Standardmodell und Elementarteilchen

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
Ipsissimus
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Do 20. Jun 2013, 11:39 - Beitrag #1

Standardmodell und Elementarteilchen

beim Nachdenken über Z(3900) und die hypothetischen IT-Körper haben sich für mich ein paar Fragen zu Elementarteilchen (ET) und Standardmodell (SM) aktualisiert, an denen ich im Hinterkopf wohl schon länger halbbewusst gebrütet habe. Vielleicht kann mir ja jemand die Trivialität der Fragen durch unmittelbar einsichtige Antworten klar machen^^ ich sortiere mal nach Schwierigkeit^^

1) wenn ich es richtig sehe, sind die übergroße Mehrzahl der Elementarteilchen im Standardmodell zusammengesetzt. "Elementar" im Sinne von "nicht weiter zerlegbar und nicht in andere Teilchenarten umformbar" sind nach meinem Verständnis derzeit wohl nur Elektronen, Neutrinos und Quarks. Ist dieses von mir angelegte Verständnis von Elementarität zu streng, geht es an der Sache vorbei, verbinden Physiker eine andere Bedeutung mit der Begrifflichkeit? Oder ist es einfach die Bequemlichkeit, die eine historisch gewachsene Begrifflichkeit nicht überdenken will?

2) die zentrale Methode unserer Wissenschaft, Erkenntnisse zu generieren, besteht darin, "Dinge" in ihre Bestandteile zu zerlegen, um die Eigenschaften des Dings aus den Eigenarten und dem Zusammenspiel der Bestandteile zu erklären. Diese Methode ist überaus erfolgreich, aber was machen wir mit Dingen, die ihrerseits nicht zusammengesetzt sind? Müssen wir, anders gefragt, die Eigenschaften von Elektronen, Neutrinos und Quarks als eine Art naturgegebener Axiome auffassen, oder besteht eine Chance, nicht nur herauszufinden, wie diese Dinge sind, sondern auch, warum sie so sind? Müssen wir eventuell ganz neue Fragestellungen und/oder Vorhehensweisen finden, um zu verstehen, warum diese Teilchen sind, wie sie sind?

3) Das Konzept des Absoluten hat im Rahmen der modernen Wissenschaft zwar nicht mehr die Bedeutung wie in früheren Zeiten, es ist aber auch nicht verschwunden. Die Griechen stellten sich ihre Atome als unwandelbar, unteilbar, unzerstörbar und nicht geschaffen, sondern ewig vor. Wir wissen zwar, dass die heutigen Analogien dieser Atome, die Elementarteilchen, erzeugt, zerstört und umgewandelt werden können, aber wir schreiben ihre Eigenschaften Gesetzen zu, deren Gültigkeit wir im Wesentlichen für zeit-, situations- und ortsunabhängig auffassen, was so nahe am Konzept des Absoluten ist wie es nur sein kann, ohne die Begrifflichkeit zu verwenden.

Müssen wir diese Gesetze als naturgegebene Axiome auffassen, oder besteht eine Möglichkeit - oder sogar Notwendigkeit -, Naturgesetze in Abhängigkeit vom Entwicklungs- und Organsiationsgrad des Universums aufzufassen? Anders gefragt, gibt es die Gesetze (von irgendwo her gekommen oder gegeben) UND das Universum, mitsamt seinen Strukturen, oder ist es möglich, die Gesetze als Ausdruck des und als abhängig vom Organisationsgrad des Universums und seiner Strukturen aufzufassen, unterliegen sie also, noch anders gefragt, einer zeitlichen und eventuell räumlichen Evolution, die mit der Entwicklung des Universums fortschreitet?

Traitor
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Do 20. Jun 2013, 12:19 - Beitrag #2

1) "Elementar" heißt genau das, was du darunter verstehst. Im Fachgebrauch bezeichnet "Elementarteilchen" also auch ausschließlich die (nach aktuellem Kenntnisstand) nichtzusammengesetzten Teilchen. Ein Proton, Neutron oder Z(3900) (allgemein: Hadronen, Mesonen) ist kein Elementarteilchen, und wenn das irgendwo steht, ist es ein dummer Fehler.
Bei der Aufzählung echter Elementare vergessen hast du noch die schwereren Varianten des Elektrons: Myon und Tau, zusammen "Leptonen" genannt, und die Kraftaustauschteilchen: Photon, Gluonen, W, Z, Higgs, hypothetisch Graviton.

2) Das Standardmodell ist nur ein Standardmodell und der Hauptgrund, dass man mit ihm trotz seiner riesigen Erfolge unzufrieden ist, ist genau dieser: es erklärt seine eigenen Parameter, also die Anzahl und Organisation der Teilchenspezies sowie deren Eigenschaften und die der Kräfte nicht. Also braucht es neue Vorgehensweisen: Stringtheorie usw.

3) Die aktuelle Formulierung der Naturgesetze geht ja schon deutlich über "zeit-, situations- und ortsunabhängig" hinaus, die Stärke der Kräfte etwa variiert mit der Energie und war damit im frühen Universum deutlich anders, und ist in Beschleunigern anders als im Alltag, bis hin zur erhofften "großen Vereinigung" bei höchsten Energien. Damit haben wir einen Satz von Gesetzen, der schon verdammt flexibel ist, und mögliche Erweiterungen werden das noch verbessern.
Dass die Gesetze selbst, und nicht nur ihre Parameter, in einem anderen Kontext anders sein könnten, ist schwer vorstellbar, da so ein Kontext kaum vorstellbar ist. Vom physikalisch-wissenschaftstheoretischen Standpunkt her wäre das aber nichtmal sonderlich problematisch, da man einfach ein Übermodell mit einem Metaparameter einführen kann, der je nach Kontext zwischen den zwei Submodellen umschaltet. Anschaulich-philosophisch wäre daran aber sicher hart zu knabbern.

