Gegenteilige Wirkungen von Psychopharmaka u. a. Drogen

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Maglor
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Mi 3. Okt 2012, 21:21 - Beitrag #1

Gegenteilige Wirkungen von Psychopharmaka u. a. Drogen

Schon seit Jahren rätsel ich darüber, dass bestimmte Substanzen ganz unterschiedlich beim Menschen wirken können. Man spricht von paradoxen Effekten.

Ritalin soll hyperaktive Kinder ruhigstellen, bei "normalen Menschen" wirkt es als starkes Aufputschmittel.
Canabis versetzt einzelne Menschen in traumatisierenden Rauschzustände, die zum Teil in einer chronischen Psychose enden, andere nutzen die Droge einfach zur Entspannung.
Alkohol wirkt auf manche beruhigend ja einschläfernd, andere putscht er auf.
Bei vielen Antidepressiva kann als Nebenwirkung eine Verstärkung der Depression auftreten. Bei vielen Patienten verschwinden die Symptome aufgrund der Medikamente, andere bekommen nur neue hinzu.

Traitor
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Mi 3. Okt 2012, 23:13 - Beitrag #2

Ritalin ist meines (sehr ungenauen) Wissens nicht zum "Ruhigstellen" gedacht, sondern als Konzentrationsstärker - die Hyperaktivität soll durch Fokussierung behoben werden. Da ist der Einsatz als leistungssteigerndes Mittel für "normale Menschen" dann auch gar nicht mehr so unnaheliegend.

Anaeyon
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Do 4. Okt 2012, 00:02 - Beitrag #3

Cannabis wirkt (denke ich Bild) wie ein Stimmungsverstärker. Spaß wird spaßiger, Angst wird ängstigender. Wenn labile Paranoiker kiffen, ist das Ergebnis denkbar.

Das mit den Antidepressiva würde mich allerdings auch interessieren. Sicherlich gibt es hier verschiedene Wirkprinzipien, die unterschiedlich häufig zu gegenteiligen Wirkungen führen, aber..

Ipsissimus
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Do 4. Okt 2012, 11:16 - Beitrag #4

ach, die Cannabis-Paranoia ist eigentlich nur die Furcht des Dealers vor dem verdeckten Ermittler^^ und da der Unterschied zwischen Kiffer und Dealer manchmal nur ein Gramm Stoff mehr oder weniger ist, erscheint das auch plausibel^^

Was Ritalin und dergleichen angeht, habe ich den Verdacht, dass es sich dabei weniger um ein Medikament zur Behandlung einer Krankheit handelt, als um eines zur Beruhigung von Eltern, die das Gefühl bekommen möchten, alles Machbare für ihr Kind getan zu haben, ohne etwas dafür zu tun. Weil, wirklich wichtig ist der Doppelverdienst, da stören quengelige Kinder, um die mensch sich richtig kümmern muss, also mit richtig viel eigenem Zeiteinsatz über lange Zeiträume hinweg richtig kümmern muss, nur. Da kommen Krankheiten wie ADS/ADHS, Asperger oder Borderline gerade richtig, es gilt nur noch den richtigen Therapeuten finden, der dann schon die richtige Pille empfiehlt.

Das aber nur nebenbei. Die eigentliche Antwort auf die Frage lautet: Reale Menschen sind eben keine Modelle von Menschen, sondern reale Menschen. Und die sind verschieden. Sie reagieren verschieden, sind unterschiedlich disponiert, sie werden mit gleichen Lasten unterschiedlich gut fertig, all diese Dinge, die dem Wissenschaftler, der ein funktionierendes Modell sucht, ein Grauen sind, das er gerne aus seinen Modellen heraus nimmt^^ es gibt natürlich Modelle wie "dynamisches System" und "Statistik", aber es steht zu befürchten, dass der Einzelfall damit einfach nicht zu erschlagen ist.

Außer natürlich von Juristen. Die wissen immer, wie Menschen sind, wenn sie diese durch die Mühlen forensischer Wirklichkeitskonzepte gedreht haben. Dann ist ein Kiffer eben ein Dealer, manchmal wegen einem Gramm mehr.

nazgul
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Do 4. Okt 2012, 14:52 - Beitrag #5

Grade die erregbaren Zellen (Nerven, Sinneszellen, Herzmuskel) haben eine vielzahl an Rezeptoren für die unterschiedlichsten Substanzen.
Am Ende entscheidet der über die Rezeptoren und Ionenkanäle eingestellte Konzentrationsgradient zwischen Intra- und Extrazellulär darüber ob die Zelle depolarisiert, und damit andere, benachbarte Zellen stimuliert und wie die Zelle selber von ihren Nachbarn erregbar ist.

