Nobelpreis für Physik 2013

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
Ipsissimus
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Di 8. Okt 2013, 17:33 - Beitrag #1

Nobelpreis für Physik 2013

Die Entscheidung muss in diesem Jahr besonders schwierig gewesen sein - dabei lag sie doch eigentlich auf der Hand. Mit einer Stunde Verspätung verkündete die Königliche Schwedische Akademie der Wissenschaften, womit so viele gerechnet hatten: Der Nobelpreis für Physik geht in diesem Jahr an den Briten Peter Higgs und den Belgier François Englert für die Entwicklung des sogenannten Higgs-Mechanismus.


http://www.spiegel.de/wissenschaft/natu ... 26775.html

Der dritte im Bunde wäre Robert Brout gewesen, der 1964 an der Theroriebildung genauso maßgeblich wie die beiden anderen beteiligt war, doch der ist 2011 verstorben. Manchmal kann man zu lange warten.

Traitor
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Di 8. Okt 2013, 17:41 - Beitrag #2

Und der vierte bis siebte wären Guralnik, Hagen, Kibble und Anderson gewesen, siehe Carroll oder Strassler. Immerhin ist es nicht zum häufig scherzhaft vorhergesagten Szenario gekommen, das man wartet, bis nur noch 3 am Leben bleiben. Der gemachte Schnitt ist aber unfair.
Und halbwegs rund wäre der Preis eh nur, wenn er zur Hälfte an Theoretiker, zur anderen Hälfte an die ATLAS- und CMS-Kollaborationen für den deutlich aufwendigeren experimentellen Nachweis ginge. Theoretisch wäre es denkbar, den praktischen Preis nächstes Jahr getrennt nachzureichen. Aber ich bin da eher pessimistisch und befürchte mit Carroll:
There’s a real chance that no Nobel will ever be given out for the Higgs discovery, since it was carried out by very large collaborations.


PS: Was Brout betrifft, hat man nicht zu lange gewartet, er ist nur leider zu früh gestorben. Ohne experimentellen Nachweis einen Preis für die Vorhersage zu geben, hätte keinen Sinn gehabt. Posthume Mitauszeichnung wäre aber neben 3er-Grenzen-Aufhebung und Kollaborations-Erlaubnis die dritte dringend nötige Regeländerung.

janw
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Mi 9. Okt 2013, 12:04 - Beitrag #3

Traitor, die Frage ist, wie weit Nobel selbst die Regularien bestimmt hat. Könnte man sie dann einfach ändern?

Traitor
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Mi 9. Okt 2013, 13:14 - Beitrag #4

Nobel selbst hat sehr wenig festgelegt. Implizit folgt aus Singularformulierungen, dass er nur an Einzelpreisträger dachte, explizit legte er das aber nicht fest.
In den Statuten steht dann aktuell
A prize amount may be equally divided between two works, each of which is considered to merit a prize. If a work that is being rewarded has been produced by two or three persons, the prize shall be awarded to them jointly. In no case may a prize amount be divided between more than three persons.

Work produced by a person since deceased shall not be considered for an award. If, however, a prizewinner dies before he has received the prize, then the prize may be presented.

Each prize-awarding body shall be competent to decide whether the prize it is entitled to award may be conferred upon an institution or association.

Das Dreier-Limit und die Verstorbenendiskriminierung sind also generelle Regel, das Kollaborationen-Verbot aber nichtmal das, sondern nur physikintern (vergleiche Frieden).

Für einen 6er-Theorie-Preis müssten also zumindest die Gesamtstatuten der Stiftung geändert werden (schwierig, aber an sich spricht nichts dagegen), für Higgs+Englert+ATLAS+CMS ebenfalls, Higgs+Englert+CERN wäre ein halbgarer Kompromiss gewesen, den das Physik-Komitee im Alleingang hätte machen können. Aber wie in den Vorjahren gesagt, seinen Unwillen dazu hat es schon bei COBE und WMAP gezeigt.

janw
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Mi 9. Okt 2013, 14:52 - Beitrag #5

Ich hätte mit einer Vergrößerung des Gewinnerkreises das Problem, daß die Leistung dann nicht mehr wirklich individualisierbar ist. Letztlich, müsste nicht auch die Sekretärin bedacht werden, die an jenem schicksalhaften Morgen dem Forscher den Kaffee so vorbei gebracht hat, daß er seunen Geistesblitz bekam?
Abgesehen davon, wer ist dann das ATLAS-Team, und wer nicht? Gastwissenschaftler einbezogen (auch sie leisten ja irgendwie einen Beitrag)...?

Ipsissimus
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Mi 9. Okt 2013, 17:21 - Beitrag #6

Das ist in gewisser Weise auch absurd; alle wissen, dass große wissenschaftliche Leistungen zunehmend Teamwork Geschichten sind, aber den Nobelpreis bekommt der Herr Professor.

Traitor
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Do 10. Okt 2013, 11:06 - Beitrag #7

@Jan: Bei modernen Großexperimenten gibt es eben keine wirkliche Individualisierbarkeit der Beiträge mehr. Die Forscher haben sich damit aber längst abgefunden und veröffentlichen ihre Ergebnisse eben als Kollaborationsartikel mit seitenlanger Autorenliste, bei der höchstens Eingeweihten klar ist, wer was beigetragen hat. Wer genau dann auf dieser Liste steht, ist das Ergebnis komplizierter interner politischer Prozesse. Die kenne ich ja in anderem Felde von innen...