Ipsissimus
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Do 20. Jun 2013, 13:10 - Beitrag #3

danke, die Antworten auf die beiden ersten Fragen haben mich ja schon beinahe wieder mit dem SM und dem Teilchenzoo versöhnt?^^ wobei, erzähl mal einem milde Gebildeten, dass ein Proton oder Neutron kein Elementarteilchen sei^^

es wäre diesbezüglich vielleicht noch interessant, zu verstehen, wie sich dieser Unterschied, zwischen zusammengesetzten und echten Elementarteilchen wellentheoretisch gestaltet. Wenn Teilchen im Grunde nicht anderes als lokalisierte Zustände von subordinalen Feldern sind, wie kommt es, dass sich manche dieser Zustände aufspalten lassen und andere nicht? Sind die uneigentlichen Elementarteilchen überlagerte Zustände?

Zur Antwort auf Frage 3 habe ich weitere Fragen^^ die Gesetze sind heute sicher flexibler formuliert, und ich bezweifele nicht, dass diese Flexibilität weiter ausgebaut werden kann und wird. Aber der Umstand der "Gesetzeskraft" als solcher - also nicht der Formulierung, die nur eine Folge unseres Kenntnisstandes ist, sondern der grundlegenden Gestaltung der Strukturen durch anwendbare Gesetze - ist dadurch eigentlich unangetastet. Es gäbe dann die Gesetze - von irgendwo her, gegeben, vorgefunden, wie auch immer - und ein Universum, das mit diesen Gesetzen eigentlich nichts zu tun hat, außer dass es sich nach ihnen richtet. Das ist der Kern der Frage.

Ein Metamodell mit kontextsensitivem Schalter fände ich philosophisch nicht so dramatisch. Aber natürlich müsste dann die gleiche Frage an das Übermodell gestellt werden. Worauf ich hinaus will, sind Alternativen zur Absolutheit, zur Gesetztheit der Gesetze. Es wäre für mich sehr viel befriedigender^^ wenn dem sich entwickelnden Universum Gesetze entsprächen, die sich untrennbar mit dem Universum mitentwickeln^^ alles andere riecht zu sehr nach einer Art Gottesbeweis^^ denn Gesetze werfen immer die Frage auf, wer sie gegeben hat, und da wäre es mir am liebsten, wenn das Universum (oder das Multiversum) sie sich selbst gegeben hätte^^ und wenn das der Fall wäre, könnte es eigentlich nicht mehr legitim a priori ausgeschlossen werden, dass sie sich mit entwickeln

Traitor
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Fr 21. Jun 2013, 11:16 - Beitrag #4

"Elementarteilchen" ist halt keine absolute Kategorie, sondern nur ein Ausdruck aktuellen Wissens. Anfangs galten Proton und Neutron plus der halbe Zoo ja als solche, bis man endlich die Quarkstruktur fand.

Sind die uneigentlichen Elementarteilchen überlagerte Zustände?
Am besten trifft es "gebundene Zustände", genauso wie Protonen+Neutronen=Kern und Kern+Elektronen=Atom. Wobei die Situation in Baryonen deutlich komplizierter ist, da in ihnen die Starke Wechselwirkung bereits eine wilde Suppe virtueller Gluonen und Quarks erzeugt, sodass die 2 Quarks pro Meson oder 3 pro Hadron eigentlich nur eine erste Näherung sind.

Die Gesetzesfrage hängt eng damit zusammen, was man unter "dem Universum" versteht. Weist man ihm als Abstraktum einen fundamentalen ontologischen Rang zu - so wie dem alten absoluten Raum, nur komplizierter, als eine Art Bühne, auf der die Gesetze agieren? Sodass im (in einem geeigneten Sinne) selben Universum andere Gesetze möglich wären? Oder ist "das Universum" nur der Gesamtzustand, der sich gemäß den Gesetzen entwickelt? Aus physikalischer, vor allem quantenphysikalischer, Sicht deutlich natürlicher ist die zweite Interpretation.

Ipsissimus
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So 23. Jun 2013, 10:54 - Beitrag #5

das heißt also, die moderne Physik neigt dazu, die Gesetze als primordial anzusehen, und das Universum ist nur eine Erscheinungsform? Aber wie können Gesetze per se, als Elemente der ontologischen Ebene erster Ordnung (der Realität, wie sie unabhängig von unseren Wahrnehmungen ist), existieren? Ist ein Gesetz eine Form von Energie?

Vielleicht verstehe ich dich falsch, aber für mich liegt das ungemütlich nahe an einer Art physikalischer Gottesbeweis. Schon die Bezeichnung Gesetz legt nahe, dass sie gesetzt, also vorgegeben oder deutlicher: vorgeschrieben sind. Aus meiner Sicht setzen Naturgesetze nichts, sie beschreiben vielmehr Relationen. Damit wäre es ein aberwitziges Konstrukt, ihnen Eigenexistenz unabhängig von Dingen, die zueinander in Relation stehen können, zuzuschreiben.

Traitor
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So 23. Jun 2013, 13:40 - Beitrag #6

Die grundlegenden Begriffe, in denen die Physik die Welt beschreibt, sind Zustandsraum, Zustand und Entwicklung. Der Zustandsraum ist die abstrakte Zusammenstellung aller möglichen Zustände eines Systems (z.B. auch des gesamten Universums, auch wenn er sich für dieses natürlich nur schwer explizit konstruieren lässt), und die Naturgesetze sind dann Ausdruck einer diesem Raum aufgeprägten Struktur, sprich, sie beschreiben die erlaubten Übergänge zwischen Zuständen, oder anders ausgedrückt die Entwicklung von Zuständen.
Ob man dann jetzt den Zustandsraum als Ergebnis der Gesetze oder die Gesetze als Eigenschaft des Zustandsraumes ansieht, ist meinem beschränkten Wissen über die mathematischen Grundlagen dieser Räume nach letztlich eine philosophische Interpretationssache.

