IS / Daesh - strategische Aspekte

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Mo 4. Mai 2015, 21:38 - Beitrag #1

IS / Daesh - strategische Aspekte

Aus dem NATO-Thread:

Zitat von Ipsissimus, 28 Apr 2015 09:57:Der IS wird immer mehr zu einer realpolitischen Größe. Nicht dass ich das für sympathisch finde, aber zur Kenntnis nehmen sollte man vielleicht, dass sich der IS nicht mehr einfach wegpusten lassen wird.


Zitat von Maglor, 28 Apr 2015 18:35:Der IS ist eine realpolitische Größe, die man einfach wegpusten kann. Warum sollte es ausgerechnet dem Kalifen von Isistan anders ergehen als Gaddafi, Milosevic und Saddam Hussein? Selbst Charles Taylor verschwand durch nur einen Schnips mit dem Finger von der politschen Bildfläche. Ich glaube sehr wohl, dass jenes westliche Bündnis dazu in der Lage ist, dem IS Einhalt zu gebieten. Unsere Soldaten sind genauso gut oder besser ausgebildet und bewaffnet wie die vom IS. Die Regierungen wissen das ganz genau, weil ja bekannt ist, dass die meisten IS-Kämpfer gar nicht aus Syrien kommen.


Zitat von Lykurg, 29 Apr 2015 08:41:Unsere Soldaten sind erheblich besser ausgebildet und ausgerüstet als die des IS - daran sollte es keinen Zweifel geben, auch wenn die Bundeswehr noch so viele Engpässe und Qualitätsmängel beanstanden muß. IS bzw. Daesh (ich mag die Bezeichnung) basiert gerade auf seinen losen Strukturen, guerilla-artiger Einsatz von wenig ausgebildeten, irregulären, aber hochgradig mobilen Trupps, etwa Pickups mit aufgeschraubten Maschinengewehren, mit denen er Angst und Schrecken verbreitet, und Verwendung von Kurieren statt abhörbaren Telekommunikationsmitteln. Das macht ihn - bei hinreichendem Rückhalt aus der Bevölkerung oder aber bei wirksamer Schreckensherrschaft - lokal stärker als das westliche Bündnis bzw. schwer zu bekämpfen.

Dazu kommt, daß der Westen zivile Verluste um jeden Preis zu vermeiden suchen muß - sowohl seiner eigenen Öffentlichkeit als auch der in der arabischen Welt zuliebe - während Daesh sich darum nicht in allzu auffälligem Maße kümmert. Könnte der Westen seine Drohnen so rücksichtslos einsetzen wie Daesh seine Rollkommandos, wäre der Konflikt wahrscheinlich relativ schnell in den Griff zu bekommen...


Zitat von Ipsissimus, 01 Mai 2015 13:217:Ich denke, ihr macht es euch mit der Bewertung des IS zu einfach. Die wären nicht so lokal erfolgreich, wenn sie gegen die Bevölkerung dort herrschten. Die Achillesferse der Gadhaffi & Co GG war immer, dass sie gegen ihre eigenen Bevölkerungsmehrheiten herrschten. Das ist im Herrschaftsbereich der IS nicht gegeben. Das ist sogar etwas, das ihm eine gewisse Legitimität verschafft, sofern man Volkeswille über Staatswille stellt.


Zitat von Lykurg, 03 Mai 2015 13:57:Hast du einigermaßen glaubwürdige Angaben dazu, inwieweit Daesh die Zustimmung der Bevölkerung der von ihm kontrollierten Gebiete besitzt? Ich mache mir keine Illusionen darüber, daß es einen erheblichen Anteil an Unterstützern und Mitläufern gibt, würde aber zunächst einmal vermuten, daß der größte Teil der Bevölkerung primär in Ruhe gelassen werden will, daß sehr viele unter der Willkürherrschaft von Daesh zu leiden bzw. von ihren Verbrechen direkt oder indirekt betroffen sind und, bei aller kritischer Einstellung gegenüber dem Westen, deswegen noch lange nicht eine Organisation unterstützen, die auch von sehr vielen gemäßigten Muslimen - und maßgeblichen islamischen Autoritäten z.B. in Kairo und Teheran als gottlos dargestellt wird.

