Brian Greene vs. Lee Smolin

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
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Di 2. Okt 2012, 19:14 - Beitrag #1

Brian Greene vs. Lee Smolin

Wurde hier schonmal kurz andiskutiert, dann im Wblig :
Zitat von Ipsissimus:Brian Green
Das elegante Universum
Superstrings, verborgene Dimensionen und die Suche nach der Weltformel

Vintage Books, new edition (25. Oktober 2005)
gelesene Fassung: Goldmann Verlag (12. Dezember 2005)


Eines der seltenen Bücher, bei denen ich nicht entscheiden kann, ob ich geistig zu minderbemittelt dafür bin, oder ob der Autor irgendwann den Boden unter den Füßen verloren hat.

Brian beginnt mit einer konzisen, gut verständlichen Einführung in Spezielle und Allgemeine Relativitätstheorie, gefolgt von einer für meinen Geschmack zu knapp geratenen, aber immer noch konzisen Vorstellung der Quantenmechanik. Recht viel Zeit verwendet er darauf, die Unvereinbarkeit dieser beiden Säulen der modernen Physik auf subatomaren Skalen herzuleiten und die Bedeutung dieser Unvermeidbarkeit für die Physik auf Quantenskalen zu verdeutlichen.

Auf dieser Grundlage leitet er zur Stringtheorie über, spricht von erster und zweiter Superstringrevolution und vom Einfluss und Stellenwert, den die Stringtheorie im Rahmen aktueller Physik (der letzten knapp 40 Jahre) beansprucht. Ich kann ihm auch noch in die Anfangsgründe der Stringtheorie folgen, kann verstehen, dass Physiker auf die Idee kommen, zur Fomulierung ihrer Theorien statt modellhaft nulldimensionaler (aka Elementarteilchen) modellhaft eindimensionale Elementareinheiten (aka Strings) zu verwenden und zu untersuchen, ob mit dieser im Konzept simplen Änderung die Natur in gleicher Weise wie mit dem Standardmodell beschrieben werden kann, möglicherweise sogar besser. Auch bei den ersten - bereits weitreichenden - Konsequenzen des neuen Konzepts verlasse ich ihn noch nicht.

Meine Probleme beginnen da, wo Greene über die Werkzeuge spricht, die Physiker dazu verwenden, dieses Konzept in harte Physik und noch härtere Mathematik umzusetzen. Dass die entsprechende Mathematik überkomplex ist, will ich ihm unbesehen glauben. Dass es für die allermeisten Fragestellungen, die sich aus der Stringtheorie ergeben, nur störungstheoretisch formulierte Annäherungen gibt, weil die Formulierung geschweige denn Lösung der exakten Gleichungen außerhalb der Reichweite derzeitiger mathematischer Möglichkeiten liegt: geschenkt.

Eines dieser Werkzeuge sind sogenannte Calabi-Yau-Räume (benannt nach dem italienischen Mathematiker Eugenio Calabi und dem chinesisch-amerikanischen Mathematiker und Fieldsmedaille-Preisträger Shin-Tung Yau). Es handelt sich dabei, meiner beschränkten Einsicht zufolge, um einen mathematischen Formalismus zur Formulierung und Handhabung der Topologie höherdimensionaler Mannigfaltigkeiten.

Bild
Ein Schnitt durch eine Calabi-Yau, die Quintik, Bildquelle deutsche Wikipedia, Kapitel Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten


Eine der unmittelbaren Konsequenzen aus dem Stringkonzept ist die Realexistenz von mehr Dimensionen als nur den drei Raum- und der einen Zeitdimension der herkömmlichen Raumzeit. Calabi-Yau-Räume nun verfügen über die bemerkenswerte Eigenschaft beliebig mehrdimensional "biegsamer" und ineinander überführbarer "Innenflächen" bzw. "Innenräume" höherer Dimension (die "Branen" der M-Theorie) und sind daher prinzipiell geeignet, selbst fürchterlich komplizierte höherdimensionale topologische Situationen mathematisch abbilden zu können. Mit speziellen Calabi-Yau-Räumen lässt sich zum Beispiel begründen, dass unser Universum je nach Theorie 9, 10 oder 11dimensional sein muss, wobei die über 3 hinausgehenden Raumdimensionen in Art eines Gartenschlauchs "eingewickelt" sind.

Dass dies auf unabsehbare Zeit nicht exakt geht sondern nur störungstheoretisch angenähert, ist, wie schon gesagt, nicht mein Problem. Mein Problem beginnt mit dem Zusammenhang zwischen den CY-Räumen und der realen Wirklichkeit. Green entwickelt nämlich einen fundamentalen Schlußfolgerungs-Algorithmus: wenn durch die mathematische Charakterisierung eines spezifischen CY-Raumes die Erklärung eines ungelösten physikalischen Problems gelingt, ist das ein Hinweis darauf, dass dieses ungelöste physikalische Problem im Rahmen der Stringtheorie seinen natürlichen Erklärungshintergrund gefunden hat.

Wohlgemerkt - CY-Räume sind reine Mathematik, daran ist nichts Physikalisches. OB es einen Bezug zwischen ihnen und realer Physik gibt, das zu erweisen wäre aus meiner Sicht Aufgabe der Stringtheoretiker. Statt dessen springt Greene auf der Grundlage dieses Algorithmus - ich stelle mir dabei einen Nerd mit glühenden Augen, einen aficionado, einen Besessenen vor^^ - von Aussage zu Aussage. Und die Aussagen entfernen sich immer weiter von tatsächlicher Physik, bis sie nur noch innere Ableitungen einer mathematischen Konstruktion sind, deren Bezug zur Physik völlig spekulativ bleibt und deren einziges Formulierungskriterium die - für mich nicht nachvollziebare - "Eleganz" ist, die mit ihnen offenbar einhergeht.

