Monogamie gegen Kindstötungen?

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Ipsissimus
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Di 30. Jul 2013, 11:01 - Beitrag #1

Monogamie gegen Kindstötungen?

http://www.sueddeutsche.de/wissen/monogamie-treue-schuetzt-vor-kindsmord-1.1733960

der Artikel stellt mehrere Forschungsergebnisse zur Entstehung der Monogamie bei Säugetieren vor. Am profiliertesten scheint die These von Opie et al. zu sein, derzufolge durch Miterziehung und Fürsorge seitens der Männchen die Stillzeiten der Weibchen verkürzt werden, so dass diese schneller wieder schwanger werden können. Das wäre eine Art Gegenentwurf zu der bekannten Strategie, die Kinder anderer Männchen zu töten. Klingt plausibel, beantwortet aber die Frage nicht so richtig, welchen Vorteil die aufwändigere Strategie bietet.

Clutton-Brock/Lukas et al kommen zu der Aussage, Monogamie sei aus der Rivalität zwischen Weibchen entstanden, die dazu führt, dass sich Weibchen relativ weit voneinander fern halten. Wollte ein Männchen zu einem anderen Weibchen, könnte es in dieser Zeit die Rivalen um die Gunst des ursprünglichen Weibchens nicht fernhalten, die im Erfolgsfall dann den Nachwuchs des Männchens töten würden. Scheint mir recht plausibel, setzt aber voraus, dass Männchen einen Instinkt für die Bedeutung "eigenen" Nachwuchses haben, was wiederum zweifelhaft erscheint.

Komers et al weist darauf hin, dass Monogamie sich auch bei Arten entwickelt hat, für die kein Infantizid nachweisbar ist, z.B. bei bestimmten Huftieren. Er nimmt daher ein Ursachenbündel (mit möglicherweise noch ungeklärten Teilursachen) statt eine Einzelursache an. Aufgrund der Schwierigkeiten der beiden anderen Erklärungen scheint mir das am plausibelsten.

janw
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Di 30. Jul 2013, 19:16 - Beitrag #2

Zitat von Ipsissimus:Am profiliertesten scheint die These von Opie et al. zu sein, derzufolge durch Miterziehung und Fürsorge seitens der Männchen die Stillzeiten der Weibchen verkürzt werden, so dass diese schneller wieder schwanger werden können. Das wäre eine Art Gegenentwurf zu der bekannten Strategie, die Kinder anderer Männchen zu töten. Klingt plausibel, beantwortet aber die Frage nicht so richtig, welchen Vorteil die aufwändigere Strategie bietet.

Ich denke, da kollidiert das "Ziel", immer möglichst besterprobte Erbanlagen in die nächste Generation zu entlassen, mit der populationsdynamischen Erfordernis, überhaupt Nachwuchs in die nächste Generation zu entlassen.
Je nachdem, wie lange es dauert, bis Nachwuchs selbständig leben und selbst Nachwuchs produzieren kann, dürfte das Pendel zur einen oder anderen Seite ausschlagen - schnell aufwachsender Nachwuchs kann Verluste durch Jungentötungen eher kompensieren als Nachwuchs, in den schon viel Zeit und Aufwand investiert worden ist und der nun endlich selbst produktiv werden könnte.

Clutton-Brock/Lukas et al kommen zu der Aussage, Monogamie sei aus der Rivalität zwischen Weibchen entstanden, die dazu führt, dass sich Weibchen relativ weit voneinander fern halten. Wollte ein Männchen zu einem anderen Weibchen, könnte es in dieser Zeit die Rivalen um die Gunst des ursprünglichen Weibchens nicht fernhalten, die im Erfolgsfall dann den Nachwuchs des Männchens töten würden. Scheint mir recht plausibel, setzt aber voraus, dass Männchen einen Instinkt für die Bedeutung "eigenen" Nachwuchses haben, was wiederum zweifelhaft erscheint.

Ich würde einen solchen Instinkt nicht ganz ausschließen wollen, wenn ich auch nicht weiß, wie der genetisch manifestiert sein sollte - aber diese Frage stellt sich bei vielen Verhaltensweisen, z.B der genetischen Manifestation geeigneter Habitatstrukturen für Nistplätze bei Vögeln.
Hier wäre IMHO zu fragen, worauf denn die Konkurrenz der Weibchen beruhen soll, Nahrungsressource zur Jungenaufzucht,...?