Dem abstrakten Zustandsraum mag man übrigens Realität als "Multiversum" zugestehen, da dessen Subuniversen aber per Definition nicht interagieren, ist auch das reine Philosophie ohne weitere Relevanz.

Zudem muss man unterscheiden zwischen den Gesetzen, die in der Welt wirken, und den Gesetzen, die Physiker in ihre Lehrbücher schreiben. Die Grundannahme der Physik ist, dass die Welt Gesetze hat, aber natürlich sagt uns nichts, dass wir die echten gefunden haben oder je finden werden. Insofern sind unsere "Gesetze" nur "Beschreibungen", wir gehen aber davon aus, dass es auch echte, "gesetzte Gesetze" geben muss. (Exkurs: Der beliebte Einwand, die meisten oder alle "Gesetze" seien letztlich nur statistisch, ist keiner, da auch ein "nur statistisches" Gesetz immer noch ein striktes Gesetz ist, nur halt für die korrekt identifizierten Zustände, nämlich Ensembles, und in der korrekten Sprache, einer statistischen.)

Dass keine "Existenz" der Gesetze unabhängig von Zuständen angenommen wird, ergibt sich hoffentlich bereits aus der Einleitugn. Aber für Gesetze+Zustandsraum zusammen kann man wohl keine andere Annahme machen, als dass sie "gesetzt" sind, oder besser. dass sie "sind". Wenn das nach Gott klingt, dann vielleicht einfach deshalb, weil "Gott" ein sehr primitives physikalisches Modell war...? ;)

Padreic
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So 23. Jun 2013, 17:26 - Beitrag #7

@Ipsissimus: Dass Dinge (aka Elementarteilchen) Gesetzen gehorchen, heißt erstmal nur, dass sie sich in bestimmter Weise verhalten. Das sagt nicht aus, dass die Gesetze unabhängig existieren. Dies wäre ein low-level ontologisches Commitment.
Diese Ontologie bietet aber erstmal keine Erklärung dafür, dass nicht jedes Ding sich auf andere Weise verhält, sondern es enorme Mengen von Teilchen gibt, die physikalisch identisch aussehen (zu scheinen?). Dass es überhaupt Elementarteilchen in unserem Sinne gibt, könnte man sagen.

Meines Wissens nach können sich Elementarteilchen übrigens durchaus in andere Elementarteilchen umwandeln. Z. B. im Beta-Minus-Zerfall wandelt sich ein Neutron in ein Proton, ein Elektron und ein Anti-Neutrino um. Da wandeln sich durchaus Sachen, die man heute als Elementarteilchen betrachtet, in einander um.

@Traitor: Gerade bei statistischen Gesetzen, ist, finde ich, interessant zu unterscheiden zwischen statistischen Elementargesetzen und statistischen "epi-Gesetzen". Z. B. Wärmeleitungsgleichung oder Boltzmann-Gleichung sollte eine statistisches epi-Gesetz sein, dass aus den Prinzipien der Brownschen Molekularbewegung folgen sollte (auch wenn ich noch neulich einen Vortrag darüber gehört habe, dass die mathematische Herleitung von diesem Verhältnis erst langsam klar wird). Selbst aus deterministischen Elementargesetzen (wie im 19. Jh. noch angenommen) können statistische epi-Gesetze folgen, selbst aus statistischen Elementargesetzen (annähernd) deterministische epi-Gesetze (Newtonsche Mechanik, Fermatsche Prinzip der Lichtausbreitung...).

Traitor
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So 23. Jun 2013, 22:15 - Beitrag #8

Meines Wissens nach können sich Elementarteilchen übrigens durchaus in andere Elementarteilchen umwandeln. Z. B. im Beta-Minus-Zerfall wandelt sich ein Neutron in ein Proton, ein Elektron und ein Anti-Neutrino um. Da wandeln sich durchaus Sachen, die man heute als Elementarteilchen betrachtet, in einander um.
Schlechtes Beispiel, da Neutron und Proton eben nicht elementar sind. Im Prinzip aber richtig, jedes Feynmandiagramm zeigt eine solche Umwandlung. Und auch das Beispiel enthält natürlich elementare Umwandlungen auf Quark- und Leptonebene.

"Epi-Gesetze" ist vielleicht ein besseres Wort für das, was ich normalerweise "Emergenz" nenne, manche aber nicht als Emergenz im eigentlichen Sinne gelten lassen wollen.

Und stimmt, aus stochastische-Prozesse-Sicht ist Brownsche Bewegung wohl immer noch sehr spannend.

Was sagst du zu dem hier?
Ob man dann jetzt den Zustandsraum als Ergebnis der Gesetze oder die Gesetze als Eigenschaft des Zustandsraumes ansieht, ist meinem beschränkten Wissen über die mathematischen Grundlagen dieser Räume nach letztlich eine philosophische Interpretationssache.
Trifft es vielleicht nicht so richtig gut, da ein Raum ja letztlich doch eine eindeutige Kombination aus Grundmenge und Struktur ist... Beispiel topologischer Raum: bei einem (M,T) kann man weder sagen, dass T eine Eigenschaft von M ist, noch dass M eine Ausprägung von T ist, da man ja auch (M,T') oder (T',M) bauen kann.

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Mo 24. Jun 2013, 15:12 - Beitrag #9

Dass Dinge (aka Elementarteilchen) Gesetzen gehorchen, heißt erstmal nur, dass sie sich in bestimmter Weise verhalten. Das sagt nicht aus, dass die Gesetze unabhängig existieren.
Solange die Gesetze nur beschreiben, dass Dinge sich in einer bestimmten Weise verhalten, ohne zu erklären, warum sie sich immer in einer bestimmten Weise verhalten, ist es eine legitime Deutung - die sich, wenn ich ihn richtig verstehe, auch Traitor und ein Großteil moderner Physiker zu eigen gemacht haben - dieses warum auf eine von den Dingen verschiedene Instanz zu verlagern. Dem Ausweg, den Traitor anbietet - Gesetze sind nicht gesetzt, sie sind - lässt sich entgegenhalten, dass wir dann die Existenz des Phänomens mit der Existenz des Phänomens begründen und an dieser Stelle - m.E. viel zu früh - im Grunde aufgehört haben, zu fragen. Natürlich beantworten manche Gesetze die Frage nach dem warum. Das sind allerdings nicht jene, die hier zur Debatte stehen.


