Der Diskurs in Zeiten von Lügenpresse und Fratzenbuch

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Maglor
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Mi 1. Jun 2016, 19:58 - Beitrag #1

Der Diskurs in Zeiten von Lügenpresse und Fratzenbuch

Anlass, Reaktion, Eskalation: Der politische Diskurs ist unerträglich vorhersehbar geworden. Das ist ein Geschenk für rechte Hetzer.

Zitat von Lobo:Die zentrale Schwierigkeit des heutigen blitzentfachten, politischen Diskurses - seine wiederkehrenden Reiz-Reaktions-Schemata - scheinen eine enorme Müdigkeit selbst bei wohlmeinenden Teilnehmern zu bewirken. Die Beschleunigungsspirale aus sozialen und redaktionellen Medien erzeugt kaum mehr als situative Verpuffungen. Es scheint dabei leicht, die professionellen Medien als Alleinschuldige auszumachen, aber das blendet die inzwischen tragende Funktion der sozialen Medien und damit der Öffentlichkeit selbst aus. Und auch die reißerischste Artikelüberschrift teilt sich nicht von allein über Facebook.


Sascha Lobo hat wirklich kurz und knapp erklärt wie es geht. Aktuelle politische Diskurse funktioniert nach einem dumpfen Muster. Politik, Medien und asoziale Netzwerke spielen perfekt zusammen. Ein beliebiges Thema spaltet (angeblich) für mehrere Tage oder ein paar Stunden die Republik, um anschließend spurlos im Grundrauschen von Netz und Medien zu verschwinden.

Das wichtigste an der Sache ist natürlich die Unwichtigkeit der Sache. Beim Bullshit-Bingo spielt Bullshit die Hauptrolle. Alles dreht sich um die Aufmerksamkeit.

Lykurg
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Mi 1. Jun 2016, 23:39 - Beitrag #2

In meinen Augen das beste, was ich seit längerem von ihm gelesen habe. Die Abfolge der Automatismen ist einleuchtend und nachvollziehbar, die Folgen offensichtlich, daher braucht er sich nicht lange damit aufzuhalten. Sehr pointierte Beobachtungen mittendrin - "Das hat er gar nicht gesagt, außerdem stimmt es!" - das läßt sich problemlos auf zahllose Fälle anwenden. Ich weiß allerdings nicht, ob Trump wirklich geschickter darin agiert als die AfD, ich meine, es sind auf beiden Seiten viele Versuchsballons und weniger planvolles Handeln, abgesehen natürlich davon, daß die Akteure erkannt haben, daß kaum ein radikales und jedenfalls kein noch so dummes Statement sie in den Augen ihrer Anhänger beschädigt. Ich fürchte, der Zug ist abgefahren, nur wohin?

Maglor
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Do 2. Jun 2016, 15:52 - Beitrag #3

Bei Trump erkenne ich nicht, dass er Sachen zuücknimmt, behauptet, er habe das nicht so gemeint oder ihm sei die Maus ausgerutscht. Auch verbreitet er keine Zweideutigkeiten, sondern schießt locker aus der Hüfte. Das ist zumindest mein Eindruck, wobei ich die Vorwahlkämpfe kaum verfolgt habe. Zu beachten ist jedenfalls, dass Trump jahrelange Erfahrungen im Reality-TV hat und daher einen ganz anderen Professionalitätsgrad errreicht hat, als die Kinderschreckfiguren von der AfD.

Lykurg
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Fr 3. Jun 2016, 03:06 - Beitrag #4

Ah, ok, danke für die Erläuterungen. Wobei Trumps TV-Erfahrung ihm sicher sehr nutzt, auch wenn sie eben auch nur ihm helfen kann. Die Qualitäten, die er dort unter Beweis stellte, würden kaum jemandem zur Ehre gereichen. Und hier... naja, wi du sgst, das Vorgehen der AfD ist anders, das mag an mangelndem Geschick liegen, aber auch der beschriebenen Andersartigkeit des geistigen Minenfelds folgen.

Ipsissimus
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Sa 4. Jun 2016, 10:56 - Beitrag #5

Man kann Lobo nur gratulieren, dass er auch endlich drauf gekommen ist. Derlei Zyklen haben den politischen Diskurs seit je unerträglich gemacht, die Beschleunigung ändert daran nur, dass die Erholungsphasen dazwischen schrumpfen und damit ein stärkeres Empfinden fiebriger Gehetztheit aufkommt.

Feuerkopf
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So 5. Jun 2016, 12:17 - Beitrag #6

Die Hemmungslosigkeit, andere bis aufs Blut zu reizen oder zu verletzen, finde ich, schlicht gesagt, zum Kotzen. Ich habe mich inzwischen aus vielen Diskussionssträngen ausgeklinkt, weil ich mir so einen Flachmist nicht mehr antun will. Das führt natürlich zur vermeintlichen Meinungsherrschaft der Lautsprecher.
Das führt aber auch dazu, dass die AfD sich für erfolgreicher hält, als sie letztendlich ist, denn sehr viele und sehr unterschiedliche Menschen in meinem Umfeld finden die dreiste Simplifizierung der Argumente einfach unerträglich.