Grundsätzlich lässt sich dann sagen das das vermehrter Einstrom negativ geladener Ionen (Cl ) und reduzierter Einstrom positiver Ionen (Ca,Na) die Erregbarkeit der Zelle dämpfen. Umgekehrt lässt sich die Erregbarkeit der Zelle
erhöhen.

Daraus lässt sich folgern das ein Mittel, das den Cl-Einstrom fördert über die dämpfung einzelner Nervenzellen das gesamtsystem dämpft, also Beruhigend wirkt. Und genau das passiert bei Valium bei den meisten Patienten.

Allerdings haben nicht alle Nerven die gleichen oder gleich viele Rezeptoren für ein und die selbe Substanz. Also werden nicht alle Nervenzellen gleich gedämpft.
=> Was wenn die Unruhe des Patienten von einer der wenig beeinflussten Zellen kommt?
=> Was wenn gerade die Zellen gedämpft werden, die die erregenden Nerven dämpfen sollen?

Dann treten Rezeptorabhängig Sättigungseffekte und Verbrauchseffekte auf.
=> Wirkt das Medikament Aktivierend (Agonist), Blockierend (Antagonist), Teilaktivierend (partieller Antagonist)
=> Benötigt das Medikament kofaktoren?

Und es gibt natürlich auch noch Veränderungen an den Rezeptorgenen, die nicht unbeding funktionell problematisch sind, aber das Ansprechen auf bestimmte Medikamente modifizieren.

Diese bei weitem nicht vollständige Aufzählung zeigt schon, allein wenige Neurone betrachtend, das das Thema der Erregungsbeeinflussung ziemlich Komplex ist.

Dann kommt dazu das manche Wirkstoffe Dosisabhängig auch an anderen als dem hauptaffinen Rzeptor wirken.
- Beispiel Salbutamol, wirkt irgendwann auch am Herz und nicht nur an der Lunge
- Bestimmte Histaminrezeptor-Antagonisten antagonisieren irgendwann auch Serotonin-Rezeptoren

Und weil das noch nicht genug ist, moduliert nun der Organismus die Verteilung, und beeinflusst so wann und wo welche Menge genau ankommt.
Beispielfaktoren:
- Wann, Was, Wieviel waren die letzten Mahlzeiten
- Trinkzustand, Viel/Wenig geschwitzt
- Komedikation, Wirkstoffen aus dem Essen/Trinken
- Bewegung?
- Stress?

und auch hier ist die Liste nicht vollständig.

Dann ist noch die Frage ob der Wirkstoff als Racemat oder Enantiomerenrein vorliegt, Ketanest etwa macht als Racemat häufig "Bad Dreams", nur das S-Enantiomer im Vergleich sehr selten.

Schlussendlich gibt es viele Rezeptoren an mehreren Stellen des Körpers, so das ein Wirkstoff meist mehrere Wirkungen zeigt. Der Nebenwirkungsbegriff des Volkes :) ist hier Schwammig, weil dort meistens Unverträglichkeiten gemeint sind - Nebenwirkungen aber vom Prinzip alle Wirkungen sind, die nicht (im aktuellen Fall) gewollt sind.
Beispiel Fenoterol: Weitet glatte Muskulatur, die gibt es neben Blutgefäßen und Bronchien auch im Uterus. Wenn grade die Wehen gehemmt werden sollen ist die Bronchienweitung vernachlässigbar. Wenn aber eine Frau unter der Geburt einen Asthmaanfall bekommt, ist Fenoterol eventuell das Falsche - so von wegen Steckenbleiben :P

Wenn die Symptome des Kindes auf ner Transmitterstörung beruhen, die sich durch Ritalin beheben lassen, stehen die Chancen gut, dass das klappt, ansonsten ist das Kind halt nur gedopt.

