Materie und Antimaterie

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
janw
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Do 27. Jun 2013, 22:33 - Beitrag #1

Materie und Antimaterie

Es gibt schon einige threads dazu, aber ich würde den nachfolgenden Artikel gerne zur Diskussion stellen, vielleicht trägt es dazu bei.
Notfalls also fusionieren.

Antiprotonen im Visier
Antiprotonen im Visier
Auf der Suche nach dem Unterschied zwischen Materie und Antimaterie
Von Jan Lublinksi

Nach dem Urknall soll - so die Theorie der Kosmologen - lediglich ein winziger Rest Materie übrig geblieben sein, aus dem unter anderem die Erde entstand. Warum aber die Antimaterie nicht überlebt hat, ist eines der größten Rätsel der Physik. Am Forschungszentrum CERN will man ihm nachgehen.

[...]

Traitor
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Do 27. Jun 2013, 23:12 - Beitrag #2

Keine Vollzitate, Herr Kollege. ;)

Tja, was daran findest du denn diskussionswürdig? Die angebliche Verbindung zur kosmologischen Materie-Antimaterie-Asymmetrie erscheint mir doch eher als Marketingmaßnahme, im nukleonischen Niedrigenergieregime ist da eigentlich nichts relevantes zu erwarten. (Vielleicht übersehe ich aber auch eine postulierte nichttriviale Querverbindung, kann ich mangels genauer Fachkenntnis nicht ausschließen.)
Ansonsten eine experimentell sehr tolle Sache, die aber wie die meiste andere Hochpräzisionsmetrologie eher unter "man muss es machen, um sicher zu gehen, dass man nichts übersieht" fällt als unter explorative Forschung mit großen Entdeckungschancen.

Ipsissimus
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Mi 3. Jul 2013, 13:39 - Beitrag #3

würden sich denn große Antimaterie-Bereiche im Universum bei genügendem Abstand zu umgebenden Materiebereichen - also ohne beobachtbare Annihilationsreaktionen - irgendwie zu erkennen geben? Wenn eine ganze Galaxis aus Antimaterie allein im Raum schwebt, Millionen Lichtjahre von allem anderen entfernt - woran würden wir sie erkennen?

Und würden Antimaterie und Normalmaterie überhaupt in Kontakt kommen können, um zu zerstrahlen? In Beschleunigern haben wir ja nur die reinen Teilchen und Antiteilchen. In natürlichen Atomen/Antiatomen hätten wir aber auch noch die Kräfte, die es u.U. verhindern könnten, dass die Teilchen sich überhaupt berühren?

Traitor
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Mi 3. Jul 2013, 16:15 - Beitrag #4

Das verlinkte Experiment und andere dieser Art zeigen ja, dass eventuelle Unterschiede in den Spektrallinien jenseits der Labormessgenauigkeit liegen, also wohl auch jenseits der astronomischen. Denkbar wären aber prinzipiell Beobachtungen einer abweichenden Neutrinozusammensetzung (bspw. von Antimaterie-Stern-Supernovae) oder Wechselwirkung mit großskaligen magnetischen Feldern. Beide Untersuchungsgegenstände stecken aber schon auf normale, nahe Objekte bezogen noch in den Kinderschuhen. Und für den "genügenden Abstand" muss man auch nicht nur direkte Begegnungen der Galaxien und Antigalaxien berücksichtigen, sondern auch Kosmische Strahlung (Protonen etc., bzw. die Anti-Versionen). Dass von der bei uns auch Antiprotonen und Positronen ankommen, hat übrigens wenig mit echten Antimateriequellen zu tun, zur Erklärung reichen Paarbildungen.

