Zwillingsparadoxon

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
Padreic
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Di 9. Dez 2008, 23:56 - Beitrag #1

Zwillingsparadoxon

Vielen von euch sagt sicherlich das Zwillingsparadoxon etwas: zwei Zwillingsbrüder (Albert und Bertram) sitzen auf der Erde rum und der eine beschließt, eine große Raumreise zu machen. Er setzt sich in sein Raumschiff, beschleunigt auf annähernd Lichtgeschwindigkeit, fliegt einen Bogen und kehrt dann wieder zur Erde zurück. Nach üblicher (spezieller) Relativitätstheorie ist der geflogene Zwilling weniger gealtert als der auf der Erde hockende, da hohe Geschwindigkeiten "die Zeit verlangsamen".
Das "Paradoxe" daran soll nun sein, dass nach dem Relativitätsprinzip man ja nicht sagen kann, welcher der beiden Zwillinge mit fast Lichtgeschwindigkeit geflogen ist, da Albert zwar Bertram mit hoher Geschwindigkeit fliegen sieht, aber genause auch Bertram auch Albert mit hoher Geschwindigkeit in die entgegengesetzte Richtung fliegen sieht. (ähnlich wie mit den vorbeiflitzenden Büschen neben Autobahnen)

Nun, ich dachte mal, ich hätte es verstanden. Eine der üblichen Erklärungen ist die folgende: es ist zwar sicher nach dem Relativitätsprinzip so, dass es keine absolute Bewegung gibt und jeder sagen kann, dass er in Ruhe ist, wenn er sich gleichförmig bewegt, aber das gilt nicht, wenn er beschleunigt. Durch die Beschleunigung und Abbremsung macht Bertram die Situation asymmetrisch und wegen dieser kann er sich nicht stets als in Ruhe befindend sehen.

Überlegen wir uns jedoch das folgende:
1) Es ist nicht nötig, dass Bertram beschleunigt oder abbremst, wenn er bei der Erde ist. Er kann von vornerein mit seiner hohen Geschwindigkeit an der Erde vorbeifliegen und auch wieder, wenn er ankommt. Man kann vergangene Eigenzeit, d.h. in diesem Fall einen stattgefundenen Alterungsprozess, auch bei nicht ruhenden Objekten beobachten.
2) Es ist nicht nötig, dass Bertram beschleunigt/abbremst, wenn er umkehrt. Dies kann man sich so denken, dass die beiden (und vielleicht wir auch!) etwa in einem zylindrisch geformten Universum leben. Dann kann Bertram einfach einmal rum fliegen. [damit stolpern wir natürlich direkt in die allgemeine Relativitätstheorie rein, denn in der SRT ist die Raumzeit stets einfach ein vierdimensionaler euklidischer Raum, ohne zylindrisch, kugelförmig oder sonstwie sein zu dürfen; man bemerke allerdings, dass wir für ein zylindrisches Universum (im Gegensatz zum kugelförmigen) keine Gravitation voraussetzen müsen, da ein Zylinder (mathematisch gesehen) keine Krümmung besitzt]

Nun, wo sollte hier die Asymmetrie noch sein? Mathematisch gesehen kann ich mir natürlich die ganze Story erklären; es sind einfach zwei verschiedene Pfade zwischen zwei Punkten in der Raumzeit, die eine unterschiedliche Länge (sprich Eigenzeit) haben. Das ist nicht weiter verwunderlich.

Anschaulich kann ich es mir aber nur wie folgt erklären: in der SRT-Erklärung oben war essentiell, dass man es nur mit gleichförmiger Bewegung zu tun haben darf, um das Relativitätsprinzip anzuwenden. Gleichförmige Bewegung entspricht genau Geraden in der Raumzeit. Da aber in der ART die Raumzeit kein einfacher euklidischer Raum mehr sein muss, sondern eine komplizierte Mannigfaltigkeit sein kann, machen dort Geraden keinen Sinn mehr, oder physikalisch: so etwas wie gleichförmige Bewegung gibt es in unserer Raumzeit nicht (außer vielleicht für Licht).

