Vakuumfluktuationen, Energieerhaltung und Urknall

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
Ipsissimus
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Di 2. Sep 2008, 09:26 - Beitrag #1

Abgetrennt aus dem LHC-Thread - Traitor

könnte man sich für sehr massereiche Neutronensterne, deren Dichte fast, aber nicht ganz die Grenze zu einem Schwarzen Loch erreicht, ein Szenario vorstellen, bei dem ein Zwillingsteilchen schnell, das andere langsam entweicht, so dass sie beide nicht annihilieren? Also prinzipiell eine echte Verletzung des Energieerhaltungssatzes?

Traitor
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Fr 5. Sep 2008, 23:11 - Beitrag #2

könnte man sich für sehr massereiche Neutronensterne, deren Dichte fast, aber nicht ganz die Grenze zu einem Schwarzen Loch erreicht, ein Szenario vorstellen, bei dem ein Zwillingsteilchen schnell, das andere langsam entweicht, so dass sie beide nicht annihilieren? Also prinzipiell eine echte Verletzung des Energieerhaltungssatzes?

Die Antwort lautet sicher nein, keine je ernsthaft diskutierte Theorie widerspricht der Energieerhaltung. Diese muss ich hier also wie üblich als Axiom annehmen und kann darauffolgend nur Konsistenzüberlegungen durchführen. Was den konkreten Fall angeht, kann ich leider auch keine richtig befriedigende Antwort geben.

Das vereinfachte Modell für die Hawking-Strahlung, dass hier die Hälfte eines virtuellen Paares ins Loch fällt und die andere entkommt, scheint mir nämlich leider nicht tragfähig genug zu sein, den Unterschied zwischen Schwarzem Loch und subkritischem Körper definitiv zu klären. Dieser Effekt gehört zu einem so fortgeschrittenen Gebiet der Theoretischen Physik, dass Anschaulichkeiten leider alle irgendwann versagen.

Mein nach derzeitigem Wissensstand bester Versuch: im freien Raum oder nahe an einer großen, aber subkritischen Masse können Vakuumfluktuationen nach Energieerhaltungs- und sonstigen fundamentalen Sätzen überhaupt nur dann entstehen, wenn die Impulse der Teilchen so festgelegt sind, dass in der jeweiligen Umgebung die Schleife sich wieder schließen kann. Sämtliche Umgebungseigenschaften, inklusive der Gravitation, gehen in die Definition des Vakuumzustandes ein und bestimmen so, wie die Fluktuationen verlaufen. Das ist sozusagen ein selbst-konsistentes System.
Bei Schwarzen Löchern dagegen gibt es den Ereignishorizont als eine Art Barriere, deren Durchtunneln durch einen der Partner eine Reannihilation verhindert - was aber wiederum eine von vornherein gegebene Möglichkeit der Fluktuationen in dieser Situation ist und somit auch die Energieerhaltung nicht verletzt, wenn man die potentielle Energie der Teilchen mitberücksichtigt.

Eines der Probleme bei dieser Überlegung ist nun, dass das Teilchenbild bei quantenfeldtheoretischen Prozessen nur asymptotisch gilt, innerhalb solcher Vakuumfluktuationen also etwas fragwürdig ist; ein anderes, dass es bekanntlich keine schlüssige Quantengravitationstheorie gibt, in deren Bereich das Thema aber offensichtlich fällt.

Mit dem Unruh-Effekt (der deutsche Artikel ist leider eher schlecht) existiert für diese Frage aber eine ziemlich etablierte Erklärung. Um diese formell durchzugehen und daraus eine saubere Erklärung zu destillieren, fehlt es mir aber leider knapp an Wissen - und an der Zeit, dieses nachzuholen.

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Mo 8. Sep 2008, 10:44 - Beitrag #3

obwohl ich den Energieerhaltungssatz nicht prinzipiell in Frage stellen will, muss man aber wohl doch sagen, dass es in der Kosmologie mit dem Urknall-Modell zumindest eine ernsthaft diskutierte Theorie gibt, in der die Verletzung des Energieerhaltungssatzes gar nicht größer ausfallen könnte, zumindest solange nicht, bis eine Theorie etabliert ist, die die Existenz des Universums in Übereinklang mit dem Erhaltungssatz bringt. Wenn Physiker mit einer derartigen Verletzung leben können, nimmt es mich doch wunder, dass sie kleinere Verletzungen in Grenzsituation gar nicht in Erwägung ziehen.