Gut zwei Drittel des Buches bleiben für mich aufgrund dieses Umstands reine Spekulation, im Grunde Glaubenssache. Völlig abgedreht wird es zum Beispiel, wenn Greene die Physik des Urknalls oder die Physik der Singularität Schwarzer Löcher aus Sicht der Stringtheorie erläutert. Für mich türmt sich da einfach Behauptung auf Behauptung, trotz des Umstandes, dass Green offensichtlich davon überzeugt ist, Herleitungen zu geben.

Oder ich bin zu doof dafür. Glücklicherweise erwähnt er gegen Ende Lee Smolin, der anscheinend aus ähnlichen Erwägungen als renommierter Kritiker der Stringtheorie gilt.



ps: das "Super" der Superstringtheorie meint nicht, dass Strings oder Stringtheorie besonders toll wären sondern verweist lediglich darauf, dass Stringtheorie (und die M-Theorie) die Supersymmetrie mit einbeziehen. Die M-Theorie ist die Muttertheorie der Stringtheorien - es hat den Anschein, als gäbe es nicht die Stringtheorie sondern fünf davon, die alle in der M-Theorie zusammenfließen.

Ein Buch, das mich ratlos zurück lässt.


Der wesentliche Knackpunkt, den ich hier ansprechen möchte, ist, wie zuletzt eigentlich immer, die Frage nach dem Wesen von Wissenschaft und Realität. ;) Du stolperst bei Greene darüber, dass die Calabi-Yaus für dich "reine Mathematik" sind und das reine Erklären von Problemen kein hinreichender Hinweis auf ihre Realitätsnähe. Nun, der flache R³ der Alltagsphysik, der Minkowski-Raum der SRT und die gekrümmten (3+1)-Mannigfaltigkeiten der ART sind auch "reine Mathematik" und werden von uns nur als gültige Modelle der Realität anerkannt, weil sie so gut im natürlichen Erklären von Probleme sind. Die beiden letzteren explizit per wissenschaftlicher Methode, der erstere auf epistomologisch niedrigerer Ebene, aber im Prinzip durch denselben Mechanismus. Der Unterschied zu den komplizierten Stringtheorie-Räumen ist nur, dass die bisher nicht genug erklären, um den Komplexitätspreis aufzuwiegen. Daher sind sie nur faszinierende Spielerei, aber noch kein anerkanntes Weltmodell.

Die "Behauptungen auf Behauptungen" im späteren Teil kann ich ohne eigene Lektüre nicht beurteilen, vermute aber mal, dass er für vieles davon durchaus Herleitungen in der Hinterhand hat, die aber für das populärwissenschaftliche Buch nicht umsetzen konnte. Und in der reinen Theorie sind "Herleitungen" halt nur mathematische Konsistenzaufzeigungen, keine zwangsläufigen Ergebnisse unter Einbeziehung von Beobachtungsdaten.

Ipsissimus
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Mi 10. Okt 2012, 11:54 - Beitrag #2

Verstehen Sie mich nicht falsch. Wir sind in den letzten fünfundzwanzig Jahren durchaus sehr fleißig gewesen. Es hat enorme Fortschritte bei der Anwendung bewährter Theorien auf verschiedene Bereiche gegeben: auf die Eigenschaften von Stoffen, auf die der Biologie zugrunde liegende Physik, auf die Dynamik riesiger Sternhaufen. Doch wenn es darum geht, unsere Einsichten in die Naturgesetze zu vertiefen, gelingen uns keine wirklichen Fortschritte. Es sind viele schöne Ideen untersucht, bemerkenswerte Beschleunigerexperimente durchgeführt und spektakuläre kosmologische Beobachtungen vorgenommen worden, doch sie haben überwiegend dazu gedient, bestehende Theorien zu bestätigen. Weiterentwicklungen hat es kaum gegeben, und keine war so endgültig oder bedeutend wie die der vorangehenden zweihundert Jahre. In Sport oder Wirtschaft spricht man in solchen Fällen von einer Durststrecke.

...

Die gegenwärtige Krise in der Teilchenphysik erwächst daraus, dass die Theorien, die in den letzten dreißig Jahren über das Standardmodell hinausgegangen sind, in zwei Kategorien fallen. Die einen waren falsifizierbar und sind falsifiziert worden. Die anderen sind nicht überprüft worden – entweder weil sie keine sauberen Vorhersagen machen oder weil die Vorhersagen beim heutigen Stand der Technik nicht überprüfbar sind.

Im Laufe der letzten dreißig Jahre haben die Theoretiker mindestens ein Dutzend neue Ansätze vorgeschlagen. Jeder Ansatz geht aus einer überzeugenden Hypothese hervor, doch bislang hat noch keiner Erfolg gehabt. Auf dem Gebiet der Teilchenphysik gehören dazu: Technicolor, Preonen-Modelle und Supersymmetrie. Auf dem Gebiet der Raumzeit: Twistortheorie, Kausalmengen, Supergravitation, dynamische Triangulationen und Schleifenquantentgravitation. Einige dieser Ideen sind so exotisch, wie sie klingen. Eine Theorie hat mehr Aufmerksamkeit erregt als alle anderen zusammen: die Stringtheorie.