Das würde zwei Sachen, die ich bisher wohl unhinterfragt geglaubt hab, als Lügen entlarven: 1) In unserem Universum gilt das Relativitätsprinzip.
2) Die allgemeine Relativitätstheorie wird erst nötig, wenn man Gravitation und/oder Beschleunigung einbauen will.

Punkt 1) gilt aber wohl noch lokal in dem Sinne, dass es um jeden Beobachter eine gewisse Umgebung gibt, wo er damit arbeiten kann. Zu Punkt 2) frage ich mich, ob in der ART Beschleunigung überhaupt noch ein sinnvoller Begriff ist.

So, jetzt wäre der/die Boardphysiker dran, mir zu erklären, was von meinen Äußerungen Humbug ist und inwiefern man meine letzte Frage klären kann ;)

mine'S^
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Mi 10. Dez 2008, 02:26 - Beitrag #2

Ich bin zwar kein Physiker, aber das Zwillingsparadox erfordert afaik keine Beschleunigungsphasen um paradox zu sein, da die nicht das Paradox "auslösen" sondern die unterschiedlichen, wechselnden Inertialsysteme und folglich die unterschiedliche Gleichzeitigkeitsbeurteilung.

Padreic
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Mi 10. Dez 2008, 17:39 - Beitrag #3

Du missverstehst mich, glaube ich. Die Beschleunigungsphasen habe ich als klassische "Auflösung" des Paradoxons angeführt, nicht als das Paradoxe. Daher habe ich die Problemstellung nachher ja auch noch modifiziert, um die Beschleunigungsphasen rauszunehmen, damit diese Art der Lösung nicht mehr möglich ist und das Paradoxe mehr hervortritt.

Scuba
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Fr 9. Jan 2009, 20:37 - Beitrag #4

Hi padreic!

(bin zwar ebenfalls kein Physiker, aber...)

1) Es ist ja nicht so, das Betram gar nicht beschleunigt oder abbremst, sondern er beschleunigt 'mindestens 1x' bis es zum Vorbeiflug kommen kann

Ergo: Er befindet sich fortan in seiner eigenen RaumZeit(- "Scheibe")

2) beim Vorbeiflug lautet ja die Vorgabe wohlgemerkt: Sie treffen sich nicht! (sonst wäre ja eine Abbremsung nötig) Allenfalls ist ein sehr naher 'Vorbeiflug' (in den eigenen Raum-Zeit-Scheiben) möglich

==> Das Zwilllingspyaradoxon ist in diesem Beispiel nur ein 'scheinbares' - beruhend auf wechselseitige Beobachtung von anderen 'Zeitscheiben' bei hoher Geschwindigkeit, die in einem (hohen) "Scherwinkel" zueinander stehen. Dieser Scherwinkel, ist es, der den '(gegenseitigen) Eindruck eines Paradoxons' erzeugt und lässt sich nur aufheben, wenn Bertram tatsächlich abbremst und es dadurch erst zum Zwilllingsparadoxon innerhalb des gleichen Bezugssystems kommt.


Grüße

bishop
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So 11. Jan 2009, 23:08 - Beitrag #5

hm eigentlich müsste man jetzt meine Freundin fragen, die schreibt morgen eine Klausur zur Gravitationstheorie, mal schaun was ich machen kann:

1) Imo verliert das ganze Experiment seinen Witz, wenn Bertram gar nicht erst beschleunigt, sondern seine Reise zwar an der Erde, jedoch schon mit großer Geschwindigkeit anfängt, weil er dann nie im selben Bezugssystem wie Albert war und ihre Uhren nie synchron liefen, wodurch man ja auch kein Paradoxon erzeugen kann, weil man die Uhren nicht vergleichen kann. Albert MUSS beschleunigen!

2) Ohne allzuviel über Mannigfaltigkeiten zu verlieren: Du stellst dir das also in etwa so vor, dass Bertram von Albert aus gesehen eine gekrümmte Bahn vollführt, die ihn irgendwann wieder zu ihm zurückbringt, während Bertram steif und fest behauptet nur gradaus geflogen zu sein?
Vergiss hier bitte nicht, dass Wechsel in und aus gekrümmten Bezugssystemen stets Scheinkräfte generieren. Und das wieder relativ, beide Brüder sehen also den jeweils anderen auf einer gekrümmten Bahn, und folgern daher, dass Kräfte wirken -> Beschleunigung etc...

