Ist Guantanamo ein Konzentrationslager?

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.

Betreiben die USA in Guantanamo ein Konzentrationslager?

Ja
9
75%
Nein
3
25%
 
Abstimmungen insgesamt : 12

Die Maschine
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Do 29. Jun 2006, 18:28 - Beitrag #21

Was zu Guantanamo passt, ist die Tatsache, dass sich die USA sich jahrzentelang geweigert haben, die "Allgemeine Menschenrechtserklärung der UN" zu unterzeichnen.
Offiziell wird dies damit begründet, dass die 3. Welt Länder (Afrika) zu viel Mitspracherecht bei der Ausarbeitung der Rechte gehabt haben (Man wollte sich nichts von Afrika diktieren lassen). Und mitgewirkt haben die USA ja auch ziemlich viel...
Aber das scheint mir doch Fassade zu werden, oder zumindest scheinen die USA zu vergessen, welche moralischen Verpflichtungen sie ausgearbeitet und letztendlich doch unterschrieben haben.

Im Großen und Ganzen lässt sich sagen, dass die USA durch Guantanamo auch nicht viel besser sind, als China, Saudi-Arabien oder Nordkorea (um nur wenige menschenverachtende Staaten zu benennen).

janw
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Fr 30. Jun 2006, 00:14 - Beitrag #22

Lykurg, sicher hast Du recht, was die Gefahr der Verharmlosung des Holocausts betrifft. Allerdings könnte umgekehrt auch die Gefahr bestehen, daß gewissermaßen vor dem Holocaust und evtl. noch den Gulags alles andere verblasst, zur kleinen "Nichtigkeit" schrumpft.
Mir geht es darum, daß eben dieses nicht geschieht - Guantanamo ist keine lässliche Sünde, sondern ein staatlich organisiertes Verbrechen an der Menschlichkeit, dessen Opfer sich wohl nie vollständig Gehör verschaffen werden können - es wird wohl unbekannt bleiben, wer alles dorthin verschleppt wurde, wer dort umgekommen und verscharrt worden ist, wird anonym bleiben, so fürchte ich.
Ich interpretiere das, was Roger Willemsen erfahren hat, so, daß dort eine planvolle Vernichtung von Menschen stattfindet, zumindest auf psychischer Ebene, die physische Vernichtung wird zumindest billigend in kauf genommen, zumindest, und das ist schlimm genug.
Auch wenn viele Gefängnisse weltweit ähnliche Wirkungen haben, so sind sie dennoch in meinen Augen hiermit nicht vergleichbar, denn es fehlt ihnen das Systematisch Absichtsvolle, das mir in Guantanamo zu herrschen scheint.
(Ich spreche jetzt nicht von Straflagern in Nordkorea u.ä.)
In diesem Sinne...sehe ich nach wie vor den Vernichtungsanspruch in Guantanamo, wenn dies aber unliebsame Assoziationen an den Holocaust weckt, kann ich auch mit "Konzentrationslager" leben.

Malte, Dein Hinweis auf eine etwaige deutsche Befindlichkeit ist sicher nicht verkehrt, es ist für Täter nur allzu typisch, auf die Fehler der "Andern" aufmerksam zu machen. (Womit diejenigen Deutschen sich damit allerdings unausgesprochen den Vorwurf der Kollektivschuld zu eigen machen, den sie aber vehement von sich weisen würden...eine etwas verquere Argumentation also).
Ich sehe diese Kollektivschuld nicht so gegeben, wohl aber eine kollektive Verantwortung - aber diese Frage hat für mich überhaupt nichts damit zu tun, wie ich Guantanamo und andere rezente Menschenschinde - Lager beurteile.

Die Schüler können natürlich nur das wiederkäuen, was die embedded Media, und dazu zählen auch die Lehrer ihnen vorsetzen. Die geschilderten Verhältnisse gibt es wohl, aber eben - nur in dem Teil, wo die Gefangenen für eine Entlassung aufgepäppelt werden, jenem Teil, der dann auch dem Roten Kreuz und der UNO zugänglich ist.

Ipsissimus
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Fr 30. Jun 2006, 11:29 - Beitrag #23

ich denke, man wird dem Charakter von Guantanamo (oder schlimmer Diego Garcia) nicht gerecht, wenn man Vergleiche anstellt. Diese hinken immer ein bißchen, und anstatt auf die Charakteristik der Örtlichkeit einzugehen (deren Betrieb zu dieser bestimmten Verwendung mittlerweile auch laut höchst-US-gerichtlichem Urteil als illegal zu betrachten ist), bietet sich der bequeme Ausweg, darauf zu schießen, daß die Vergleiche hinken.

