Steinbrück und die Clowns

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Lykurg
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Do 28. Feb 2013, 15:09 - Beitrag #1

Steinbrück und die Clowns

Peer Steinbrück ist ja schon länger für seine nicht immer diplomatische Wortwahl bekannt. Als Finanzminister drohte er im Steuerhinterziehungsstreit mit der Schweiz, "die Kavallerie" loszuschicken, kürzlich im Kontext der Finanzkrise in Zypern sollte ein "Störtebeker" da hinschippern, und das Wahlergebnis in Italien bezeichnete er als Sieg zweier Clowns. Schade allerdings, daß er als Kanzlerkandidat für den nächsten Abend zum Essen mit Staatspräsident Napolitano verabredet war, der das Treffen umgehend absagte. Inzwischen habe ein klärendes Telefonat stattgefunden, aber keine Entschuldigung und entsprechend kein Treffen.

Ich frage mich, was derartige Äußerungen - und insbesondere diese - für seine Kanzlerkandidatur bedeuten (die bereits durch andere Ungeschicklichkeiten in Wort und Tat reichlich schwach aufgestellt ist). Einerseits meinen Politiker der meisten anderen Parteien, daß er sich damit als ungeeignet für die Kanzlerschaft zeige (und sogar in der SPD gibt es verhaltene Kritik). Andererseits kommen gerade, unverstellte Worte beim Volk oft gut an, und an dieser Stelle hat er einen Nerv getroffen. Die Frage ist für mich einerseits, hat er recht damit - und andererseits, hilft es ihm?

Ipsissimus
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Do 28. Feb 2013, 16:47 - Beitrag #2

Wenn man das Wahlergebnis in Italien als Ausdruck einer generellen Missbilligung und Abstrafung einer Finanzmärkte-affinen Politik interpretiert, trifft die Vermutung, Steinbrück habe mit seiner Bezeichnung den Nerv der Stimmung beim Volke getroffen, nur bedingt. Er hat ganz sicher den Nerv der Stimmung bei Finanzmärkte-affinen Interpretatoren aus der deutschen Politik und den deutschen Medien getroffen, aber nicht den Nerv derer, die in Deutschland heute schon unter ganz ähnlichen Problemen leiden oder dieses Leid auf sich zukommen sehen wie die Italiener, die Monti und mit ihm voraussehend Bersani gleich mit abstraften.

Es liegt eine gewisse Ironie in dem Umstand, dass genau diese Interpretatoren nur zu gut wissen, in welchem Ausmaß eine Finanzmärkte-affine Politik auf europäischer Ebene davon abhängt, dass alle beteiligten Akteure medial den geschlossenen Eindruck erwecken, es gäbe zu dieser Politik keine Alternative, die nicht zum sofortigen Untergang Europas und dem Hungertod von 450 Millionen Europäern führte. Und die daher natürlich auch den Kumpan Italien nicht verprellen und somit dieser ihrer Stimmung auch nur mit diplomatisch geziemenden Worten Ausdruck verleihen dürfen. Ein bisschen erinnert Steinbrück daher an Horst Köhler, der auch darüber stolperte, dass er eine Wahrheit aussprach, die zwar von allen Spatzen von den Dächern gepfiffen wird, aber trotzdem nicht zugegeben werden darf.

Ob Steinbrück daher stolpern wird? Bei einer Partei, die aufgrund ihrer völligen Verkennung dessen, wie ihre Politik beim Volk ankommt, um die 20 Prozent-Marke kämpfen wird, ist die Frage völlig gleichgültig.



PS: Beppe Grillo als Clown zu bezeichnen, ist eine Beleidigung, Berlusconi als Clown zu bezeichnen, ist eine unzulässige Verharmlosung.