Der Grund für ihre Popularität ist nicht schwer einzusehen. Sie nimmt für sich in Anspruch, die Welt der großen Dinge und die Welt der kleinen Dinge zu beschreiben – Gravitation und Elementarteilchen; zu diesem Zweck stellt sie die kühnsten Hypothesen aller Theorien auf: Sie behauptet, die Welt enthalte bis jetzt noch nie beobachtete Dimensionen und viel mehr Teilchen, als bislang bekannt.

...

In den letzten zwanzig Jahren sind viel Energie und viel Zeit in die Stringtheorie investiert worden, aber wir wissen noch immer nicht, ob sie wahr ist. Selbst nach so viel Arbeit macht die Theorie keine neuen Vorhersagen, die von heutigen – oder auch nur heute vorstellbaren – Experimenten zu überprüfen wären.

Die wenigen sauberen Vorhersagen, die sie macht, sind schon aus anderen, längst akzeptierten Theorien hergeleitet worden. Zum Teil scheint die Stringtheorie deshalb keine neuen Vorhersagen zu machen, weil sie eine unendliche Zahl von Spielarten aufweist. Selbst wenn wir uns auf Vorhersagen beschränken, die sich mit einigen grundlegenden Beobachtungen unseres Universums decken, etwa seiner ungeheuren Größe und der Existenz dunkler Energie, sehen wir uns noch immer 10^500 verschiedenen Stringtheorien gegenüber – eine 1 mit 500 Nullen, mehr als alle Atome im bekannten Universum. Angesichts einer so ungheuren Zahl von Theorien ist die Wahrscheinlichkeit gering, irgendein Versuchsergebnis zu finden, das nicht von einer dieser Theorien vorhergesagt wird.

Also, egal, was die Experimente zutage fördern, die Stringtheorie lässt sich nicht widerlegen. Daher gilt aber auch der umgekehrte Schluss: Kein Experiment wird jemals in der Lage sein, sie zu bestätigen.

Gleichzeitig verstehen wir von den meisten Stringtheorien nur sehr wenig. Und bei der kleinen Zahl der Stringtheorien, bei denen wir alle Einzelheiten verstehen, steht jede im Widerspruch zu den heutigen Experimentaldaten, gewöhnlich mindestens in zweierlei Hinsicht.

Daher sehen wir uns einem Paradox gegenüber. Die Stringtheorien, die wir untersuchen können, haben sich als falsch erwiesen. Diejenigen, die wir nicht untersuchen können, sind vermutlich so zahlreich, dass kein vorstellbares Experiment sie jemals alle falsifizieren könnte.

Das sind nicht die einzigen Probleme. Die Stringtheorie stützt sich auf einige zentrale Vermutungen, für die es manchen Hinweis, aber keinen Beweis gibt. Schlimmer noch, trotz aller wissenschaftlicher Mühen, die in ihre Untersuchung investiert wurden, wissen wir noch immer nicht, ob es überhaupt eine vollständige und schlüssige Theorie gibt, die den Namen »Stringtheorie« verdient.

Was wir tatsächlich haben, ist überhaupt keine Theorie, sondern eine große Ansammlung von Näherungsrechnungen sowie ein Netz von Annahmen, die, wenn sie wahr sind, auf die Existenz einer Theorie hindeuten. Doch diese Theorie ist niemals wirklich niedergeschrieben worden. Wir wissen nicht, was ihre Grundprinzipien sind. Wir wissen nicht, in welcher mathematischen Sprache sie auszudrücken wäre – vielleicht müsste sogar eine neue erfunden werden, um diese Theorie zu beschreiben. Da es sowohl an den Grundprinzipien wie an der mathematischen Formulierung fehlt, können wir noch nicht einmal wissen, was die Stringtheorie eigenlich behauptet.

...

Stellen Sie sich vor, ich gebe Ihnen einen Stuhl und erkläre Ihnen gleichzeitig, dass die Beine noch fehlen und dass der Sitz, die Rücken- und die Armlehnen vielleicht schon bald geliefert werden. Egal, was ich Ihnen da gegeben habe, darf ich es noch einen Stuhl nennen?

Lee Smolin, Die Zukunft der Physik, zitierendes Exzerpt aus der Einleitung

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Sa 13. Okt 2012, 12:13 - Beitrag #3

Was will uns der Zitateur sagen?

Die berüchtigten 10^500 sind derzeit sehr umstritten, das führt dann zu solchen lustigen Titeln. (Keine Sorge, ich will nicht, dass du den Artikel dahinter liest, das habe ich selbst auch nicht. ;))

Und selbst wenn sie stimmen sollten, sagt allein das gar nichts über die Überprüfbarkeit aus, man kann üblicherweise mit einem einzigen Experiment zig Varianten eines Modells ausschließen, da Observable üblicherweise komplizierte Kombinationen von Modellparametern sind und somit eine Messung eine ganze Region des Parameterraums ausschließt. (Aber auch ganze Regionen freilässt, weshalb dann halt Ergebnisse wie beim Higgs rauskommen.)

Aber es muss natürlich erstmal solche Beobachtungen geben, die überhaupt in den Parameterraum schneiden. Dass das für alle Theorien, die noch nicht überprüft sind, nicht der Fall ist, ist trivial.

Smolin zeigt an sich zu Recht auf den auch von mir häufig erwähnten Misstand, dass die theoretische Physik sehr, sehr weit über den messbaren Bereich hinaus gewuchert ist. Dass er sich dabei so einseitig auf die Stringtheorie einschießt, ist aber Unsinn, seine geliebte Schleifenquantengravitation ist davon genauso betroffen.