Sicher haben sie viele Unterstützer, was es auch schwer machen dürfte, sie zu verfolgen - und darüber hinaus eine Schreckensherrschaft, wie von mir erwähnt. Aber einen Mehrheitswillen sehe ich nicht - und außerhalb (ex-)sozialistischer Länder würde eine Wahl unter den dort herrschenden Bedingungen wohl auch nicht anerkannt. ;)


Zitat von Maglor, 03 Mai 2015 16:51 :
Zitat von Ipsissimus:Die Achillesferse der Gadhaffi & Co GG war immer, dass sie gegen ihre eigenen Bevölkerungsmehrheiten herrschten. Das ist im Herrschaftsbereich der IS nicht gegeben.

Da Oppositionelle und Andersgläubige durch den IS weitgehend ausgemerzt oder vertrieben werden, könnte man meinen, dass sie die Zustimmung der verbliebenen Bevökerung haben.
Das ist aber meines Erachtens so nicht der Fall. Die Syrien wird der IS vor allem durch ausländischen Kämpfer gestützt. Im Irak kämpft der IS gegen die demokratisch gewählte Regierung. Auf der anderen Seite sind weite Teile des Irak kampflos in die Hände des IS gefallen und ausländische Kämpfer spielen dort keine so starke Rolle wie in Syrien.

Zitat von Lykurg:Dazu kommt, daß der Westen zivile Verluste um jeden Preis zu vermeiden suchen muß - sowohl seiner eigenen Öffentlichkeit als auch der in der arabischen Welt zuliebe - während Daesh sich darum nicht in allzu auffälligem Maße kümmert.

Wenn der "Westen" zivile Verluste um jeden Preis vermeiden wollte, würde er nicht ständig mit Drohnen unbekannte Ziele im unbekannten Terrain angreifen.
Daesh kümmert sich durchaus um zivile Verluste und die Wirkung in der Öffentlichkeit. Ethnische Säuberungen und die Hinrichtung von Gefangenen sind Teil des Programms und werden von der eigenen Propagandaabteilung bekannt gemacht.


Zitat von Lykurg, 03 Mai 2015 18:52:Drohnenangriffe gegen Unbekannte in unbekanntem Terrain haben den Vorteil, daß sie gute Chancen haben, unbekannt zu bleiben. Folgerichtig entfällt dann die von mir genannte Begründung einer Vermeidung von Kollateralschäden.

Die eher niedrig priorisierte 'Vermeidung ziviler Verluste' seitens Daesh war ein bewußtes Understatement meinerseits. - Ich frage mich, wann zuletzt in der Weltgeschichte derart offensiv mit eigenen verübten Greueln gegen die Zivilbevölkerung Werbung gemacht wurde. Möglicherweise das eine oder andere Massaker in den Kolonialkriegen, die Niederschlagungen von Hereroaufstand oder Boxeraufstand zum Beispiel? Aber es dürfte keine Fotos ermordeter Hererofrauen-/kinder in der deutschen Tagespresse gegeben haben. - Die Konquistadores? Ich glaube, die nahmen kein Blatt vor den Mund. - Ansonsten vielleicht die Mongolen, keine Ahnung, wie deren Selbstdarstellung aussah.

Zurück zur Nato: Nein, in Syrien stößt sie klar an ihre Grenzen. Ihre traditionellen Aufgaben nimmt sie in der Rußlandkrise wahr, auch da kann man über ihre Eignung diskutieren, aber sie hat zumindest eine klare Funktion.

