Wohin mit der NATO?

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Maglor
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So 22. Feb 2015, 21:31 - Beitrag #1

Wohin mit der NATO?

Die NATO wurde als Verteidigungsbündnis gegründet. Wird sie ihrer Aufgabe gerecht?

Nach dem 11. Sept. 2001 wurde erstmals in der Geschichte der NATO der Bündnisfall ausgerufen. Beim anschließenden Krieg gegen der Terror spielte die NATO als Organisation jedoch kaum eine Rolle.
Stattdessen wurde die NATO - wohlbemerkt offiziell im Zustande des kollektiven Verteidigungsfall - erweitert. 2004 traten Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien dem Verteidigungsbündnis bei. Diese Länder waren teilweise aber schon vorher im Irak und in Afghanistan Truppen gestellt.

Die Türkei befindet sich offensichtlich aufgrund des syrischen Bürgerkrieges immer wieder in Grenzscharmützel. Die NATO hat bereits im Vorfeld einen Bündnisfall ausgeschlossen, obwohl die Türkei immer wieder von Syrien aus angegriffen wird und satzungsgemäß um Hilfe bat.

Tatsächlich gab es schon ein paar Fälle, in denen die NATO als Militärbündnis auf Schlachtfeldern unterwegs war, z. B. Kosovo und Libyen. Die Einmischung in diese Konflikte hatte aber mit den Gründungszielen der NATO nichts zu tun. Vielmehr ging es darum ohne UN-Mandat militärisch einzugreifen, möglichst noch mit Raketen einen Regimewechsel zu erzwingen. Formal handelte es sich um Angriffskriege. Ironischerweise gab es nach jüngsten Drohungen des libyschen IS gegen Italien keine Reaktion der NATO, warum auch, dass Verteidigungsbündnis ist ja auch Angriff gepolt.

Ansonsten sorgte die NATO im Rahmen der Ukraine-Krise immer wieder für Schlagzeilen. Geht es eigentlich um mehr als das Abstecken von Plains.
Ganz im Sinne der Breschnew-Doktrin sind hingegen aktuelle Stimmen aus dem Baltikum. Es ist immerhin berühigend, dass das westliche Verteidigungsbündnis immerhin dazu bereit ist Lettland oder Estland im Fall des Falles auch im Kampf gegen die eigene Bevölkerung zu unterstützen.

Traitor
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So 22. Feb 2015, 23:17 - Beitrag #2

In Sachen "Angriffskriege" ist das Prinzip wohl mittlerweile, dass eine "nur" von Russland (und evtl. China) per Veto verhinderte UNO-Resolution als "gefühlt angenommen" gilt.

Gab es von der Türkei tatsächlich wiederholte Verteidigungsfallanfragen? Nach der 2012er Luftabwehr-Geschichte, die wir im anderen Militärpolitik-Thread mal hatten, hat man dazu nicht mehr viel gehört, und zur insgesamt eher unentschlossenen Syrien-Politik der Türkei würde eine allzu hartnäckige Politik des Bündnis-hinter-sich-Bringens mir auch nicht zu passen scheinen.

Dass die NATO von ihrer Struktur her für den "Terrorismus-Verteidigungsfall" wenig nützlich sein würde, war ja zu erwarten. Eigentlich hat sie immer nur darauf gewartet, dass Russland sich wieder als Feindbild anbietet.

Undurchsichtig war für mich immer die Verbindung oder Nichtverbindung zwischen NATO und OSZE, in der Ukraine ist bisher offiziell ja nur letztere dabei.

Die "eigene Bevölkerung" im Baltikum sind ja offiziell keine Bürger, also könnte man sie sicher leicht zu externen Aggressoren deklarieren. Von diesem sehr fragwürdigen Zweiklassenbürgerschaftssystem abgesehen, halte ich die Situation im Baltikum allerdings für deutlich anders als in der Ukraine - das sind ziemlich fortschrittliche und stabile Staaten, die sich sehr deutlich zum Westen hingewendet haben und aus historischen Gründen schon lange Angst vor russischem Neoimperialismus hatten, bevor das kürzlich Mode wurde.