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Mo 8. Sep 2008, 11:48 - Beitrag #4

Der Urknall an sich verletzt die Energieerhaltung nicht, eine Ausdehnung einer heißen Singularität ist mit ihm und auch dem Entropiegesetz perfekt vereinbar. Die vorige Entstehung dieser Singularität wiederum kann den Energieerhaltungssatz nicht verletzen, da er auf ein "vor dem Universum" ersteinmal gar nicht angewendet werden kann.
Die populärste Idee einer kosmischen Vorgeschichte, die Abspaltung aus einem Mutteruni- oder Multiversum, stellt ihn dann wieder her, indem sie das ganze Universum nur als "kurzzeitige" Quantenfluktuation interpretiert. Aber das ist leider reine Philosophie.

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Mo 8. Sep 2008, 12:08 - Beitrag #5

hmm, der Urknall ist vielleicht kein formaler Verstoß gegen den Energieerhaltungssatz - da alles, was "vor" dem Urknall war - in Zeitlosigkeit "geschah" und der Urknall ein möglicherweise geschlossenes System erst etablierte - aber die "Einbringung" einer Masse von Universumsgröße in ein "Etwas", das sich durch die Einbringung zu einer Raumzeit entwickelt, NICHT als Verstoß gegen einen Erhaltungssatz zu verstehen, dazu bedarf es wohl einer echten Vorliebe für formalisierte Lösungen^^ ich könnte auch fragen: wo war die Masse des Universums vor dem Urknall? Oder, falls das zu unwissenschaftlich gefragt ist: wenn da ein echtes, digitales Nichts war, in das spontan Masse eingebracht wurde - durch welchen Mechanismus war das möglich? Und ich fürchte, bei aller Verbannung dieser Frage in den Bereich des wissenschaftlich nicht Klärbaren wird doch erst ihre Beantwortung uns zu einem echten Verständnis der Voraussetzungen unserer Existenz bringen^^

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Mo 8. Sep 2008, 23:59 - Beitrag #6

Mir sind drei Möglichkeiten bekannt:

Der Urknall ist tatsächlich ein Anfang ohne jede, oder zumindest ohne jede menschlich erfassbare, Herkunft. Dann ist das Problem, dass alles über ihn hinaus absolut und definitiv nicht mit den üblichen Begriffen und Konzepten behandelt werden kann. Weder war die Masse vor dem Urknall irgendwo, weil es kein "vor" gab, noch wurde Masse in irgendetwas eingebracht, noch nichtmal in ein Nichts, da es noch kein wo oder was gab. Somit kann die Energieerhaltung gar nicht betrachtet werden.

Zweitens die im Vorbeitrag erwähnte Abspaltungstheorie, die die Energieerhaltung rettet.

Drittens die Idee, dass es tatsächlich ein einfaches "vor dem Urknall" gab, in dem dasselbe Universum schonmal in einem ausgedehnten Zustand war, der dann zur Singularität oder nahe daran kollabierte und reexpandierte. Auch dabei wäre die Energieerhaltung gerettet.

Beide Erklärungsansätze haben zwei Hauptprobleme: Sie verschieben die Ursprungsfrage nur auf das Über- bzw. Voruniversum. Und es ist so gut wie ausgeschlossen, dass sie irgendwelche beobachtbaren Artefakte hinterlassen haben, anhand derer sie veri- oder falsifizierbar wären. Daher sind sie eben "nur Philosophie", trotz physikalischer Sprache wohl leider keine Physik, und dein "echtes Verständnis der Voraussetzungen unserer Existenz" ist mit großer Sicherheit nicht zu erreichen.

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Di 9. Sep 2008, 11:01 - Beitrag #7

ich weiß nicht^^ befriedigt dich eine dieser Antworten so richtig?