Statistisch lässt sich für einen Wirkstoff ein bestimmter Effekt zeigen, der in der Regel dem entspricht, was man aus dem Wirkmechanismus deduziert.
Das heißt aber nicht, das es nicht bei einzelnen Individuen andere als die gewünschte Hauptwirkung im Vordergrund stehen.

Eine kurze Literatursuche hat mir zumindest keine spezifische Ursache für paradoxe Reaktionen gezeigt. Es gibt aber sowohl in der Literatur als auch in der eigenen Erfahrung einen Zusammenhang zwischen langfristigem Alkoholmissbrauch, Demenz und dem paradoxen Wirken auf Benzos (Valium)

Die Menschen die so Verschieden sind, das ein Wirkstoff unerklärt und unerwartet völlig anders Wirkt als bei der Mehrheit der Population ist selten.
Das es eine Medikamentenodysse braucht bis insbesondere Depris und Schizos den richtigen Stoff gefunden haben, liegt eher an mangelnden Diagnoseverfahren und der Verschiedenheit der Ursachen denn an der Verschiedenheit der Menschen.

Ein Mittel das nur bei einem Patienten für eine spezifische Erkrankung ohne Nebenwirkungen wirkt ist wenn man sich die zugrunde liegenden Mechanismen in Erinnerung ruft zwar voll im Weltbild der hochvergeistigten Personenkreise (Waldorfesotheriksektierer u.a.), entbehrt aber jeder empirischen Beobachtbarkeit und Logik.
Umgekehrt führt aber der Weg:
1. Welche wo gelegenen Wirkpunkte muss ich wie beeinflussen?
2. Welcher Stoff lässt sich synthetisieren, der die Wirkung im Labor zeigt?
3. Steht bei dem Stoff in Versuchsreihen mit größeren Gruppen die gewünschte Wirkunnge gegen die Nebenwirkungen im Vordergrund?
4. Ist das Verhältniss Nutzen (Wirkung) zu Nebenwirkungen/Unverträglichkeiten akzeptabel?

Zu Medikamenten die bei den Meisten die gleiche Problematik spezifisch Therapieren. Das da Einzelne oder bestimmte Gruppen nicht Profitieren liegt aufgrund obiger Fakten auf der Hand, ist aber auch erklärbar.

Maglor
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Do 4. Okt 2012, 19:18 - Beitrag #6

Zitat von nazgul:Das es eine Medikamentenodysse braucht bis insbesondere Depris und Schizos den richtigen Stoff gefunden haben, liegt eher an mangelnden Diagnoseverfahren und der Verschiedenheit der Ursachen denn an der Verschiedenheit der Menschen.

Die Methode heißt all zu oft Versuch und Irrtum.

Maglor
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Mo 28. Jan 2013, 22:44 - Beitrag #7

Einige Leute mit ADHS benutzen Koffein als Schlafmittel oder Schlaftabletten zum Aufputschen. Aber das ist nur Spitze des Eisbergs.
Einige Betäubungsmittel funktionieren bei ihnen nicht, sodass die Narkose bei Operationen nicht wirkt.

[INDENT]In unserer Ambulanz für Erwachsene mit ADHS berichten etwa 10–20 % der Betroffenen wiederholt über auffällig verlängerte (circa 24 h) oder (häufiger) deutlich verkürzte und abgeschwächte Wirkung einer Lokalanästhesiespritze beim Zahnarzt. Einige Patienten berichten, dass die postoperative Gabe von Beruhigungsmitteln (auch Benzodiazepinen) zum Erstaunen der Ärzte sie paradoxerweise „noch wacher machte“.[/INDENT]
Deutsches Ärzte Blatt: Paradoxe Wirkung bei ADHS

Es bleibt ein Rätsel.

009
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Mo 28. Jan 2013, 23:21 - Beitrag #8

Es mitzuerleben ist dafür teils echt erstaunlich.
Hatte das zweifelhafte Vergnügen, eine durch Lokalanästhetika und vom Wesen her eh schon aufgedrehte durch diese gabe noch mehr aufgedrehte zu erleben.
Bei der Ritalin-Dosierung wird wiederum gerade so lange aufdosiert, bis eine paradoxe, eben wieder noch weiter aufdrehende statt beruhigend-klärende Wirkung eintritt. Ebenfalls ein Erlebnis, wenn eine doch eher zu sprung-/lebhafte unter Ritalin erst "normaler" wird, bei Überdosierung dann so hyperaktiv, dass sie sich selber damit schon auf die Nerven geht.

