Vor drei Wochen war ich in Richard Wagners
Lohengrin (in der Wiener Staatsoper).
Die Besetzung war hervorragend, und auch Wagners Musik läßt einen nicht los. Das "Nicht sollst du mich befragen"-Motiv kam mir über die folgenden Tage ständig in den Sinn, und ist wohl nie mehr ganz zu löschen. *summ* Johan Botha, der die Titelrolle sang, war der einzige, dem ein etwas größerer Fehler unterlief - aber seiner sängerischen Gesamtleistung tut das keinen Abbruch (und war bis zum Applaus vergessen).
(Zur Handlung: Elsa von Brabant wird vom Grafen Telramund vor König Heinrich angeklagt, sie habe ihren Bruder Gottfried verschwinden lassen. Der Streitfall soll durch ein Gottesurteil [=Zweikampf] entschieden werden; nachdem sich niemand aus Brabant bereiterklärt, für Elsa zu kämpfen, obwohl ihre Hand angeboten wird, erscheint ein Ritter in einem von einem Schwan gezogenen Nachen, und besiegt Telramund. Er willigt ein, sie zu heiraten, aber unter der Bedingung, "Nie sollst du mich befragen", wie er heiße und von wo er komme, was sie schwört. Da Telramunds Lüge als erwiesen gilt, wird dieser mit seiner hexenden Frau Ortrud des Landes verwiesen, aber beide unternehmen mehrere Ränke gegen die beiden. Ortrud schafft es, in Elsa Zweifel an der Abkunft ihres unbekannten Geliebten zu säen, provoziert einen Eklat. Elsa bricht ihren Schwur und fragt, wie er heißt. Da kommt Telramund dazu, unternimmt ein Attentat auf den Ritter, das aber fehlschlägt, er selbst kommt um. - Am nächsten Tag tritt das Volk wieder zusammen, der Ritter enthüllt seinen Namen und seine Abkunft: Er ist Lohengrin, der Sohn des Gralskönigs Parzival, und müsse jetzt, da Elsa den Schwur gebrochen habe, wieder zurück zum Gral. Der Schwan schwimmt wieder heran. Da tritt Ortrud auf und jubelt, Elsa sei einfach zu blöd; wäre Lohengrin länger geblieben, hätte er sicher noch Elsas Bruder gerettet. Lohengrin betet, und der Schwan verwandelt sich in Gottfried zurück. Der Vorhang fällt.) Ich hatte mich mit einem Stehplatz begnügt, aber glücklicherweise vor mir ein so freies Blickfeld, daß ich auch auf der Stufe sitzend gut genug sehen konnte, um die freie Wahl zu haben. Wenn ich stand, sah ich die ganze Bühne und das gesamte Orchester, was für viele Sitzplätze (etwa alle im Parkett) naturgemäß nicht gilt. Gut sehen zu können, lohnte sich: Die Inszenierung war reichlich umstritten (das Wiener Publikum ist konservativ) - hier ein Bild des Schwans:
[align=center]
[/align]
Dementsprechend die Reaktionen, ich zitiere aus der Premierenkritik des 'Standard':
"Die Sänger, allen voran Johan Botha in der Titelpartie, wurden stürmisch bejubelt, die Inszenierung wurde vom Publikum einhellig mit wütenden Buhrufen quittiert." (Es folgt ein ziemlicher Verriß der Inszenierung.) Diese Aufregung hatte sich inzwischen gelegt, aber ich hörte schon vor der Oper spöttische Bemerkungen von Besuchern wie "Ach, Sie san doch a nur wegn der Musik do?"
Ich konnte deutlich entgegnen, daß ich auch zum Sehen gekommen sei - und fand, daß es sich auch lohnte. Daß das Bühnenbild sich auf die Farben schwarz und neongelb reduzierte, also alle Requisiten (abgesehen von den schwarzen Stühlen und Bäumen im ersten Akt) aus neongelbem Plastik bestanden, die Sänger dagegen komplett in Schwarz erschienen (Elsa in Weiß), war etwas gewöhnungsbedürftig, aber mE völlig legitim für eine Traumwelt, die der Regisseur erschaffen wollte, um die Verbindungen, die das Stück zwischen Geschichte und Mythos knüpft, zu erklären.
Eine etwas freiere Ausdeutung des Librettos bestand darin, daß Elsa in der Inszenierung blind war. Der Regisseur kam (laut Interview) darauf, weil ihm aufgefallen war, daß es in dieser Oper so viele Rufe und Anreden gebe, was er mit nicht-Sehen erklärte. Ich sprach mit mehreren Opernbesuchern, die diese Veränderung des Stücks völlig daneben fanden, ich selbst begrüßte sie: Elsa ist eine sehr schwache, haltlose Gestalt, für eine weibliche Opernfigur des 19. Jhs. wohl ausreichend, aus heutiger Sicht aber einfach ein hilfloses Dummchen. Sie zu einer Blinden umzudeuten, war mE eine treffende Erklärung ihrer Schutzbedürftigkeit.
Auch für meinen Geschmack nicht unbedingt notwendig war, daß Gottfried (repräsentiert durch eine Puppe in embryonaler Haltung) am Schluß in einer tropfenförmigen Glasblase heruntergelassen und im entsprechenden Moment hell erleuchtet wurde. Den Sinn dahinter habe ich nicht vollständig gesehen. Aber vermutlich sollte hier die Verwandlung irgendwie gebrochen werden. Nun ja. Der Schwan spielte übrigens eine eher untergeordnete Rolle, das tatsächliche Transportmittel war in dieser Inszenierung eine großgliedrige Kette, natürlich - wie könnte es anders sein - aus neongelbem Plastik.