Sollte es Anzeichen geben, dass sich Konflikte zwischen russischen und nichtrussischen Bevölkerungsschichten an der russischen Peripherie zu einem großflächigen Phänomen ausweiten, sollte man aber durchaus ernsthaft darüber nachdenken, ob Autonomieregelungen oder Flächentausche in Verbindung mit sehr starken nicht-weiter-Garantien nicht als entschärfende Maßnahmen dienen könnten.
Damit wäre man zwar wieder den Putin-Hitler-, Donezk-Sudetenland-Vergleichen ausgesetzt, aber mit Balkan, Irak, Ukraine scheinen sich die Beispiele einfach zu sehr zu häufen, dass das Heiligsetzen der Integrität nichtmononationaler Nationalstaaten zu oft zu böse Folgen hat.

Lykurg
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Mo 23. Feb 2015, 01:23 - Beitrag #3

Zitat von Maglor:Die NATO wurde als Verteidigungsbündnis gegründet.
Und ich dachte immer, sie sei eine Handelsföderation... (habe tatsächlich das T für "Trade" statt für "Treaty" gehalten, wenn auch natürlich ohne die reale Funktion in irgendeiner Weise anders einzuschätzen).
Wikipedia zufolge führt der Bündnisfall zu "kollektiver Selbstverteidigung", nicht zwangsläufig zu unmittelbarer Hilfeleistung. Insofern wäre auch zu fragen, ob ein Land überhaupt satzungsgemäß um Hilfe bitten kann. Und im Rahmen ihrer Rolle als Konfliktwächter war das Eingreifen in Libyen durchaus Teil ihrer Rolle, zumindest solange das Rußland-Feindbild noch nicht (wieder) da war.

Die Alternative zu Flächenaufgabe/Tausch wäre massive Umsiedlung und Vertreibung. Die gab es zwar unter Stalin auch (ist ja auch überhaupt der Grund für die entsprchenden russischen Minderheiten im Baltikum), das macht die Option aber natürlich nicht sympathischer.

Maglor
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Mo 23. Feb 2015, 20:11 - Beitrag #4

Tatsächlich stand der Bündnisfall bisher immer als lautes Gedankenspiel Erdogans im Raum, das immer wieder mal abgewimmelt wurde.
Tatsächlich berief sich die Türkei 2012 auf Artikel 4 und forderte die Bündnispartner auf nachzuprüfen, ob ein Bündnisfall vorliegt. Das konnte man immer noch abwimmeln. Dass die konkrete Gefahr in der Türkei eine andere interessiert natürlich niemanden. Syrien mit seinen Chemiewaffen usw. war ja für alle anderen weit weg.
Ebenso wie die Türkei taten es jüngst Polen und die baltischen Staaten.


Die Formalitäten waren gleich. Die Reaktion war eine ganz andere. Niemand machte jenen Länder Vorwürfe, sie würden versuchen die Bündnispartner in den großen Krieg zu locken, ihre Minderheiten unterbuttern, Hi-Tec-Waffen zu schnorren oder ererbte Feindschaften pflegen etc. Der Truppenaufmarsch der NATO in der Türkei war vergleichsweise bescheiden, verglichen mit dem dem, was in Osteuropa so alles zur Verteidigung Polen und des Baltikums vor der dunklen Bedrohung zur Debatte steht oder bereits aufgestellt wurde.

Die Warschauer Regierung beantragte ein Treffen nach Artikel 4 des Nato-Vertrags. Der besagt, dass ein Verbündeter Beratungen verlangen kann, wenn er seine „territoriale Integrität, politische Unabhängigkeit oder Sicherheit“ bedroht sieht. Das ist, salopp gesprochen, die Vorstufe zur berühmten Beistandspflicht, die nach Artikel 5 jedem Verbündeten zusteht, wenn er angegriffen wird. ...
Die Warschauer Regierung beantragte ein Treffen nach Artikel 4 des Nato-Vertrags. Der besagt, dass ein Verbündeter Beratungen verlangen kann, wenn er seine „territoriale Integrität, politische Unabhängigkeit oder Sicherheit“ bedroht sieht. Das ist, salopp gesprochen, die Vorstufe zur berühmten Beistandspflicht, die nach Artikel 5 jedem Verbündeten zusteht, wenn er angegriffen wird. ...
In der Sitzung der Nato brachten die Alliierten ihre Solidarität mit Polen zum Ausdruck, wie das zu erwarten war.faz


