Lange Weile und schwarze Löcher

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
Ipsissimus
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So 18. Dez 2011, 18:54 - Beitrag #1

Lange Weile und schwarze Löcher

aus gegebenem Anlass (O-Ton Traitor: "Wmig: Von Schwarzen Löchern gelangweilt werden.") mal folgende Überlegung und Frage^^

im Zentrum vieler Galaxien haust allgemein akzeptierter Ansicht zufolge ein mächtiges schwarzes Loch. Sowas sieht man ja nur selten direkt, mangels Licht^^ was man aber sieht, wenn man Fotos z.B. vom Zentrum der Milchstraße betrachtet, sind jede Menge Sterne, ziemlich dicht zusammen stehender Sterne.

Frage: wäre es denkbar, dass im Zentrum kein Schwarzes Loch haust, sondern dass ganz toll viele Sterne ganz arg eng zusammenstehen und um eine gefangene Fläche kreisen?

Sagen wir mal, eine Sonne dort habe im Durchschnitt einen Durchmesser von 10 Millionen km. Dann könnte man, auf fürchterlich komplizierten Umlaufbahnen, bei echt unmäßig krasser Metrik und exakt getimter Geschwindigkeit der Sonnen in einem Kugelvolumen von, sagen wir mal, 10 Milliarden km Kugeldurchmesser ganz fürchterlich viele Sonnen in dieser Gegend unterbringen, ohne dass die Sonnen einander näher kämen als ein durchschnittlicher Sonnendurchmesser. Da kämen ziemlich viele Sonnen zusammen, und damit ziemlich viel Masse.

Ist das ein Szenario, das mit der ART vereinbar ist? Wenn ja, würde so ein Gebilde einen gemeinsamen Ereignishorizont bilden? Und wäre das eine physikalisch mögliche Erklärungsalternative zu einem massiven zentralen SL? Wie bekloppt ist die Idee wirklich?^^

janw
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So 18. Dez 2011, 20:23 - Beitrag #2

Vor ein paar Tagen wurde in den tagesthemen über einen Astronomen berichtet, der gerade beobachte, daß gerade ein Nebel deutlich auf dem Weg zu "unserem" zentralen Schwarzen Loch sei. Müsste diese Beobachtung bei Deinem Szenario etwas anders ablaufen?

Ipsissimus
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So 18. Dez 2011, 20:34 - Beitrag #3

das kann ich nicht einschätzen, Jan. Wenn diese Sammlung von Sonnen als ein gravitatives Zentrum wirksam wird, nicht notwendigerweise. Interessant wäre die Frage, ob sich so ein Nebel in das System integrieren ließe oder zum Zusammenbruch führen würde

Traitor
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Mo 19. Dez 2011, 08:54 - Beitrag #4

Man muss eigentlich unterscheiden zwischen allgemeinen Schwarzen Löchern, also Objekten mit Ereignishorizont, und dem klassischen Schwarzes-Loch-Begriff mit einer Singularität in der Mitte. Es gibt theoretische Varianten sowohl für Singulariäten ohne Ereignishorizont (sehr exotisch und hier nicht weiter relevant) als auch für Ereignishorizonte mit nichtsingulären Objekten im Inneren (hier sehr relevant).

Halbwegs gern diskutierte Modelle sind z.B. "Gravastars", "Dark Stars", "Boson Stars". Die Überlegung ist, dass ein massiver Stern zwar gravitativ kollabiert, bis er kleiner als der seiner Masse entsprechende Schwarzschildradius wird und somit auch tatsächlich ein Ereignishorizont entsteht, im Inneren dann der Kollaps aber anhält und sich, basierend auf einem neuen, hypothetischen Zustand der Materie, ein Objekt nichtsingulärer Ausdehnung stabilisiert. Das sind aber meines Wissens alles Modelle für Schwarze Löcher stellarer Massen, nicht für supermassive Schwarze Löcher (SMBH) in Galaxienzentren. Diese haben so gigantische Massen (~10^6-10^10 Sonnenmassen), dass es noch exotischerer Physik bedürfte, um ein stabiles Objekt zu erhalten.

