Dunkle Galaxien

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
Traitor
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Sa 11. Feb 2012, 13:12 - Beitrag #21

Ich meinte nicht "gleichverteilt" wie in "Gleichverteilung", also homogen, sondern "gleich verteilt", also zwei ähnliche Verteilungen verschiedener Dinge, helle + Dunkle Materie. ;)

Aber auch kein 1:1-Teilchen-Parallelismus. Erstens gibt es bekanntermaßen deutlich mehr Dunkle Materie als helle (die Umrechnung von Masse zu Teilchenzahl hängt aber natürlich von der unbekannten Teilchenmasse der DM ab), zweitens ist wie gesagt die Verteilung auf kleinen Skalen deutlich unterschiedlich - während wir selbst extreme Helle-Materie-Überdichten auf einem extrem helle-Materie-überdichten Planeten sind, schwimmen wir nur in einem mittelüberdichten Halo aus Dunkler Materie, der die Milchstraße relativ homogen durchdringt und umgibt (aber natürlich mit steigender Konzentration gen Mitte).

Beobachtungstechnisch ergibt sich dies primär aus Rotationskurven und Lensing-Beobachtungen. Erstere lassen sich sehr gut auch mit modifizierter Gravitation erklären, dann bräuchte es gar keine DM-Verteilung, mit letzteren haben diese Modelle aber weiterhin große Probleme, da die beobachteten Phänomene zu vielfältig sind, um mit einem einfachen "die bekannten hellen Strukturen haben global ein anderes Gravitationsverhalten" erklärt werden zu können, da braucht es schon lokale Unterschiede, also zusätzliche Massenkomponenten.

Ipsissimus
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Sa 11. Feb 2012, 13:32 - Beitrag #22

ist die Frage, was dunkle Materie sei, denn tatsächlich beantwortbar, ohne gleichzeitig zu klären, was Dunkle Energie sei? Energie hat ja laut e=m×c^2 auch Masse. Warum kann diese Masse für die Frage nach dunkler Materie vernachlässigt werden? Oder gilt Einsteins Gleichung für dunkle Energie nicht mehr?

Traitor
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Sa 11. Feb 2012, 13:50 - Beitrag #23

Die Energie der Dunklen Materie und die Dunkle Energie sind zwei ganz verschiedene Dinge. Insbesondere wirkt Dunkle Materie ganz konventionell gravitativ anziehend, Dunkle Energie dagegen expandierend. (Dafür entscheidend ist die "Zustandsgleichung" der Materie-/Energieform.) Einsteins uns Friedmans Gleichungen decken das alles ab, man muss nur Terme mit den richtigen Vorzeichen einsetzen.
Und dass die der Dunklen Energie zuordnenbare Masse vernachlässigt werden kann, liegt einfach daran, dass sie lokal überall sehr niedrig ist - sie kann das Gesamtuniversum nur dominieren, weil sie überall ist, aber ihre Dichte pro Volumeneinheit ist viel geringer als die heller und Dunkler Materie in Galaxien, kleineren und größeren Strukturen.

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Sa 11. Feb 2012, 14:16 - Beitrag #24

das heißt, dunkle Energie ist im Gegensatz zu dunkler Materie nicht gleichverteilt (zur hellen Materie) sondern homogen verteilt?

Traitor
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Sa 11. Feb 2012, 15:49 - Beitrag #25

Ja. Wenn sie wirklich (einfachste Annahme) der Vakuumenergie entspricht, muss sie per definitionem überall homogen sein; wenn sie eine kompliziertere Entität ist, gibt es bisher zumindest keinerlei stichhaltige Hinweise auf Inhomogenitäten.

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Sa 11. Feb 2012, 16:18 - Beitrag #26

der Name ist dann aber ungünstig gewählt, weil er eine Analogie suggeriert, ohne sie zu spezifizieren. Wie wäre es mit "Antigravitation"?