Nach einem Granatenbeschuss aus Syrien, der fünf Mitgliedern einer türkischen Familie am Mittwoch das Leben gekostet hat, haben die Streitkräfte der Türkei am Abend mit einem Angriff auf einen syrischen Militärstützpunkt Vergeltung geübt. Dabei wurden nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in der Grenzregion Rasm al-Ghasal nahe der Stadt Tell Abjad mindestens fünf syrische Soldaten getötet. ...
Die 28 Nato-Staaten verurteilten in einer Sondersitzung "aggressive Handlungen" von syrischer Seite. Der Rat der Militärallianz bekräftigte seine bisherige Haltung, nach der die Lage "genau beobachtet" werde. ..
Der Rat hatte die Lage auf Basis des Artikels 4 des Nato-Vertrags, in dem es heißt: "Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist." Der sogenannte Bündnisfall nach einem Angriff auf ein Mitglied der Allianz wird in Artikel 5 geregelt. Stern


Man erwartet von der Türkei, dass sie ihre eigenen Interessen in der Region hinten anstellt und am besten im Sinne einer globalen Roll-back-Strategie bei der Aufrüstung der Peschmerga mithilft oder sich besser direkt mit Assad II oder dem IS anlegt und die Konsequenzen am besten allein trägt.

Die Sache mit der Ukraine ist auch eine ganz bedrohliche Sache für die NATO, vor allem wenn bedenkt, wie unglaublich nahe die Krim an der Türkei liegt. :crazy:

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Mo 23. Feb 2015, 23:41 - Beitrag #5

@Maglor: Die Lösung kann natürlich nur sein, die beiden Krisenherde zu verbinden, indem Türken, Engländer und Franzosen auf der Krim landen!

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Osteuropa/Russland und Türkei/Syrien/IS ist das Machtgefüge. Sowohl vom Drohpotential im Friedenszustand als auch vom tatsächlichen militärischen Leistungsvermögen wären Polen und Baltikum Russland alleine klar unterlegen, die Türkei ihren Nachbarn dagegen überlegen.

@Lykurg: "Treaty Organization" ist tatsächlich eine bemerkenswert inhaltsleere Bezeichnung, der Militarismus wird da schon systematisch verschwiegen, war aber wohl stets der einzig relevante Aspekt.
Schade übrigens, dass Albanien 2009 beigetreten ist, damit ist "Wag the Dog" endgültig überholt.

Lykurg
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Di 24. Feb 2015, 12:40 - Beitrag #6

Tja, so geht meine Einschätzung von Star Wars als besonders elaborierter Politsatire dahin.

Ein Bündnis mit dem IS wäre natürlich sehr im Sinne von Putins Image als knallharter Erzbösewicht. Immerhin könnten die Russen sich diesmal relativ sicher fühlen, selbst wenn Österreich zahlreiche Truppen an seiner Ostgrenze aufmarschieren lassen sollte; Preußen bleibt neutral. Interessant übrigens, daß schon der ungarische Aufstand 1849 von russischen Truppen niedergeschlagen wurde. Weniges passiert in der Geschichte nur einmal...

Sehr eigenartig finde ich übrigens die türkische Kommandoaktion mit der Verlegung des Paschagrabes. Ich meine, sie räumen ihre Exklave und sprengen das historische Mausoleum - soweit halbwegs nachvollziehbar. Aber ein grenznäher gelegenes Territorium für eine neue Grabstätte auf syrischem Staatsgebiet zu annektieren? :wzg:

Maglor
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Di 24. Feb 2015, 20:51 - Beitrag #7

Zitat von Traitor:Ein wesentlicher Unterschied zwischen Osteuropa/Russland und Türkei/Syrien/IS ist das Machtgefüge. Sowohl vom Drohpotential im Friedenszustand als auch vom tatsächlichen militärischen Leistungsvermögen wären Polen und Baltikum Russland alleine klar unterlegen, die Türkei ihren Nachbarn dagegen überlegen.

