Fragen zur Nukleartechnik

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
janw
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Fr 18. Mär 2011, 21:05 - Beitrag #1

Fragen zur Nukleartechnik

Mir sind in den letzten Tagen einige wissenschaftliche Fragen eingefallen, die schelcht in bestehende threads hineinpassen, für die aber nicht entsprechend viele einzelne threads lohnen.

1. Kupfer als Wärmeableitung?
Kupfer ist ja ein sehr guter Wärmeleiter. Wäre es nicht möglich, Kernreaktoren mit einer Kupferstange zu versehen, die vom Reaktorkern nach außen führt und außen zwecks Wärmeabfuhr mit Wasser gekühlt wird?
Ich stelle mir das so vor, daß sie in der Nähe des Kerns hitzebeständig eingefasst wird, so daß das Kupfer auch als Schmelze eine kompakte leitfähige Masse bildet, die nach außen mit zunehmender Kühlung zunehmend fester wird.

2. Um es jetzt nicht nachlesen zu müssen, wie wird ein Siedewasserreaktor moderiert? Die Brennelemente sind ja auch im Betrieb im Wasser, was passiert aber beim drosseln oder runterfahren?

3. Lässt sich die Zerfallsrate einer radioaktiven Substanz wirklich nicht beeinflussen? Wie wirkt sich ein Teilchenbeschuss aus?

Ipsissimus
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Sa 19. Mär 2011, 00:33 - Beitrag #2

1) du hättest einen zusätzlichen Energie-Umwandlungsschritt (die im Kupfer gespeicherteHitze könnte nicht direkt Generatoren treiben sondern müsste erst das Wasser erhitzen) und damit massiven Verlust an Wirkungsgrad

2) du hast Brennelemente und Steuerelemente, beides bei Siedewasserreaktoren normalerweise in Stangenform. Die Steuerelemente bestehen aus einem Neutronen-absorbierenden Material und werden in unterschiedlicher Zahl zwischen die Brennelemente geschoben; abhängig von der Zahl der Steuerstäbe stehen also für den Zerfall in den Brennstäben mehr oder weniger Neutronen zur Verfügen. Die Leistung des Reaktors ist direkt proportional zu deren Anzahl.

3) nach allem, was wir wissen, lässt sich die Halbwertszeit nicht beeinflussen. Bei Teilchenbeschuss wird sich ein Isotop normalerweise in ein anderes radioaktives Isotop umwandeln, meistens auch die Protonenzahl wechseln, also ein anderes Element werden. Das hat dann natürlich wieder eine eigene, völlig von der vorherigen unabhängige Halbwertszeit.

janw
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Sa 19. Mär 2011, 02:00 - Beitrag #3

1. Das Problem mit dem Wirkungsgradverlust leuchtet mir ein. Schade eigentlich, daß Wärmeströmung nicht in Bewegungsenergie (eines Dynamos) umgesetzt werden kann.

2. Ich war bei den Steuerelementen daran gestrandet, woraus die wohl bestehen könnten, wenn nicht aus Graphit. Offenbar ist Cadmium, Borcarbid und Hafnium dafür auch geeignet - wobei es mir schon seltsam anmutet, Hafnium mit dem enormen Aufwand zu gewinnen, um es nach 30 Jahren Verwendung als Atommüll entsorgen zu müssen.

3. Wäre der Beschuss nicht eine Lösung, um sehr langlebige Isotope wie Plutonium in kurzlebigere zu verwandeln?

Lykurg
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Sa 19. Mär 2011, 10:24 - Beitrag #4

ad 2: Offenbar lohnt es sich ja. Die Energieausbeute ist gigantisch, und zur Risikominimierung sind dann auch hohe Kosten tragbar, wenn die Vorschriften entsprechend sind.

ad 3: An gezielter Transmutation wird seit den 90ern geforscht, das funktioniert auch, allerdings noch nicht im großen Maßstab und wirft einige Probleme auf (z.B. eine heiße Schmelze...). Bisher also nur Laborbedingungen und jedenfalls nicht geeignet, dort vor Ort irgendwie mit Teilchen zu beschießen und zu gucken, was rauskommt. Allerdings bietet es sehr spannende Möglichkeiten als längerfristige Abfallentsorgungsperspektive (2030?); wer schon immer mal eine Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags lesen wollte, findet hier eine dazu.

Traitor
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Sa 19. Mär 2011, 12:32 - Beitrag #5

1: Ein zusätzlicher Umwandlungsschritt ist hier nicht das eigentliche Problem, es geht ja nur um Wärme in einem Medium zu Wärme in anderem Medium, nicht um Energieformwandlung, bei der "Verlustenergie" auftreten könnte (die ja wieder Wärme wäre). (Verformung etc. mitteln sich raus und werden am Ende auch wieder nur Wärme.) Aber natürlich geht Wärme doch verloren, indem sie an das angrenzende Hüllmaterial abgegeben wird. Bei perfekter Isolation hätte Reaktor-Wasser-Kupfer-Wasser-Generator den gleichen Wirkungsgrad wie Wasser-Reaktor-Generator, aber durch Abstrahl- und Ableitungsverluste natürlich nicht.