Traitor
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Do 16. Feb 2012, 21:26 - Beitrag #27

Die Analogie liegt nicht in den Eigenschaften der "Dunkel" genannten Entitäten, sondern ist rein erkenntnistechnisch - beide sind dunkel, weil wir wenig von ihnen wissen.

Würde man es "Antigravitation" nennen, käme man vor lauter mehr oder weniger spinnerten Laienanfragen gar nicht mehr zum Arbeiten... ;) Und die anschauliche Interpretation des Begriffes, das herkömmliche Objekte durch eine Extrakraft abgestoßen werden, trifft die Dunkle Energie ja auch nicht.

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Sa 18. Feb 2012, 12:19 - Beitrag #28

spinnerte Anfrage 1^^

Und die anschauliche Interpretation des Begriffes, das herkömmliche Objekte durch eine Extrakraft abgestoßen werden, trifft die Dunkle Energie ja auch nicht.
wieso Extrakraft? Wenn es die Eigenschaft von Gravitonen ist, die Raumzeit so zu modulieren, dass Dinge aufeinander zu beschleunigen, wäre es Eigenschaft der Antigravitonen, die Raumzeit so zu modulieren, dass Dinge voneinander weg beschleunigen. Ich sehe da keine Notwendigkeit für eine zusätzliche Kraft. Oder was sehe ich da falsch?

Traitor
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Sa 18. Feb 2012, 21:40 - Beitrag #29

Nein, so funktioniert das Anti- bei Kraftteilchen nicht. Beispiel Elektromagnetismus: es gibt nur eine Sorte Photonen, da diese in jeder Hinsicht neutral sind. (Wahlweise kann man auch sagen, sie sind ihre eigenen Antiteilchen.) Ob sich zwei Körper elektromagnetisch anziehen oder abstoßen, liegt nur an ihrer eigenen Ladung, die Austauschteilchen sind in beiden Fällen normale Photonen.
Bei Gravitonen (die aber wohlgemerkt nachwievor nur hypothetisch sind) dürfte es genauso sein, Teilchen=Antiteilchen.
Bei der Starken und Schwachen Wechselwirkung gibt es sogar echte, von den normalen verschiedene Anti-Kraftteilchen, die sich aber bis auf umgekehrte Ladungen genauso anziehend / abstoßend verhalten.

janw
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Sa 18. Feb 2012, 23:00 - Beitrag #30

Das heißt, diese "Extrakraft" gibt es nicht?
Woraus bezieht dann aber diese "Dunkle Materie" ihre Kraft?

Die Beziehnung "dunkel" für "unbekannt" finde ich merkwürdig, warum nennt man es nicht gleich "unbekannt"? Oder beruht das auf einer unscharfen Übersetzung, von vielleicht "obscure" energy/matter ?

Traitor
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So 19. Feb 2012, 12:42 - Beitrag #31

"Extrakraft"=Antigravitation? Zumindest gibt es keinerlei Hinweise.

Dunkle Materie gravitiert ganz normal wie jede andere Materie. Oder meinst du in der zweiten Zeile Dunkle Energie? Wenn man wüsste, wie die ihre expandierende Wirkung erzielt, wäre man einen großen Schritt weiter.

"Dunkel" ist eine 1:1-Übersetzung von "dark", da ist nichts unscharf dran. Die Begriffsgeschichte ist aber recht verwickelt. Bei Dunkler Materie ist es erstmal eine rein beobachtende Feststellung - da musste Materie sein, die kein Licht ausschickt, also dunkel ist. Bei Dunkler Energie wurde der Begriff dann in Analogie geprägt.

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Di 21. Feb 2012, 11:48 - Beitrag #32

hmm, heißt dann "dunkel" = "unsichtbar" im Sinne von "lichdurchlässig wie Glas, nur viel besser"? Denn wenn sie wirklich dunkel wäre, müssten wir sie ja zwischen einer hellen Quelle und uns an ihrem Schatten erkennen.