Traitor, ich halte den Zustandsraum, abgesehen davon, dass er ein mathematisches Modell ist, für eine elegante Methode, sich dem Problem nicht zu stellen^^ nach allem, was du mir dazu bisher geantwortet hast, verdichtet sich meine Befürchtung, dass im Herzen des Standardmodells und der Kosmologie ein Gottesbeweis lauert^^ das ist unerwartet und - offen gesagt - enttäuschend^^

Padreic
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Mo 24. Jun 2013, 21:17 - Beitrag #10

@Traitor:
Schlechtes Beispiel, da Neutron und Proton eben nicht elementar sind. Im Prinzip aber richtig, jedes Feynmandiagramm zeigt eine solche Umwandlung. Und auch das Beispiel enthält natürlich elementare Umwandlungen auf Quark- und Leptonebene.
Das war mir durchaus bewusst; ich habe dem Leser überlassen, zu sehen, dass auf den beiden Seiten nicht genauso viele Up- und Down-Quarks stehen.

Trifft es vielleicht nicht so richtig gut, da ein Raum ja letztlich doch eine eindeutige Kombination aus Grundmenge und Struktur ist... Beispiel topologischer Raum: bei einem (M,T) kann man weder sagen, dass T eine Eigenschaft von M ist, noch dass M eine Ausprägung von T ist, da man ja auch (M,T') oder (T',M) bauen kann.
Jein. Man kann nicht zwei verschiedene Mengen mit derselben Topologie haben, da eine Topologie eine Familie von Teilmengen einer gegebenen Menge sind.
Mathematische modellieren würde ich abstrakt ein physikalisches System wie folgt (wenn man erstmal diskrete Zeit annimmt): Man hat eine Menge von Zuständen und einen Operator/eine Funktion der Menge in sich selbst. Mit kontinuierlicher Zeit könnte man dann eine Differentialgleichung auf einen Raum legen. Der Zustandsraum darf dann natürlich nicht nur eine Menge haben, sondern muss genügend Struktur haben, um überhaupt Differentialgleichungen formulieren zu können. In der Quantenmechanik betrachtet man da, wie du weißt, z. B. einen Hilbertraum, in der klassischen Mechanik den Phasenraum, der mathematisch eine differenzierbare (symplektische) Mannigfaltigkeit.
Die Gesetze machen also erst bei gegebenem Zustandsraum Sinn. Andersherum ist die Abhängigkeit subtiler. Zu den Gesetzen gehört eine gewisse Ontologie, also, was für Objekte überhaupt betrachtet werden, mithin welche Zustände überhaupt zum Zustandsraum gehören. Bei diskreter Zeit könnte man dann aber noch von der konkreten Interpretation der Zustände absehen und den Zustandsraum einfach abstrakt als eine Menge aus uninterpretierten Objekten auffassen. Aber wie gesagt: Bei kontinuierlicher Zeit setzt die bloße Gesetzformulierung schon gewisse Strukturen im Zustandsraum voraus. Insofern kann man dann hier den Zustandsraum auch mathematisch-abstrakt nicht mehr von den Gesetzen ganz trennen.

@Ipsissimus: Hauptaufgabe der Physik ist, meiner Meinung nach, eine (mathematische) Modellierung der Realität. Fragen nach der Realität von Naturgesetzen beispielsweise sind dann nicht mehr im engeren Sinne physikalisch; sie sind dann naturphilosphisch oder ontologisch (was sie natürlich nicht weniger spannend macht). Das Standardmodell ist erstmal eine physikalische Theorie und kann deshalb gar nicht so etwas wie ein Gottesbeweis sein, weil Gott und alles ähnliche nicht im Bereich des physikalischen Denkens ist. Außerdem sehe ich, wenn überhaupt da irgendwo ein Gottesbeweis (was das auch immer bei dir heißt) lauert, nicht, wie er mehr im Standardmodell lauert als überhaupt in jedweder physikalischen Theorie (z. B. der Newtonschen Mechanik).

Ipsissimus
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Di 25. Jun 2013, 12:26 - Beitrag #11

Und auch das Beispiel enthält natürlich elementare Umwandlungen auf Quark- und Leptonebene
Wie ist das zu verstehen? Quarks und Elektronen können durch Aufspaltung in was anderes umgewandelt werden? Oder nur durch Verschmelzung/Anlagerung mit/von was anderem? Letzteres würde ich nicht als Umwandlung im gemeinten Sinne auffassen.

Hauptaufgabe der Physik ist, meiner Meinung nach, eine (mathematische) Modellierung der Realität.
Ist das die zentrale Aufgabe, oder ist es eine Möglichkeit von mehreren, der zentralen Aufgabe zu entsprechen? Ich würde das Hauptanliegen der Physik darin sehen, zu verstehen, wie die Realität "implementiert" ist. Zu diesem Verständnis kann sehr wohl die Erstellung von Realitätsmodellen gehören, aber Modelle bieten nicht per se eine Garantie, dass das Modell dem Original entspricht. Zusätzlich haben wir das Problem, dass Modelle auch nicht zwangsläufig das Original erklären müssen, wie zum Beispiel Gasglühlampen beweisen, die funktionierten, obwohl man zu ihrer Zeit noch der Ansicht war, dass Lichtübertragung auf Äther angewiesen sei (Frage am Rande: könnte es sein, dass Äther hinterrücks mit den Higgsteilchen wieder in der Physik angekommen ist, nicht in Bezug zu Photonen, aber in Bezug zu Elektronen und Neutrinos?).