Lykurg
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Do 28. Feb 2013, 17:40 - Beitrag #3

@PS: Teil 2, daß es sich dabei um eine ungeheure Verharmlosung Berlusconis handelt, sehe ich ganz genauso, für mich handelt es sich dabei um den schwerwiegendsten Fehler der Aussage.* Vielleicht zeigt sich darin auch Steinbrücks Neigung, Berlusconis vielfache Vergehen hinsichtlich Korruption, Amtsmißbrauch, Geldwäsche etc. unter den Tisch zu kehren bzw. als in solchen Ämtern typisches Verhalten positiv zu sanktionieren.(^^)
Teil 1 dagegen ist nah an der Wahrheit, die Abgrenzung zwischen Komiker und Clown ist meines Erachtens nicht so scharf, daß ich dem einen wirklich beleidigenden Charakter zusprechen würde - eher schon, daß er ihn mit Berlusconi in dasselbe Berufsfeld einordnet.
__________
* Die Verprellung Italiens stört mich daneben zwar auch, andererseits hat aus derselben Perspektive die italienische Wählerschaft dann auch die EU verprellt.

@Finanzmarktaffinität: Ja, sicher handelt es sich dabei um einen eingeschränkten Blickwinkel, den nicht alle im Land teilen. Allerdings würde ich, wie auch schon im Abschnitt zum PS, der 'Verunglimpfung' Grillos nicht so viel Bedeutung zumessen, die Aussage Steinbrücks richtet sich eindeutig in erster Linie gegen Berlusconi. Sicherlich nimmt er auch Grillo nicht ernst (der sich übrigens laut Wikipedia auch selbst nicht ernstzunehmen scheint), aber für Berlusconi als Expremier ist das schon die heftigere Ohrfeige. Demgegenüber tritt der Stellenwert der Kritik an Grillos Forderungen, wenn überhaupt vorhanden, zurück. Ich frage mich aber auch, inwieweit diese in Deutschland auch unter Euroskeptikern zustimmungsfähig sind, abgesehen von utilitaristischen Motivationen...

Maglor
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Do 28. Feb 2013, 21:26 - Beitrag #4

Wie man es auch dreht und wendet, es wird nicht besser.

Entweder handelt sich um spontane Ausfälle einer geheimen Persönlichkeit - es soll ja durchaus auch Politiker mit Charakter geben - oder es handelt sich um eine besonders perfide Art des Wahlkampfes. Diese Art des Populismus - und ich meine hier alle von Lykurg aufgezählten semirassistischen Äußerungen Peerlusconis - ist sicherlich erfolgversprechender als seine Forderung nach einer Gehaltserhöhung für Bundeskanzler, obwohl letztere sicherlich das einzige erfüllbare Versprechen ist.

An der Stelle vermute ich auch die Intension, dass ihm nicht um eine Beleidigung Berluscunis oder Grillos ging, sondern um eine rhetorische Ohrfeige gegen Italien und seine Bewohner. :rolleyes:

janw
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Sa 23. Mär 2013, 21:36 - Beitrag #5

Man muss - und für mich liegt darin einiges an Tragik - Steinbrück wohl zu Gute halten, daß er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hält.

Man kann ihn sicher einen Populisten schelten, ob ihm das gerecht wird, bin ich allerdings nicht sicher - das schweizerische Gebaren ist IMHO kritikwürdig genug, und oenologisch wird man ihm kaum widersprechen können.

Sein Clown-Vergleich ist für mich aber ein tieferer Fehlgriff - Beleidigung des Clowns an sich - oder bedürfte tieferer Betrachtung, daß der Clown jenseits des Spaßes eine tragische Figur ist?


Ich frage mich, was sagt das über ihn aus, über sein Verhältnis zu den von ihm adressierten Problemen?
Marginalisation des Gegners zur Selbstermutigung? Ein Hang zu Don Quichotte?

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Sa 30. Mär 2013, 20:17 - Beitrag #6

Durch Zufall in Form einer entsprechenden "Trivial Pursuit"-Frage stieß ich heute auf eine entsprechende Bemerkung des Dramatikers Dario Fo. Möglicherweise hat Steinbrück da nur aus dem Gedächtnis zitiert - und dann gar nicht mal unpassend, Fo ist ebenfalls im Movimento Cinque Stelle aktiv.
Zitat von Wikipedia:Auf die Frage: Dario Fo gegen Silvio Berlusconi – der Kampf der Giganten?
„Ich würde es nüchtern ausdrücken: Wettstreit zweier Berufskomiker.“

Traitor
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So 31. Mär 2013, 22:21 - Beitrag #7

Tja, Lykurg, wie lange es wohl dauert, bis eine Plagiatskampagne gegen ihn anläuft...?