Traitor
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Mo 29. Okt 2012, 13:31 - Beitrag #4

Zitiert aus dem Wblig:

Zitat von Ipsissimus:Zu Beginn stellt er ausführlich das Vereinheitlichungsprogramm der Physik vor, das er als wesentliche Grundlage aller Fortschritte der Forschung der letzten gut 200 Jahre bewertet.
Sind die "gut 200" auf ein konkretes Ereignis bezogen? Mutig könnte man bis zu Newton (300) zurückgehen, konservativer wäre Maxwell (150). Ein echtes Programm vor mehr als 100 Jahren anzunehmen, fände ich auch eher mutig.

1) niemand weiß, ob die Stringtheorien bzw. die vielkolportierte "Landschaft der Theorien" Ausdruck einer fundamentalen Theorie sind, oder ob sie überhaupt etwas mit dem realen Universum zu tun haben
2) die Stringtheorien sind bisher nicht in der Lage, Voraussagen zu treffen, die durch Experimente verifiziert oder falsifiziert werden könnten

Gilt so auch für alle anderen Alternativen.
3) keine Version der Stringtheorie konnte bisher Hintergrund-unabhängig formuliert werden, die Stringtheorien inklusive M-Theorie ignorieren also die allgemeine Relativitätstheorie
Da wird es sehr technisch, und "ignorieren die ART" ist definitiv eine unangemessene Simplifizierung. Wenn das so wäre, würde ja niemand ansatzweise Vernünftiges auf die Idee kommen, Stringtheorie als ART-Verallgemeinerung zu propagieren.
Die Grundlagen der Stringtheorie sind durchaus voll relativistisch formuliert, "nur" die störungstheoretischen Rechnungen, die man damit anstellt, erfordern das Festlegen eines "Hintergrunds". Im Prinzip ist das schon in der klassischen Newton-/SRT-/ART-Physik so, da musste man auch ein Koordinatensystem festlegen, um rechnen zu können. Nur garantierten die Galilei-/Lorentz-/kovarianten Koordinaten-Transformationen, dass die Gesetze der jeweiligen Theorie sich korrekt umrechnen.
Ein solcher Konsistenzbeweis scheint den Stringtheoretikern zu fehlen. Ja, das ist ein großes Problem, aber nein, das muss kein fundamentaler Mangel sein, auch das Gegenteil, die tatsächliche Hintergrundabhängigkeit, ist nicht bewiesen, und es hat nie jemand (außer vielleicht in öffentlichen Vorträgen und Fördermittel-Anträngen :D) behauptet, die Stringtheorie wäre mehr als "work in progress".
4) es konnte nicht bewiesen werden, dass die Stringtheorie eine endliche Theorie ist
Sagt mir so ohne Kontext nicht genug, geht es um Renormierung/Renormalisierung?

die soziologische Kritik lautet: die Community der Stringtheoretiker hat ein extremes Gruppendenken entwickelt, in dem alternativen Ideen Ablehnung bis hin zur offenen Verachtung entgegen gebracht wird. Eine Auseinandersetzung mit solchen Ideen oder eine Hinterfragung der Stringtheorie selbst findet im Allgemeinen nicht statt.
Mir ist noch kein Stringtheoretiker begegnet, der so engstirnig wäre, wie Smolin sie beschreibt, oder auch nur so wie Smolin selbst. ]weder die Vereinheitlichung von Gravitation und Teilchenmodell, noch von Kräften und Teilchen, noch die Supersymmetrie als Vereinheitlichung von Bosonen und Fermionen sind in Reichweite.[/QUOTE] Um Quantengravitation geht es hier ja, klar. "Kräften und Teilchen"? Abgesehen von eben jener Quantengravitation doch längst erledigt, Eichtheorien. Supersymmetrie? Meines Wissens existieren mehrere theoretisch konsistente Modelle und an der Überprüfung arbeitet der LHC.

Für mich ist dieses Buch eine Erlösung, weil darin das latente Unbehagen offen thematisiert wurde, das ich schon seit langem bei der Beschäftigung mit physikalischen Themen empfinde. Viele Freunde hat sich Smolin damit nicht gemacht.
Doch, er hat sich sehr, sehr viele Freunde gemacht, den Großteil oder zumindest einen großen Teil der Öffentlichkeit. Bei dem scheint er dank seiner guten Schreibe und provokanten Haltung so gut wie gewonnen zu haben und die Stringtheorie gilt in einer paradoxen Mischung gleichzeitig als "der böse Mainstream" und als inhaltlich wie persönlich erledigter Irrweg von Sonderlingen.
Innerhalb der Physik gab es quantitativ natürlich deutlich weniger potentielle Feinde, die hat er sich dafür aber auch großenteils gemacht, das stimmt schon. ;) Inzwischen werden primär die "soziologischen" Diskussionen, die er angestoßen hat, aber weitgehend als heilsam angesehen - das ist zumindest meine Einschätzung.

Noch ein kleiner Treppenwitz am Rande: laut Smolin beschäftigt sich Edward Witten seit geraumer Zeit nicht mehr mit der Stringtheorie und hat auch nicht vor, es wieder zu tun. Das ist ungefähr so, als würde der Papst zum Protestantismus konvertieren.
Ob er das mal so gesagt hat, weiß ich auf die Schnelle nicht, aber wenn, dann hätte es sich wohl erledigt, zumindest hat er dieses Jahr 225 Seiten über "Superstring Perturbation Theory Revisited" geschrieben. ;) Und auch ansonsten wäre es nicht wie mit dem Papst, sondern nur, wie wenn ein Spezialist in 10 Gebieten sich für sein Spätwerk auf 9 oder weniger davon konzentrieren will.

