Spanien - Enklave der Linken

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Maglor
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Mo 14. Nov 2016, 22:18 - Beitrag #1

Spanien - Enklave der Linken

Überall ist von den Erfolgen der Rechtspopulisten zu hören, Ungarn, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, USA ...

Nur ein Land schwimmt gegen den Strom. Spanien bleibt vom Rechtsruck verschont.

Es ist kein Naturgesetz, dass in diesen Zeiten braun und ähnliches gewählt wird. Spanien mangelt es keineswegs an Probleme. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch. Separatismus ist seit seit Jahrzehnten ein Dauerthema. Flüchtlinge sind überall. Die Staatsverschuldung ist auch reichlich verhanden. Mehrheiten zur Regierungsbildung sind schwierig und instabil.
Die Anschläge in Madrid 2004 waren mit fast 200 Toten der schwerste islamistische Terroranschlag in Europa.

Trotzdem finden Neonazis und Rechtspopulisten keinen Weg in die Parlamente. (Vielleicht ist die Erinnerung an die faschistische Diktatur noch zu frisch.)

In Spanien wurde in der Krise die neue Linkspartei Podemos gegründet.

Was macht Spanien scheinbar immun gegen den Rechtsruck in Europa?

Traitor
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Di 15. Nov 2016, 01:37 - Beitrag #2

Tja, zuallererst sei angemerkt, dass es für die Linken trotzdem nicht bis an die Macht gereicht hat, im Wesentlichen durch Hinterzimmer-Intrigen der zentristischen Sozialdemokratie-Granden, die den zum Linksbündnis tendierenden (sonst aber auch eher profillosen) Posterboy Sanchez erst ausbremsten, dann wegputschten. ("Posterboy" sowohl hinsichtlich seines Hochglanz-Images als auch angesichts der Tatsache, dass es auf Mallorca nahezu keine Wahlplakate gab, und die ganz wenigen, an die ich mich überhaupt erinnern kann, alle ihn zeigten.) Ob sich Podemos jetzt in der fortgesetzten Opposition stabilisieren oder gar weiter ausbreiten kann (letzteres wäre auf Kosten der Sozialdemokraten eigentlich zu erwarten) oder piratenmäßig wegbröckelt, wird sich zeigen.

Dass es keine nennenswerte rechte Partei gibt, wundert mich aber auch schon länger. Dazu beitragen könnten eventuell:
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  • Zu rezente Erfahrungen mit real existierendem Faschismus, wie du schon vorschlägst.
  • Überlagerung von und Konkurrenz zwischen Nationalnationalismus und Regionalnationalismus: ähnlich wie auch in Schottland sind die katalonisch-nationalistischen und baskisch-nationalistischen Parteien eher links orientiert, aus traditioneller Opposition zum rechten kastilischen Nationalstaat wie auch von lokalen kulturellen Traditionen her. Und in der Zentrale geht es dann eher um das Kleinhalten der Separatisten als um (vermeintliche) Feinde von außen. Wo der Hauptfeind in Madrid oder Barcelona sitzt, besteht weniger Bedarf daran, auf Ausländer oder Einwanderer einzudreschen.
  • Verbunden mit den ersteren beiden Punkten: das klassische Linkswählerspektrum ist, wenn auch vielleicht nur noch regional, noch stärker in traditionellen Linksparteien verwurzelt, und gleichzeitig das bürgerlich-konservative Lager stärker bei Den Konservativen, sodass das Potential für Rechtspopulisten sowohl bei Unterschicht-Protestwählern als auch bei Ober- und Mittelschicht-Reaktionären geringer ist.
  • Addendum zu 3., wer noch eine echte Monarchie hat, muss sich nicht zum Reichsbürger erklären.
  • In Außen- wie Eigenwahrnehmung war das Land selbst lange nur Anderthalbte Welt, daher vielleicht (noch) geringere "die wollen uns ausbeuten kommen"-Gefühle gegenüber erst kürzlich gestiegenen Migrantenzahlen...?
  • Mit Iglesias die richtige Galionsfigur für die linke Protestpartei zur richtigen Zeit; hätten Linke oder Piraten in Deutschland einen Charismatiker seiner Klasse gehabt, wären sicher nicht so viele rechts-links-indifferente Protestwähler zur AfD übergelaufen.

  • Ipsissimus
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    Di 15. Nov 2016, 02:52 - Beitrag #3

    Ich habe seit dem Fall des Warschauer Pakts massive Probleme zu verstehen, was links und rechts noch sein soll.

    Maglor
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    Mi 4. Jan 2017, 18:29 - Beitrag #4

    Ich habe die Vermutung, dass es auch daran liegt, dass sich die Spanier eben nicht so leicht aus der Ruhe bringen lassen.
    Nachdem 1.100 Afrikaner versuchten den Flüchtlingszaun zur nordafrikanischen Enklave Ceuta zu stürmen, reagierte die spanische Regierung keineswegs mit Aktionismus oder ideologischen Grabenkämpfen. Die Spanier stellen nur schlicht fest, dass sie die Lage unter Kontrolle haben - mehr nicht.
    Die spanische Flüchtlingspolitik ist restriktiv - keine Frage, aber in der politischen Debatte wird keineswegs der Eindruck erzeugt, man habe die Kontrolle verloren oder der Zäun müsse höher gebaut wird. Niemand flippt aus. Das ist der entscheidende Unterschied zu Deutschland, Ungarn oder gar Polen.

    Ipsissimus
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    Do 5. Jan 2017, 00:22 - Beitrag #5

    möglicherweise deswegen, weil bei den Spaniern die Erinnerung an die Diktatur noch nicht so weit zurückerinnern muss wie in Deutschland

    Maglor
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    So 5. Feb 2017, 19:05 - Beitrag #6

    Die Diktaturerfahrung ist in Ungarn oder Polen jedoch 15 Jahre frischer als in Spanien und trotzdem werden gerade Grundrechte und Rechtsstaatprinzipien abgebaut.
    Es ist nicht nicht Schuld der Umstände, sondern die Schuld der Spanier, die beim Rechtsruck Europas einfach nicht mitmachen wollen.

    In Griechenland ist die Lage ähnlich. Die Neonazis von Chrysi Avgi sind zwar im Parlament vertreten, erhielten aber nur mit 6,99 %. Verglichen mit Frankreich, Ungarn oder Deutschland sind das jedoch Peanuts.
    In Griechenland gibt es auch keine Probleme. Warum sollte dort jemand auf Rechtspopulisten reinfallen?


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