Lykurg
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So 5. Jun 2016, 15:09 - Beitrag #7

Die Frage, inwieweit sie wirklich für sich mobilisieren können, und noch dazu auf Dauer, wird ziemlich brenzlig. Sicherlich sind sie durch übertriebene Aufmerksamkeit zunächst viel größer erschienen, als sie tatsächlich waren, und auch heute mag der Eindruck anhalten, trotzdem haben sie die Möglichkeit zweifellos nutzen können, im braunen Sumpf eine lange nicht mehr bekannte Sammelwirkung zu entfalten. Die Verfasser von Beleidigungen und Morddrohungen werden immer dreister, agieren inzwischen unter ihrem Namen, weil sie sich in der Masse als unangreifbar sehen (stellte laut einem Spiegel-Bericht gerade z.B. Justizminister Maas fest, der Pegida mal als Schande zu bezeichnen wagte). Meines Erachtens hätten die Medien spätestens mit den Übergriffen auf Journalisten im Osten die Berichterstattung über die Demos und deren Akteure beenden sollen. Die Radikalisierung und Verbreitung ihres Gifts wurde dadurch nur befördert und inhaltlich aufgewertet. Ich sehe auch nicht ein, warum etwa Gauland nach dem Mist, den er gerade verzapft hat, nun eine Interviewanfrage nach der anderen bekommt. Die Hoffnung, daß sie damit auf die Nase fallen? Ich habe meine Zweifel, daß die Anhänger sich davon im Geringsten beeindrucken lassen, siehe Trump, der für seine Unfähigkeit verehrt wird. Nein, ich fürchte, die werden jetzt erst einmal die Landtage aufrollen, und da viele derjenigen, die sie wählen, ohnehin nur ihren eigenen Verlautbarungen Glauben schenken, dort auch eine Weile bleiben.

Andererseits gibt es natürlich auch schöne Fälle von Selbstüberschätzung. Gestern berichtete der Spiegel über den Versuch einer entsprechenden Demonstration ("Asylmißbrauch stoppen - Gegen die Politik Merkel") in Bad Segeberg, zu der nur der Anmelder selbst erschien - sowie 50 Gegendemonstranten und 170 Polizisten. fb-Kommentatoren fragten, ob er, wenn man ihn gelassen hätte, "Wir sind das Volk!" oder "Ich bin das Volk!" gerufen hätte. :D

Maglor
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So 5. Jun 2016, 19:05 - Beitrag #8

Zitat von T. W. Adorno:Ein Schema, das in der Geschichte aller Verfolgungen sich bestätigt hat, ist, dass die Wut gegen die Schwachen sich richtet, vor allem gegen die, welche man als gesellschaftlich schwach und zugleich - mit Recht oder Unrecht - als glücklich empfindet. Soziologisch möchte ich wagen, dem hinzuzufügen, dass unsere Gesellschaft, während sie immer mehr sich integriert, zugleich Zerfallstendenzen ausbrütet. Diese Zerfallstendenzen sind, dicht unter der Oberfläche des geordneten, zivilisatorischen Lebens, äußerst weit fortgeschritten. Der Druck des herrschenden Allgemeinen auf alles Besondere, die einzelnen Menschen und die einzelnen Institutionen, hat eine Tendenz, das Besondere und Einzelne samt seiner Widerstandskraft zu zertrümmern. Mit ihrer Identität und ihrer Widerstandskraft büssen die Menschen auch die Qualitäten ein, kraft deren sie es vermöchten, dem sich entgegenzustemmen, was zu irgendeiner Zeit wieder zur Untat lockt. Vielleicht sind sie kaum noch fähig zu widerstehen, wenn ihnen von etablierten Mächten befohlen wird, dass sie es abermals tun, solange es nur im Namen irgendwelcher halb- oder gar nicht geglaubter Ideale geschieht.

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Mi 20. Sep 2017, 20:19 - Beitrag #9

Ein Jahr ist vergangen und immer noch das selbe Thema bei Sascha Lobo.
Er hat eine ziemlich einfache Erklärung gefunden. Argumente sollen keine Argumente sein, Nachrichten keine Nachrichten. Es geht nur um das Wir und den Hass, der verbindet.

Zitat von Lobo:Umgang mit rechts Die AfD verstehen, ohne Verständnis zu entwickeln

Informationen dienen nicht dem Nachrichten- oder Wahrheitsbedürfnis, sondern haben die soziale Funktion der Gruppenbildung. Korrektheit ist für sozialmediale, rechte Öffentlichkeiten eher kein Kriterium. Es geht um Selbsterregung und die Empörung der Gegenseite. Deshalb teilen sie alles, von dem sie glauben, dass es Linke aufregt. Das gibt einem das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen.


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