Netter Versuch, aber Syrien verfügte zum Zeitpunkt des Grenzkonflikt definitiv noch über Chemiewaffen. Später stellte sich heraus, dass es sogar Bürgerkriegsparteien gibt, die Chemiewaffen einsetzen.
Die Türkei hat nur 77 Millionen Einwohner, Syrien hingegen 112 Millionen. Beim finalen Kampf mit Stöcken oder Steinen würde die Türkei klar den kürzeren ziehen.

Irgendwelche Machtgefälle scheinen aber der der NATO ohnehin keine Rollen zu spielen. Wie sonst könnte man den kollektiven Verteidigungsfall gegen die Taliban und die Al Kaida erklären? Die Turbanträger mit Sturmgewehr waren noch im Grunde nur Ameisen, verglichen mit der Supermacht USA.

Es gibt gar keine konkrete Bedrohung Polens oder des Baltikums durch Russland. Es gab schon gar keine Angriffe, Schüsse oder gar Toten.
(Die Türkei war hingegen tatsächlich kurz davor in den Krim-Konflikt hineinzugeraten. Die russischen Kriegsschiffe sind währenddessen mitten durch den Bosporus
Zitat von Lykurg:Tja, so geht meine Einschätzung von Star Wars als besonders elaborierter Politsatire dahin.

Ein Bündnis mit dem IS wäre natürlich sehr im Sinne von Putins Image als knallharter Erzbösewicht. Immerhin könnten die Russen sich diesmal relativ sicher fühlen, selbst wenn Österreich zahlreiche Truppen an seiner Ostgrenze aufmarschieren lassen sollte; Preußen bleibt neutral. Interessant übrigens, daß schon der ungarische Aufstand 1849 von russischen Truppen niedergeschlagen wurde. Weniges passiert in der Geschichte nur einmal...

Sehr eigenartig finde ich übrigens die türkische Kommandoaktion mit der Verlegung des Paschagrabes. Ich meine, sie räumen ihre Exklave und sprengen das historische Mausoleum - soweit halbwegs nachvollziehbar. Aber ein grenznäher gelegenes Territorium für eine neue Grabstätte auf syrischem Staatsgebiet zu annektieren? :wzg:
gefahren. Die unklare Zugehörigkeit ukrainische Kriegsschiffe im Schwarzen Meer war eigentlich die heißeste Phase der Krim-Krise. Die Schiffe fuhren im Schwarzen Meer und keiner wusste genau, ob sie zur Regierung in Kiew oder den Separatisten halten würden.)

Ich weiß gar nicht, was die Entwicklung dort mit Polen oder Lettland zu tun, selbst wenn die Separatisten pro Monat 10 Kilometer vorrücken würden, brächte sie noch 2 oder 3 Jahre um bis an die Grenzen Polen zu gelangen. :crazy:
Auf dieser Landkarte kann man klar erkennen, dass die Krim und der Donbass eben nicht mitten in Europa, sondern am Rande des Nahen Ostens liegen.
Bild

Zitat von Traitor:Ein Bündnis mit dem IS wäre natürlich sehr im Sinne von Putins Image als knallharter Erzbösewicht.

Das wäre doch eigentlich der klare Weg für Putin, seit der Westen mit Assad II. verbündet ist. Das diffuse westliche Bündnis greift gerade der syrisch-kurdischen PYD unter die Arme. Es ist noch nicht genug, dass es sich um den syrischen Arm der PKK handelt, nein, sie hat mit ihrem separatistischen Konstrukt Rojava die Macht vom Assad-Regime übernommen, um diesem beim Kampf gegen die Rebellen™ den Rücken freizuhalten.
Wenn der Westen zu Assad II hält, muss doch Putin zwangsläufig zum IS halten. (Die Türkei hingegen müsste natürlich glasklar zur IS (oder einer der anderen Rebellengruppen) halten, weil die ja gegen Finsterdudel Assad II. und die PYD ist.)