Ipsissimus
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Mo 29. Okt 2012, 15:51 - Beitrag #5

Sind die "gut 200" auf ein konkretes Ereignis bezogen? Mutig könnte man bis zu Newton (300) zurückgehen, konservativer wäre Maxwell (150). Ein echtes Programm vor mehr als 100 Jahren anzunehmen, fände ich auch eher mutig
er geht bis zu Ptolemäus zurück^^ die Verwendung des Begriffes "Programm" ist mir anzulasten, er spricht von "Vereinheitlichungsstreben". Auch die 200 Jahre sind mir anzulasten, der Kern seiner Darlegungen reicht von Newton bis in die aktuelle Gegenwart (des Buches)

Gilt so auch für alle anderen Alternativen.
Soweit ich weiß, ist die "Landschaft der Theorien" ein Spezifikum der Stringtheorien. Und bei den Eichtheorien hat man zumindest einen Bezug zur physikalischen Realität. Bei der Schleifenquantengravitation gab es Vorhersagen, die zur Falsifizierung der Theorie führten, genauso bei der Twistortheorie. Alle bisherigen Vorhersagen der nichtkommuntativen Geometrie von Alain Cortes(?) wurden in experimentellen Überprüfungen verifiziert, allerdings gibt es da noch keine Überprüfung als Ganzes. Und es konnte bewiesen werden, dass es eine endliche Theorie ist.

Der Punkt ist der, dass Smolin nicht pro Schleifenquantengravitation als endgültiger Theorie schreibt, im Gegenteil, er sagt ja deutlich, dass sie in grundlegenden Aspekten falsifiziert ist. Sein Punkt besteht darin, dass die meisten Stringtheoretiker Aussagen der Stringtheorie als bewiesen erachten, obwohl es bestenfalls Indizien dafür gibt. Ein Beispiel dafür ist die Endlichkeit der Theorie, also die Fähigkeit der Theorie, für reale Anwendungen (aka die Physik unseres Universums) zu endlichen Größen als Ergebnis ihrer Gleichungen zu kommen, also Unendlichkeiten als reale physikalische Größen zu vermeiden. Das entsprechende Gleichungssystem besteht aus unendlich vielen Termen. Für die ersten drei dieser Terme [sic!] ist der Beweis der Endlichkeit gelungen, wobei die Schwierigkeit der Beweisführung von Term zu Term exponentiell steigt. Trotzdem gilt es unter Stringtheoretiker einhellig als bewiesen, dass das Gleichungssystem insgesamt zu endlichen Lösungen führt.

Smolin kritisiert also die "als ob"-Attitüde in der Community. "Wir tun so, als ob alles bewiesen wäre, was wir nur hoffen oder wünschen oder für ästhetisch ansprechend erachten, vergessen dann, dass wir das nur hoffen und verbannen alle, die uns etwas anderes einreden wollen." Diese Formulierung stammt von mir, Smolin ist nirgends so bösartig^^


Die Hintergrundunabhängigkeit der ART besagt, dass die Raumzeit ein sich dynamisch immer weiter entwickelndes Gebilde ist. Jede Theorie, die sich zu Aussagen über die Raumzeit berufen fühlt und nicht hinter die ART zurückfallen will, muss also ihre Aussagen so formulieren - mitsamt den entsprechenden Gleichungen - dass die zeitliche Entwicklung der Raumzeit darin mit berücksichtigt ist. Laut Smolin ist das bei keiner bisher vorgestellten Stringtheorie der Fall. Er akzeptiert, dass unter der riesigen Anzahl möglicher Stringtheorien möglicherweise hintergrundunabhängige Varianten dabei sein können, empfindet es aber als wissenschaftlich unlauter, diese Hoffnung - wieder mal - als Beweis für die Hintergrundunabhängigkeit der Theorie zu behaupten.

Eine ganz nette Geschichte in diesem Kontext ist übrigens die Rückführung der Raumzeit auf fundamentalere diskrete Größen. Auch unbewiesen - und als solches auch zugegeben - aber sehr spannend. Als mögliche solche Größen werden wohl derzeit Kausalbeziehungen diskutiert.


Zur Endlichkeit, siehe oben. Es geht darum, dass bisher keine Methode in Sicht ist, mit der die Endlichkeit der Ergebnisse stringtheoretischer Berechnungen bewiesen werden kann. Anders gesagt, es fehlt der Theorie jemand, der für sie das leistet, was Feynman und Co. für die Quantenfeldtheorie geleistet haben.

Mir ist noch kein Stringtheoretiker begegnet, der so engstirnig wäre, wie Smolin sie beschreibt, oder auch nur so wie Smolin selbst. ...


Was immer Smolin sein mag, engstirnig ist er nicht^^ Er wirft auch nicht einzelnen Stringtheoretikern Engstirnigkeit vor. Er spricht über die Vergabe von Forschungsgeldern, Besetzung von Professuren, Risiken für junge theoretische Physiker, die in den USA nicht über Stringtheorie arbeiten wollen. Und auch über die Atmosphäre allgemeiner Begeisterung, gegen die er nichts einzuwenden hätte, wenn sie denn bewiesene Sachverhalte beträfe. Aber im Rahmen dieser Begeisterung erhalten Annahmen den Status von Beweisen, und er führt das an sehr konkreten Beispielen, auch aus Büchern, vor.

