Feanors Fluch

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Maglor
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Sa 2. Mär 2013, 19:43 - Beitrag #21

Zitat von Traitor:Das einzige halbwegs innovative, was Sauron zu bieten hat, ist seine effiziente Organisationsstruktur, aber auch die wird nur als Methode der Mängelverwaltung hingestellt, weil es ihm an Charisma und persönlicher, körperlicher Einflussnahme fehlt.

Im Ersten Zeitalter gibt es aber kein Charisma des Bösen und auch keine Versuchung im Sinne der Verführung.
Morgroth gelingt während der Edelsteinkriege in der Regel nicht mehr irgendwann zu verführen. Den größten Teil seines Gfolge hatte er da schon um sich geschart. Lediglich einige "Ostlinge" kann er auf seine Seite bringen.
Es gibt da einfach kein Verführungstopos. Wenn überhaupt gibt es nur eine Art Verhexung, etwa durch den Drachen Glaurung. Das Verhängnis der Noldor ist der Fluch des Mandos, der Eid Feanors und seiner Söhne, gff. noch diese wirklich bemerkenswert Gier nach Schmuckstücken.

Ganz anders ist da die Verführungs Sauron. Ihm gelingt es sogar edelste Numenorer ganz und gar auf seine Seite zu bringen. Selbst Noldor von edelstem Blut wie den Ringschmied Celebrimbor kann er kurzzeitig zu missbrauchen. Selbst für die Mitglieder des Weißen Rats stellt der Ring eine ernstzunehmende Versuchung dar, der nicht alle wiederstehen könnte.

Traitor
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So 3. Mär 2013, 12:58 - Beitrag #22

Kalendarisch gesehen im EZ tatsächlich nicht mehr viel, dafür umso mehr noch vor dem Fall der Bäume, also durchaus schon im Handlungsrahmen des Silmarillions. Danach, in Beleriand, bestand tatsächlich auf beiden Seiten zu viel Raserei, um noch groß Gelegenheit für Verführung zu haben. Und es wird iirc auch erwähnt, dass Morgoth seine schreckliche Gestalt nach den Verbrennungen durch die Silmaril nicht mehr ändern konnte, oder so ähnlich? Das wäre parallel zu Ex-Annatar Sauron nach Numenor. Ohne den Ring, der noch aus seiner früheren, verführerischen Ära stammt, wäre der späte Sauron wohl auch zu keinerlei Verführungen mehr in der Lage. (Die Süd- und Ostlinge wurden wohl mindestens so sehr gezwungen wie verführt.)

Maglor
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So 3. Mär 2013, 13:48 - Beitrag #23

Das mit der Raserei hast du schön ausgedrückt. Tatsächlich ist es die Raserei, die den Helden im Herrn der Ringe weitestgehend fehlt. Von einer solchen Raserei sind aber Thorin Eichenschild und der Waldelbenkönig durchaus noch bewegt. Im Herrn der Ringe gibt es irgendwie einen andere Art von Heroismus.

Die Geschichten im Silmarillion enden allesamt tragisch. Die Helden sterben einen Tod, der all zu oft auch noch sinnlos ist. Die großen Königreiche der Elben gehen allesamt unter und Earendils Seefahrt und seine Vorsprache bei den Valar führt schließlich sogar zum Krieg des Zorn, indem zu guter letzt noch das ganze Land in den Fluten versinkt.

Auf der anderen Seite tauchen natürlich in der Handlung des Herrn der Ringe viele Motive des Silmarillion wieder auf. Nicht zuletzt die Verbindung von Aragorn und Arwen vollendet einen Handlungsstrang, der einst in Gondolin und Doriath begann. Zu dumm ist es natürlich, dass diese Geschichte weitgehend in die Anhänge ausgelagert wurde.
Die Anhänge sind ein gutes Stichwort. Dort finden sich detaillierte Listen über die Aufzählung der Jahre, Stammbäume usw. Das Erste Zeitalter wird ausgelassen. Der größte Teil des dort aufgelisteten Materials wurde speziell für den Roman erfunden.