Fragen nach der Realität von Naturgesetzen beispielsweise sind dann nicht mehr im engeren Sinne physikalisch
Das halte ich für problematisch. Es sind vor allem Naturwissenschaftler, u.a. Physiker, die permanent von Naturgesetzen reden; sich dann damit rausreden zu wollen, dass der Status von Naturgesetzen die Grenzen der Wissenschaft sprengt, halte ich somit für ein Ausweichen vor unangenehmen Fragen. Kann man machen, überzeugt aber niemanden, zumindest mich nicht.

Außerdem ging es mir ja im Eingangsposting u.a. gerade um die Frage, ob Naturgesetze sich nicht mit dem System, das sie beschreiben, mitentwickeln könnten, also nicht nur eine Entwicklung des Universums vorliegt, sondern auch eine Evolution der es steuernden Gesetzmäßigkeiten. Damit wären Gesetze nicht mehr absolut, sondern von den Einflüssen ihrer Umgebung abhängig, und erst damit wäre der der Hinweis auf den Gottesbeweis hinfällig.

... eine physikalische Theorie und kann deshalb gar nicht so etwas wie ein Gottesbeweis sein ...
na ja, "wir Physiker weigern uns, von Gottesbeweis zu sprechen, und deswegen kann auch keiner enthalten sein"^^

sie sind idealerweise und hoffentlich seitens der Naturwissenschaftler nicht als Gottesbeweis gemeint, aber das Konzept der Absolutheit eines seines sachlichen Gehalts nach unveränderlichen Gesetzes weist schon eine erhebliche Nähe zum Konzept einer absoluten Gesetzgebung und somit eines Gesetzgebers auf - ob wir sowas als "Gott" bezeichnen und auffassen, oder das Gesetz selbst einen quasi-göttlichen Status hat, ist dann eigentlich schon nur noch Nebensache

wir kommen vermutlich nicht um irgendein Phänomen herum, das einfach nur ist, aber Naturgesetze sind m.E. dafür viel zu komplex

janw
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Di 25. Jun 2013, 20:19 - Beitrag #12

Mir kommt es so vor, als sei der Begriff des "Gesetzes" unglücklich gewählt, da er Assoziationen zu menschlichen, als Gesetze bezeichneten Rechtsnormen auslöst.

Die Naturgesetze in ihrer konkreten Fassung sind in meinen Augen das Ergebnis von Untersuchungen, sie beschreiben als solche abstrahierte Regelmäßigkeiten der Beziehungen der Grundbestandteile der Welt bzw. des Verhaltens dieser Grundbestandteile zueinander.

Aus dem Befund der Regelmäßigkeit ergibt sich keine Aussage über deren Kausalität, vielleicht lässt sich eine solche Regelmäßigkeit gewissermaßen als Eigenschaft der betreffenden Anordnung von Welt-Grundbestandteilen beschreiben, vielleicht im Sinne einer Emergenz oder auch als Produkt der Verschränkung von Eigenschaften der einzelnen Bestandteile.

Ipsi, zur Evolution des Universums:
Das wäre eine spannende Angelegenheit, weil dann das Aktualitätsprinzip als Grundlage u.a. der Evolutionstheorie zur Disposition stünde.
Das Problem wäre in meinen Augen, daß zum einen eine deutliche Veränderung der Naturgesetze auch eine deutliche Veränderung des Universums erfordern würde, zum anderen müsste sich eine Veränderung der Naturgesetze als Information über das Universum hinweg verbreiten, und wie sollte das gehen?

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Di 25. Jun 2013, 20:30 - Beitrag #13

@Ipsissimus:
Wie ist das zu verstehen? Quarks und Elektronen können durch Aufspaltung in was anderes umgewandelt werden? Oder nur durch Verschmelzung/Anlagerung mit/von was anderem? Letzteres würde ich nicht als Umwandlung im gemeinten Sinne auffassen.
Sie können sich in andere Elementarteilchen umwandeln, aber das ist keine "Aufspaltung". Es gibt sehr wohl Elementarprozesse, bei denen, entlang einer Zeitachse betrachtet, flapsig gesprochen "ein Teilchen rein kommt und zwei rauskommen", aber das heißt nicht, dass vorher die zwei Teilchen in dem anderen drin waren. Aus Teilchenperspektive wurde das eine vernichtet und mithilfe der freigewordenen Energie wurden aus dem Vakuum zwei neue erzeugt; aus Feldperspektive ist Energie von einem Anregungszustand eines Feldes auf zwei von ein-zwei (evtl. anderen) Felder(n) übergegangen.

Ob man die Physik an ihren Zielen oder ihren Methoden definieren will, ist Geschmackssache; ich würde dir aber zustimmen, dass Padreic eine Methode beschreibt, keine Aufgabe.

Frage am Rande: könnte es sein, dass Äther hinterrücks mit den Higgsteilchen wieder in der Physik angekommen ist, nicht in Bezug zu Photonen, aber in Bezug zu Elektronen und Neutrinos?
Was ist für dich ein "Äther"? Einfach etwas, was im ganzen Raum vorhanden ist? Dann gibt es unzählige "Äther" - kosmische Hintergrundstrahlungen, Dunkle Energie, sämtliche Felder der QFT... Die entscheidenden weiteren Eigenschaften "des Äthers" waren seine Rolle als Trägermedium und seine Bezugssystemunabhängigkeit; beides findet sich beim Higgsfeld nicht wieder. (Und beim Higgsteilchen sowieso nicht. ;))

Physiker müssen sehr wohl den Status von Naturgesetzen diskutieren, wenn sie verstehen wollen, was sie da eigentlich treiben. Sie begeben sich damit aber über die Grenzen ihres Feldes hinaus. "Die Frage ist kein Teil der Physik" ist nicht äquivalent zu "es ist keine Frage für Physiker", nur zu "es ist keine Frage, die Physiker physikalisch beantworten können".