Das sind nur so zwei Dinge, die mir dazu auf den ersten Blick eingefallen sind, ich habe mich nie tiefer mit dem Zwillingsparadoxon beschäftigt, diese ganzen wechsel von Bezugssystemen machen mich schwindelig ;)

aber zu deinen Fragen kann ich dir sagen: Es gilt immer noch das Relativitätsprinzip auch in sehr krummen Universen^^

Und, naja, das ist eine Wahl vom Standpunkt wie man die ART legitimisiert: Newton sagt, dass Massen die Eigenschaft haben sich anzuziehen, die ART sagt, dass Massen die Eigenschaft haben die Raumzeit derart zu krümmen, dass es so aussieht als würden die sich anziehen. Und sie erklärt mit den Phänomenen der SRT Dinge, die der gute Newton nicht konnte.

Ipsissimus
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Do 12. Mär 2009, 15:11 - Beitrag #6

afaik sind in der ART Geraden keine Geraden mehr, sondern Hyperideale, sprich die kürzest möglichen Verbindungen zwischen zwei Punkten, wie sie mit einer gegebenen Raumzeit-Geometrie vereinbar sind (bei einer Kugel wäre also nicht der Tunnel zwischen zwei Punkten der Oberfläche die Gerade, sondern der Großkreis, der sie verbindet, bei einem Sattel die Hyperbel usw. bis zu beliebiger Komplexität). Damit wäre das Scheinbare am Zwillingsparadoxon nur ein Anschaulichkeitsproblem.

Padreic
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Do 12. Mär 2009, 18:50 - Beitrag #7

@bishop:
zu 1): Ich halte es für einen Mythos, dass man keine Uhren vergleichen kann, wenn man nicht im selben Initialsystem ist. Albert hat halt irgendwo eine Uhr rumliegen und ich schaue drauf. Wenn ich nachher wieder im selben Abstand an Allbert vorbeifliege, kann ich sehr wohl feststellen, wieviel Zeit vergangen ist (wenn es eine Uhr mit Datum ist).

2) Wenn das Universum zylindrisch ist, dann ist eine Bahn, die einmal rumführt, nicht notwendigerweise eine gekrümmte.

Deine letzten zwei Äußerungen gehen nicht wirklich auf meine Darlegungen ein. Z. B. habe ich angedeutet, dass es in der ART durchaus Effekte geben kann, die die SRT nicht erklärt, die nichts mit Masse zu tun haben. Zweitens möchte ich fragen, wie denn ein solche globales Relativitätsprinzip in der ART aussehen soll. Meinetwegen kannst du beliebig viel dabei über Mannigfaltigkeiten reden.

@Ipsissimus: Ich muss zugeben, dass Wort 'Hyperideale' noch nie gehört zu haben. Es hört sich aber so an, als ob die in etwa das gleiche meinst, was ich unter den Begriff 'Geodätische' fassen würde.

Wenn ich die allgemeine Relativitätstheorie richtig verstehe, gibt es keine ausgezeichnete Zeitrichtung, d.h. man kann nicht sagen, was es heißt, raumartig zu ruhen, die Raumzeit bildet eine Einheit. Der übliche Abstandsbegriff, den man in der ART anlegt, ist deshalb ein raumzeitlicher. Der raumzeitliche Länge eines Weges ist gerade die (Eigen-)zeit, die man braucht, um diesen Weg zurückzulegen. Die kürzesten physikalisch möglichen Wege sind gerade die, die das Licht nimmt (das die Zeit 0 für jeden Weg braucht).
Nun ist aber nicht alles, was man als sich gleichförmig bewegend bezeichnen wollte, Licht. Ich denke, der Begriff einer raumartig gleichförmigen Bewegung bräuchte einer Begriff von rein raumartigen Abstand. Ich stelle mir aber sehr schwer vor, dass ohne einen konkret gewählten Beobachter zu definieren. Der Konsens darüber, was auf der Erde Abstand ist, kommt vermutlich davon, dass wir die Erde einfach als Referenzsystem setzen (und wir als Beobachter sehr ähnlich zur Erde sind).