Möglichkeit eins schreit doch förmlich. Da war also nichts, absolut nichts, und ohne Grund, ohne Vorwarnung, ohne Anlass war plötzlich alles da. Und alles, was die Physik uns dazu zu sagen hat, ist: nach dem Vorher kann mit wissenschaftlichen Mitteln nicht gefragt werden. Leiden die Physiker wenigstens darunter? ^^

Die zweite Möglichkeit, die Abspaltungstheorie, leidet natürlich unter der Verschiebungsproblematik, aber sie sieht klar, dass eine Masse in Unversumsgröße nicht einfach so aus dem Nichts entsteht, es gibt also etwas, das über das Universum hinausreicht. Selbst wenn wir dieses "darüber hinaus" nicht direkt beobachten können, könnten wir aber aufgrund der Ergebnisse eventuell zu Rückschlüssen auf seine Eigenschaften gelangen. Da muss "etwas" sein, das Massen in Universumsgröße "fluktuieren" kann; sich dafür mal nen Mechanismus zu überlegen, wäre doch eine aparte Aufgabe^^

die dritte Möglichkeit muss sich fragen lassen, warum überhaupt etwas existiert. Sie beschreibt zwar ein zyklisches Verhalten, das somit die Probleme eines Anfangs auflöst, aber sie beschreibt nicht, warum es überhaupt Materie gibt.

Eine Kombination von Möglichkeit zwei und drei wäre mir daher am sympathischsten. Möglichkeit eins nenne ich "verfrüht aufgehört, zu fragen"^^

Traitor
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Mi 10. Sep 2008, 00:09 - Beitrag #8

Nein, keine davon ist befriedigend. Und ja, die Physiker leiden darunter. Wie etwa auch unter dem schwachen anthropischen Prinzip, das so furchtbar logisch perfekt und unangreifbar, aber einfach unbefriedigend ist.

Letztlich stellt es sich für mich so dar, dass die theoretische Physik die Methoden hat, all diese Prä- und Metahistorien zu erdenken und zu behandeln, aber die Experimentalphysik bzw. Astronomie sie eben nie überprüfen kann. Somit handelt es sich nur um reine Mathematik, die vielleicht praktische Anwendungen für die innerkosmische Physik abwerfen kann (z.B. Wechselwirkung der verschiedenen Stringtheorie-Anwendungen auf Multiversumstheorie und Elementarteilchenphysik), deren direkte "anschauliche" Interpretation aber reine philosophische Spekulation ist.
Man kann immer sagen, man habe "verfrüht" mit dem Fragen aufgehört, aber es ist wohl leider doch der richtige Punkt und alles darüber hinaus hochinteressant, aber letztlich wertlos.

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Do 16. Okt 2008, 15:46 - Beitrag #9

noch mal ne andere Frage in dem Kontext

man kann sich das Universum "im Prinzip" nach der Standard-Theorie in der ersten oktilliardenstel Sekunde seiner Existenz annähernd als ein Schwarzes Loch von ein paar Kilometern Durchmesser vorstellen, es ist mir jedenfalls schlicht unvorstellbar, dass eine derartige Masse bei einer derartigen Kompressionsrate kein Schwarzes Loch sein sollte. Wie ist es dann möglich, dass es expandieren kann? Schwarze Löcher explodieren ja auch nicht, weil die Gravitationskraft mit steigender Dichte irgendwann über jede Grenze hinaus ansteigt, und wann soll lokale Gravitation je größer gewesen sein als in jenen ersten Momenten des Universums? Oder IST das Universum das Innere eines Schwarzen Loches?

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Do 28. Mai 2009, 15:40 - Beitrag #10

keine Antwort für meinen letzten Beitrag? habe ich zu dumm gefragt bzw. zu dumme Vorstellungen?^^

da wäre noch eine Sache, die mit der Dunklen Materie. Irgendwie erinnert die Suche nach ihr und ihren Elementarteilchen-Trägern mich doch sehr an die Äthertheorie im 19ten Jahrhundert. Sollte man aus der Äthertheorie nicht lernen, dass es sich lohnt, immer wieder danach zu fragen, ob nicht alles auch ganz anders sein kann? Welche Alternativen zu Wimps werden derzeit ernsthaft diskutiert?

janw
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Do 28. Mai 2009, 17:57 - Beitrag #11

Hm, wenn das Universum das Innere eines Schwarzen Loches wäre, dann müsste es ja permanent weiter komprimiert werden - oder nicht?

Wie verhält es sich eigentlich mit der Masse bei den Elementarteilchen, in welche die Materie nach dem Urknall zerlegt war - gibt es im Reich der Quarks und Gluonen überhaupt Gravitation?