Nun zu deinem Modell des Mikrosternhaufens im Inneren eines SMBH-Ereignishorizont. Mit normalen Sternen aus normaler Sternenmaterie ist das definitiv ausgeschlossen. Ohne komplizierte Überlegungen zur Orbitstabilität in der inneren Metrik eines SMBH anstellen zu wollen, dürfte es am einfachsten sein, es zu widerlegen, indem man Gezeitenkräfte bemüht. Die Schwerefelder (Metriken) kugelförmiger Objekte sind ja nicht homogen, sondern die "Feldlinien" verlaufen radial. Dadurch erfahren ausgedehnte Objekte stets auch seitliche Kräfte, die verzerrend wirken. Das kennt man natürlich von den namensgebenden Gezeiten, aber auch als Heizeffekt für Europa. Oder immer dann, wenn massive Objekte (Sterne, Galaxien) einander zu nahe kommen - dann werden sie von diesen Gezeitenkräften zerrissen. Wollte man die Masse des SMBH im Milchstraßen-Zentrum auf eine passende Menge Sterne verteilen, müssten diese, selbst wenn sie sich nicht schon berührten, definitiv so nahe sein, dass dieser Effekt sie zerstören würde, und entweder eine Singularität oder ein exotisches Einzelobjekt herauskäme. Und für letzteres sind mir wie gesagt im SMBH-Fall keine aussichtsreichen Modelle bekannt.

Übrigens können wir derzeit das Zentrum der Milchstraße schon bis ca. zum Doppelten des Schwarzschildradius auflösen, und die nächste Generation von Radioteleskop-Arrays dürfte in der Lage sein, diesen letzten Faktor 2 zu überwinden, sodass wir endlich direkt sehen können, dass da ein Schwarzes Loch (im allgemeinen Sinne) ist.

Die einfallende Gaswolke dürfte auch einige faszinierende Beobachtungen liefern, dann haben wir endlich ein Mini-Mini-AGN in Sichtweite. :)

Ipsissimus
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Mo 19. Dez 2011, 11:35 - Beitrag #5

ich habe mit dem Begriff der Singularität immer noch Schwierigkeiten, jedenfalls wenn ich sie mir als physikalisches Objekt der Ausdehnung null und der Dichte unendlich vorstellen soll. Ein physikalisches Objekt der realen Ausdehnung null existiert meiner naiven Vorstellung nach nicht mehr - und zwar nicht nur im Bezug zum restlichen Universum sondern in keiner erdenklichen Weise - kann also insbesondere auch keine unendliche Dichte mehr aufweisen. Am ehesten kann ich mir das mathematisch erklären, als doppelte Grenzwertbildung, der eine geht gegen null, der andere gegen unendlich, und das Ergebnis ist irgendwas dazwischen. Aber das ist Mathematik, nicht Physik.

Da es Schwarze Löcher anscheinend gibt, muss ich mir also eine Singularität letztlich physikalisch doch nicht so ganz und gar unausgedehnt vorstellen, wie das dem mathematischen Modell entspricht? Sitzt im Zentrum eines schwarzen Loches, physikalisch gesehen, letztlich doch eine Kugel, mit einem Durchmesser deutlich größer null und einer großen aber endlichen Dichte?


Könnte es bei dem Mikrosternhaufen nicht so sein, dass die Sterne "einfach" eine Konstellation einnehmen, in der die Gezeitenkräfte sich gegenseitig neutralisieren?

Traitor
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Fr 6. Jan 2012, 00:33 - Beitrag #6

Ups, 2 Wochen später...

Niemand mag Singularitäten. Kaum jemand spricht Singularitäten physikalische Existenz zu, sie werden üblicherweise als Zeichen angesehen, dass in dieser Situation die etablierte Theorie über ihre Grenzen hinaus überdehnt wurde.

Die von der Fundamentalität des Ansatzpunktes her konventionellere, vom Stand der Forschung her aber außenseiterischere Rettung einer nonsingulären Physik in Schwarzen Löchern wäre nun die zuvor beschriebene: es gibt ultrakompakte stabile Objekte eines bisher unbekannten Materiezustandes. Dann müsste man die ART nicht anrühren, sondern "nur" die Teilchenphysik. Die bisherigen Befunde der Quantenchromodynamik (Theorie der Starken Wechselwirkung und somit zuständig für höchste Dichten) und Neutronensternastronomie (nächstkompaktere Objekte) deuten aber in keinster Weise in diese Richtung.

Fundamentaler angesetzt, aber eher mit den derzeitigen Beobachtungsdaten kompatibel (nicht im Sinne von "aktiv dazu passend", sondern eher im Sinne von "kann man eh noch nicht testen") ist es, die ART auf kleinen Skalen zu modifizieren - Strings, Quantenschaum, Quantenschleifen, diskrete Raumzeit. Damit würde man Singularitäten los, weil wahlweise die Geometrie der Punktförmigkeit ausweichen würde, oder es gar keine Punkte mehr gäbe.

Könnte es bei dem Mikrosternhaufen nicht so sein, dass die Sterne "einfach" eine Konstellation einnehmen, in der die Gezeitenkräfte sich gegenseitig neutralisieren
Schwerpunktsanziehungen kann man kompensieren, Gezeitenkräfte nicht.


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