Mord der Ehre wegen

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
avenga
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Di 27. Mär 2007, 19:13 - Beitrag #61

Ganz richtig. Und nicht etwa blonde Haare und blaue Augen. Sogar nicht einmal der Name, wenn man ein "Neudeutscher" ist.

Und selbstverständlich gibt es auch den Deutschen Schwerverbrecher. Kein Zweifel. Genau so wie den "Urdeutschen Analphabeten".

Und das was du anführst, Yanapaw, finde ich auch nicht gerade "deutsch". Auch wenn das inzwischen "akzeptierte Deutsche Kultur" ist. Denn alleine unsere Sprache zu lernen bzw. als Moslem herzhaft in eine Currywurst (ist Schweinefleisch) zu beißen reicht bei weitem nicht für eine Integration.
Man muss nicht gleich ins Bierzelt gehen und sich trauen, auch mal trotz seiner Religion zu besaufen. Oder alle Texte von Lessing oder Goethe auswendig zu lernen.
Wenn man sich als Ausländer an die Verfassung hält bzw. sich an unsere gesellschaftlichen Regeln, dann schafft man es eines Tages, Deutscher zu werden. (Okay, an unsere Regulierungswut muss man sich nicht unbedingt daran halten.)

Maglor
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Do 15. Sep 2011, 20:18 - Beitrag #62

Schon vor Wochen sah ich eine beeindruckende Reportage im Fernsehen. Hatun Sürücü wurde 2005 von ihrem jüngeren Bruder ermordet, nachdem sich die Schwester von ihrem Cousin getrennt hatte und ein eigenständiges Leben begann.
Verlorene Ehre – Der Irrweg der Familie Sürücü
Das Filmteam interviewte sie alle, Freundinnen des Opfers in Deutschland, den zur Tatzeit noch jugendlichen Täter im deutschen Jugendgefängnis, den nach Istanbul geflohenen, noch immer mit Haftbefehl gesuchten Bruder und schließlch selbst die entferntesten Verwandten in einem kleinen kurdischen Dorf in Anatolien.
Am Ende ergibt sich erschreckendes Bild: Sie bereuen nichts. Selbst die Schwester zeigt Verständnis für den Mord. Ein Cousin sagt offen, dass der Ehrenmord der richtige Weg war.

Auch wenn die Dokumentfilmer den Schritt nicht wagen: Es scheint ein spezifisch kurdischer Ehrbegriff zu sein, der unabhängig von den Religion in einigen Familien existiert, nicht nur unter Muslimen auch unter Jesiden.

janw
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Do 15. Sep 2011, 21:04 - Beitrag #63

Zitat von Maglor:Auch wenn die Dokumentfilmer den Schritt nicht wagen: Es scheint ein spezifisch kurdischer Ehrbegriff zu sein, der unabhängig von den Religion in einigen Familien existiert, nicht nur unter Muslimen auch unter Jesiden.

Ich hatte kürzlich mal eine Diskussion mit einem jungen Erwachsenen aus Kurdistan, in der er offenbarte, daß er auch Schwierigkeiten habe, diesen Ehrbegriff zu überwinden. Sicher sei das furchtbar, zu töten oder zu verletzen, aber andererseits gebe es da eben doch die Ehre...
Ich vermute nach sehr zahlreichen Erörterungen mit Menschen aus Nordafrika und dem Nahen Osten, daß es eine besonders konsequent "zuende" gedachte Ausprägung einer Auffassung ist, die im gesamten Vorkommensgebiet patriarchaler Clangesellschaften zwischen Marokko und Hindukusch verbreitet ist.
Die Logik geht etwa so: Frauen sind das schwächere Geschlecht, und es ist !Aufgabe des Mannes bzw. Vaters und mit ihnen anderer männlicher Familienangehöriger, Frau und Töchter vor Übergriffen zu schützen. Ein Mann, dem das nicht gelingt, ist als Ehemann untauglich bis hin zur Lächerlichkeit und als Vater ein Versager, in beiden Fällen verbunden mit Beschädigung / Verlust der männlichen Würde. Damit ist der Mann bzw. Vater uU so weit "erledigt", daß es zum Nachteil der Familie bei Verhandlungen ist. Erschwerend kommt hinzu, daß eine Tochter irgendwann verheiratet werden muss, und das wird entschieden erschwert, wenn sie dann nicht mehr jungfräulich ist.