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Fr 29. Mai 2009, 10:03 - Beitrag #12

das ist gerade meine Frage, janw. Eine Universumsmasse, komprimiert auf ein paar Kilometer Durchmesser, das IST ein Schwarzes Loch, und zwar eines, in dem die Gravitation über jede Grenze hinausgewachsen ist. Es ist mir schwer vorstellbar, welche Kraft in der Lage gewesen sein soll, diese Masse zur Explosion, also zur Expansion anzutreiben.

Ich habe mit der Vorstellung des Universums als Inneres eines SL keine Schwierigkeit, aber der Mechanismus, der die Expansion antreibt, ist mir nicht schlüssig.

Normale SLs expandieren nur durch Massegewinn aus dem Äußeren, also langsam, nicht aber schnell, weil irgendeine innere Kraft sie zur Explosion brächte. Eigentlich müsste die Gravitation die Singularität beim Urknall zusammengehalten haben, es sei denn, da greift ein mir völlig unbekannter Mechanismus. Ich habe einiges zu dem Thema gelesen, aber immer wird nur von der Explosion geredet, nicht aber von der Kraft, die die Explosion antreibt. Es gibt 4 Elementarkräfte, die elekromagnetische Kraft, die starke Kernkraft, die schwache Kernkraft und die Gravitation, und bei dieser Materiedichte sollte die Gravitation um viele Potenzen stärker sein als die 3 anderen.

Also, weswegen explodierte die Materie beim Urknall? Die Gravitation hat sich nach derzeitigen theoretischen Aussagen mit Ende der Planck-Ära abgespalten, also etwa 10^-43 sec nach Beginn des Universums, sie war damit die "erste" der vier Elementarkräfte nach der Einheitlichen Kraft während der Planck-Ära und sollte alles andere in ihrem Bann gehabt haben.

Traitor
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Do 4. Jun 2009, 17:15 - Beitrag #13

Oder IST das Universum das Innere eines Schwarzen Loches?

In gewissem Sinne ist das Universum ein schwarzes Loch - keine Teilchen oder Strahlung kann aus ihm entkommen, denn "hinter" ihm ist ja nichts. Aber es ist natürlich kein Schwarzes Loch im Sinne eines kollabierten Objektes.
man kann sich das Universum "im Prinzip" nach der Standard-Theorie in der ersten oktilliardenstel Sekunde seiner Existenz annähernd als ein Schwarzes Loch von ein paar Kilometern Durchmesser vorstellen, es ist mir jedenfalls schlicht unvorstellbar, dass eine derartige Masse bei einer derartigen Kompressionsrate kein Schwarzes Loch sein sollte. Wie ist es dann möglich, dass es expandieren kann? Schwarze Löcher explodieren ja auch nicht, weil die Gravitationskraft mit steigender Dichte irgendwann über jede Grenze hinaus ansteigt, und wann soll lokale Gravitation je größer gewesen sein als in jenen ersten Momenten des Universums?
Wie genau das funktionieren konnte, ist auch für Physiker nach wie vor unvorstellbar. Für die ersten Momente (vor der Planck-Zeit, 10^-44 Sekunden) gibt es bisher überhaupt keine aussichtsreichen Theorien. Auch nach dieser sollte das Universum aber noch sehr klein gewesen sein, deine Frage also noch zutreffen. Dann setzte nach weit verbreiteter Ansicht die Inflation ein, für die es viele Modelle, aber noch keine gesicherte Basis gibt. In jedem Fall wäre die sie treibende Kraft (oder sagen wir besser Mechanismus, von Kräften kann man in diesem Bereich kaum reden) weit stärker als die Gravitation gewesen und hätte eben die Expansion bewirkt.
Je nach Modell soll die Masse des Universums anfangs auch vernachlässigbar gewesen sein, also tatsächlich gar kein Schwarzes-Loch-Problem auftreten, die heute beobachtete Masse entstand erst am Ende der Inflationsphase durch das "Reheating", den Übergang der Inflations-Energie in die bekannten Formen.