Auch ich sehe in der Aussage primär eine Verharmlosung Berlusconis. Grillo wiederum hat mich tatsächlich überrascht, ich hatte erwartet, dass er und seine Partei nach der Wahl ganz schnell die Fundamentalopposition aufgeben und sich mit politischer Beliebigkeit vom nächstbesten Partner in Amt und Pfründe hieven lassen. Anscheinend ist zumindest seine eigene Kasse aber gut genug gefüllt, um sich das zu sparen. Mal sehen, ob es noch eine interne Revolte gegen ihn gibt, oder sie doch die Neuwahl erzwingen können. Und in letzterem Fall, ob die Standhaftigkeit ihnen Gewinne oder Verluste bringt. Meist haben sich Protesparteien ja nach einem einzigen Erfolg abgenutzt, selbst wenn der Abstand zur Folgewahl sehr klein ist.

Lykurg
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Fr 12. Apr 2013, 11:17 - Beitrag #8

Da die aktuellen Umfragewerte miserabel ausfielen - nur 19 Prozent halten ihn für kanzlertauglich - und nebenbei die Sache mit dem neuen SPD-Slogan danebenging (wenn schon eine Leiharbeitsfirma nicht mit ihm assoziiert werden will...) probiert er es jetzt wieder mit dem recht allgemein zustimmungsfähigen Thema Steuerhinterziehung. Irgendwie kennt man das ja schon mit der Kavallerie...
Zitat von SpOn:Steinbrück will aber auch in Europa und Deutschland mehr tun. Weil beispielsweise auch die Deutsche Bank in das System der Steueroasen verwickelt ist, hatte Steinbrück schon gefordert, Banken die Lizenz zu entziehen. Bei der Deutschen Bank sei das schwierig, gab Steinbrück bei NDR Info zu: "Und ich will auch nicht den Eindruck erwecken, als ob da jetzt Sir Lancelot auf den Turnierplatz reitet, und er hebelt alle Banken aus dem Sattel."
Mutig. Ähmmm, wie war das mit dem Weil-Satz...? Ein wenig vergaloppiert, scheint mir.

Maglor
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Mo 2. Jan 2017, 23:47 - Beitrag #9

Ob Steinbrück heute funktionieren würde? :rolleyes:

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Di 3. Jan 2017, 11:42 - Beitrag #10

mittlerweile halte ich sogar eine Frauke Petry für eine ernstzunehmende Anwärterin auf die Kanzlerschaft. Good night, Germany

Die SPD ist heute für gar nichts mehr eine Option. Somit ist das Steinbrückaeske auch keine Option.

Maglor
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Mi 4. Jan 2017, 18:36 - Beitrag #11

Ich denke beim Steinbrück von damals weniger an Petry, sondern viel mehr an Trump, obwohl der Spruch mit der Kavellerei schon sehr petryesk war. :crazy:

Lykurg
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So 22. Jan 2017, 14:57 - Beitrag #12

Auch hinsichtlich Petry könnte dazu passen, was der US-Journalist und Satiriker H. L. Mencken 1926 schrieb - ich stieß im Rahmen der Trump-Debatte darauf...

"Democracy is the theory that the common people know what they want, and deserve to get it good and hard."

bzw. spezifisch zu Trump, ebenfalls aus seinen 'Notes on Democracy' von 1926:

"As democracy is perfected, the [President's] office represents, more and more closely, the inner soul of the people. We move toward a lofty ideal. On some great and glorious day the plain folks of the land will reach their heart's desire at last, and the White House will be adorned by a downright moron."

Maglor
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Fr 16. Jun 2017, 18:28 - Beitrag #13

Martin Schulz wurde mit 100 % zum Kanzlerkandidat der SPD gewählt.

Kommentar von Steinbrück?
"Steht da jetzt Erich Schulz-Honecker?"

Er ist wieder da! :crazy:


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