In diesem Video erklärt Christopher Tolkien die Beziehungen der Werke seines Vaters zu einander.
Der Hobbit war eigentlich nur eine Kindergeschichte. Wie von selbst, weil er sich ja so lange damit beschäftigt hat, fügte er einige Elemente seiner Elben-Mythologie - quasi weil es seiner Natur entsprach. Ganz neben entstand jene Landschaft mit dem Großen Strom, dem Düsterwald und den Nebelberge, die bei näherer Betrachtung wie ein recycletes Beleriand erscheint. (Auffallend ist es, dass im Hobbit kaum elbischen Namen vorkommen, nicht einmal der König der Waldelben wird mit seinem Namen genannt. Das ist geradezu atypisch.) Sogar Meister Elrond ist originäre Figur des Hobbit, dessen Hintergrund erst später weiter ausgearbeitet wurde. Diese ganze Mythologie um Isildur, Numenor, Gondor, Numenor usw. entstand quasi neben bei der Arbeit am Herrn der Ringe, der eigentlich nur eine einfache Hobbit-Fortsetzung werden sollte.
Anschließend war J.R.R. Tolkien viele Jahre damit beschäftigt die ältere Mythologie mit der jüngeren zu verknüpfen. Im Grunde gelang es ihm nie vollständig.

Traitor
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So 3. Mär 2013, 14:04 - Beitrag #24

Eine Spur der Raserei und Hybris findet sich bei Boromir, der aber natürlich recht früh abserviert wird, und Denethor. Beide sind aber wohl nur in einem eher weiteren Sinne Helden. Ansonsten ist das eben ein Aspekt des "Absinkens" - die Führer der freien Völker im HdR sind mehr kalkulierende Feldherren als rasende Einzelkämpfer, aber wiederum eher als Verlust eines Aspekts verstanden.

Sinnlos sind viele Tode im Sil nur auf den ersten Blick. Gerade Earendil ist ja eine Erlöserfigur, und viele Königsverluste dienen als Sühne für vergangene Taten oder dem Aufschub der Niederlage, bis andere genug gesühnt haben, um die externe Errettung für die Überlebenden in Reichweite zu rücken. Christliche Motive halt.

Was die Erfindungsreihenfolge angeht, müsste ich mein Wissen mal auffrischen. Elrond hatte ich für ein älteres Relikt gehalten (bezeichnend aber, dass im Hobbit nie "Bruchtal" oder "Imladris" gesagt wird) und zumindest bei Numenor bin ich mir sogar halbwegs sicher, dass es schon sehr frühe Vorläufer hatte - gab es nicht schon in den "Lost Tales" die Variante, dass Tol Eressea unterging, was sich dann schrittweise zur Akallabeth umwandelte...?

Maglor
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Mo 4. Mär 2013, 21:49 - Beitrag #25

Von Lost Tales habe ich "nur" die auf deutsch übersetzten ersten beiden Bände gelesen, Numenor kam da definitiv nicht vor.
Einiges kann man auch online nachschlagen. Vielsagend ist z. B. dieser Ardapedia-Artikel zur Entstehung der Figur Gil-Galad.


Über Earendils und die Entstehung seiner Mythologie wäre viel zu berichten, aber diese Geschichte ist ein Fass ohne Boden. :(
Ganz offensichtlich ist jedoch die Beziehung zwischen Aragorn und auch Arwen und eben jenem berühmten Vorfahren. Morgenstern, Abenstern, Elb, Mensch, Glaube, Liebe, Hoffnung.
Earendil verhält sich zu Aragorn wie Elia zu Jesus. Sie sind Zwillinge. (Das trifft allerdings auch nur auf die Earendil-Geschichte im veröffentlichten Silmarillion zu. In früheren Version scheitert Earendil an seiner Aufgabe und ist eher ein Tantal als ein Erlöser.)