Traitor
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Di 21. Feb 2012, 13:53 - Beitrag #33

Ja, dunkel wie unsichtbar, durchlässig, interagiert gar nicht mit Licht, blockiert es also auch nicht.
Womit durchaus ein Bedeutungsunterschied zu anderem Dunklem in der Astronomie gegeben ist, z.B. "Dunkelwolken" aus gewöhnlichem Staub, die eben dahinterliegende Sterne verdecken...
Aber zum Zeitpunkt der Begriffsprägung (Zwicky in den 1930ern) wusste man eben noch gar nicht, welcher Art die Dunkle Materie war, es hätte durchaus auch solche gewöhnliche, nicht-leuchtende, aber abdunkelnde sein können. Inzwischen weiß man mehr, aber Begriffsänderungen nach Jahrzehnten, vergiss es. ;)

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Mi 22. Feb 2012, 22:02 - Beitrag #34

okay, das erklärt zumindest ein paar der Missverständnisse. Dann wäre "unsichtbare Materie", "Geistermaterie" oder "Phantommaterie" vielleicht trotz deiner zweifellos berechtigten Skepsis hinsichtlich Namensänderungen eine bessere Bezeichnung (die zwei letzteren würden natürlich wiederum anderen Deutungen Tür und Tor öffnen^^)

aber ist die Durchlässigkeit der Geistermaterie wirklich 100%ig? Könnte es nicht etwas ähnliches geben wie bei den von dir genannten Dunkelnebeln, nicht eine komplette Abdeckung sondern eine Dämpfung der Lichtstärke, die auf der Erde ankommt, vielleicht auch nur um geringfügige Werte?

janw
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Do 23. Feb 2012, 14:45 - Beitrag #35

Dunkel als Umschreibung für Transparenz, wahrhaft finstere Zeiten der Glasarchitektur^^

Vielleicht wäre eine nüchterne Beschreibung des Sachverhalts im Namen am zielführendsten, etwa Non-Lightinteracting Matter NLM.

Traitor
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Do 23. Feb 2012, 15:26 - Beitrag #36

"Ghost dark matter" und "phantom dark matter" und/oder jeweilige dark energy sind schon eingetragene Markenzeichen für spezielle theoretische Varianten. ;)

Was es bei WIMPs prinzipiell geben sollte, wäre eine ganz ganz minimale Abschwächung kosmischer Strahlen (also nicht Licht, sondern Partikel wie Protonen, Elektronen, Positronen) durch schwache Wechselwirkungen. Aber das ist ungefähr so, wie zu versuchen, eine Mauer aus Neutrinos zu bauen. ;)
Ansonsten würden leichtestes-supersymmetrisches-Teilchen-WIMPs Annihilationsstrahlung aussenden, danach wird aktiv gesucht. Weil aber Photonen nicht miteinander wechselwirken, hätte das keinen Effekt auf durchscheinendes Licht.
Der größte sichtbare Effekt ist definitiv der Gravitationslinseneffekt. Der macht aber im Gegenteil dahinterliegende Quellen meistens sogar heller. Und damit werden ja, wie gesagt, DM-Konzentrationen indirekt vermessen.

Jan, vermutlich wird sich ein deskriptiver Name frühestens durchsetzen, wenn/falls konkrete DM-Teilchen gefunden werden, Topkandidat eben WIMPs.

janw
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Fr 28. Jun 2013, 08:03 - Beitrag #37

Dunkle Materie - ein Phantom?