Guantanamo ist ein Ort, an dem massives Unrecht betrieben wird, zugleich vor den Augen der Öffentlichkeit und verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit. Dafür werden Gründe benannt, die von Anfang an bestenfalls als halbseiden zu bezeichnen waren und schon seit einiger Zeit als widerlegt gelten können. Insofern ist Guantanamo auch als Ort der Verhöhnung aufzufassen, als ein Ort, an dem die Stimme der Macht spricht "Seht her, mir ist alles erlaubt, und ihr könnt absolut gar nichts daran ändern."

Natürlich ist Guantanamo ein concentration camp, wenngleich von einer anderen Art als die deutschen Konzentrationslager oder die Gulags - die Zielsetzung ist ja auch eine andere - Informationsgewinnung. Da sollen also Menschen gebrochen werden, nicht primär getötet werden. Über die Mittel schweigt das CIA, also darf das Schlimmstanzunehmende getrost als harmlos angenommen werden gegenüber dem, was tatsächlich zur Anwendung kommt.

Maglor
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Mo 3. Jul 2006, 13:51 - Beitrag #24

Zitat von Ipsissimus:die Zielsetzung ist ja auch eine andere - Informationsgewinnung. Da sollen also Menschen gebrochen werden, nicht primär getötet werden.

Nun, ich denke, es gibt noch eine andere Zielsetzung. Guantanamo wird nicht geheimgehalten. Vielmehr zeigt die Regierung plakativ, dass sie "die Terroristen" hat und ihnen zeigt, wo der Frosch die Locken hat.
Ziele des Gulags und der KZs war die Ausbeitung von Menschen. Ob man ihre Arbeitskraft oder ihr Erinnerungsvermögen ausbeutet, ist dann eine Frage des Ziels der Ausbeutung.
In Guantanamo ist die ideele an Stelle der materiellen Ausbeutung getreten.
MfG Maglor

Ipsissimus
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Mo 3. Jul 2006, 14:05 - Beitrag #25

Ziele des Gulags und der KZs war die Ausbeitung von Menschen


soweit d´accord, mit der kleinen Ergänzung ... Ausbeutung zwecks Herbeiführung des Todes derselben.


mag sein, daß Guantanamo ein bißchen arg plakativ ist, mittlerweile. Dafür gibt es andere Camps, von denen so gut wie nichts nach außen dringt, und selbst ihre schiere Existenz nur durch einen Zufall bekannt wurde, wie z.B. das Lager auf Diego Garcia im Indischen Ozean

Maglor
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Mo 3. Jul 2006, 14:15 - Beitrag #26

Zitat von Ipsissimus:soweit d´accord, mit der kleinen Ergänzung ... Ausbeutung zwecks Herbeiführung des Todes derselben.

Ich dachte Ausbeutung zwecks Erfüllung des 5-Jahresplanes...?
Stimmt, es gibt zusätzlich noch Geheimgefängnisse. Vielleicht ist Guantanamo auch nur ein gezieltes Ablenkungsmanöver.
MfG Maglor :rolleyes:

janw
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Mo 3. Jul 2006, 20:30 - Beitrag #27

Guantanamo, Diego Garcia, ...? - damit wäre ein neuer "Archipel" geschaffen, im Wortsinne.

Mit der kleinen unbedeutenden Neuerung, daß die Betreiber in der Staatengemeinschaft anerkannt und nach allgemeinem Konsens außerhalb aller ernstzunehmenden Kritik stehen.

Wie war das noch..."Von Deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen."
Sind wir nicht im Begriff, oder schon dabei, Krieg zu proliferieren?

Lykurg
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Mo 3. Jul 2006, 22:28 - Beitrag #28

janw, was war das dann im Kosovo? Ein Spaziergang?

Die Sowjetunion war ebenfalls in der Staatengemeinschaft anerkannt; und sie war wesentlich schlechter folgenlos kritisierbar als die USA.

Maglor, zur wirtschaftlichen Bedeutung der Gulags kenne ich keine Statistiken, halte sie aber nicht für sonderlich bedeutend. Zweifellos wären Großprojekte wie die Transsibirische Eisenbahn ohne den mörderischen Einsatz von Kriegsgefangenen und politischen Häftlingen so nicht möglich gewesen, aber der direkten "Einhaltung eines 5-Jahresplans halte ich sie nicht für so wichtig.

janw
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Mo 3. Jul 2006, 22:57 - Beitrag #29

Ja, an Kosovo hatte ich auch gedacht...aber das jetzt hat eine andere Qualität. Vielleicht ist der "war against terror" vergleichbar mit dem "Kalten Krieg" - in dem Sinne, daß ein permanenter Spannungszustand als Rechtfertigung und Kulisse dient für ein System von Kriegsführung mit untypischen Mitteln.