Wieder zur Gesetzesentwicklung: Ich verstehe immer noch nicht, wie du dir diese "mitentwickelnden" Gesetze vorstellst, bzw., was das besondere an ihnen sein soll. Wenn sich herausstellt, dass ein Gesetz sich mit der Zeit ändert, dann heißt das doch nur, dass dies Gesetz nicht fundamental ist, sondern es ein zeitunabhängiges Metagesetz gibt, das beim Einsetzen verschiedener Zeitwerte verschiedene Varianten des zuvor gefundenen "sich entwickelnden" Gesetzes ergibt.
Und das ist ja genau einer der Pfade, den die Entwicklung physikalischer Theorien seit langem geht - man stellt ein Gesetz für die bekannten Umstände (Zeit, Ort, Energie, ...) auf, und sobald man neue (meist extreme) Umstände findet, in denen es nicht mehr gilt, verallgemeinert man es.

Zum Thema "Gottesbeweis": wenn man den Begriff "Gott" hinreichend schwach interpretiert, kommt man wohl kaum darum herum, dass jede Beschäftigung mit der Funktionsweise des Universums einen "Gott" produziert. Verlangt man keine Persönlichkeit oder starke Transzendenz, dann sind Naturgesetze wohl "Gott".

@Padreic:
weil Gott und alles ähnliche nicht im Bereich des physikalischen Denkens ist.
S.o. und meinen halb scherzhaften Kommentar von vorgestern. Während ein hinreichend abstrakter und schwacher Gottesbegriff kaum noch unterscheidbar von Physik ist, ist ein hinreichend konkreter (insbesondere interagierender) Gott durchaus (in diesen Teilaspekten seines Seins) Teil des physikalischen Aufgabengebietes. Man darf nicht vergessen, dass auch noch so "unphysikalische" oder "übernatürliche" Dinge wie Wunder oder Seelenregungen prinzipiell der inferenzbasierten physikalischen Modellbildung zugänglich wären, sobald sie kausale Auswirkungen auf die "physikalische Welt" hätten.

Beim Topologiebeispiel hatte ich zu kurz gedacht, mit "dieselbe Topologie" meinte ich eher soetwas wie "dasselbe Rezept für eine Topologie", also z.B. "die triviale Topologie", was für verschiedene Grundmengen konkret hingeschrieben aber natürlich nicht "dieselbe" ist. Und das Zitat sollte natürlich "(M,T') oder (M',T)" heißen und war mit obiger unsauberer Sprache gemeint.
Ansonsten würde ich das, was du als "genügend Struktur" dem Raum zuschlägst, auch bereits als Teil der Gesetze ansehen. Läuft aber letztlich alles auf dasselbe hinaus - wie du sagst, man kann beides nicht trennen.

Traitor
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Di 25. Jun 2013, 20:47 - Beitrag #14

@Jan, Schreibeüberschneidung:

Mir kommt es so vor, als sei der Begriff des "Gesetzes" unglücklich gewählt, da er Assoziationen zu menschlichen, als Gesetze bezeichneten Rechtsnormen auslöst.
Als der Begriff geprägt wurde, war der Glaube in die Unfehlbarkeit juristischer Gesetze halt noch intakter als heute, sonst hätte man den Vergleich wohl nicht gewählt. ;)

Die Naturgesetze in ihrer konkreten Fassung sind in meinen Augen das Ergebnis von Untersuchungen, sie beschreiben als solche abstrahierte Regelmäßigkeiten der Beziehungen der Grundbestandteile der Welt bzw. des Verhaltens dieser Grundbestandteile zueinander.
Jeder aktueller Schnappschuss des den Menschen bekannten Satzes an beschreibenden Gesetzen, ja. (Obwohl deine Formulierung den Anteil, den neben reiner Beobachtung auch abstrakte, logisch zwingende Überlegungen haben, nicht genügend würdigt.) Die spannendere (wenn auch letztlich nutzlose) Frage ist aber, ob und in welchem Sinne es auch echte Gesetze der Natur selbst dahinter gibt.

Aus dem Befund der Regelmäßigkeit ergibt sich keine Aussage über deren Kausalität, vielleicht lässt sich eine solche Regelmäßigkeit gewissermaßen als Eigenschaft der betreffenden Anordnung von Welt-Grundbestandteilen beschreiben, vielleicht im Sinne einer Emergenz oder auch als Produkt der Verschränkung von Eigenschaften der einzelnen Bestandteile.
Aber natürlich macht die Physik Aussagen über Kausalität! Kausalität ist eine der Grundannahmen des Modellgebäudes und jede Bestätigung der Modelle damit auch eine Bestätigung der Kausalität.
Ohne Gesetze auskommen zu wollen, ist ein ineffizienter, aber spannender Ansatz; noch radikaler, als sich auf Objekteigenschaften zu stürzen, ist die "Ontologie der Ereignisse".

Ipsi, zur Evolution des Universums:
Das wäre eine spannende Angelegenheit, weil dann das Aktualitätsprinzip als Grundlage u.a. der Evolutionstheorie zur Disposition stünde.
Damit sich irgendwelche relevanten Naturgesetze im biologisch interessanten Zeit- und Ortsrahmen verändert haben könnten, bräuchte es schon beim aktuellen Stand eine absurde Verschwörung von Aufhebungen. Aber für astronomische Zeitskalen enthalten wie gesagt schon die bekannten Gesetze genug "Entwicklungs"spielraum, und deren "Entwicklung" wiederum würde nur ein Metagesetz erfordern, revolutionäres sehe ich da nicht.
Das Problem wäre in meinen Augen, daß zum einen eine deutliche Veränderung der Naturgesetze auch eine deutliche Veränderung des Universums erfordern würde, zum anderen müsste sich eine Veränderung der Naturgesetze als Information über das Universum hinweg verbreiten, und wie sollte das gehen?
Was soll sich da ausbreiten? Es gibt Modelle über raumzeitlich getrennte "Domänen" verschiedener Naturkonstanten (oder Stringrealisationen, Vakua, ...), aber wenn wir davon etwas beobachten könnten, dann Strahlung mit entsprechend exotischen Signaturen, keine "sich verbreiteten Gesetze" an sich.

