Xi_b^*0

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
Ipsissimus
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Fr 27. Apr 2012, 17:54 - Beitrag #1

Xi_b^*0

http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,830232,00.html

am CERN wurde ein neues Teilchen entdeckt, das sogenannte Xi_b^*0, ein Baryon aus je einem Up-, einem Strange- und einem Bottom-Quark, das so schwer ist wie ein Lithium-Atom.

Auf die Frage, wie der etwas exotische Name denn ausgesprochen werden solle, meinte einer der Kommentatoren:

komplett irrelevantes Teilchen, dessen Existenz nur deshalb veröffentlicht wird, um den ausbleibenden Erfolg bei der Suche nach dem Higgs Boson (eigentlicher Daseinszweck des LHC) zu kaschieren und weitere Forschungsmilliarden lockerzumachen

Padreic
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Fr 27. Apr 2012, 18:11 - Beitrag #2

Es wird so viel veröffentlicht, da würde ich (als Laie) die Entdeckung eines neuen Teilchen doch für wichtig genug erachten, sie zu veröffentlichen. Es ist ja auch keineswegs so, dass der (eventuelle) Nachweis des Higgs-Bosons der einzige Zweck des LHC ist, sondern es ist auch für viele andere Bereiche der Teilchenphysik von großer Wichtigkeit. Zumal ein Nachweis des Higgs-Bosons auch eine genaues Studium verschiedenster Aspekte von Teilchenphysik, die nichts mit dem Higgs-Boson zu tun haben, voraussetzt; schließlich muss man ja die "Signatur" des Higgs-Bosons unterscheiden von allen anderen Dingen, die bei so einem Zusammenprall entstehen können und das setzt eben Kenntnis von all diesen anderen Sachen voraus.

Es ist ja auch keinewegs ein Skandal oder so, dass das Higgs-Boson noch nicht gefunden wurde. Man checkt halt einen Energiebereich nach dem anderen. Man wäre schon ziemlich dumm, wenn man so einem teuren Beschleuniger die Forschungsmittel streichen würde, nur weil sie nicht gleich alle Probleme der Physik lösen...

Ipsissimus
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Fr 27. Apr 2012, 21:14 - Beitrag #3

ich halte derartige Veröffentlichungen auch für wichtig; andererseits macht der Kommentar ziemlich deutlich, womit das CERN aufgrund seiner eigenen PR der letzten Jahre derzeit hauptsächlich identifiziert wird. Dass da ganz profunde Grundlagenphysik betrieben wird, geht über dem Higgs-Hype beinahe unter.

Dieser Name, Xi_b^*0, wie kommt der zustande und wie mag er gelesen werden? Xi könnte das griechische Chi meinen, aber der Rest?

janw
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Fr 27. Apr 2012, 21:41 - Beitrag #4

Chi b hoch 0 vielleicht?
Oder sollte xi für lateinische Zahlen stehen, also 11b hoch 0?

Ipsissimus
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Fr 27. Apr 2012, 21:59 - Beitrag #5

ja, aber da ist noch ein Multiplikationszeichen zwischen dem Hochzeichen und der Null. "Chi b hoch mal 0" - entschieden merkwürdig für einen Namen^^ auch dann noch, wenn es "11b hoch mal 0" hieße^^

Padreic
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Fr 27. Apr 2012, 23:31 - Beitrag #6

Das Xi ist einfach ein großes Xi (s. z. B. wikipedia für die generelle Klasse von Xi-Baryonen und hier für die Originialveröffentlichung, wo jeweils dieser Buchstabe in seiner ganzen Schönheit abgebildet wird). Da es aus einem up, einem strange und einem bottom-Quark zu bestehen scheint, vermute ich, dass es wie folgt ist:

Wie in wikipedia beschrieben, sind Xi-Baryonen welche, die aus zwei strange-Quarks und einem up- oder down-Quark bestehen. Xi_b-Baryonen sind vermutlich welche, die aus einem bottom-, einem strange- und einem up- oder down-Quark bestehen. Welche der letzten beiden Möglichkeiten eintritt, wird durch einen oberen Index 0 oder - beschrieben. Wofür die Sternchen stehen - keine Ahnung.