Um Quantengravitation geht es hier ja, klar. "Kräften und Teilchen"? Abgesehen von eben jener Quantengravitation doch längst erledigt, Eichtheorien. Supersymmetrie? Meines Wissens existieren mehrere theoretisch konsistente Modelle und an der Überprüfung arbeitet der LHC.
es geht auch um Quantengravitation, aber nicht nur, die Vereinheitlichung soll ja noch tiefer reichen. Die eine große fundamentale Theoriy of everything. Und das Mittel hierfür soll die Stringtheorie bzw. die M-Theorie als Mutter aller Stringtheorien sein. Eichtheorien sind nicht notwendig Stringtheorie und supersymmetrische Stringtheorien haben massiv mit dem Endlichkeitsproblem zu kämpfen. Diese "konsistenten Modelle" stammen soweit mir bekannt nicht aus dem Kontext der Stringtheorie.


Ehrlich gesagt hat Smolin geschrieben, dass es Emails gegeben habe, in denen die Autoren sich beunruhigt darüber zeigten, Witten würde nicht mehr über die Stringtheorie schreiben^^ scheint eine Schaffenskrise gewesen zu sein, oder ein Community-Joke, was weiß ich^^ und Witten ist der Papst der Stringtheoretiker^^

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Mo 29. Okt 2012, 17:09 - Beitrag #6

Ok, Ptolemäus als erster Großer Vereinheitlicher, könnte man fast gelten lassen. Oder Aristoteles.

Gilt so auch für alle anderen Alternativen.
Soweit ich weiß, ist die "Landschaft der Theorien" ein Spezifikum der Stringtheorien.
Ist sie, ja, aber die ist auch eher so ein Kampfbegriff als ein wirkliches Charakteristikum. Für die Überprüfbarkeit zählt am Ende nicht, wie man die Varianten der jeweiligen Modelle durchnummeriert, ob da 10^500 oder 2 oder Pi rauskommt, sondern wie groß der Beobachtungsparameterraum, den sie abdecken, ist. Und da ist das "die Stringtheorie kann alles und somit nichts erklären" auch nicht schlimmer als das "alles und nichts erklären können" der Konkurrenz.

Und bei den Eichtheorien hat man zumindest einen Bezug zur physikalischen Realität. Bei der Schleifenquantengravitation gab es Vorhersagen, die zur Falsifizierung der Theorie führten, genauso bei der Twistortheorie. Alle bisherigen Vorhersagen der nichtkommuntativen Geometrie von Alain Cortes(?) wurden in experimentellen Überprüfungen verifiziert, allerdings gibt es da noch keine Überprüfung als Ganzes. Und es konnte bewiesen werden, dass es eine endliche Theorie ist.
Eichtheorien gehören hier nicht hin, s.u. Und der entscheidende Punkt: keine dieser Alternativen ist tot, jede davon existiert in modifizierte, eventuelle "Falsifizierungen" umgehenden Formen weiter. Theoretische Physik ist wie eine Hydra, Falsifizierbarkeit in der engen, klassischen Form ein überholtes Konzept.

Zur "Endlichkeit der Theorie": ah, ok, es scheint um Renormierung zu gehen. Das ist das klassische Problem aller Feldtheorien. Auch die, die das Standardmodell der Teilchenphysik bilden (was ich mit "die Eichtheorien" meinte, wenn der Begriff natürlich auch noch viele exotische Theorien umfasst), waren historisch furchtbar schwer zu renormieren und wurden jahrzehntelang für Präzisionsberechnungen benutzt, "als ob" schon bewiesen wäre, dass sie überhaupt mathematisch sauber begründbar (u.a. "endlich") sind. Aus dieser Tradition und der inhaltlichen Konservativität, also formellen Ähnlichkeit zu diesen etablierten Theorien, beziehen die Stringtheoretiker ihr zugegebenermaßen sehr spekulatives Vertrauen, irgendwann mal zu einem soliden Ergebnis zu kommen.

Dass die Hintergrund(un)abhängigkeit von der gewählten Variante der Stringtheorie abhängt, ist mir neu. Aber falls ich je versucht haben sollte, den Eindruck zu erwecken, ich hätte von dem Thema hier echte Ahnung, muss ich den dringend wieder zerstreuen. ;) Mehr als je eine Einführungsvorlesung zu Stringtheorie speziell (bei P. van Nieuwenhuizen in New York) und Quantengravitation allgemein (bei C. Kiefer in Köln) habe ich nicht zu bieten.

Eine ganz nette Geschichte in diesem Kontext ist übrigens die Rückführung der Raumzeit auf fundamentalere diskrete Größen. Auch unbewiesen - und als solches auch zugegeben - aber sehr spannend. Als mögliche solche Größen werden wohl derzeit Kausalbeziehungen diskutiert.
"Rückführung der Raumzeit auf fundamentalere diskrete Größen" an sich ist ja einfach nur eine Umformulierung von "Quantengravitation". In der Stringtheorie sind diese diskreten Größen die (quantierten) Anregungszustände der Strings, bei Smolin die Fundamental-Schleifen. Meinst du hier eine speziellere Klasse?
Causal set theory (habe ich glaube ich auch schonmal in einem anderen Thread erwähnt...?) ist sehr faszinierend, ja, aber davon verstehe ich noch weniger.