Ipsissimus
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Mi 26. Jun 2013, 10:25 - Beitrag #15

daß zum einen eine deutliche Veränderung der Naturgesetze auch eine deutliche Veränderung des Universums erfordern würde, zum anderen müsste sich eine Veränderung der Naturgesetze als Information über das Universum hinweg verbreiten, und wie sollte das gehen?
Wir haben doch mit dem Relativitätsprinzip bereits etwas in der Hand, das zwar nicht für die Gesetze selbst, aber für die diesen Gesetzen unterworfenen Sachverhalte kontextabhängige Zustandsveränderungen liefert. Unter anderem mussten die Ideen der absoluten Zeit und des absoluten Raumes verworfen werden. Das heißt, wir haben keine Normzeit und keinen Normraum mehr, auf die bezogen die relativistische Zustandsabweichung als "Abweichung" verstanden werden müsste, der Zustand eines relativistisch beschleunigten Teilchens ist die Normzeit, jeder relativistische Zustand jedes Teilchens. Und alle diese unterschiedlichen relativistischen Zeiten führen offenbar nicht zu einer "Zerstückelung" des Zeitanteils der Raumzeit.

Die Relativität, die wir bei Raum und Zeit unter dem Eindruck überzeugender experimenteller Ergebnisse bereitwillig akzeptieren, scheint uns für die Naturgesetze ganz furchtbar zu sein, da reden wir lieber von ein für alle Mal unveränderlichen Gesetzen, beinahe so, als würden wir von Gott reden. Warum sollte - nur mal aus dem Ärmel so formuliert, das müsste en detail diskutiert werden - warum sollte es ein Gesetz betreffend die Strukturierung komplexer Materiestrukturen schon immer gegeben haben, wenn es keine komplexen Materiestrukturen gibt? Die Normzeit von 0,99c liegt ja auch erst dann vor, wenn ein Teilchen 0,99c erreicht, nicht schon vorher. Das hieße, in früheren, minderkomplexen Phasen des Universums wäre der Set an Naturgesetzen deutlich einfacher, und je komplexer die Strukturen werden, werden es auch die Gesetze, die sich aus ihren Relationen ergeben. Das heißt, ich postuliere hier eine Umkehrung: die Relationen sind das Primordiale, sie schaffen sich ihre Gesetze, und nicht die Gesetze schaffen sich ihren Anwendungsfall, ihr Universum. Ändern sich die Relationen, folgen ihnen die Gesetze.

ps: Das bedeutet übrigens auch, dass es im Universum keine einheitlichen Naturgesetze geben müsste, bzw. alternativ dass ein "Universum" nur ein Bereich des Multiversums mit ähnlichen Relationen ist

Traitor
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Mi 26. Jun 2013, 13:18 - Beitrag #16

Ich kann dir immer noch nicht ganz folgen, glaube aber, dass du dich da entscheidend verhedderst - gerade mit deiner Forderung nach mehr Relativität scheinst du mir wieder einen absoluten Rahmen zu erzwingen. Denn meine Kernfrage bleibt: im Verhältnis wozu sollen sich die Gesetze entwickeln? Räumliche und zeitliche Variation lassen sie längst zu. Was soll der neue, absolute Rahmen sein, an dem sich ihre "Entwicklung" misst?

Dein Beispiel einer Komplexitätsskala ist schonmal ein schlechtes, insbesondere, weil es sich genau andersherum verhält: obwohl uns unsere Anschauung etwas anderes vortäuscht, war das frühe (energiereiche) Universum komplexer als unser heutiges. Sicher, es gibt komplexe Strukturen in unserem Universum. Aber unsere Gesetze sind nur ein langweiliger Niedrigenergiegrenzfall - warum wohl finden wir in Beschleunigern so viel mehr Teilchen als im Alltag? Auch der berüchtigte thermodynamische Zeitpfeil sagt uns ja genau das - obwohl eine Welt mit Filamenten, Galaxien, Planeten und Lebewesen viel geordneter und komplexer erscheint als ein existenzfüllendes heißes Plasma, hatte letzteres bei korrekter Bilanzierung aller Zustände doch die niedrigere Entropie.

ps: Das bedeutet übrigens auch, dass es im Universum keine einheitlichen Naturgesetze geben müsste, bzw. alternativ dass ein "Universum" nur ein Bereich des Multiversums mit ähnlichen Relationen ist
Alter Hut - entweder inneruniversell als "Domänen" bekannt, oder außeruniversell eben als Multiversum, dann aber physikalisch wenig interessant.

Ipsissimus
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Mi 26. Jun 2013, 16:58 - Beitrag #17

vielleicht sprechen wir hierbei einfach nicht dieselbe Sprache, Traitor, denn ich wiederum verstehe nicht, was an meinen Aussagen nicht verstanden werden kann^^ mir kommt es so vor, dass du Begriffe, die von mir nur in Annäherung zur dezidiert fachsprachlichen Bedeutung verwendet werden, in dezidierte Fachsprache übersetzt und damit eine Bedeutungsänderung vornimmst

im Verhältnis wozu sollen sich die Gesetze entwickeln?
jedes Gesetz im Verhältnis zu einer früheren Version seiner selbst, wobei ich die frühere Version nicht auf frühere menschliche Formulierungen anhand früherer menschlicher Erkenntnisstände beziehe, sondern darauf, dass ein und dasselbe Gesetz - sagen wir der erste Hauptsatz der Thermodynamik oder der Wert der Lichtgeschwindigkeit - zu früheren Zeiten des Universums im Vergleich zu seiner heutigen Aussage sachlich verschiedene Dinge über das Universum ausgesagt hat.