da wäre noch eine Sache, die mit der Dunklen Materie. Irgendwie erinnert die Suche nach ihr und ihren Elementarteilchen-Trägern mich doch sehr an die Äthertheorie im 19ten Jahrhundert. Sollte man aus der Äthertheorie nicht lernen, dass es sich lohnt, immer wieder danach zu fragen, ob nicht alles auch ganz anders sein kann? Welche Alternativen zu Wimps werden derzeit ernsthaft diskutiert?
Ja, die Alternativensuche lohnt sich, und es ist gut, dass es ein paar Randgruppen gibt, die sich damit beschäftigen. Solange die naheliegendste Erklärung aber so konsistent in die Ergebnisse vom Erkenntnisweg her völlig verschiedener Physikzweige wie der Teilchenphysik und der Kosmologie passt, ist es sinnvoll, 90% der Bemühungen in diese zu stecken.
Alternativen innerhalb des Dunkle-Materie-Modells waren eine Zeitlang massebehaftete Neutrinos. (Im Wortsinne auch WIMPs, aber nicht die Standardsorte.) Die experimentellen Grenzen für die Neutrinomasse sind aber inzwischen so niedrig, dass eine kosmologische Relevanz sauber ausgeschlossen werden kann. Auch Strukturbildungssimulationen waren hier eindeutig.
WIMPs selbst kann man aus dutzenden Theorien konstruieren, neben der favorisierten SUSY gibt es da noch viele Exoten.
Komplett ohne Dunkle Materie versucht die "Modifizierte Newtonsche Dynamik" (MOND) auszukommen, bei der das Gravitationsgesetz auf diverse Arten modifiziert werden soll. Ursprünglich ein Ad-hoc-Gebastel für Galaxienrotationskurven und die Pioneer-Anomalie, die, wie der Name sagt, rein auf Newtonscher Ebene angreift und somit nicht sehr ernstzunehmen war. Inzwischen gibt es angeblich aber eine konsistente Theorie auf ART-Niveau dazu, womit das Ganze auch halbwegs interessant würde. Es hat aber den Wesentlichen Nachteil, eine per Finetuning an die Experimente angepasste Formelspielerei ohne tiefere physikalische Motivation zu sein.

Wie verhält es sich eigentlich mit der Masse bei den Elementarteilchen, in welche die Materie nach dem Urknall zerlegt war - gibt es im Reich der Quarks und Gluonen überhaupt Gravitation?
Zwischen Elementarteilchen an sich auf jeden Fall, dort ist sie aber im Allgemeinen gegenüber EM-, starker und sogar schwacher Kraft vernachlässigbar. Bei ganz hohen Energien, also auch beim Urknall, dürfte es allerdings eine "große Vereinigung" dieser vier Kräfte gegeben haben, sodass zwar natürlich weiterhin gravitative Effekte existierten, die aber nicht getrennt von anderen beschrieben werden könnten, und wofür noch keine vollständige Theorie existiert, die all die Fragen wirklich beantworten könnte.

Die Antworten zum letzten Beitrag sollten denen zum ersten entsprechen, ansonsten (und ziemlich sicher auch dann ;)) einfach weiter nachfragen.

Ipsissimus
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Do 4. Jun 2009, 18:43 - Beitrag #14

danke für die Antwort^^ die natürlich zu den nächsten Fragen führt^^ wie funktioniert diese Inflation, dass sie gegen eine derartige Schwerkraft ankommt, welche Kräfte spielen dabei eine Rolle? Gibt es eine "Inflationskraft" in Analogie zu den vier anderen Kräften?

janw
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Do 4. Jun 2009, 20:17 - Beitrag #15

Zitat von Traitor:Je nach Modell soll die Masse des Universums anfangs auch vernachlässigbar gewesen sein, also tatsächlich gar kein Schwarzes-Loch-Problem auftreten, die heute beobachtete Masse entstand erst am Ende der Inflationsphase durch das "Reheating", den Übergang der Inflations-Energie in die bekannten Formen.

Das heißt also, nach dem Urknall ist die im "Anfangszustandsgebilde" vorhandene Energie zu massehaltiger Materie "kondensiert", oder ist da etwas hinzugekommen, das vorher nicht da war? Verhältnis zum 1.Hauptsatz?

Traitor
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Fr 5. Jun 2009, 14:35 - Beitrag #16

@Ipsi: Wie gesagt, es gibt dutzende Modelle für die Inflation, aber noch keine allgemein akzeptierte Erklärung. Das gerade gestartete Planck-Teleskop dürfte da mit genauen Messungen der statistischen Verteilung von Schwankungen im Mikrowellen-Hintergrund einen ziemlichen Kahlschlag anrichten, entweder die konventionellsten oder die exotischsten Theorien loswerden. Eine Entscheidung wird es aber nicht herbeiführen können, das bleibt ein jahrzehntelanges Forschungsprojekt.
Einen groben Überblick über die verschiedenen Inflationsmodelle kann vielleicht der englische WP-Artikel geben. Allgemein bastelt man sich stets irgendein Feld so zurecht, dass es die nötige antreibende Wirkung entfacht. Grob gesprochen also schon so etwas wie eine "Inflationskraft", nur dass der Begriff Kraft nur eine Näherung des komplizierten Feldverhaltens ist.