@Ipsissimus: In der Theorie und manchen experimentellen Bereichen sind Einzelveröffentlichungen schon noch gerecht ihren Einzelautoren (oder einer kleinen Handvoll) zuordnenbar. Die Frage ist da dann meistens eher, ob Einzelveröffentlichungen noch Durchbrüche und preiswürdig sind, oder ob sich die große Erkenntnis nicht doch erst aus der Synthese der Arbeit Vieler ergibt.

florri
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Mi 29. Jan 2014, 07:53 - Beitrag #8

Allerdings ist das Higgs-Feld nur für einen geringen Teil der Masse verantwortlich, mit der man im Alltag zu tun hat. "Nehmen wir zum Beispiel diesen Tisch", sagt Physikerin Stachel. "Nur zwei bis drei Tausendstel seiner Masse gehen auf den Higgs-Mechanismus zurück." Ein Proton habe eine Masse von einem Gigaelektronenvolt (GeV). Es bestehe aus drei Quarks mit jeweils nur zwei bis drei Megaelektronenvolt (MeV) - weniger als einem Prozent der Gesamtmasse.

Ipsissimus
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Mi 29. Jan 2014, 11:05 - Beitrag #9

willkommen, florri^^

es besteht hier weitgehend Klarheit darüber, dass der Higgs-Mechanismus hauptsächlich dafür notwendig ist, die Massenterme aus den Eichgleichungen heraus zu bekommen; da die Eichbosonen massebehaftet sind, zerhaut es sonst die Eichtransformation

Traitor
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Mi 29. Jan 2014, 21:47 - Beitrag #10

florri ist wieder nur ein Spambot. Diesmal immerhin einer, der schlau genug ist, einem Link zu folgen, um von dort zu kopieren. ;) (SpOn im Eröffnungsbeitrag.)

Ipsissimus
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Mi 5. Feb 2014, 14:39 - Beitrag #11

Die Frage ist da dann meistens eher, ob Einzelveröffentlichungen noch Durchbrüche und preiswürdig sind
m.E. ist die Frage eher, ob ein Einzelkämpfer noch weit genug kommt, dass er eine bedeutende Einzelveröffentlichung machen kann, die ausschließlich auf seiner eigenen Arbeitsleistung beruht.

janw
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Mi 5. Feb 2014, 15:55 - Beitrag #12

Ipsi, die Forschungen von heute sind nicht von Nobels Welt^^

Traitor
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Sa 8. Feb 2014, 12:46 - Beitrag #13

Wie gesagt, in manchen Bereichen der Theorie durchaus noch. SPIRES listet z.B. 48 Einzelautoren-Paper mit >=500 Zitationen seit 2000 (995 mit >=100). Dabei sind einige Reviews, Fehlzählungen mit Kollaborationen als "single author" und so, aber es bleiben immer noch einige hochprofilierte Einzelleistungen über.

Padreic
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So 9. Feb 2014, 18:04 - Beitrag #14

m.E. ist die Frage eher, ob ein Einzelkämpfer noch weit genug kommt, dass er eine bedeutende Einzelveröffentlichung machen kann, die ausschließlich auf seiner eigenen Arbeitsleistung beruht.

Wie Traitor schon schrieb: Einzelkämpfer ja. Bei 'ausschließlich auf seiner eigenen Arbeitsleistung beruh[end]' kommt es darauf an wie man es interpretiert. Selbst bei Einzelautorveröffentlichungen mag das Zusammenspiel mit anderen Einzelautorveröffentlichungen so eng sein, dass es am Ende etwas willkürlich erscheinen mag, wenn man sagt, dass X jetzt das Problem gelöst hat, nur weil er den letzten Schritt getan hat.

Ich habe natürlich jetzt mehr Beispiele aus der Mathematik im Kopf. Ein interessanter Fall ist z. B. wie Perelman die Poincare-Vermutung bewiesen hat. Eigentlich ein Parade-Beispiel eines Einzelkämpfers, der sich jahrelang zurückgezogen hat, um alleine daran zu arbeiten, bis er mit genialen Einsichten das Problem gelöst hat (und nachher alle Preise dafür abgelehnt hat). Aber selbst in diesem Fall beruhen seine Arbeiten stark auf den Vorarbeiten Hamiltons, der die Grundidee hatte, wie man die Poincare-Vermutung attackieren kann.
Leicht anders geartet ist der kürzliche Beweis der "virtuell-Haken-Vermutung" -- hier konnte Agol beruhend auf in kurzem Abstand erfolgten Vorarbeiten von Kahn-Markovic, Wise und ihm selbst das Problem in einer Einzelautorveröffentlichung lösen. Und natürlich gibt es auch noch viele Probleme, die von mehreren Autoren im gemeinsamen Paper gelöst werden.
Ich schätze, in der theoretischen Physik ist die Separation der Leistungen häufig noch schwieriger, da der Veröffentlichungstakt deutlich größer ist als in der Mathematik.


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