Wie kann ich das deutlicher sagen? Nehmen wir an, die Entwicklung des Universums wäre von Wesen beobachtet worden, die von Anbeginn an Gesetze vollständig und in ihrer zeitaktuellen Ausprägung hätten erfassen können. Diese Wesen hätten bei Richtigkeit der These im Verlauf der universellen Entwicklung festgestellt, dass die Gesetze sich mit der Zeit ändern, dass vielleicht der Wert von c sich ändert, oder die Werte der Kopplungskonstanten, oder die Byryonenzahl. Und sie hätten bei einem genaueren zweiten Blick festgestellt, dass es primär nicht eine Entwicklung in Abhängigkeit von der Zeit, sondern vom Komplexitätsgrad der sich entwickelnden Strukturen ist.



Eigentlich hätte ich gedacht, dass in früheren Weltzeitaltern mit höherer Materiedichte die Komplexität sinkt, da der Ausprägung komplexer Materie-Strukturen stärkere Kräfte entgegen wirken, ähnlich wie in einem Schwarzen Loch mutmaßlich die Struktur der gefangenen Materie mit zunehmender Annäherung an das Zentralobjekt durch die Kompression reduziert wird


Mag ja sein, dass es ein alter Hut ist^^ warum wehrst du dich dann sosehr dagegen?

janw
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Mi 26. Jun 2013, 18:30 - Beitrag #18

Vielleicht mal zur Klärung: Welche Gesetze sind denn so fundamental, daß ihre Veränderung mit einer anderen Gestaltung des Universums verbunden wäre?
c - würden dann nicht einfach alle davon abhängigen Prozesse etwas rauf- oder runterskaliert? Was macht es für einen Unterschied, ob ein Tempolimit bei 100 oder 130 km/h liegt?

Energieerhaltungssatz - woher sollte, würde dieser Satz entfallen, die zusätzliche Energie/Materie kommen, bzw. wohin verschwinden?

Padreic
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Mi 26. Jun 2013, 18:51 - Beitrag #19

@Ipsissimus: Ich denke, man kann Traitors Punkt ganz gut an deinem Beispiel mit der Lichtgeschwindigkeit erläutern. Sagen wir einmal, die Lichtgeschwindigkeit ändert sich mit der Zeit [inwieweit das möglich ist, wenn der Meter mittels der Lichtgeschwindigkeit definiert ist, sei einmal dahin gestellt ;)]. Eine Sichtweise ist, dass sich hier ein Naturgesetz ändert, das jeweils der Lichtgeschwindigkeit einen bestimmten Wert zuweist, und vielleicht diese Naturgesetzänderung wieder Gesetzen, einer Art von Meta-Naturgesetzen, folgt. Eine andere Sichtweise ist es, die Lichtgeschwindigkeit in Abhängigkeit vom Weltzustand mittels eines Naturgesetzes zu beschreiben; dieses mag dann ergeben, dass diese nicht überall und zu aller Zeit gleich ist. Damit spart man sich die (meiner Meinung nach hier unnötige) Meta-Ebene.

Zu deinen anderen Punkten später mehr.

@janw:
Energieerhaltungssatz - woher sollte, würde dieser Satz entfallen, die zusätzliche Energie/Materie kommen, bzw. wohin verschwinden?
Diese Denkweise setzt die Energieerhaltung schon voraus. Man könnte genauso für eine Geschwindigkeitserhaltung argumentieren, denn wo sollte die Geschwindigkeit auch hingehen? Und sie ist ja auch nicht ganz falsch, man muss die Geschwindigkeit ja nur noch mit der Masse multiplizieren; aber eine reine Plausibilitätsargumentation mag da Probleme haben, zwischen derlei Größen zu unterscheiden.

Ipsissimus
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Mi 26. Jun 2013, 19:53 - Beitrag #20

inwieweit das möglich ist, wenn der Meter mittels der Lichtgeschwindigkeit definiert ist, sei einmal dahin gestellt
der Zahlenwert, der eine Geschwindigkeit repräsentiert, ändert sich natürlich mit der gewählten Einheit; die Einheiten sollten sich allerdings ineinander umrechnen lassen, so dass trotz unterschiedlicher Werte eine identische Geschwindigkeit da steht^^

Eine andere Sichtweise ist es, die Lichtgeschwindigkeit in Abhängigkeit vom Weltzustand mittels eines Naturgesetzes zu beschreiben; dieses mag dann ergeben, dass diese nicht überall und zu aller Zeit gleich ist.
Das ist zweifellos eine Möglichkeit. Das Gesetz wäre dann immer noch absolut. Und das ist eine meiner Fragen, warum will man auf Biegen und Brechen eine Absolutheit aufrechterhalten? Ich sehe bei diesem Ansatz nicht, dass die Metaebene eingespart würde.

Damit spart man sich die (meiner Meinung nach hier unnötige) Meta-Ebene.
Vielleicht bin ich nicht intelligent genug. Meiner Ansicht nach spart gerade mein Ansatz die Metaebene, weil es eben nicht mehr die zu erklärenden Dinge und die Gesetze gibt, sondern die Gesetze Folge der Relationen zwischen den Dingen sind. Aber ich bin mittlerweile verunsichert.


Jan, z.B. die Baryonenzahl, die Vakuumlichtgeschwindigkeit oder die Kopplungskonstanten. Schon sehr kleine Änderungen würden in völlig von unserem verschiedene Universen führen. Der Energieerhaltungssatz ist bei weitem nicht so kritisch für das unmittelbare Sosein des Universums und könnte durchaus Verstöße in der Größenordnung eines Wasserstoffatoms pro Kubikparsec und Jahr verkraften

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