Traitor
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Mo 27. Apr 2015, 23:18 - Beitrag #8

Zitat von Lykurg:Sehr eigenartig finde ich übrigens die türkische Kommandoaktion mit der Verlegung des Paschagrabes. Ich meine, sie räumen ihre Exklave und sprengen das historische Mausoleum - soweit halbwegs nachvollziehbar. Aber ein grenznäher gelegenes Territorium für eine neue Grabstätte auf syrischem Staatsgebiet zu annektieren? :wzg:
Ja, das war eine äußerst skurrile Geschichte - vermutlich haben irgendwelche Rechtsanwälte beschlossen, dass es langfristig (nach Wiederherstellung syrischer Integrität und Außenpolitikfähigkeit) einfacher wäre, im Exklavenvertrag die Koordinaten auszutauschen, als ihn komplett aufzuheben. ;)

Zitat von Maglor:Netter Versuch, aber Syrien verfügte zum Zeitpunkt des Grenzkonflikt definitiv noch über Chemiewaffen. Später stellte sich heraus, dass es sogar Bürgerkriegsparteien gibt, die Chemiewaffen einsetzen.
Für klassischen Armee-gegen-Armee-Krieg haben Chemiewaffen nicht gerade einen Ruf als übermäßig effektiv. Zivilistenmassaker sind eher ihre Stärke. Die syrische Luftwaffe, auch im unbeschadeten Vorbürgerkriegszustand, hätte die Türkei vermutlich auch ohne NATO-Hilfe als bessere Tontauben behandeln können. Einen Faktor 20 Unterschied im Militärbudget finde ich auch recht eindeutig. Gut, zwischen Russland und Estland beträgt der 200. Aber zwischen Russland und Polen immerhin nur 8. [WP-Zahlen, nicht gegengeprüft]

Zitat von Maglor:Die Türkei hat nur 77 Millionen Einwohner, Syrien hingegen 112 Millionen. Beim finalen Kampf mit Stöcken oder Steinen würde die Türkei klar den kürzeren ziehen.
Noch netterer Versuch, aber du hast anscheinend Syriens Bevölkerungsdichte (pro km^2) mit der Gesamteinwohnerzahl (laut WP ehemals 21 Mio) verwechselt. ;)

Zitat von Maglor:Irgendwelche Machtgefälle scheinen aber der der NATO ohnehin keine Rollen zu spielen. Wie sonst könnte man den kollektiven Verteidigungsfall gegen de Taliban und die Al Kaida erklären? Die Turbanträger mit Sturmgewehr waren noch im Grunde nur Ameisen, verglichen mit der Supermacht USA.
Strategisch überlegene Ameisen allerdings - vielleicht wurde das durch die Aktivierung ja quasi eingestanden...?

Zitat von Maglor:Es gibt gar keine konkrete Bedrohung Polens oder des Baltikums durch Russland. Es gab schon gar keine Angriffe, Schüsse oder gar Toten.
[...]
Ich weiß gar nicht, was die Entwicklung dort mit Polen oder Lettland zu tun, selbst wenn die Separatisten pro Monat 10 Kilometer vorrücken würden, brächte sie noch 2 oder 3 Jahre um bis an die Grenzen Polen zu gelangen. :crazy:
Da möchte ich dir auch gar nicht widersprechen. Eine gefühlte Bedrohung war aber schon immer ein mindestens so guter Anlass für diplomatischen, politischen und leider auch oft militärischen Krisenaktionismus wie eine bereits in der Realität konkretisierte. Und die korrekte Abwägung zwischen zu viel Alarmismus und zu viel Appeasement ist leider meist erst mit ein paar Jahrzehnten Abstand vornehmbar.

Ipsissimus
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Di 28. Apr 2015, 10:57 - Beitrag #9

Gorbatschow war ein Fehler^^ ohne ihn hätten wir immer noch schöne stabile Verhältnisse^^ so haben wir ein Oligarchen-Regiment von lauter Superreichen, die einander nicht grün sind und ihre Aversionen über ihre Nationen austragen

Der IS wird immer mehr zu einer realpolitischen Größe. Nicht dass ich das für sympathisch finde, aber zur Kenntnis nehmen sollte man vielleicht, dass sich der IS nicht mehr einfach wegpusten lassen wird.