@Ipsi: Vermutlich ist es eine Mischung aus eigener PR und der häufig mangelhaften Berichterstattung der Medien.

Edit: Interessanterweise gibt es hier eine Veröffentlichung des Fermi-Labs zu einem Baryon mit (bis auf das Sternchen) fast identischer Nomenklatur.

janw
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Sa 28. Apr 2012, 00:22 - Beitrag #7

Und wie spricht man das? Ein "Xi-strange-bottom-up-Quark"?

Traitor
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So 29. Apr 2012, 12:48 - Beitrag #8

Aussprache: "Ksei bi star zero" oder "Ksi be stern null". ;)

Lesart:
"Xi" ist, wie von Padreic ausgeführt, eine Baryonenklasse, klassifiziert nach den Konstituentenquarks.
"b" steht dafür, dass ein Bottom-Quark drin ist.
"0" heißt elektrisch neutral. (up +2/3, strange -1/3, bottom -1/3 ergibt 0)
Und der mysteriöse "*" ist kein Malzeichen, sondern einfach nur ein Stern. Der ist generell eine beliebte Notation für "Variante von" (sei x eine Variable und x* so eine ähnliche), in der Atom-, Kern- und Teilchenphysik bedeutet er insbesondere "angeregter Zustand". Das Xi_b^{*0} ist also ein angeregter Zustand des bereits bekannten Xi_b^0. Es hat die gleiche Quarkzusammensetzung, aber einen anderen Drehimpuls. Das heißt, die Quarks befinden sich intern auf anderen Energieniveaus, womit auch das Verhalten des Gesamtbaryons deutlich anders ist, z.B. seine Reaktion auf Magnetfelder, oder mit welchen anderen Teilchen es interagiert und in welche es zerfällt - womit man es ja auch nachweisen konnte.

Damit sind wir auch bei einer spannenden Frage: was ist ein "neues Teilchen"? Früher (<~1950er) gab es ja den "Teilchenzoo", niemand wusste, warum es so eine Vielzahl konfuser Mesonen, Baryonen, Leptonen, Dingsonen gab.
Das Standardmodell hat die echten Elementarteilchen dann auf eine Handvoll reduziert, insbesondere Mesonen und Baryonen sind nur aus Quarks zusammengesetzt.
Von diesen beiden Klassen gibt es aber immer noch eine riesige Vielfalt. Ersteinmal alle kombinatorisch möglichen Kombinationen von 2 (für Mesonen) oder 3 (für Baryonen) Quarks und dann eben die Anregungen.
In der Teilchenphysik hat sich die Konvention durchgesetzt, angeregte Zustände als eigene neue Teilchen zu zählen. Eben weil, wie oben kurz beschrieben, die Eigenschaften und Zerfälle sehr anders sein können.
Das kann man aber auch als eine Mogelei betrachten, künstliche Inflation des Teilchenzoos. Denn ziemlich analog zu den angeregten Baryonen sind angeregte Kerne und Atome, und niemand würde auf die Idee kommen, ein angeregtes Wasserstoffatom, bei dem das Elektron in einem etwas höheren Orbital ist (und das man durchaus als H* geschrieben findet) als ein "neues Atom" zu bezeichnen. Aber da sind die Unterschiede auch nicht ganz so groß.
In der zwischen Atomen und Teilchen stehenden Kernphysik ist die Konvention dann auch etwas dazwischen, man führt angeregte Kerne zwar nicht als eigene Nuklide, tabelliert sie aber doch oft extra mit, da sie z.B. durchaus anders zerfallen können.

In der Pressearbeit wird es natürlich schwierig, soetwas sauber zu diskutieren, und "wir haben ein neues Teilchen gefunden" ist heutzutage halt eine Sensation, auch wenn es inhaltlich eigentlich keine ist. Das abschätzige "wird nur veröffentlicht" ist also für den wissenschaftlichen Artikel unangemessen, für die daraus gemachte Pressegeschichte aber schon treffend.