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Mo 4. Mai 2015, 22:29 - Beitrag #2

Zitat von Lykurg:Ich frage mich, wann zuletzt in der Weltgeschichte derart offensiv mit eigenen verübten Greueln gegen die Zivilbevölkerung Werbung gemacht wurde. Möglicherweise das eine oder andere Massaker in den Kolonialkriegen, die Niederschlagungen von Hereroaufstand oder Boxeraufstand zum Beispiel? Aber es dürfte keine Fotos ermordeter Hererofrauen-/kinder in der deutschen Tagespresse gegeben haben. - Die Konquistadores? Ich glaube, die nahmen kein Blatt vor den Mund. - Ansonsten vielleicht die Mongolen, keine Ahnung, wie deren Selbstdarstellung aussah.


Der Vergleich mit den Konquistadoren ist ziemlich gut. Der größte Kritiker der Gräuel der Konquista war seinerzeit die Kirche. Die Akteure selbst sind auf gewisse Weise mit den Jihad-Touristen vergleichbar, die in die Ferne ziehen und ein fremdes Land plündern.

Werbung wurde früher nicht so viel gemacht. Komm zum Deutschen Orden, heftet euch das Kreuz an, plündert Kurland und Livland, fangt Sklaven, errichtet eine eigene Herrschaft ...
Der Ordensstaat ist der Daesh des Abendlandes. Ich habe keine Zweifel. :crazy:

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Di 5. Mai 2015, 11:36 - Beitrag #3

Zitat von Lykurg:Sicher haben sie viele Unterstützer, was es auch schwer machen dürfte, sie zu verfolgen - und darüber hinaus eine Schreckensherrschaft, wie von mir erwähnt. Aber einen Mehrheitswillen sehe ich nicht - und außerhalb (ex-)sozialistischer Länder würde eine Wahl unter den dort herrschenden Bedingungen wohl auch nicht anerkannt.


Die wenigsten arabischen Regierungen sind nach europäischen Standards irgendetwa anderes als Schreckensherrschaften, am allerwenigsten sogar unser großer Verbündeter dort, Saudi-Arabien. Wenn wir nicht mehrerlei situative moralische Standards bemühen würden, müssten wir alsbald auch Riad bombardieren lassen.

Die Legitimität der irakischen Regierung darf durchaus für fraglich gelten; die Art und Weise, wie die letzten Wahlen dort durchgeboxt wurden, lässt durchaus zweifeln. Möglicherweise sieht das eine dortige Bevölkerungsmehrheit genauso und sagt sich, dass sie solche Wahlen nicht braucht? Und merkwürdig, merkwürdig, diese Fraktionsgrenzen laufen komischerweise entlang der Streitlinie Sunniten-Schiiten, stecken also im Kern jenes Religionskrieges, der durch das entschiedene moralische Agieren der USA dort überhaupt erst ermöglicht wurde. Und ich bin sicher, die USA haben Saddat damals zu Tode gestreichelt^^

Letztlich läuft es darauf hinaus, dass es dort eine "Großlage" übelster Interessenkonflikte gibt, die durch die strategischen Ambitionen der USA sowohl ermöglicht als auch verfestigt wurden. Jetzt einfach nur "der IS ist böse" zu rufen, ist einfach zu einfach. Letztlich ist der IS ein Spiegel, in dem wir uns selbst sehen.

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Mi 6. Mai 2015, 21:31 - Beitrag #4

Nicht alle Gegner von Daesh sind Schiiten.
Die Mehrheit der Kurden sind sunnitische Muslime. Ein Teil der kurdischen Kämpfer ist ebenfalls dem Islamismus zuzuorden.
Die Al-Nusra-Front ist ebenfalls ein Vertreter des Jihadismus nach Al-Kaida-Art.