Maglor
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Di 28. Apr 2015, 19:35 - Beitrag #10

Meine Rechercheleistung ist so schlecht, dass ich glatt darübernachdenken sollte, sowas beruflich zu machen. ^^

Zur Türkei und Syrien:
Es gehört zu den Fakten, dass bei Angriffen von Syrien auf die Türkei Menschen gestorben sind. Solch Scharmützel zu Lasten des Bündnispartners werden offenbar hingenommen.

Der IS ist eine realpolitische Größe, die man einfach wegpusten kann. Warum sollte es ausgerechnet dem Kalifen von Isistan anders ergehen als Gaddafi, Milosevic und Saddam Hussein? Selbst Charles Taylor verschwand durch nur einen Schnips mit dem Finger von der politschen Bildfläche. Ich glaube sehr wohl, dass jenes westliche Bündnis dazu in der Lage ist, dem IS Einhalt zu gebieten. Unsere Soldaten sind genauso gut oder besser ausgebildet und bewaffnet wie die vom IS. Die Regierungen wissen das ganz genau, weil ja bekannt ist, dass die meisten IS-Kämpfer gar nicht aus Syrien kommen.

Lykurg
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Mi 29. Apr 2015, 09:41 - Beitrag #11

Unsere Soldaten sind erheblich besser ausgebildet und ausgerüstet als die des IS - daran sollte es keinen Zweifel geben, auch wenn die Bundeswehr noch so viele Engpässe und Qualitätsmängel beanstanden muß. IS bzw. Daesh (ich mag die Bezeichnung) basiert gerade auf seinen losen Strukturen, guerilla-artiger Einsatz von wenig ausgebildeten, irregulären, aber hochgradig mobilen Trupps, etwa Pickups mit aufgeschraubten Maschinengewehren, mit denen er Angst und Schrecken verbreitet, und Verwendung von Kurieren statt abhörbaren Telekommunikationsmitteln. Das macht ihn - bei hinreichendem Rückhalt aus der Bevölkerung oder aber bei wirksamer Schreckensherrschaft - lokal stärker als das westliche Bündnis bzw. schwer zu bekämpfen.

Dazu kommt, daß der Westen zivile Verluste um jeden Preis zu vermeiden suchen muß - sowohl seiner eigenen Öffentlichkeit als auch der in der arabischen Welt zuliebe - während Daesh sich darum nicht in allzu auffälligem Maße kümmert. Könnte der Westen seine Drohnen so rücksichtslos einsetzen wie Daesh seine Rollkommandos, wäre der Konflikt wahrscheinlich relativ schnell in den Griff zu bekommen...

Ipsissimus
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Fr 1. Mai 2015, 14:21 - Beitrag #12

Ich denke, ihr macht es euch mit der Bewertung des IS zu einfach. Die wären nicht so lokal erfolgreich, wenn sie gegen die Bevölkerung dort herrschten. Die Achillesferse der Gadhaffi & Co GG war immer, dass sie gegen ihre eigenen Bevölkerungsmehrheiten herrschten. Das ist im Herrschaftsbereich der IS nicht gegeben. Das ist sogar etwas, das ihm eine gewisse Legitimität verschafft, sofern man Volkeswille über Staatswille stellt.

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So 3. Mai 2015, 14:57 - Beitrag #13

Hast du einigermaßen glaubwürdige Angaben dazu, inwieweit Daesh die Zustimmung der Bevölkerung der von ihm kontrollierten Gebiete besitzt? Ich mache mir keine Illusionen darüber, daß es einen erheblichen Anteil an Unterstützern und Mitläufern gibt, würde aber zunächst einmal vermuten, daß der größte Teil der Bevölkerung primär in Ruhe gelassen werden will, daß sehr viele unter der Willkürherrschaft von Daesh zu leiden bzw. von ihren Verbrechen direkt oder indirekt betroffen sind und, bei aller kritischer Einstellung gegenüber dem Westen, deswegen noch lange nicht eine Organisation unterstützen, die auch von sehr vielen gemäßigten Muslimen - und maßgeblichen islamischen Autoritäten z.B. in Kairo und Teheran als gottlos dargestellt wird.