Dunkle Materie, ein Phantom?
Astronomen entdecken Hinweise auf eine andersartige Gravitationstheorie
Von Dirk Lorenzen

Kosmologie. - Seit fast 100 Jahren beherrscht Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie den Kosmos. Immer wieder haben Beobachtungen das Konzept bestätigt. Als Astronomen entdeckten, dass die Bewegungen der Galaxien nicht mit den leuchtenden Massen zu erklären war, zweifelten sie deshalb nicht am geltenden Schwerkraftgesetz, sondern an dem was sie sahen. Sie folgerten: Im Universum muss es mehr als die bekannte Materie geben, und führten den Begriff der "Dunklen Materie" ein, nach der seitdem intensiv gefahndet wird. Die große Mehrheit der Fachwelt ist von diesem Konzept überzeugt, nur einige wenige Astronomen halten es für unsinnig. Dieses kleine Grüppchen bekommt nun unerwartet Rückenwind, denn Beobachtungen in sogenannten Zwerggalaxien passen erstaunlich gut zu ihrer Mond-Theorie.

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Fr 28. Jun 2013, 10:14 - Beitrag #38

das ist die Geschichte mit der modifizierten Gravitation; die Diskussion ist anscheinend noch nicht endgültig abgeschlossen, wenngleich der Mainstream sich wohl für die dunkle Materie entschieden hat

Traitor
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Mo 1. Jul 2013, 18:19 - Beitrag #39

Dazu habe ich hier ja schon an diversen Stellen mal etwas geschrieben, daher nur die grob umrissene Standardantwort: bei Zwerg- und Satellitengalaxien gibt es tatsächlich überraschende Beobachtungen. Manches davon können Zufallseffekte aufgrund kleiner Stichproben sein, aber es gibt definitiv eine Differenz zu dem, was mit Simulationen auf LCDM-Grundlage bisher reproduziert werden kann. Die Lösung muss aber keine Abkehr von LCDM sein, sondern kann auch eine relativ profane Verbesserung der Theorie und Simulationen auf kleinen Skalen durch Hinzunahme komplexerer Effekte sein. Wissenschaftstheoretisch spricht gegen MOND und die anderen Alternativen zudem, dass sie wiederum auf großen Skalen nur mit viel Bastelei mit LCDM konkurrieren können, keine überzeugende Einbettung in ein größeres Theoriengebäude existiert und der konzeptionelle Sprung deutlich größer ist als das reine Hinzufügen zusätzlicher Materieformen.

@Ipsissimus: "Entschieden" ist das noch lange nicht, und jeder gute Astronom, so "Mainsteam" er auch ist, hat sich auch persönlich nicht "entschieden", sondern ihm erscheint höchstens die gewichtete Evidenzlage so eindeutig, dass er bis auf weiteres mit der Standardhypothese arbeitet.

Als Alternative zur Alternative scheint derzeit auch eine Mischung aus kalter und warmer Dunkler Materie wieder etwas hoffähiger zu werden, nachdem die reine warme lange als komplett tot galt. Scheint meinem Eindruck nach aber noch nicht über den Status einer numerischen Spielerei, eines "ist auch mit den Ergebnissen kompatibel", hinaus zu sein, ohne überzeugende spezifische Hinweise speziell für sich.

Zum Threadtitel: Dunkle Galaxien werden weiter fieberhaft gesucht, es gibt etliche Kandidaten, zuletzt z.B. diesen. Wobei hier und in den meisten Fällen "dunkel" nicht "100% aus Dunkler Materie" heißt, sondern "aus Dunkler Materie plus baryonisches Gas plus vielleicht auch Sterne, aber dann so wenige und schwache, dass man sie nicht direkt sieht".

Ipsissimus
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Di 2. Jul 2013, 10:27 - Beitrag #40

@Ipsissimus: "Entschieden" ist das noch lange nicht, und jeder gute Astronom, so "Mainsteam" er auch ist, hat sich auch persönlich nicht "entschieden", sondern ihm erscheint höchstens die gewichtete Evidenzlage so eindeutig, dass er bis auf weiteres mit der Standardhypothese arbeitet.
very sorry, ich gestehe, in der Schule bei political correctness immer blau gemacht zu haben^^

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