Brauchen derartige Archipele vielleicht immer Ausnahmezustände wie Revolutionen, unerklärte Kriegszustände o.ä.?

Ipsissimus
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Di 4. Jul 2006, 16:23 - Beitrag #30

Vielleicht ist der "war against terror" vergleichbar mit dem "Kalten Krieg" - in dem Sinne, daß ein permanenter Spannungszustand als Rechtfertigung und Kulisse dient für ein System von Kriegsführung mit untypischen Mitteln.


das halte ich persönlich für die bislang plausibelste Erklärung dessen, was weltpolitisch derzeit abgeht

janw
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Do 6. Jul 2006, 17:31 - Beitrag #31

Ipsi, was meinst Du, mensch könnte doch versucht sein zu sagen, daß in einer Zeit wirtschaftlicher Stagnationsperspektive und wachsender sozialer Spaltung der Gesellschaft für einen nicht ganz korrekt an die Macht gekommenen Präsidenten ein Anlass wie 9/11 geradezu hätte inszeniert werden müssen, um einen Anlass für machterhaltende untypische Kriegsführung zu erhalten - wenn er nicht einfach passiert wäre, ein Geschenk des Himmels, sozusagen... - oder?

Eine spannende Entwicklung, die Übertragung von Luhmanns Theorien auf die Staatengemeinschaft... :rolleyes:

Ipsissimus
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Fr 7. Jul 2006, 11:06 - Beitrag #32

nu, Luhmann ist für seine Theorien ja auch schon oft und heftig gescholten worden von denen, deren politische Vernunft klar gebietet, daß nicht wahr sein darf, was nicht wahr sein darf^^

im Spannungsfeld zwischen Zukunftsfähigkeit ("Was interessieren mich wissenschaftliche oder philosophische Theorien, wenn die mir die Hoffnung auf ein besseres Morgen nehmen"), politischer Vernunft ("nur das ist wahr, was dazu führt, daß die Nation sich ohne größeres Murren und Knurren weiter regieren läßt") und dem, wie die Sachverhalte ohne intentionale Interpretation aus sich selbst heraus sind, hat sich Luhmann halt ohne wenn und aber auf die Seite der Sachverhalte gestellt, und in diabolischer Boshaftigkeit beschlossen, allen intentionalen Notwendigkeiten einen Tritt in den Hintern zu geben^^

ich sehe es auch so, janw, 11/9 war ein Gottesgeschenk für die Hardliner unter den Amerikanern wie Europäern gleichermaße; ob sie dem Geschenk selbst tatkräftig nachgeholfen haben, bleibt Gegenstand von Verschwörungstheorien - bei den engen Verbindungen zwischen den Familien Bush und Bin Laden ist das durchaus möglich, aber ich glaube nicht, daß es zu unseren Lebzeiten nachgewiesen werden kann.

Maglor
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So 19. Jun 2011, 17:17 - Beitrag #33

In Afghanistan und Pakistan wurden nach 2001 willkürlich Ausländer verhaften. Die boten Gelder und die Afghanen und Pakistani brachten ihnen "Terroristen". Man brachte ihn einfach alle Jemeniten, Türken, Chinesen, Saudis usw., deren man habhaft wurde.
Bekanntestes Beispiel ist der türkische Bremer Murat Kurnaz, der im November 2001 in Pakistan verhaftet. Er befand sich auf einer diffusen Pilgerreise. 2002 wurde er nach Kuba ausgeflogen, wo er 4 Jahr interniert war. Terror-Verbindungen konnten ihm nicht* nachgewiesen werden.

[url=Der Daily Telegraph berichtet nach Auswertung der Dokumente, dass den Unterlagen zufolge nur 220 der insgesamt 779 Guantanamo-Insassen als gefährliche Extremisten galten. Etwa 380 Häftlinge wurden demnach als "Fußsoldaten" niedrigeren Ranges eingestuft, die zum Beispiel den radikalislamischen Taliban nahestanden. Bei mindestens 150 Häftlingen jedoch handelte es sich den Dokumenten zufolge um unschuldige Afghanen und Pakistaner, darunter Bauern und Fahrer. Sie wurden teilweise jahrelang aufgrund von Fehlern bei der Feststellung ihrer Identität oder weil sie schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen seien in Guantanamo festgehalten, heißt es im Telegraph.]Enthüllung[/url] von Wiki-Leaks:
Der Daily Telegraph berichtet nach Auswertung der Dokumente, dass den Unterlagen zufolge nur 220 der insgesamt 779 Guantanamo-Insassen als gefährliche Extremisten galten. Etwa 380 Häftlinge wurden demnach als "Fußsoldaten" niedrigeren Ranges eingestuft, die zum Beispiel den radikalislamischen Taliban nahestanden.