Wer gerade gegen wen ist, ändert sich ständig. Zurzeit ist es so, dass Daesh im Irak mit den alten Vertreters des Baath-Regimes zusammen arbeitet. In Syrien bekämpft Daesh das Baath-Regime. Al-Nusra-Front und Daesh waren mal Verbündete, mal Gegner. Gelegentlich unterstützt Israel die Al-Nusra-Front im Kampf gegen die Hisbollah. Zurzeit rüsten westliche Staaten die kurdischen Peschmarga aus, dabei waren die von einigen Monaten noch die bösen.
Wer weiß, was im laufe des Jahres passiert. Vielleicht wendet sich das Blatt. Die PKK schließt sich mit Daesh zusammen und nennt sich Anubis. Vielleicht greifen die Hisbollah zusammen mit der Al-Nusra-Front Israel an. Möglichkeiten gibt es ja viele. Morgen ist vielleicht Assad II. zur Abwechslung der Gute. :crazy:

Traitor
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So 10. Mai 2015, 11:35 - Beitrag #5

Maglors letzter Beitrag fasst gut zusammen, dass die Situation dort fast nur noch mit dem Dreißigjährigen Krieg zu vergleichen ist. Alle gegen alle, auch die großen Nachbarn mischen gerne mit, meist entlang von Religionslinien, aber je nach taktischem Kalkül auch gerne mal orthogonal dazu. Nur die entscheidend zur anfänglichen Destabilisierung beitragende US-Intervention ist eine Neuerung, die Grausamkeit gegenüber der Zivilbevölkerung orientiert sich dagegen eng am Vorbild. Perspektiven, die Zahl 30 zu unterbieten, zeigen sich derzeit leider kaum...

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So 10. Mai 2015, 14:05 - Beitrag #6

Die massive zusätzliche Destabilisierung von außen gab es im dreißigjährigen Krieg ja auch, wobei die meisten Beteiligten irgendwo auch Nachbarn waren - aber das liegt in der Natur der Sache eines europäischen Krieges. Frankreichs Unterstützung Schwedens, die eher auf eine Schwächung des deutschen Reiches als auf direkte Gewinne abzielte, wäre so ein mittelbarer Einfluß, Spanien wohl noch am ehesten eine 'von außen' agierende Großmacht, wenn auch durch die Spanischen Niederlande (vgl. Saudi-Arabien?^^) direkter Anrainer.

In der Grausamkeit gegen die Zivilbevölkerung und in der Zerstörungswirkung ist die Parallele noch deutlicher, ja - allerdings fehlt mir eben der Aspekt, daß die Beteiligten Greuel gegen die Zivilbevölkerung zwar verübten, aber nicht unbedingt planmäßig durchführten, um damit für sich 'Werbung' zu machen. Brandschatzungen und Ausplünderungen von Städten und Dörfern zur Lösegelderpressung gingen allerdings schon deutlich in die Richtung und dienten indirekt auch zum Anwerben von Söldnern. Tillys Begriff der "Magdeburger Hochzeit" wäre tatsächlich der IS-Propaganda vergleichbar, allerdings berichten zeitgenössische Quellen, daß selbst Tillys Truppen teilweise ein Abscheu davor erfaßte. Pappenheim dagegen, der wohl einen wesentlichen Teil der Verantwortung hatte, schrieb: "Ich halt, es seyen über zwaintzig Tausent Seelen darüber gegangen. Es ist gewiß, seyd der Zerstörung Jerusalem, kein grewlicher Werck und Straff Gottes gesehen worden. All unser Soldaten seind reich geworden. Gott mit uns."

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So 10. Mai 2015, 14:10 - Beitrag #7

Ich gehe davon aus, dass sich Daesh derzeit mit Plündungen und Sklaverei die Herrschaft sichert. Es ist nicht so, dass auf diese Weise die Opposition praktisch ausgerottet wird. Durch die Neuverteilung des Eigentums erhöht sich auch die Verbindlichkeit der Gefolgschaft. Wenn sich ein harmloser Syrer oder Iraker auf diese Weise bereichert hat, ist ein Ausstieg aus dem Kalifatssystem nicht mehr möglich. Massive Formen der Gewalt haben eine eigene Dynamik. Die ausländischen Kämpfer können vielleicht immer noch die Koffer packen und nach Berlin oder Tripolis zurückkehren, aber für ein einheimischen Daesh-Kampfer gibt nur eine Option. Im Falle einer Niederlage erwartet sie die Rache der Sieger, aber ein echter Jihadist sieht seinem Martyrium mit Freude entgehen.