2: Borstahl ist meines Wissens der Standard. (Nicht zu verwechseln mit, wenn auch ebenfalls stabförmigen, Stahlbohrern. ;))

3: Wie Lykurg andeutet, ist das Hautproblem die Skalierung. Die anfallenden Materialmengen der Nuklearwirtschaft sind weit jenseits dessen, womit Beschleunigerphysiker normalerweise arbeiten, und entsprechend weite, aber dennoch intensive Strahlen herzustellen, um ausreichende Bestrahlungen zu erreichen, dürfte ziemlich schwierig werden. Ganz zu schweigen vom Energieaufwand. Prinzipiell möglich ist es, aber die Wirtschaftlichkeit dürfte in weiter Ferne liegen.

PS: Der Titel dürfte es ganz gut treffen.

Ipsissimus
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Sa 19. Mär 2011, 13:24 - Beitrag #6

wäre das keine Umwandlung von Wärme- in kinetische Energie? Die Hitze des Kupfers würde das Wasser erst erhitzen, dann verdampfen, also die Wärmeenergie in kinetische Energie umwandeln, die dann Generatoren antreibt, die die kinetische wieder in elektrische Energie umwandelt. Oder ist diese Vorstellung falsch?

Lykurg
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Sa 19. Mär 2011, 13:43 - Beitrag #7

Zitat von Traitor:Ganz zu schweigen vom Energieaufwand. Prinzipiell möglich ist es, aber die Wirtschaftlichkeit dürfte in weiter Ferne liegen.
Dazu las ich in den verlinkten Texten gegenteiliges, es könne bei Transmutation sogar ein deutlicher Energieüberschuß erzielt werden, wenn man die Technik im größeren Maßstab beherrsche und umsetzen könne.

Traitor
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So 20. Mär 2011, 00:16 - Beitrag #8

@Ipsi: Naja, dieser Umwandlungsschritt ist ja schon im normalen Kreislauf ohne Kupferstab da.

@Lykurg: "Wenn". ;) Pro Atom kann man bei geschickter Kettenwahl einen Energieüberschuss erzielen, klar. Aber das im großen Maßstab so umzusetzen, dass man tatsächlich in den Beschleuniger nicht mehr reinstecken müsste, als man am Ende nutzbar abzapft, ist etwas ganz anderes. Wenig genug reinstecken zu müssen, dass es sich in Addition mit dem ursprünglichen Kraftwerk noch lohnt, wäre erstmal das realistischere Ziel, aber auch schon nicht trivial.

Ipsissimus
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So 20. Mär 2011, 00:41 - Beitrag #9

ja, aber im normalen Kreislauf ist es Reaktor -> Wasser, in der Frage ist es Reaktor -> Kupfer -> Wasser

Traitor
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Sa 26. Mär 2011, 21:02 - Beitrag #10

Eher sogar noch ein Schritt mehr, Reaktor->Wasser->Kupfer->Wasser, es sei denn, man zählt das Wasser um die Brennstäbe herum noch als Teil des Reaktors.
Aber wie gesagt, reine Wärmeübertragung zwischen zwei Medien gibt keine Verluste. Zu untersuchen wäre nur, ob der Kupferstab mehr Wärme an die Umgebung verliert als ein Wasserrohr.

janw
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So 3. Apr 2011, 13:22 - Beitrag #11

Mir scheint es so zu sein, daß die Sicherheitssysteme der Kraftwerke bisher eine Achillesferse hatten, die in Fukushima zum Tragen gekommen ist, nämlich die räumliche Nähe von Kraftwerk und Ersatzaggregaten und die offene Führung von Verbindungsleitungen. Ist dem so, hat man das bisher übersehen, oder will mir nur so scheinen?

Padreic
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So 3. Apr 2011, 14:17 - Beitrag #12

Die Notstromaggregate ohne räumliche Nähe nennt man, denke ich, reguläre Stromversorgung. Wenn es eine örtlich beim Atomkraftwerk hereinbrechende Katastrophe gibt, sollte die externe Stromversorgung im Prinzip noch funktionieren. Ich bin nicht damit vertraut welche Leitungen in einem Atomkraftwerk offen und welche unterirdisch oder in Gebäuden verlegt sind. Ich schätze, das wird bei verschiedenen Atomkraftwerken verschieden sein.

Die Schwäche, die Fukushima konkret offenbart hat, war natürlich, dass die Notstromaggregate nicht so aufgestellt waren, dass kein Wasser dahin konnte. Es stimmt aber natürlich, dass vielleicht auch allgemein nach dem Atomunglück in Fukushima mehr über Fragen der Stromversorgung nachgedacht werden muss; ich schätze mal, dass im Prinzip schon vorher sehr genau über solche Dinge nachgedacht wurde.

Lykurg
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So 3. Apr 2011, 19:34 - Beitrag #13

ich schätze mal, dass im Prinzip schon vorher sehr genau über solche Dinge nachgedacht wurde.
Eigentlich schon, aber die Baupläne für Fukushima wurden ohne wesentliche Veränderung aus den USA übernommen, wo die Tsunamiwahrscheinlichkeit ungleich geringer ist.
Das ist ein erhebliches Manko der Sicherheitsplanung...


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