Je stärker der Ehrverlust des Mannes/Vaters sozial "durchgedrückt" wird, umso stärker der Druck, daß Frau und Töchtern nichts Ehrbeschädigendes passiert bzw. sie sich nicht ehrbeschädigend verhalten.
Diese soziale "Durchdrückung" scheint in Kurdistan besonders stark zu sein bzw. aufgrund der großen Bedeutung der Clanstrukturen besonders gefährlich für einen betroffenen Mann oder Vater.

Ipsissimus
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Fr 16. Sep 2011, 10:15 - Beitrag #64

Jan, die Problematik, die aus Sicht dieser Menschen dahinter steht, ist nachvollziehbar; das heißt aber nicht, dass "Ehren"mord als Konsequenz duldbar wäre oder "Ehrverlust" als Motiv strafmildernd wirken dürfte.

und es ist !Aufgabe des Mannes bzw. Vaters und mit ihnen anderer männlicher Familienangehöriger, Frau und Töchter vor Übergriffen zu schützen
wenn sie genau nur das täten, wäre es ja okay, nichts anderes würden hiesige Familienväter machen (wollen).

Nur wird an dieser Stelle der Selbstbetrug, die Lüge manifest, denn es geht nicht wirklich um den Schutz gegen Übergriffe. Es geht vielmehr darum, Männerkontakte der Frauen auch dann zu verhindern, wenn nicht irgendwelche andere Männer sich den Frauen in irgendeiner seitens ihrer männlichen Vormunde unerwünschten Absicht nähern, sondern auch dann, wenn die Frauen sich in völliger Freiwilligkeit und von sich aus einem Manne nähern wollen. Es geht darum, den Tanz der Geschlechter außerhalb kontrollierter Formalismen auch dann zu unterbinden, wenn von beiden Seiten aus völlige Freiwilligkeit vorliegt und keinerlei Schutznotwendigkeit besteht. Es kommt noch dazu, dass dieselben Männer keinerlei Schwierigkeiten damit haben, ihre Töchter in Ehen mit ungeliebten Männern zu zwingen.

Es.Geht.Nicht.Um.Das.Wohl.Der.Frauen, sondern ausschließlich um den Gesichtsverlust der Männer gemäß ihrer selbstdiktierten Regeln, und das ist offenbar auch einen Mord wert.


ich würde wirklich gern mal eine Diskussion darüber führen, wofür "Ehre" eigentlich gehalten wird, welche Vorstellungen von Wert sich daran heften, dass ihre Verteidigung Mord wert ist. Ich kann mir im Kontext von "Ehren"morden eigentlich nur eine ganz besonders idiotische Form männlicher Hybris darunter vorstellen. Mal ganz platt gesagt, die Frau könnte ja durch frühere Sexualkontakte imstande sein, einzuschätzen, was für ein mieser Liebhaber ihr Jäckel tatsächlich ist.

Katinka3
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Fr 16. Sep 2011, 18:35 - Beitrag #65

Da fragt man sich doch, weshalb das bei diesen Völkern so ausgeprägt ist. Denn im Grunde geht es doch zu vielen (alle Frauen) damit nicht gut. Und die Männer sind damit auch nicht Glücklich, den das bedeutet ja auch jedesmal Kampf und Auseinandersetzung. Welhalb diese Menschen nicht versuchen einen besseren Weg zu finden, sie sehen es ja bei vielen anderen Kulturen, das es auch anders geht. Und Trotzdem geht das immer weiter so, und sie machen sich als Mensch ja auch sehr Unbeliebt, andere Nationen halten von denen ja nicht besonders viel. Ich sage dann immer, ja selber Schuld. Die sind ja bestimmt auch nicht alle Doof, um das zu Verstehen. Um sich zu Verändern und weiter zu Entwickeln, damit man vielleicht auch mal eine Chance bekommt in die EU zu kommen. Da sind alle Grausamkeiten mit gemeint, die Unglücklich machen, auch bei Kurden oder Türken. Die müssen doch auch so empfinden können wie wir.

Ipsissimus
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Mo 19. Sep 2011, 12:04 - Beitrag #66

das Problem, Katinka, ist das Machtgefälle. In den einschlägigen Staaten haben Frauen politisch und gesellschaftlich so gut wie keinen Einfluss; ihre Unterdrückung ist nicht auf den familiären Bereich beschränkt. Diese Unterdrückung ist darüber hinaus oft so tief in den Köpfen und Herzen dieser Menschen, dass nur in Ausnahmefällen wirklich aktive Gewalt angewandt werden muss, um sie durchzusetzen. Natürlich ist diese gesamte Unterdrückung eine Form von Gewalt, sie ist aber auch Hintergrund, so selbstverständlich, dass sie in den Ländern nur von den wenigsten hinterfragt wird.