Maglor
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So 17. Feb 2013, 22:25 - Beitrag #9

009, experimentierst du selbst oder bist nur zufällig Zeuge von Dr. Eisenbart?

e-noon
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So 17. Feb 2013, 22:34 - Beitrag #10

Endlich kann ich eigene Erfahrungen zum Thema beitragen: Wenn ich morgens gegen 10 eine Koffeintablette einnehme, verhilft das zu ungeahnter Konzentration, führt aber auch dazu, dass ich frühestens nachts um 3 wieder an Schlaf denken kann.

009
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So 17. Feb 2013, 23:42 - Beitrag #11

Maglor, das sind alles Beobachtungen die ich bei einer anderen Person machte.
e-noon :boah: entweder ist da eine Hammerdosis drin oder du reagierst extrem sensibel, denn zB Kaffe(drinks) kann ich auch nachmittags trinken und dennoch abends bequem eimschlafen.
Und ob es positiv ist (je nach Wirkstoff usw.), hier eigene Erfahrungen beitragen zu können weiss ich aber auch nicht.

Maglor
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Mo 18. Feb 2013, 21:09 - Beitrag #12

Koffein macht körperlich abhängig.
Bei Nicht-Coffeinisten würden starke Dosen sicherlich auch stark wirken.
Ich glaube nicht, dass e-noon endlich die Erfahrung einer gegenteiligen Wirkung von Koffein gemacht hat. Eigentlich war doch diese, und keine andere Wirkung zu erwarten, außer natürlich ADHS ist bereits diagnostiziert und paradoxe Wirkungen sind aus der Anamnese hinreichend bekannt. :crazy:

Anaeyon
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Mo 18. Feb 2013, 23:03 - Beitrag #13

Koffein ist doch gar nicht aufputschend, sondern verhindert nur zusätzliche Müdigkeit. In Koffeintabletten ist mwn. deutlich mehr als in einem Kaffee. Als ich mir zuletzt eine Packung Tabletten kaufte, musterte mich die Frau kurz und wies mich darauf hin, dass man sich damit umbringen kann Bild


Im Zusammenhang mit so einer Meldung aus den ZDF-Nachrichten heute finde ich das Thema auch nicht ganz uninteressant: Das typische "Jugendliche und Studenten nehmen immer mehr Pillen, um besser lernen zu können". In den USA dürfte das größtenteils Adderall/Ritalin sein (ähnlich wie Ritalin. Meines Wissens nach blockt Ritalin den Abbau von Dopamin u.ä, während Adderall die Produktion davon anregt).

Dass diese eher aufputschenden Mittel genannt werden, ist verständlich. Nun habe ich aber auch von Leuten gehört, die meinten, sie könnten mit THC besser lernen. Ich bin mir nicht sicher, ob hier auch individuelle gegenteilige Effekte auftreten können, oder ob hier eher Stress/Ängste gelöst werden, die vom Lernen abhielten. Bei THC ist zumindest zu beobachten, dass die Kreativität mancher Menschen dadurch tatsächlich steigt, während andere eher noch unfähiger (wenn auch nicht weniger glücklich ^^) dadurch werden.

Muss man eigentlich im Studium ausreichend lernen, um Lernmethoden angemessen vergleichen zu können? Bisher hätte ich warscheinlich nie feststellen können, ob die ein oder andere Droge wirksamer gewesen wäre Bild

Lykurg
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Mo 18. Feb 2013, 23:19 - Beitrag #14

Kommt sicher aufs Studium an, Anaeyon. Mediziner werden wohl an dieser Stelle von ihren Prüfungsordnungen zu Selbstversuchen angehalten. - Aber ob der musternde Blick der Apothekerin in deinem Fall wohl bedeutete, daß sie sich überlegte, ob sie dir was neues damit mitteilt, und das Risiko einer Fehldosierung eher erhöht? ;-)

Über Auswirkung derartiger Mittel kann ich mangels eigener Erfahrung zum Glück wenig sagen, weder im normalen noch im umgekehrten Fall. Die weite Verbreitung derartiger Mittel ist allerdings unter den geschilderten Umständen noch fragwürdiger als ohnehin schon...


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