefern das noch dasselbe ich wäre wie das meinige in der Realität, ist eine andere Frage). Ohne Zweifel gibt es Leute, die auch bei Sichtbarmachung der Quellen Hitler noch quasi für einen Heiligen halten. Umgekehrt ihn für eine Inkarnation des Bösen zu halten, wäre aber natürlich genauso verkehrt. Wie jeder Mensch hatte auch er Motive, manche besser, manche schlechter. Wenn man aber überhaupt Bewertungsmaßstäbe an Handeln anlegen will, halte ich es für eine sehr vertretbare Position, die großen Züge seines Handelns als immer weiter ins Böse rutschend zu sehen - auch wenn, nicht mehr, als viele andere Leute auch, die nur weniger Erfolg im Zerstören und Töten hatten.

Auch Melkor und Sauron haben Motive und rutschen dabei immer weiter ab ins Böse; das natürlich nicht in menschlich-realistischer Weise, sondern in überhöhter. Bei Melkor der verletzte Stolz und der Zwang zur Unterordnung, der in einen Nihilismus und Zerstörungswahn umschlägt, bei Sauron der Wille zur Macht und Ordnung. Tolkien hat selbst betont, dass Melkor und Sauron natürlich nicht als das absolut böse zu sehen sind (allein schon, weil es so etwas nicht geben könne). Die Orks und ihr Handeln als absolut verwerflich zu betrachten, hätte Tolkien sicherlich als unchristlich bezeichnet.
Bei Silmarillion und Herr der Ringe muss man immer natürlich auch beachten, dass sie storyintern aus elbischer Sicht bzw. hobbitscher Sicht geschrieben sind; auch wenn Tolkien spürbar mit diesen Sichtweise sympathisiert, hindert einen niemanden daran, Sympathie für den frühen Melkor zu verspüren. Die Wertungen, die da sind, sind immer auch die der Erzähler, nicht nur des Autors. Der Leser kann sich diesen Wertungen auch entziehen, ähnlich wie er es vielleicht bei den 'Wohlgesinnten' machen würde. Beim Totenzählen von Gimli und Legolas an Helms Klamm liegt es z. B. vielleicht auch durchaus nahe.

Unter guter Fantasie stelle ich mir eben keine pseudoreligiösen Mythen vor sondern realistische Menschen oder andere realistisch gezeichnete intelligente Wesen in plausiblen Konfliktsituationen ohne religiöse Überhöhung.
Das ist dein gutes Recht, nur muss man eben konstatieren, dass ein realistischer Roman natürlich keinesfalls in Tolkiens Absicht lag (sogar das Wort 'novel' dafür zu verwenden, lag ihm fern). An Maßstäben des Realismus ist wohl auch der Faust kein Glücksgriff, geschweige denn die antiken Mythen...

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