Komers et al weist darauf hin, dass Monogamie sich auch bei Arten entwickelt hat, für die kein Infantizid nachweisbar ist, z.B. bei bestimmten Huftieren. Er nimmt daher ein Ursachenbündel (mit möglicherweise noch ungeklärten Teilursachen) statt eine Einzelursache an. Aufgrund der Schwierigkeiten der beiden anderen Erklärungen scheint mir das am plausibelsten.

In die Richtung denke ich auch. Es wird eine ganze Reihe von Faktoren geben, die zu einer positiven Selektion eines wie auch immer genetisch manifestierten Merkmals "Monogamie" führen.
Dabei sollte auch an epigenetische Faktoren gedacht werden.

Maglor
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Di 30. Jul 2013, 19:36 - Beitrag #3

Ich vermute Kindstötungen sind bei großen Primaten besonders schwerwiegend, weil sie so lange zum wachsen brauchen und sie nicht zu Mehrlingsgeburten neigen. Bekannte Kindstöter wie Hauskatzen oder Ratten hingegen reproduzieren sich in unglaublicher Geschwindigkeit.

Der Begriff Monogamie greift zur kurz. Es gibt nur sehr wenige Tiere, die wirklich treu sind. Die meisten suchen sich in jeder Saison einen neuen, auch wenn sie immer nur einen gleichzeitig haben. Für echte Treue wie unter Schwänen und Gänsen kenne ich unter den Säugetieren - wenn man den Menschen (Bei denen das gelegentlich vorkommt.) mal außen vor lässt - kein Beispiel.

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Sa 24. Aug 2013, 11:25 - Beitrag #4

Vom üblichen Problem abgesehen, von reinen Korrelationen darauf zu schließen, was nun ein "Motor" für was sei: Ursachenbündel klingt, wie in solchen komplexen Zusammenhängen ebenfalls üblich, am glaubwürdigsten. Zudem sehe ich keinerlei Hinweis auf die zumindest sen Sekundärartikeln in SZ und Spiegel, evtl. auch den Originalartikeln (?), zugrundeliegende Annahme, dass es bei allen Spezies dieselbe Einzelursache oder dasselbe Ursachenbündel gibt. Monogamie (zur Einschränkung s.u.) ist offensichtlich ein Fall von konvergenter Evolution, und die kann je nach intrinsischen Eigenschaften, Habitat und Populationsdynamik der verschiedenen Spezies sehr verschiedene Wege genommen haben.

Zitat von Ipsissimus:Scheint mir recht plausibel, setzt aber voraus, dass Männchen einen Instinkt für die Bedeutung "eigenen" Nachwuchses haben, was wiederum zweifelhaft erscheint.
Natürlich ist es oft schonmal schwer zu wissen, welcher Nachwuchs der eigene ist (darauf beziehen sich vermutlich deine ""?). Die Trefferquote davon dürfte (ohne moderne Mittel) aber auch beim Menschen nicht wesentlich höher sein als bei Tieren, und da Menschenmännchen diese Bedeutung bekanntlich sehr stark wahrnehmen, erscheint es im (ziemlich schwachen) Umkehrschluss doch recht naheliegend, dass auch Tiere allgemein (oder zumindest eng verwandte Primaten) so einen Instinkt (oder eine komplexere Verhaltensweise) haben.

Zitat von Jan: Hier wäre IMHO zu fragen, worauf denn die Konkurrenz der Weibchen beruhen soll, Nahrungsressource zur Jungenaufzucht,...?
Ist sicher der naheliegendste Grund. Dazu vielleicht noch Sicherheitsbedürfnis. Die allgemeinen Gründe für Territorialität halt.

Zitat von Maglor: Der Begriff Monogamie greift zur kurz. Es gibt nur sehr wenige Tiere, die wirklich treu sind. Die meisten suchen sich in jeder Saison einen neuen, auch wenn sie immer nur einen gleichzeitig haben. Für echte Treue wie unter Schwänen und Gänsen kenne ich unter den Säugetieren - wenn man den Menschen (Bei denen das gelegentlich vorkommt.) mal außen vor lässt - kein Beispiel.
Was den qualitativen Grad der Monogamie angeht, schränken die Artikel ja bereits ein, dass es um "soziale Monogamie" geht:
Zitat von SZ: Soziale Monogamie bedeutet, dass die Partner in einer Zweierbeziehung leben und sich gemeinsam um den Nachwuchs kümmern, auch wenn andere sexuelle Kontakte vorkommen können.
In Sachen Permanenz kenne ich mich mit den Viechern nicht gut genug aus, denke aber schon, dass es in den Studien hauptsächlich um längerfristige Bindungen geht. Bei nur einjähriger Monogamie plus mehr als einjähriger Jugendphase (höhere Primaten, Elefanten?) wäre ja schon im Voraus klar, dass die Kindstötungserklärung nicht hilft.