Es kommt der Diaspora-Effekt hinzu. Wenn diese Menschen mit dem gesamten Familienverband aus ihren Staaten heraus kommen, schließt sich dieser Familienverband in der Fremde zunächst mal fester zusammen, das passiert mit Kurden in Deutschland genauso wie mit Deutschen in den USA. Und in diesem festgefügten Verband werden dann Traditionen beibehalten, über die sich die Ursprungsgesellschaft dieser Auswanderer vielleicht längst hinweg entwickelt hat, oder auch nur gelockert hat.

Katinka3
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Mo 19. Sep 2011, 16:08 - Beitrag #67

Ips.....Also wird sich das höchstwahrscheinlich auch nie ändern, wenn die es schon nicht können oder wollen, sich zu verändern. Denn so haben sie auch immer probleme mit den anderen Nationen, die dieses Verhalten so nicht hinnehmen werden. Im grunde ist das Problem so groß, das es einem schon fast leid tun kann. Oder wie denkst du darüber?

Ipsissimus
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Mo 19. Sep 2011, 17:25 - Beitrag #68

ich gehe davon aus, dass es sich, wenn überhaupt, nur langfristig ändern wird; mit Hauruck-Aktionen oder -Erwartungen dürfte es nichts werden

Maglor
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Mo 19. Sep 2011, 21:20 - Beitrag #69

Zu den bizarren Details im Falle Sürürcü gehört, dass der ältere Bruder, dem vorgeworfen wurde die Tatwaffe besorgt und den jüngeren Bruder anstiftet zu haben, vorher in Deutschland Abitur gemacht, die Staatsbürgerschaft angenommen, den Grundwehrdienst bei der Bundeswehr absolviert und ein Studium angefangen. Oberflächlich betrachtet war er integriert und auf dem besten Weg das soziale Milieu zu verlassen. Nun lebt er in einer kleinen Butze in Istanbul, gesucht mit internationalem Haftbefehl.
Die schreckliche Fazit der Reportage: Durch den Ehrenmord wurden das Leben der Familie zerstört und sie bereuen nichts.

Es klingt ein bisschen wie unbelehrbar. Zu beachten ist an der Stelle natürlich, dass sich Ostanatolien aufgrund des Kurden-Konfliktes Jahrzehnte lang in einem parastaatlichem Ausnahmezustand befand. Dass von Istanbul oder Ankara ausgehende Modernisierungs-Trends nicht die verfeindeten Bergvölker erreichten, ist da nict weiter verwunderlich.
"Ehrenmorde" wurden in Deutschland nur bei sehr wenigen Volksgruppen festgestellt, die Täter waren Afghanen, aber auch Kosovaren und Sizilianer - also Europäer.

Ipsissimus
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Di 20. Sep 2011, 09:56 - Beitrag #70

Maglor, so richtig diese Analyse sein mag, das wesentliche Kriterium ist die Verschiedenheit der Wertesysteme. Wir erwarten im Prinzip, dass diese Menschen die Welt aus unseren Augen sehen, dass sie unser Wertesystem an ihre Handlungen anlegen. Das funktioniert nicht.

Was wir fordern und voraussetzen können, ist die Einhaltung unserer Gesetze, solange sie im Gültigkeitsbereich dieser Gesetze leben. Was wir nicht fordern können, sondern worauf wir gemeinsam mit diesen Menschen hinarbeiten müssen, ist ihre Einsicht in aufklärerische Werte. Das erste ist Gehorsam, das letztere persönliche Reife, und die kannst du nicht per Dekret erzwingen.

Maglor
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Mi 4. Jan 2017, 19:30 - Beitrag #71

Zu den größten Rätsel der türkischen Justiz gehört, dass der Fall Sürücü akutell wieder vor Gericht steht. In Istanbul soll gegen die vor Jahren in die Türkei geflohenen älteren Brüder der Prozess gemacht. (Der jüngere Bruder, der in Deutschland wegen Mordes verurteilt wurde, ist bereits 2014 aus der Haft entlassen bzw. in die Türkei abgeschoben worden.)
Warum ausgerechnet jetzt - wenige Monate nach der sogenannten Säuberung - die Mühlen der türkischen Justiz zu malen beginnen bleibt unklar.
Ein Schelm wer böses dabei denkt.

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