bishop
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Mi 29. Apr 2009, 02:07 - Beitrag #8

Ich halte es für einen Mythos, dass man keine Uhren vergleichen kann, wenn man nicht im selben Initialsystem ist. Albert hat halt irgendwo eine Uhr rumliegen und ich schaue drauf. Wenn ich nachher wieder im selben Abstand an Allbert vorbeifliege, kann ich sehr wohl feststellen, wieviel Zeit vergangen ist (wenn es eine Uhr mit Datum ist).

Oki, nehmen wir an du fliegst mit deiner Geschwindigkeit an der ruhenden Rathausuhr vorbei, unter der Albert steht. Offensichtlich ist das Licht, das dich von der Uhr erreicht und somit ein Ablesen ermöglicht emittiert worden bevor du exakt an dem Punkt warst wo du es auffängst, wegen mir direkt oberhalb der Uhr, dieses Licht ist umso älter, je schneller du dich bewegst. Das bedeutet, dass das Licht, das den Zeitpunkt markiert, an dem du direkt über der Uhr warst dich etwas später erreicht, da Licht in allen Bezugssystemen gleich schnell ist. Das ist gerade die Grundaussage von der SRT. Du weisst erst, dass du da bist, wenn es schon zu spät ist.

2) Wenn das Universum zylindrisch ist, dann ist eine Bahn, die einmal rumführt, nicht notwendigerweise eine gekrümmte

Das würde mich doch stark wundern. Wenn du auf einem Zylinder bist, dessen Längsachse als z-Richtung benannt ist, so wirst du nur dann an den Ausgangspunkt zurückkommen, wenn du in der x-y Ebene die Umrundung machst. In diesem Fall siehst du, dass dein Ausgangspunkt aus deiner Sicht "hinter dem Horizont" verschwindet, imo ein klares Indiz, dass man sich nicht auf einer geraden Linie im euklidischen Sinne bewegt. Auf Geodäten gibt es auch Scheinkräfte (zumindest bräuchte man welche, wenn man sich die gekrümmte Bahn euklidisch erklären will)

In der ART ist das Relativitätsprinzip irgendwie sogar einfacher zu sehen, durch Bewegung nimmt mein Impuls zu, ich gewinne an Masse, die mir wiederum die Raumzeit krümmt und meine Metrik verändert -> die Nullgeodäten sehen für von mir ausgesandte Lichtsignale anders aus, als würde ich ruhen -> effektiv ist die Strecke anders, in den meisten Fällen länger. Ich garantiere nicht, dass du den Lorentzfaktor wiedererkennst (der hängt ja von der Metrik, und die wiederum von der Mannigfaltigkeit ab), aber er wird in irgendeiner Form da sein.

Den Begriff der Gerade ersetzt in der ART gerade de Geodäte. Diese ist Lösung einer Differentialgleichung und gibt den Weg an entlang dessen sich die Geschwindigkeit deines Objektes nicht ändert. Hier ist als Geschwindigkeit immer noch das differential ds/dt gemeint, wobei ds für das Linienelement steht, das durch die Metrik charakterisiert ist. Anschaulich gehe ich einen bestimmten weg, und messe immer wieder meine Geschwindikgeit. Wenn die sich die ganze Zeit über nicht verändert weiss ich, dass ich so gut geradeaus laufe, wie ich halt auf so einer Mannigfaltigkeit kann. Eine "rein raumartige Bewegung" ist irgendwie unsinnig, denn das würde bedeuten, dass du zum selben Zeitpunkt t mehrere Orte erreichst, sowas möchten wir möglichst vermeiden.

Übrigens lässt sich der Abstand von Objekten auf Mannigfaltigkeit definieren, ohne diese zu verlassen. Durch parallelverschiebung von Vektoren lässt sich die Krümmung und damit die Metrik an einem Punkt messen, die gibt mir letztlich über das Linienelement an wie weit ich mit einem Einheitsschritt ds kommen würde


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