Was immer Smolin sein mag, engstirnig ist er nicht^^ Er wirft auch nicht einzelnen Stringtheoretikern Engstirnigkeit vor.
Ok, dann sind wohl wiederum (viele) seine(r) Kritiker und Rezensenten engstirnig. ;)

Er spricht über die Vergabe von Forschungsgeldern, Besetzung von Professuren, Risiken für junge theoretische Physiker, die in den USA nicht über Stringtheorie arbeiten wollen. Und auch über die Atmosphäre allgemeiner Begeisterung, gegen die er nichts einzuwenden hätte, wenn sie denn bewiesene Sachverhalte beträfe. Aber im Rahmen dieser Begeisterung erhalten Annahmen den Status von Beweisen, und er führt das an sehr konkreten Beispielen, auch aus Büchern, vor.
Dieser Teil der Kritik wurde wie gesagt deutlich offener aufgenommen als der fachliche.

weder die Vereinheitlichung von Gravitation und Teilchenmodell, noch von Kräften und Teilchen, noch die Supersymmetrie als Vereinheitlichung von Bosonen und Fermionen sind in Reichweite.
Um Quantengravitation geht es hier ja, klar. "Kräften und Teilchen"? Abgesehen von eben jener Quantengravitation doch längst erledigt, Eichtheorien. Supersymmetrie? Meines Wissens existieren mehrere theoretisch konsistente Modelle und an der Überprüfung arbeitet der LHC.
es geht auch um Quantengravitation, aber nicht nur, die Vereinheitlichung soll ja noch tiefer reichen. Die eine große fundamentale Theoriy of everything. Und das Mittel hierfür soll die Stringtheorie bzw. die M-Theorie als Mutter aller Stringtheorien sein. Eichtheorien sind nicht notwendig Stringtheorie und supersymmetrische Stringtheorien haben massiv mit dem Endlichkeitsproblem zu kämpfen. Diese "konsistenten Modelle" stammen soweit mir bekannt nicht aus dem Kontext der Stringtheorie.
Ah, Missverständnis. Ich dachte, du/Smolin bezöge(st) (d/s)ich da auf den Stand der Physik allgemein, nicht auf die Herleitung dieser Aspekte aus der Stringtheorie.

und Witten ist der Papst der Stringtheoretiker^^
Nein, eher ihr Franz von Assissi. ;) Über Smolins Angriffen dürfte er z.B. weit erhaben sein... Wittens Werk ist schon allein von so großem rein mathematischem Wert, dass selbst völlige Unphysikalität der Stringtheorie ihm nichts anhaben konnte, daher auch die Fields-Medaille.

Ipsissimus
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Mo 29. Okt 2012, 17:42 - Beitrag #7

ich wollte Witten gar nicht abwerten^^ dass der Mann ein absolutes Genie ist, anerkennt Smolin neidlos^^ nur ist er wohl der wichtigste jener Protagonisten der Stringtheorie, hinter deren unbestritttenen Leistungen die Physik ein bisschen in Richtung Esoterik getrifftet ist^^ nicht so sehr einmal in den Arbeiten Wittens selbst, sein Konzept ist ja eher mathematisch. Aber Gläubige sind der Anfang vom Ende der Wissenschaft^^

was den Konflikt angeht, der hier thematisch anhand der beiden Bücher besprochen wird, besteht ja gar keine Chance, dass ich da in irgendeiner Weise eine relevante, sachlich begründete Entscheidung treffen könnte. Ich kann nur sagen, das Buch von Green kommt mir vor wie das Werk eines Nerds, der nicht versteht, warum die Welt nicht im Kopf hexadezimal rückwärts rechnen kann, also durch seine schiere Übermacht einschüchtert, während mir Smolin Argumente präsentiert, über die ich nachdenken und zu denen ich mich positionieren kann. Bei Green bleibt mir nur, atemlos vor Begeisterung "toll" zu murmeln, oder griesgrämiger: "was für ein Scheiß"^^


bei diesen diskreten fundamentalen Größen soll es sich um Kausalrelationen handeln. Es ist eine Umkehrung: nicht die Welt der Entitäten und Ereignisse ist primär, zwischen denen dann sekundär kausale Beziehungen bestehen, sondern die Konstruktion der Welt besteht aus kausalen Geflechten, die in ihrem Zusammenspiel Wirklichkeit aufflimmern lassen. In dieser Welt ist das reale Universum eine Illusion, wenn auch eine sehr handfeste.

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Mo 29. Okt 2012, 19:23 - Beitrag #8

@Ipsi:
Alle bisherigen Vorhersagen der nichtkommuntativen Geometrie von Alain Cortes(?) wurden in experimentellen Überprüfungen verifiziert, allerdings gibt es da noch keine Überprüfung als Ganzes

Du meinst vermutlich Alain Connes, ein Mathematiker seines Zeichens und sogar ein recht guter. Auch nicht-kommutative Geometrie ist erstmal ein mathematischer Fachbereich (zum Teil auch eine Sichtweise auf bestimmte schon vorher studierte Dinge). Zu sagen, dass alle Vorhesagen der nichtkommuativen Geometrie getestet wurden ist so ähnlich wie wenn man sagt, dass alle Vorhersagen der nicht-euklidischen Geometrie getestet wurden, also zumindest irreführend. Nicht die Geometrie wurde getestet, sondern wenn, dass bestimmte physikalische Modelle, die diese Geometrien benutzen, gültig sind.

@Traitor:
Zur "Endlichkeit der Theorie": ah, ok, es scheint um Renormierung zu gehen. Das ist das klassische Problem aller Feldtheorien. Auch die, die das Standardmodell der Teilchenphysik bilden (was ich mit "die Eichtheorien" meinte, wenn der Begriff natürlich auch noch viele exotische Theorien umfasst), waren historisch furchtbar schwer zu renormieren und wurden jahrzehntelang für Präzisionsberechnungen benutzt, "als ob" schon bewiesen wäre, dass sie überhaupt mathematisch sauber begründbar (u.a. "endlich") sind.
Weißt du, was da der momentane stand ist? Ich bekomme als Mathematiker nur immer ferne Ausläufer dieser Wellen mit, aber mir schien immer, dass wesentliche Teile der QFT immer schwer mathematische 100%ig präzise zu machen sind, insbesondere Pfadintegrale.