Sicher haben sie viele Unterstützer, was es auch schwer machen dürfte, sie zu verfolgen - und darüber hinaus eine Schreckensherrschaft, wie von mir erwähnt. Aber einen Mehrheitswillen sehe ich nicht - und außerhalb (ex-)sozialistischer Länder würde eine Wahl unter den dort herrschenden Bedingungen wohl auch nicht anerkannt. ;)

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So 3. Mai 2015, 17:51 - Beitrag #14

Zitat von Ipsissimus:Die Achillesferse der Gadhaffi & Co GG war immer, dass sie gegen ihre eigenen Bevölkerungsmehrheiten herrschten. Das ist im Herrschaftsbereich der IS nicht gegeben.

Da Oppositionelle und Andersgläubige durch den IS weitgehend ausgemerzt oder vertrieben werden, könnte man meinen, dass sie die Zustimmung der verbliebenen Bevökerung haben.
Das ist aber meines Erachtens so nicht der Fall. Die Syrien wird der IS vor allem durch ausländischen Kämpfer gestützt. Im Irak kämpft der IS gegen die demokratisch gewählte Regierung. Auf der anderen Seite sind weite Teile des Irak kampflos in die Hände des IS gefallen und ausländische Kämpfer spielen dort keine so starke Rolle wie in Syrien.

Zitat von Lykurg:Dazu kommt, daß der Westen zivile Verluste um jeden Preis zu vermeiden suchen muß - sowohl seiner eigenen Öffentlichkeit als auch der in der arabischen Welt zuliebe - während Daesh sich darum nicht in allzu auffälligem Maße kümmert.

Wenn der "Westen" zivile Verluste um jeden Preis vermeiden wollte, würde er nicht ständig mit Drohnen unbekannte Ziele im unbekannten Terrain angreifen.
Daesh kümmert sich durchaus um zivile Verluste und die Wirkung in der Öffentlichkeit. Ethnische Säuberungen und die Hinrichtung von Gefangenen sind Teil des Programms und werden von der eigenen Propagandaabteilung bekannt gemacht.


Zurück zur NATO:
Spielt die NATO dort überhaupt eine Rolle? Gibt es eine gemeinsame Syrien-Poliktik der NATO?
Das ist offensichtlich nicht der Fall. Die NATO hat daher versagt. Es gibt keinen Konsens. Die Sicherheit der Türkei ist nicht konsensfähig. Die Sicherheits der Türkei ist verhandelbar und hat keine oberste Priorität. Auch die Balkanpolitik der 90er war nie Konsens.
Braucht man so eine NATO noch?

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So 3. Mai 2015, 19:52 - Beitrag #15

Drohnenangriffe gegen Unbekannte in unbekanntem Terrain haben den Vorteil, daß sie gute Chancen haben, unbekannt zu bleiben. Folgerichtig entfällt dann die von mir genannte Begründung einer Vermeidung von Kollateralschäden.

Die eher niedrig priorisierte 'Vermeidung ziviler Verluste' seitens Daesh war ein bewußtes Understatement meinerseits. - Ich frage mich, wann zuletzt in der Weltgeschichte derart offensiv mit eigenen verübten Greueln gegen die Zivilbevölkerung Werbung gemacht wurde. Möglicherweise das eine oder andere Massaker in den Kolonialkriegen, die Niederschlagungen von Hereroaufstand oder Boxeraufstand zum Beispiel? Aber es dürfte keine Fotos ermordeter Hererofrauen-/kinder in der deutschen Tagespresse gegeben haben. - Die Konquistadores? Ich glaube, die nahmen kein Blatt vor den Mund. - Ansonsten vielleicht die Mongolen, keine Ahnung, wie deren Selbstdarstellung aussah.

Zurück zur Nato: Nein, in Syrien stößt sie klar an ihre Grenzen. Ihre traditionellen Aufgaben nimmt sie in der Rußlandkrise wahr, auch da kann man über ihre Eignung diskutieren, aber sie hat zumindest eine klare Funktion.