PS: Ein gutes Beispiel für die Kindstötungskorrelation kommt vom Menschen, bei promisken Herrschersippen war geschätzt Kindstötung deutlich verbreiteter als bei braven Bauerspaaren. ;)

Ipsissimus
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Sa 24. Aug 2013, 11:52 - Beitrag #5

Na ja, bei menschlichen Männchen dürfte das aber eher auf kulturelle Prägung zurückzuführen sein, nicht auf genetische Programmierung. Wenn die Männchen nicht zahlen müssten ...

Traitor
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Sa 24. Aug 2013, 12:09 - Beitrag #6

Da bräuchte man jetzt wieder Vergleichsstudien zu "zivilisationsfernen Völkern"... Ohne die im Detail zu kennen, würde ich vermuten, dass es vielleicht kein universelles, aber doch ein kulturübergreifend weitverbreitetes Verhaltensmuster ist.
Und bei Primaten, Walen, vielleicht auch ein paar anderen höheren Säugetieren, kann man eine kulturelle Komponente solcher Verhaltensweisen auch nicht ausschließen.

Ipsissimus
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Sa 24. Aug 2013, 12:18 - Beitrag #7

nein, ausschließen kann man sie nicht, da wir sie aber nicht nachweisen können, ist es schwierig, sie als Faktum aufzufassen^^

Bei den meisten "zivilisationsfernen" Völkern stellt sich das Problem gar nicht in dieser Form, weil die Kinder von der Großfamilie, dem Clan oder gleich der ganzen Dorfgemeinschaft aufgezogen werden. Das enge Konzept einer Klein-Familie ist eine sehr moderne Erfindung der Industriestaaten.

Traitor
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Sa 24. Aug 2013, 12:34 - Beitrag #8

Du hältst es für "zweifelhaft", ich für "recht naheliegend" bis "nicht auszuschließen". Wo genau war bisher von "Faktum" die Rede? ;)

Auch Clansysteme schließen spezielle Bindungen an den eigenen Nachwuchs nicht aus. Auch die anderen untersuchten Spezies leben ja teils in Clans, Rudeln, Herden. Auch das ist eine der Einschränkungen des hier verwendeten Monogamiebegriffs, den darf man sicher nicht 1:1 mit "Kleinfamilie" übersetzen.

Ipsissimus
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Sa 24. Aug 2013, 12:41 - Beitrag #9

nein, sie schließen engere Bindungen nicht aus, aber sie betonen sie auch nicht als normative Form

Maglor
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So 25. Aug 2013, 13:47 - Beitrag #10

Bei den zivilisierten Völkern ist es immer die böse Stiefmutter, die versucht Schneetwitchen umzubringen. Die Situation ist bei Aschenputtel, Goldmarie usw. zumindest ähnlich. Grundlage des Konflikts ist die Rivalität zwischen den Weibchen, wohlbemerkt unter Einhaltung der Monogomie. Der neuen Frau stehen die Kinder der vorverstorbenen ersten Frau im Wege.
Böse Stiefväter sind hingegen ein Märchen, das üblicherweise nicht (mehr) erzählt wird.

Bei vielen zivilisationsfernen Völkern gab es die merkwürdige Sitte die Kinder verfeindeter Gruppen zu rauben und als die eigenen großzuziehen. In Sachen Popuationsgenetik war diese Praxis sicher ziemlich unsinnig, im Kampf der Kulturen jedoch erfolgversprechend.
Auch zahlreichend überliefert ist der grausame Heroismus diese Einvernehmung zu verhindern, indem die Eltern die eigenen Kinder töten, bevor sie vom Feind verschleppt werden.

In der Realität war die Kindstötung bei homo sapiens eher Aufgabe der leiblichen Eltern.


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