Traitor
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So 10. Mai 2015, 14:24 - Beitrag #8

@Lykurg: Frankreich und Schweden hatte ich als Analoge zu Iran, Türkei und Saudi-Arabien als "auch die großen Nachbarn mischen gerne mit" einsortiert. Am Ausbruch des 30jährigen waren sie aber meines Wissens nicht in mit den USA im Irak vergleichbarem Ausmaß beteiligt; sicher hießen sie ihn willkommen, aber immerhin waren sie nicht einmarschiert und hatten den Kaiser hingerichtet.
Dass Propaganda mit den heutigen Kommunikationsmitteln besser funktioniert, ist wenig überraschend; ebensowenig würde es mich überraschen, wenn viele der führenden Figuren von damals mit den Mitteln von heute ganz genauso umgehen würden.

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So 10. Mai 2015, 16:52 - Beitrag #9

immerhin waren sie nicht einmarschiert und hatten den Kaiser hingerichtet.
Das hätte in dem Fall wahrscheinlich auch deutlich besser geholfen, jedenfalls wenn es Ferdinand II. getroffen hätte, hätte der Krieg wesentlich kürzer ausfallen können. Aber ja, ich gebe dir recht, insofern war die Ausgangsposition schon deutlich anders.

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So 10. Mai 2015, 22:12 - Beitrag #10

Das eigentlich interessante an Daesh ist, dass es vor Länder- und Kulturgrenzen nicht halt macht. Sprich sie finden international zulauf. Besonders beeindruckend ist, dass sich andere Rebellengruppen (u. a. Boko Haram) in ganz anderen Teilen der Welt dem potenten Kalifat freiwillig unterworfen haben. Dass ist schon eine ganze andere Richtung als z. B. die Taliban, die sich stark an alte paschtunische Regeln hielten und mit Pakistan mindestens 10 Jahre lang einen echten Mäzen hatten. Es ist mir jetzt kein Staat bekannt, der Daesh irgendwie auch vergleichbareweise unterstützt. Es ist viel mehr der Fall, dass Daesh als irakische Al Kaida angefangen hat und dann nach Syrien eingedrungen ist, inzwischen aber auch nach Libyen und in den Sinai. Daesh hat keinen Schurkenstaat im Rücken, sondern ist selber einer.

Es heißt es gelingt Daesh Privatpersonen auf aller Welt für sich zu begeistern. Anders als frühere Phänomene (z. B. Sauerlandzelle) scheint Daesh nicht als Terrororganisation oder Klub außerhalb der Kampfgebiete greifbar.

Der Jihad ist allerdings nicht alles. Es gibt offensichtlich auch eine panarabisch-nationalistische Ausrichtung. Deutlich wird dies nicht nur durch dem Dauerkonflikt mit kurdischen Gruppen, sondern noch mehr durch die Massaker an Turkmenen im Irak. Besonders im Irak spielt sich ein arabisch-sunnitischer Revisionismus eine Rolle, da der Irak nach dem Sturz Saddams von Schiiten und Kurden dominiert wurde. Die USA spielt gar keine so große Rolle. Daesh und seine Vorgänger richteten ihre Gewalt schon während der Besatzung in erster Linie gegen irakische Schiiten, Christen usw. (Der Jihad gegen die Schiiten spielte bei Osama bin Ladens alter Al Kaida hingegen kaum eine Rolle. Ihn hat erst Al Sarkawi eingeführt.)

Um so verwunderlicher ist die Zusammenarbeit der einheimischen und ausländischen Kämpfer. Die Tschetschen, Nordafriker, Europäer usw. von Daesh haben vorher wahrscheinlich noch nie Jesiden, Marscharabern, irakischen Turkmenen usw. gehört und kommen meistens auch noch aus Ländern in denen es keine schiitischen Gemeinschaften von Bedeutung gibt. Im Zweifel kann es dem internationalen Jihadisten aber auch egal sein, wofür er eigentlich kämpft, so lange er ins Paradies kommt.