@Jan: Im derzeitigen Universum vermutet man ja die "Dunkle Energie", die entgegen allen anderen Formen eine expandierende Wirkung hat. Analog soll in der Frühzeit Energie in einem exotischen, expansionsfördernden Feld (vielleicht sogar demselben wie heute, je nach Modell) gespeichert gewesen sein, die sich dann später in gewöhnliche, gravitierende Energie umgewandelt hat. Energieerhaltung also, wenn auch mit sehr exotischen Zutaten.

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Mo 22. Jun 2009, 13:58 - Beitrag #17

also abgesehen davon, dass das Inflationsmodell wie alle kosmologischen Modelle bislang fast nicht zu beweisen ist, stößt mir dabei folgendes ganz besonders auf: das Zeitalter der Inflation dauerte gemäß Theorie Daumen mal pi von 10^-43 bis 10^-33 sec nach Big Bang. Das Universum soll dabei eine Ausdehnung um einen Faktor zwischen 10^30 und 10^50 erhalten haben, was es auf den ungeheuren Durchmesser von 1 Meter brachte. Danach nichts mehr Inflation. Selbst wenn also die Inflation von irgendwo her die Kraft bekommen haben sollte - von Ferne winkt aufgeregt ein Higgs-Feld - zu leisten, was sie geleistet haben soll, so wäre das Universum bei ihrem Verschwinden immer noch ein Ball von 1 Meter Durchmesser, und damit das dichteste Schwarze Loch, das man sich nur wünschen kann. Irgendwie helfen mir da auch die Friedmanngleichungen nicht weiter. Schwarze Löcher expandieren nicht, außer durch Verschlucken weiterer Materie.

Was hältst du von der These eines ekpyrotischen Universums? Kommt mir auch nicht willkürlicher vor als dunkle Energie, die für die Inflation dringend gebraucht wird und deswegen derzeit praktisch schon so gehandhabt wird, als sei sie existent

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So 25. Okt 2009, 23:06 - Beitrag #18

Zitat von Traitor:Die Antwort lautet sicher nein, keine je ernsthaft diskutierte Theorie widerspricht der Energieerhaltung. Diese muss ich hier also wie üblich als Axiom annehmen und kann darauffolgend nur Konsistenzüberlegungen durchführen. Was den konkreten Fall angeht, kann ich leider auch keine richtig befriedigende Antwort geben.


Ist das wirklich sicher? Im Grundegenommen muss es der Energieerhaltung doch gar nicht wiedersprechen. Eigentlich ist Energieerhaltung doch Interpretationssache. Vielleicht ist das Universum ja Teil eines wie auch immer gearteten Raumes.

Okay, vielleicht zu hypothetisch :D , gehört wohl eher in die Philosophie.

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Mo 26. Okt 2009, 10:42 - Beitrag #19

ich glaube beinahe, man muss die Elementarteilchentheorien gründlich überarbeiten. Abgesehen davon, dass die Rede vom Elementar"teilchen" sowieso irreführend ist, könnte ich mir vorstellen, dass in Elementarteilchen noch viel gravierendere Substrukturen mitsamt Kräftearten enthalten sein können, als die Physik bisher in Erwägung zieht, also sowas wie Subelementarteilchen und Subelementarkräfte. Demnach hätten auch die Elementarteilchen beim Big Bang in einer komprimierten Form vorgelegen, und die Inflation hätte die Elementarteilchen "entfalten" können, weil sie eine Subelementarkraft aus dem "Inneren" der Subteilchen ist, die der Gravitation entgegengesetzt ist. Mal so als Hypothese^^

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Soetwas gibt es bereits. Nennt sich Superstringtheorie. Demnach bestehen die kleinsten Strukturen der Teilchen aus kleinen Strings die durch verschiedene Schwingungen die verschiedenen Teilchen abbilden.

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