Traitor
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Sa 9. Mär 2013, 12:54 - Beitrag #26

Gil-Galad war für mich immer so ziemlich der konturloseste Charakter in Tolkiens Werk, für seine bedeutende historische Rolle bekommt er erschreckend wenig Aufmerksamkeit.

Die Geschichtswissenschaftsgeschichte Numenors ist verwickelt, unterschiedliche Versionen finden sich in der HoME als "The Fall of Numenor and the Lost Road" (Band V, "The Lost Road and Other Writings"), "The Drowning of Anadune" (Band 9, "Sauron Defeated") und schließlich "The History of the Akallabêth" (Band XII, Peoples of Middle Earth).

Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang "The Lost Road" und "The Notion Club Papers", zwei Realwelt und Legendarium vermengende Erzählungen, die ich mir unbedingt mal in Gänze zu Gemüte führen müsste.

Tatsächlich scheint der ganze Numenor-Komplex auf die Ruinen von "The Lost Road" zurückzuführen zu sein, die 1937 ihren Anfang nahmen. Aber es gibt sogar eine kryptische Anmerkung, dass er da schon älteren "stuff I had written on the originally unrelated legends of Númenor" zur Hand gehabt haben könnte (HoME V, p.8 / Letters 257).

In diesem Zusammenhang taucht übrigens auch wieder der gute alte Aelfwine aus den "Lost Tales" auf - meine wohl falsche Assoziation, dass ein Prä-Numenor dort schon vorkam, dürfte sich daher erklären.

PS: Hier noch ein dahergelaufener Essay zum Thema.

Maglor
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So 10. Mär 2013, 12:58 - Beitrag #27

Tolkien selbst schuf seinen eigenen Mythos zur Entstehung bzw. zum Untergang Numenors. Ich meine jetzt nicht die Erschaffung des gelobten Landes im Westen durch die Valar, sondern die Neuschöpfung durch den Autor.
[INDENT]In sleep I had the dreadful dream of the ineluctable Wave, either coming out of the quiet sea, or coming in towering over the green inlands. It still occurs occasionally, though now exorcised by writing about it. It always ends by surrender, and I awake gasping out of the deep water. I used to draw it or write bad poems about it. When C.S. Lewis and I tossed up, and he was to write on space-travel and I on time-travel, I began an abortive book of time-travel of which the end was to be the presence of my hero in the drowning of Atlantis.[/INDENT]
So schrieb Tolkien in einen Brief Christopher Bretherton im Jahre 1964.
Am Anfang war der Traum der unausweislichen Woge die die Insel zerstörte. Den Traum Tolkiens träumten erst die Protagonisten der Zeitreise-Geschichte, später träumte ihn der Buch-Faramir, im Film schießlich Eowyn.
Die Atlantnis-Phanstie des Autors drang gewissermaßen gewaltsam in die bereits vollständig ausgearbeitete Mythologie Mittelerdes ein. Auf jenen Alptraum Tolkiens geht nach Angaben des Autors die gesamte unelbische Mythologie Numenors zurück. Wichtig ist vor allem, dass ganz am Anfang die Untergangsphantasie stand, die Erschaffung des Landes war bleibt ein eher uninteressanter, aber für den Untergang notwendiger Schritt.

Gil-Galad ist das Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Mythologien. Die Altvorderzeit war abgeschlossen, für alle Helden hat Tolkien eine bedeutungsvolle Todesart erdacht, außer vielleicht für Maglor. Daher bedürfte es eines neuen Königs der Noldor, um den Numenoren im letzten Bündnis zur Seite zu stehen. Sein Tod war natürlich nicht nur zur Nachfolge Fingolfins notwendig; das Noldor-Königtum musste auch ein Ende finden, um jene Situation mit dem letzten einsamen, halbelbischen Abkömmling Elrond, die er im Hobbit gezeichnet hat, zu ermöglichen.
Im Grunde sind Numenor und Beleriand getrennte Mythologien. Es liegt nicht nur an der unterschiedlichen Geografie oder an den nun in erster Linie menschlichen Protagonisten, sondern auch an den geänderten Themen.
Während die Helden der Altvorderzeit gewissermaßen physisch dem Bösen die Stirn boten und auch auf Rache oder Edelsteine aus warn, agierten die Numenorer auf einer religiöser Ebene und verfielen oder widersetzen sich dem Morgroth-Satanismus wie die Israeliten dem Baal-Kult. Hierbei bedient sich Tolkien allerdings eher alttestamentlicher Topoi als des platonischen Atlantnis-Mythos.