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So 3. Mai 2015, 20:29 - Beitrag #16

Bei der sogenannten Russlandkrise gibt es eigentlich nur eine Frage: Ist die NATO Lösung oder Teil des Problems? ;)

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Mo 4. Mai 2015, 14:18 - Beitrag #17

Zitat von Maglor:Bei der sogenannten Russlandkrise gibt es eigentlich nur eine Frage: Ist die NATO Lösung oder Teil des Problems? ;)


Das ist die falsche Frage. Die richtige Frage zeigt sich hier^^

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Mo 4. Mai 2015, 15:16 - Beitrag #18

Der Feind ist unbekannt, die Geographie ist unbekannt und die Koalitionen sind unbekannt
bedeutet dann doch, daß überall bedenkenlos Drohnen eingesetzt werden können... Daß Geographiekenntnisse nicht vorhanden sind, ist ja auch nichts neues. Bündnisse auf Zeit machen allerdings Zusammenarbeit unattraktiv.

Das gilt natürlich auch für Geheimdienste; ich staunte gestern nicht schlecht, zu lesen, daß in der BND-Affäre mal wieder Empörung darüber herrscht, daß man wohl versehentlich auch deutsche Staatsbürger ausgespäht und die Daten dem NSA weitergegeben habe. Kommt mir ehrlich gesagt kein bißchen schlimmer vor als wenn es französische oder italienische Staatsbürger betrifft. Wenn die europäischen Geheimdienste sich derartig gegeneinander ausspielen lassen, ist das beschämend. Und auch da hätte ich eigentlich gedacht, daß die NATO eine gewisse Form von Nähe suggeriert, die das Ausmaß geheimdienstlicher Unterwanderung einschränken sollte.

Maglor
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Mo 4. Mai 2015, 19:50 - Beitrag #19

Es geht nicht nur um Drohnen, sondern auch um Abhörstutzpunkte, CIA-Geheimgefängnisse usw. Die Strategie ist alles andere als die neu. Die NATO ist hierfür aber auch gar nicht mehr erforderlich und hat an der Ausdehnung des Operationsgebietes nur geringen. Insbesondere wenn man bedenkt, dass es auch Länder, in denen US-Truppen stationiert sind, die aber gar nicht Teil der NATO sind, z.B. Kasachstan.
Ein erhebliches Problem ist, dass die besetzen Staaten keine Kontrolle über diese Aktivitäten haben und imgrunde regelmäßig den Interessen widersprechen, z. B. Deutschland als Knotenpunkt frü Drohnenkrieg, Gefangenentransporte oder Horchmaßnahmen.

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Ich glaube nicht, dass der Georgienkrieg von 2008 oder der jetzige Ukrainekrieg ohne die NATO und die Idee einer Osterweiterung je ausgebrochen wären.

Die Politik der NATO und der EU sind außerdem noch entgegen gesetzt. Beide Bündnisse haben spätestens seit den Irakkrieg offensichtlich unterschiedliche politischen Absichten.
Dieser Gegensatz wird auch in der Ukraine deutlich. So wurde z. B. die NATO-Marionette Jazenjuk gegen die EU-Marionette Klitschko ausgespielt. Immer wieder konterkarierten Äußerungen und Aktionen seitens der NATO-Funktionäre oder US-Militärs die Vermittlungsversuche von Deutschland und Frankreich.

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Mo 4. Mai 2015, 21:10 - Beitrag #20

Ich glaube nicht, dass der Georgienkrieg von 2008 oder der jetzige Ukrainekrieg ohne die NATO und die Idee einer Osterweiterung je ausgebrochen wären.
Stimmt - ohne Nato wäre der Warschauer Pakt möglicherweise nicht zusammengebrochen, das hätte dann beide Ereignisse eher unwahrscheinlich gemacht...

Aber ja. Natürlich hat das Vorhandensein verschiedener Entscheidungsebenen und Bündnisse den Vorteil, daß man sich für jede Ebene einzeln ein passendes Vorgehen aussuchen kann, damit entsteht ein guter Weg, Verantwortung zu verteilen und Risiken abzuwälzen.

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