Bei mindestens 150 Häftlingen jedoch handelte es sich den Dokumenten zufolge um unschuldige Afghanen und Pakistaner, darunter Bauern und Fahrer. Sie wurden teilweise jahrelang aufgrund von Fehlern bei der Feststellung ihrer Identität oder weil sie schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen seien in Guantanamo festgehalten, heißt es im Telegraph.


Den wenigen "gefährlichen" Terroristen in Guantanamo wird urzeit eine Art Prozess gemacht. Der scheitert immer wieder an den gleichen Probleme: Geständnisse und Aussagen, die unter weißer Folter enstanden

"Freigelassene" Häftlinge wurden üblicherweise an die Heimatländer ausgeliefert, wenn sie dort (in Ägypten, Syrien, Libyen ud Co.) weiter festgehalten würden, obwohl sie nie in den internationalen Terrorismus verwickelt waren.

Lediglich die inhaftieren Uiguren wollte man nicht der Volksrepublik China zur weiteren Folter überlassen. (Wahrscheinlich könnte man China anders Libyen, Syrien usw. nicht die physische Vernichtung von Oppositionellen.) Tatsächlich waren ein paar Angehörige des muslimen Turk-Volkes vor dem kommunistischen Regime nach Afghanistan geflohen. Diese Fehlentscheidung bezahlten sie mit 7 Jahren ihres Lebens, die sie in den Drahtkäfigen Guantanamos verbrachten. Afghanische Hilfstruppen hatten 5000,00 bis 7000,00 $ für jeden gefangenen Uiguren erhalten.
Es hat schon Züge einer ethnischen Säuberung. Xenophobie ist eine der wesentlichen Konstanten der afghanischen Kriegsführung. Die antitalibaneische Nord-Allianz behauptete, sie würde Krieg gegen die feindlichen Araber führen, während die Taliban behaupten sie würden Krieg gegen die USA führen, wenn sie die Bomben in Kabuls Innenstadt in die Luft jagen.

* Warum gehen mir eigentlich immer die wesentlichen Worte verlustig?

Ipsissimus
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Mo 20. Jun 2011, 16:36 - Beitrag #34

Terror-Verbindungen konnten ihm nachgewiesen werden.
ich dachte, die konnten ihm nicht nachgewiesen werden?

aus meiner Sicht erfüllt der Krieg gegen den Terror längst alle Voraussetzungen, die führenden beteiligten Politiker und Militärs nach Den Haag zu bringen. Wird natürlich nicht geschehen, was von der moralischen Position der Antiterror-Koalition nur noch in deren eigenen Augen was übrig lässt

Maglor
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Do 22. Jan 2015, 00:27 - Beitrag #35

Mohamedou Ould Slahi packt nach 14 Jahren Guantanamo und ähnlichen Lagern endlich aus. Mit seinen Tagebüchern kommt endlich die Wahrheit ans Licht.

Bild
Was die amerikanische Zensur übrig ließ: eine Druckseite aus dem „Guantánamo-Tagebuch" faz

Kleiner Nebenskandal, abgesehen von den vagen Vorwürfen und unzureichenden Haftgründen, dem ausweglosen Stillstand seines Verfahrens und der Zensur seines Buches:
Slahi lebte vor seiner Verschleppung durch die US-Behörden jahrelang in Deutschland. Er behauptet auch vom BND verhört worden zu sein.

Zur klassischen Ausgangsfrage, nämlich dem unanständigen Vergleich:
Auschwitz wurde nur 5 Jahre lang betrieben, Dachau immerhin 12.
Solschenizyn verbrachte "nur" 8 Jahren im Gulag. Danach wurde er in die "Verbannung" entlassen.
Ob er Nelson Mandela (27 Jahre Robben Island) noch einholen kann?

Lykurg
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Do 22. Jan 2015, 10:23 - Beitrag #36

Genauergenommen hat er in Duisburg studiert und sich in Afghanistan den Taliban angeschlossen, als sie noch von den Amerikanern finanziert wurden und gegen die Sowjets kämpften. Seinen Angaben zufolge hatte er nach seiner Rückkehr 1992 damit abgeschlossen.
Die von dir gezeigte Druckseite dürfte allerdings der Extremfall sein, laut FAZ-Rezension sind die meisten Zensureingriffe zielgerichteter:
Zweitausendfünfhundert Schwärzungen verunstalten den Text, schwarze Balken über Orts- und Datumsangaben, über Namen und Personalpronomina, die das Geschlecht der durchgehend als „Verhörbeamte“ vorgestellten Befrager und Folterknechte verraten würden. Die längste durchgehende Schwärzung geht über elf Seiten, Slahi berichtet dort von einem Test mit einem Lügendetektor.