Tolkien war von Anfang an der Ansicht, dass es eine Beziehung zwischen der von ihm erdachten Mythologie der Altvorderzeit und der tatsächlich überlieferten Mythologie Europas, insbesonde Englands geben müsse.
Zuerst baute er Earendil als Missing Link zwischen elbischer und englischer Mythologie aus. Der letzte Held der Altvorderzeit sollte jene kryptische Gestalt der angelsächsischen Überlieferung. Eindeutige Missing Links, wie Aelfwine von England blieben weitaus unausgearbeitet und fragmentarisch. Durchaus verlinkt erscheint jedoch auch Numenor mit Atlantnis und Avalon.
Die Verknüpfug Mittelerde mit Mitteleuropa ist Tolkien allerdings meines Erachtens nie gelungen. Er hat sich in immer neue Zeitalter verrannt und die Verlinkung zu den Angelsachsen vernachlassigt. Der Punkt war glaube ich schon überschritten, als er die ursprüngliche Vorstellung verwarf, dass Beleriand Europa und Tol Eressea England sei.
Überhaupt war die Idee der Wandlung der Welt - als eine Vermischung aus moderner Plattentektonik, biblischen Strafgerichts und tolkienscher Träumerei - diesbezüglich der schädlichste Einfall, da so jede Unähnlichkeit der Altvorderzeit mit dem antiken Abendland möglich und erklärbar war. So hielt er noch bei der Karte Mittelerdes im Herrn der Ringe an der Vorstellung fest, aus dieser offensichtlich erfundenen Landschaft sei in der Fiktion das Europa entstanden, wie wir es heute kennen. Bezeichnend ist, dass "The lost road" - wahrscheinlich der am weitesten gehende Versuchs einer solchen Verknüpfung - als Hobbit-Nachfolger, d. h. als Roman zur Veröffentlichung, geplant war. Statt Numenor als Verknüpfung zu den Angelsachsen zu verwenden, kam ihm jedoch bald der Einfall durch die Numenorer, eine Verknüpfung seiner alten Elben-Mythologie mit dem Hobbit-Roman herzustellen, wobei er sich mal eben das 2. und 3. Zeitalter aus den Fingern sog.
Das war natürlich eine unvorstellbare Fleißarbeit, denn der Hobbit war eine ziemlich wahllose Verwurstung von Motiven seiner erfundenen Elben-Mythologie und der überlieferten Nordischen Mythologie. Dass die Zwerge ganz offensichtlich nordische Namen trugen, passte mit seiner auf Phantasiesprachen basierenden Welt nicht zusammen und störte ihn gewaltig. Das Problem löste er schließlich mit der Fiktion der ins nordische oder altenglische übersetzten Namen aus dem Westron und den anderen Phantasiesprachen.
So müsste am Ende des Herrn der Ringe natürlich der Übergang zur überlieferten Mythologie stehen. Und das ist auch der Fall. Mit der Abfahrt der Elbenschiffe von den Grauen Anfurten in wahren Westen, wird die sehr alte Idee Tolkiens einer Ablösung der Zeit der Elben durch die Zeit der Menschen wiederaufgriffen. Eine Erklärung dessen, wie aus dem wiedererichteten Königreich der Dunédain irgendwann das alte Europa mit seinen bekannten Landschaften und Sprachen werden sollte, blieb Tolkien seinen Lesern schuldig.

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