Ich muss sagen, dass ich da wenig Ungeduld verspüre zu sehen, ob die Stringtheorie oder die Quanten-Loop-Gravitation oder was auch immer am Ende das Rennen macht, in welcher Variation auch immer. Natürlich finde ich es schon interessant, aber die wunderschönen, hochpräzisen und gut getesteten Theorien wie die ART und die QFT, sogar noch ältere Sachen wie Elektrodynamik und statistische Mechanik sind mir nur so oberflächlich bekannt, dass da, wenn ich ernsthaft Physik lernen würde, genug Stoff wäre, den ich erst verstehen sollte.

Ipsissimus
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Di 30. Okt 2012, 11:10 - Beitrag #9

jo, Alain Connes ist gemeint, Padreic, ich hatte den Namen und das Buch gerade nicht parat. Ich habe mich sicher auch missverständlich ausgedrückt, natürlich sind nur solche Vorhersagen der nichtkommutativen Geometrie gemeint, die physikalische Sachverhalte betreffen. Ein bisschen kommentiert diese Missverständlichkeit aber auch die Schwierigkeit, die ich mit der Stringtheorie insgesamt habe - und die vielleicht nicht nur meine Schwierigkeit ist -: dass es hier anscheinend keine saubere Trennung mehr zwischen Mathematik und Physik gibt. Stringtheorie stellt sich mir mittlerweile als mathematisches Hexenwerk an der Grenze des Menschenmöglichen dar, aber ob sie konkrete Bezüge zu realer Physik hat, ist zumindest eine offene Frage. Und das für eine Theorie, die vorgeschlagen ist als Kandidatin einer Theory of Everything, die also das reale, physikalische Universum von Sub-Planckskalen bis zu kosmologischen Skalen erklären soll. Stattdessen muss gefragt werden: Is there even a (scientific) theory? Und das nach über 40 Jahren Forschung.

Traitor
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So 25. Nov 2012, 17:32 - Beitrag #10

Zitat von Ipsissimus:bei diesen diskreten fundamentalen Größen soll es sich um Kausalrelationen handeln. Es ist eine Umkehrung: nicht die Welt der Entitäten und Ereignisse ist primär, zwischen denen dann sekundär kausale Beziehungen bestehen, sondern die Konstruktion der Welt besteht aus kausalen Geflechten, die in ihrem Zusammenspiel Wirklichkeit aufflimmern lassen. In dieser Welt ist das reale Universum eine Illusion, wenn auch eine sehr handfeste.
Kommt "Beziehungen sind fundamentaler als Ereignisse" explizit aus der Quelle, oder interpretierst/formuliertest du das nur so? Die Version, die ich kenne und die mir auch logisch erscheint, ist, dass die Ereignisse fundamental sind und man daraus Kausalnetze baut - wie könnte denn auch ein Netz ohne Knoten funktionieren? Aber wenn es das doch auch andersherum gibt, müsste ich darüber unbedingt lesen.

Zitat von Ipsissimus:dass es hier anscheinend keine saubere Trennung mehr zwischen Mathematik und Physik gibt.
Die gibt es schon seit Galilei nicht mehr. ;) Aber ja, in der Stringtheorie hat diese Entfremdung einen Höhepunkt erreicht. Obwohl das Ausgangskonzept des vibrierenden Strings durchaus noch physikalisch-anschaulicher ist als manche Alternativen, etwa die Kausalnetze oder manche rein geometrische Ansätze, und wie schonmal gesagt die Übernahme etablierter Konzepte aus der Teilchenphysik auch ziemlich zentral ist. Die starke Wahrnehmung der Unphysikalität liegt also primär am Ausbaugrad.

@Padreic: Die Renormierung der elektroschwachen Theorie dürfte als abgehakt gelten. Bei der QCD habe ich nicht den Überblick, was als mathematisch sauber und was nur als hinreichend zuverlässig gilt.

Ipsissimus
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So 25. Nov 2012, 18:23 - Beitrag #11

nein, das stammt so, wenn auch nicht wortwörtlich, aus der Quelle, also der Übersicht über Alternativen zur Stringtheorie, die Smolin in einem Kapitel seines Buches gibt. Wenn du möchtest, suche ich die Stelle noch mal und zitiere sie wörtlich. Es geht aber explizit darum, dass weder Entitäten noch Ereignisse subordial sind, sondern Relationen.

Traitor
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Di 12. Mär 2013, 11:04 - Beitrag #12

Hier nochmal interessante Propaganda von Herrn Greene. ;)

Die Sache mit den Kausalnetzen habe ich übrigens nicht ganz vergessen, wollte mir immer mal das Original aus der Unibibliothek ausleihen und nachlesen. Aber wenn du nicht mehr daran glaubst, dass ich dazu endlich mal komme, darfst du es mir auch gerne auf Deutsch zitieren. ;)

Ipsissimus
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Di 12. Mär 2013, 13:52 - Beitrag #13

glücklicherweise gibt es ja ein Entscheidungsverfahren darüber, welche Gleichungen physikalisch ernst zu nehmen sind, und welche nicht. Leider gelangen die Gleichungen aber auch nur auf der Grundlage dieses Entscheidungsverfahrens, des Experimentes, zu ihrem möglichen Status als adäquate mathematische Beschreibung realer physikalischer Wirklichkeit^^ viele Gleichungen mögen daher zwar formal korrekt und ästhetisch überaus befriedigend sein, aus beidem ergibt sich aber eben nicht bereits Wirklichkeit

ich glaube immer mehr, diese Auffassung von Ästhetik als Kriterium von Wirklichkeit ist der zentrale Irrtum der Stringtheoretiker^^


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