Slahi "packt nach 14 Jahren aus" ist übrigens irreführend. Der Bericht stammt schon von 2005, es hat nur 'ein paar Jahre' gedauert, bis verschiedene US-Gerichte die Veröffentlichung geprüft (und schließlich gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt) haben.

Maglor
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Do 22. Jan 2015, 23:20 - Beitrag #37

Seltsam, dass er schon nach 4 Jahren die Schnauze voll hatte.

Wirklich beängstigend finde ich die Beteiligung des BND an der Sache. Ich vermute auch mal, dass deutsche Geheimdienste eine erhebliche Schuld daran tragen, dass er jetzt quasi lebenslänglich in Untersuchungshaft sitzt. Slahi hat auch noch Verwandte in Deutschland. Von einer Fürsorgepflicht der Bundesrepublik fehlt offenbar jede Spur. Sie lässt es nicht nur einfach zu, dass Leute, die hier mal ganz normal gelebt verschwinden, nein, sie sorgt auch dafür, dass sie auch nicht wiederauftauchen. Ich bin gespannt, ob wie viele unserer ehemaliger Mitbürger noch auftauchen.

Lykurg
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Fr 23. Jan 2015, 09:31 - Beitrag #38

Auch Untersuchungshaft wäre noch zuviel gesagt - auch da hätte man einen Anspruch auf anwaltlichen Beistand, und, befände man sich in einem funktionierenden Rechtsstaat, zumindest ein folterfreies Wochenende.

Und ja, Deutschlands Rolle dabei ist nicht eben rühmlich. Ganz klar, wer nicht dagegen eintritt, macht sich mitschuldig, um so mehr, wenn es um eigene Schutzbefohlene geht.
Die Tagebuchveröffentlichung scheint übrigens in den USA kaum ein Echo zu finden - traut man zumindest einer großen dortigen Diskussionsplattform, die kritischen Themen sonst durchaus aufgeschlossen ist - einer meinte, es sei ein zu schmerzhaftes Thema, und die Beschäftigung damit würde vermutlich erst eine Generation später erfolgen können, auch da Anführer einer siegreichen Macht üblicherweise nicht vor Gericht kommen.

Maglor
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Di 3. Feb 2015, 00:39 - Beitrag #39

Ich habe schon zu viel Kafka gelesen, um die diese Vorgänge nicht als gewöhnlich zu betrachten.

Maglor
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So 22. Jan 2017, 17:12 - Beitrag #40

Slahi wurde im Oktober 2016 aus Guantanamo entlassen und in den Vorzeigestaat Mauretanien überführt. Slahi dankte dem mauretanischen Präsidenten und Exputschisten Aziz für dessen Einsatz für seine Freilassung.

2001 war Slahi in seinem Heimatland Mauretanien festgenommen und nach Jordanien, Afghanistan und final nach Guantanamo verschleppt worden.

Die eigentlich spannende Frage ist hier natürlich die, warum Slahi noch nach Guantanamo musste. Man hatte in bereits über Monate verhört und gefoltert und zwar in drei verschiedenen Ländern. Ging es in Guantanamo wirklich noch um Informationen? Welche Geheimnisse kann ein Mensch nach dem erfolgreichen Aufenthalt in den geheimen US-Foltergefängnissen in Jordanien und Afghanistan noch haben? Guantanamo war doch nur die Endstation, in der gebrochene Menschen der interessierten Öffentlichkeit präsentiert wurden.

Zu einer Anklage kam es nie, obwohl Slahi mit der Hamburger Terrorzelle in irgendeiner Verbindung stand. Einmal mehr ist somit bewiesen, dass die Praktiken in Guantanamo nicht nur fundamental gegen die Menschenrechte verstoßen, sondern auch jegliche juristische Aufarbeitung der Terroranschläge vom 11. September effektiv verhindert haben.

Zitat von Lykurg:Genauergenommen hat er in Duisburg studiert und sich in Afghanistan den Taliban angeschlossen, als sie noch von den Amerikanern finanziert wurden und gegen die Sowjets kämpften.

Genau genommen schloss sich Slahi der Mujahedin-Bewegung an und zwar ein paar Jahre bevor die Taliban überhaupt gegründet wurden. So viel Haarspalterei muss sein.

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