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Fr 29. Mai 2015, 22:20 - Beitrag #11

Es ist mir jetzt kein Staat bekannt, der Daesh irgendwie auch vergleichbareweise unterstützt.
Immerhin besteht die Möglichkeit, daß die Türkei sich um den Posten bewirbt. Zwar ist unklar, für wen genau die Waffen und Ausrüstung bestimmt waren, Assad und die Kurden dürften aber ähnlich unwahrscheinlich sein...

Maglor
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So 31. Mai 2015, 20:20 - Beitrag #12

Es gibt ja nicht wenige Rebellengruppierungen in Syrien. Die ein oder andere wurden massiv von der Türkei, arabischen und nordafrikanischen Staaten unterstützt.
Daesh ist auch keineswegs der einzige Klub mit ausländischen Kämpfern.
Einige Splittergruppen der freien syrischen Armee haben Veteranen aus Nordafrika oder Irland an ihrer Spitze. Die Art von Jihad konnte sich aber nicht durchsetzen, obwohl sie von Katar unterstützt wurden. Es fehlt der Liwaa al-Umma schlicht am jihadistischen Magnetismus, der junge Leute aus dem deutschen Mittelgebirge, dem Kaukasus oder dem fernen Australien anzieht. Wahrscheinlich sind die einfach nicht radikal genug, zu wenige Köpfungen, Versklavungen, Zwangsverheiratungen, Kunstzerstörung etc.

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Mi 11. Jan 2017, 16:15 - Beitrag #13

Todenhöfer ist soweit mir bekannt der einzige westliche Jorunalist, der es gewagt hat DAESH-Mitglieder und andere als unberührbar geltende Bürgerkriegsparteien zu interviewen.

In seinem neusten freitäglichen Artikel Der Bumerang des Westen gibt er die Strategie von DAESH wieder.
Zitat von Todenhöfer:
Die IS-Terroristen, mit denen ich Ende 2014 in Rakka und Mosul zehn gespenstische Tage verbrachte, verfolgten vier Ziele:

1. Schaffung eines großen „Islamischen Staates“ – auch wenn dieser letztlich mit dem Islam so wenig zu tun hatte wie der Ku-Klux-Klan mit dem Christentum. Bewertung: Projekt weitgehend gescheitert.

2. Gründung der schlagkräftigsten Terror-Organisation der Welt – mit der Fähigkeit, weltweit jederzeit Anschläge zu verüben und als Guerilla-Armee immer wieder Städte im Mittleren Osten zu besetzen, um die jeweilige Staatsmacht zu destabilisieren. So wie mit den Terroranschlägen auf den Berliner Weihnachtsmarkt und den Istanbuler Nachtclub oder kurz zuvor mit der völlig unerwarteten Rückeroberung der Wüstenstadt Palmyra. Bewertung: Mission gelungen.

3. Provokation des Westens zum Eintritt in einen endlosen, nicht zu gewinnenden Krieg; zu einer Überreaktion, die auf Dauer die Glaubwürdigkeit der Werte des Westens gefährden würde. So wie Bin Laden den Westen in die afghanische Falle gelockt hatte, in der er noch immer steckt. Bewertung: zunehmend erfolgreich.

4. Spaltung der westlichen Gesellschaft durch islamisch getarnte Anschläge. Sie sollen Hass gegen Muslime erzeugen und einen Keil in unsere Gesellschaft treiben. Bewertung: wachsender Erfolg. Siehe das weltweite Erstarken antiislamischer Bewegungen und Parteien, die nicht erkennen, dass sie nützliche Idioten der Spaltungsstrategie des IS sind.

Gewalt als primäre Aktionsform eines weltweiten Jihads, in dem die Staatsgründung eher ein Nebenprojekt war. Meiner Meinung hatte die Ausrufung des Kalifats vor allem ideologisch Gründe. Das Kalifat symbolisiert nicht die tatsächliche Herrschaft, sondern die eschatologische Notwendigkeit.


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