Zur zweiten Frage: fangen wir als "einfache" zusammengesetzte Teilchen mal mit Protonen an. Die stoßen sich ja wegen gleicher Ladung elektrisch ab, Proton und Antiproton würden sich aber anziehen und somit schnell annihilieren. (...wobei im Prinzip natürlich ihre Bestandteile einzeln annihilieren, denn sie kommen sich so nahe, dass die einzeln "sichtbar" werden.) Komplexere Atomkerne noch genauso. Die Kernkräfte wirken ja sowieso anziehend und unterstützen das Ganze bei schon hinreichender Nähe also nur.
Atome und Antiatome sind dann tatsächlich anders, da elektrisch neutral. Aber jeder "Stoß" zwischen Atomen ist ja eine Interaktion der jeweiligen Hüllenelektronen. Stößt also ein Antiwasserstoffatom dank brownscher Bewegung gegen ein normales Wasserstoffatom, interagiert sein Positron mit dessen Elektron und annihiliert. Dann können Proton und Antiproton ungehindert folgen.
Für kompliziertere Atome mit mehreren Hüllenelektronen oder -positronen kann es dann zwar sein, dass die Restkerne von den Resthüllen abgelenkt werden und so keine direkte Annihilation stattfindet, über mehrere Stoßprozesse hin wird am Ende aber immer eine herauskommen.
(Interessant: naiv gedacht sollte diese Überlegung heißen, dass Antiwasserstoff mit Wasserstoff schneller annihiliert als mit Helium oder mit ihn haltenden Gefäßen. Allerdings muss man ja auch die Geschwindigkeits- und Stoßparameterverteilungen einberechnen, die schon bei AntiH+H dafür sorgen müssten, dass nicht jeder Stoß gleich einer Annihilation ist. Würde also ziemlich kompliziert, das zu quantifizieren. Gibt es aber auch bestimmt schon Literatur zu.)

Ipsissimus
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Mi 3. Jul 2013, 16:59 - Beitrag #5

man könnte auch annahmen, dass Materie und Antimaterie jeweils eigene Domänen ausgebildet haben, möglicherweise außerhalb der wechselseitigen Zukunftskegel

Aber jeder "Stoß" zwischen Atomen ist ja eine Interaktion der jeweiligen Hüllenelektronen.
Das ist genau die Frage. Stoßen da wirklich die Elektronen selbst aneinander, oder stoßen die Kraftfelder einander ab?

Traitor
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Di 16. Jul 2013, 21:22 - Beitrag #6

Verstehst du unter "Domäne" etwas spezielleres als unter "Bereiche mit genügendem Abstand"? Und wenn sie kausal nicht mit uns verbunden sind, können wir sie halt nicht beobachten.

Elektronen haben in der QM-Beschreibung von Atomhüllen ja keinen eindeutigen Aufenthaltsort, und Teilchenstöße sind sowieso keine mechanischen Billiardkugelzusammenprälle, man muss also immer auch die Feldperspektive mitbeachten. Auf deine Frage bzw. die Materieatom-Antimaterieatom-Situation bezogen ist aber der Trick, dass sich eben nichts abstößt. Sind die beiden noch weit genug voneinander entfernt, sehen sie sich gegenseitig als neutral und fliegen einfach kinetisch aufeinander zu oder aneinander vorbei. Kommen sie sich zufällig nahe genug (grobe Abschätzung: Abstand Hülle-Hülle der beiden Atome vergleichbar zu Abstand Hülle-Kern der Einzelatome; im Detail natürlich schwierig, da es genausowenig "den Hüllenort" wie "den Elektronort" gibt), kann es aber zur Annihilation kommen.

Ipsissimus
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Do 18. Jul 2013, 13:32 - Beitrag #7

Verstehst du unter "Domäne" etwas spezielleres als unter "Bereiche mit genügendem Abstand"?
Bereiche mit Bedingungen, die sie deutlich vom Rest des Universums abgrenzen; diese Bedingungen betreffen aber nicht nur Umweltbedingungen, sondern eventuell auch Naturgesetze und die Werte von Konstanten. Speziell bei großen Antimaterie-Domänen drängt sich mir die Frage auf, ob nicht auch die Naturgesetze in einer "Anti"-Form vorliegen könnten. Oder sind unsere Naturgesetze symmetrisch formuliert?

Und wenn sie kausal nicht mit uns verbunden sind, können wir sie halt nicht beobachten.
In gewisser Weise wäre das Konzept von Lichtkegeln überflüssig, wenn außerhalb unseres eigenen Vergangenheitslichtkegels nichts existiert. Dann wäre der Bereich dieses Lichtkegels ja identisch mit "Gesamtheit der Existenz". Worauf ich hinauswill ist, dass "Nichtbeobachtbarkeit" nicht zwingend auf "Nichtexistenz" schließen lässt. Und wir waren uns ja schonmal einig, dass bestimmte Eigenschaften des Systems nur geklärt werden können, wenn wir auf ein "außerhalb" rekurrieren.

Traitor
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Do 18. Jul 2013, 20:51 - Beitrag #8

Ok, das entspricht ziemlich genau dem fachsprachlichen Gebrauch. Als Ergänzung gibt es dann noch das Konzept der "domain walls", wenn solche Domänen nicht kontinuierlich ineinander übergehen, sondern mit scharfem Konstantenkontrast aufeinander treffen, was besonders lustige Konsequenzen haben würde.
Nach beidem wird aktiv gesucht, da a priori nichts gegen Domänengrenzen innerhalb des beobachtbaren Universums spricht. Der CMB gibt natürlich schon enge Grenzen an die tatsächliche Parameterabweichung vor, aber innerhalb der Ungenauigkeiten stirbt die Hoffnung zuletzt.