Wertlos ist der Fund übrigens auf keinen Fall, das Entdecken jedes neuen Hadrons (auch, wenn es nur ein Anregungszustand ist) ist ein erneuter positiver Test des Standardmodells. Und seine empirisch bestimmte Masse mit der Theorie zu vergleichen, ein weiter. (Dass inzwischen die Massen zumindest leichter Hadronen und Kerne aus der Quantenchromodynamik berechnet werden können, ist einer der größten und leider öffentlich unbesungendsten Durchbrüche der letzten Jahre.)

Ipsissimus
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So 29. Apr 2012, 13:46 - Beitrag #9

danke für die Erläuterung :-)

wofür steht das Hochzeichen?

das heißt wir haben einen analogen Teilchenzoo wie anno dazumal, nur auf Grundlage des Standardmodells. Ist etwas gewonnen, außer einer anderen Darstellungsweise?

Traitor
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So 29. Apr 2012, 15:10 - Beitrag #10

Das Hochzeichen steht für gar nichts. Die ganzen Indizes und Schnörkel müssen nur irgendwo untergebracht werden, und per Konvention landen ein paar unten, ein paar oben. ;)
In der Atomphysik/Chemie, wo dieser Nomenklaturstil herkommt, gibt es sogar noch eine dritte Sorte Indizes links oben, also vor dem Hauptzeichen. Den spart sich die Teilchenphysik bisher immerhin, glaube ich...

Ja, es ist etwas gewonnen, nämlich, dass man den Zoo versteht. Früher hätte ein Xisternfünfquerdrei-B genauso elementar sein können wie ein Elektron, man wusste es einfach nicht. Heutzutage muss man als gott- bzw. GUT-gegeben nur noch die Handvoll echte Elementarteilchen nehmen (6 Quarks, 3 Leptonen, 3 Neutrinos, Austauschbosonen), sämtliche Mesonen und Baryonen (zusammen: Hadronen) ergeben sich dann aus ihnen.
Wie am Ende des letzten Beitrages kurz angedeutet, war das lange nur eine qualitative Angelegenheit - man konnte vorhersagen, wie viele Hadronen mit welchen Quantenzahlen und welchen Zerfallsprodukten es geben muss, und dann nach ihnen suchen - aber inzwischen macht man sogar große Fortschritte daran, ihre Massen und Zerfallsraten aus der Theorie abzuleiten.

Ipsissimus
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So 29. Apr 2012, 15:58 - Beitrag #11

ach so, das ist also wörtlich gemeint Xi_b hoch (stern 0). Okay^^ dann noch als letztes: warum nimmt man zur Trennung des Xi und des b ein Underline, nicht den normalen Bindestrich?

Hauptsache, die Quarks, Leptonen, Neutrinos und Austauschbosonen stellen sich ihrerseits nicht auch noch als zusammengesetzt heraus^^

Traitor
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So 29. Apr 2012, 18:06 - Beitrag #12

dann noch als letztes: warum nimmt man zur Trennung des Xi und des b ein Underline, nicht den normalen Bindestrich?
Das ist LaTeX-Notation, die der dumme Spiegel als Plaintext übernommen hat... Unterstrich heißt "unterer Index b". Die richtige Formelsatz-Schreibweise gibt es u.a. hier. (Ok, in der Überschrift haben sie da auch schon LaTeX-Source, ebenso wie im Abstract bei arxiv.org. Wohl nicht die Schuld des Spiegels.)

Hauptsache, die Quarks, Leptonen, Neutrinos und Austauschbosonen stellen sich ihrerseits nicht auch noch als zusammengesetzt heraus^^
Stringtheorie. ;)

Ipsissimus
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So 29. Apr 2012, 18:27 - Beitrag #13

[quote="Traitor"]Stringtheorie. ]

und das aus der Tastatur des konservativsten aller möglichen Physiker Bild

Traitor
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Mo 30. Apr 2012, 19:24 - Beitrag #14

Ich kann gar nicht verstehen, wie ich zu diesem Ruf gekommen bin... ;)

Die Stringtheorie ist aber letztlich selbst ziemlich konservativ und trotz zuletzt etwas marginalisierender PR eigentlich ziemlicher Mainstream. Nur ist sie weit davon entfernt, dass sich tatsächlich etwas in ihrem Sinne "herausstellen" könnte. Der LHC hat da auch kaum Aussichten, dafür reicht die Energie bei weitem nicht.


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