Im Philosophiebereich habe ich ja öfters die Position "nur was interagiert, existiert [in einem sinnvollen Sinne]" vertreten. Das ist aber durchaus noch allgemeiner als "nur was wir beobachten können, existiert". Denn in der einen Variante ist alles enthalten, was je mit uns kausal interagiert hat oder interagieren wird, in der zweiten (zumindest in Präsensformulierung) nur die aktuell noch verbundene Untermenge. Dementsprechend ist der zitierte Satz nur eine einseitige Folgerung, keine umkehrbare, genau.
Zudem gibt es dann noch das etwas weitere Umfeld, dessen Existenz in Analogie zum direkt Erschließbaren eine vernünftige und sparsame Annahme ist. Daher sollte man die scharfe Grenze wohl nur bei andersartigen Entitätsebenen (Paralleluniversen, Extradimensionen, ontologischen Ebenen) ziehen, nicht bei simpler raumzeitlicher Ausdehnung.

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Fr 13. Sep 2013, 13:18 - Beitrag #9

Nachtrag zu "woran würden wir sie erkennen?": Unterschiedlich polarisierte Anteile im Licht von Antisternen scheinen auch noch eine Möglichkeit zu sein.

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Fr 7. Feb 2014, 13:56 - Beitrag #10

ich frage mich, ob die postulierte Asymmetrie überhaupt besteht. Anscheinend haben wir keine sicheren Hinweise darauf, dass das Universum tatsächlich nur aus Materie besteht. Wir würden offenbar noch nicht mal erkennen, wenn der Andromeda-Nebel völlig aus Antimaterie wäre. Mag sein, dass sich das ändern wird, aber bisher sieht es für mich danach aus, dass es ein reines Postulat, oder vielmehr eine einfache Behauptung ist, die sich ausschließlich darauf gründet, dass wir in einer Materie-Galaxis leben - wobei wir genauso gut in einer Antimateriegalaxis leben könnten und es nicht mitbekämen, da die beiden Begriffe nur relativ zueinander funktionieren^^

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So 9. Feb 2014, 13:48 - Beitrag #11

Dass unsere direkten Nachbarn nicht aus Antimaterie sind, da können wir uns ziemlich sicher sein. Ebenso wie zwischen Sternen einer Galaxie kein reines Vakuum, sondern "interstellares Medium" liegt, so befindet sich zwischen Galaxien keine Leere, sondern "intergalaktisches Medium". Ginge das von einem M-Bereich um die Milchstraße in einen AM-Bereich um Andromeda über, würde die Annihilationsstrahlung aus dem Grenzbereich deutlich sichtbar sein. Ebenso lässt sich die Homogenität entfernter Cluster durch den Mangel an Annihilationsstrahlung überprüfen.
Gibt es AM-Bereiche, so müssten die hinter besonders IGM-armen "Voids" liegen und weit genug weg, dass die Reststrahlung nicht auffällig ist.

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Mo 10. Feb 2014, 10:36 - Beitrag #12

na ja, dieses intergalaktische Medium zeichnet sich aber nicht gerade durch eine gewaltige Dichte aus. Ich glaube auch nicht ernsthaft, dass Andromeda aus AM besteht, aber ob die Annihilationsstrahlung tatsächlich derart auffällig sein muss bei derart dünnen Medien, bezweifele ich doch. Außerdem erklärte mir letztens ein gewisser Traitor, dass bei der Annihilation ja gar nicht notwendig Gammastrahlung entstehen müsse^^

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Mo 10. Feb 2014, 17:42 - Beitrag #13

Geringe Dichte * ordentlicher Wirkungsquerschnitt * riesiges Volumen = ganz brauchbare Raten ;)

Annihilation in Gamma-Photonen ist dominant; andere Produkte könnte man aber z.B. mit dem AMS oder PAMELA nachweisen. Zufälligerweise haben beide hübsche Anomalien produziert... die populären Erklärungen dafür sind aber Dunkle Materie oder Pulsare, wobei erstere in diesem Fall auch nicht unbedingt mehr Passendmachen erfordert, als es AM würde.

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Mo 10. Feb 2014, 18:45 - Beitrag #14

na gut^^ bleibt nur noch zu klären, ob wir aus Materie oder Antimaterie bestehen^^


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