Es ist auf jeden Fall eine ganz große Nachricht. Diskussionswürdig ist aber,
was die Nachricht ist.
Kurzfassung: Gemessen wurde (für mich ziemlich überzeugend, das Warten auf unabhängige Bestätigung dürfte diesmal nur Formalität sein, aber ganz ausschließen darf man übersehene systematische Effekte oder Vordergründe nicht) ersteinmal
B-Moden-Polarisation im Mikrowellenhintergrund. Die ist höchstwahrscheinlich primordial, sagt uns also etwas über die Inflationsepoche - und dass es eine solche gab. Sie ist auch sehr, aber nicht ganz so wahrscheinlich, durch Gravitationswellen vermittelt. Aber weder ist letzteres absolut sicher noch ist es eine
direkte Messung von Gravitationswellen, sondern man hat immer noch "nur" Mikrowellen beobachtet. Der "nur" kosmologische Aspekt der Messung ist aber eher noch spannender als der leider von den Medien stärker betonte wellige.
[Interessenskonfliktdeklaration: meine eigene Kollaboration arbeitet eben an jener direkten Messung, also muss ich auf diesen Unterschied pochen.
]
Partielle Langfassung:Geschichtliches und ÜberraschendesNachdem die Pressekonferenz angekündigt war, sind sofort die Gerüchte hochgekocht, inklusive einem fast unglaublich hohen Wert für die gemessene B-Moden-Stärke. (Bzw. für die daraus abgeleitete "tensor to scalar ratio", das Verhältnis von Gravitationswellen (u/o seltsamen Exotika) zu Dichtefluktuationen (aus den WMAP- und Planck-Bildern bekannt). Die Reaktionen lagen großenteils im Bereich von "kann nicht sein" oder "entweder der Wert muss niedriger sein oder die Unsicherheit riesig", bei Anerkennen der Möglichkeit aber bereits einhellig "Sensation!". Für mich persönlich war die Hauptfrage, wie sie ein Hintergrundsignal finden konnten, nur kurz nachdem andere Experimente (SPT letztes Jahr und POLARBEAR dieses) gerade mal den Anfang bei der Vermessung des Vordergrund-Gravitationslinsen-Beitrags zu B-Moden gemacht hatten, der erwartungsgemäß viel stärker sein sollte.
Tatsächlich wurde das berüchtigte Ergebnis dann genau so bestätigt, mit ziemlich hoher Signifikanz. Zum einen ist es damit einfach sehr viel höher als die meisten realistischen Erwartungen im Vorfeld, zum anderen hat sich meine Skepsis damit geklärt, dass sie einen längeren Datensatz haben als die Konkurrenz und vor allem auch auf größeren Skalen messen (daher auch die Betonung des "at Degree Angular Scales" im
Papertitel).
Gravitationswellen?Der erste indirekte Nachweis ist schon alt, die Orbitveränderungen von Neutronenstern-Doppelsystemen entspricht genau der ART-Vorhersage für Gravitationswellenabstrahlung (Hulse&Taylor 1974, Nobelpreis 1993). Im Vergleich dazu ist die Beobachtung jetzt schon eine Stufe direkter, da man nicht nur fehlende Energie bemerkt, sondern eine aktive Signatur. Sie ist aber immer noch indirekt, da man nur die vom Austausch mit GW veränderten Eigenschaften von elektromagnetischen Wellen misst. Für einen direkten Nachweis braucht man immer noch LIGO oder LISA. (Ganz, ganz technisch betrachtet hat man auch da "nur" die Interaktion von GW mit EW, aber direkt in einem selbstgebauten Detektor, was einen weiteren qualitativen Unterschied macht.) Als grobe Analogie kann ich anbieten, dass zum Nachweis der Lichtemission einer Glühbirne Hulse&Taylor die Stromrechnung gelesen haben, BICEP die Erwärmung des Nachbarzimmers misst und LIGO auf die Birne guckt.
InflationDas großartige an CMB-Polarisations-B-Moden (und die Begründung, mit der diese Forschungen seit Jahren vorangetrieben werden, GW tauchte da eigentlich immer eher am Rande als Bonus-Buzzword auf) ist die Zusatzinformation über die Phasen
vor der CMB-Entstehung, die darin enthalten ist. Und während Planck mit seinen reinen Temperaturmessungen (Polarisation haben sie auch gemessen, Veröffentlichung wurde aber erst für nächsten Monat erwartet, jetzt anscheinend nochmal verschoben(?)) tendentiell nur langweilige Bestätigungen der einfachsten Modelle geliefert hat, zwingt der unerwartet hohe BICEPS-Messwert (selbst wenn er noch merklich nach unten korrigiert wird) zu eher unkonventionellen Modellen.
Aussagen, dies sei ein unausweichlicher Beweis für die Inflation an sich, sind dabei genauso falsch wie "direkter GW-Nachweis". Sicher gibt es inflationslose Alternativmodelle, di auch primordiale B-Moden produzieren. Aber es ist auf jeden Fall ein wesentlicher Plausibilitätszuwachs für die Inflation. Insbesondere waren bisherige Befunde immer nur genauere Bestätigungen jener Aspekte, zu deren Erklärung die Inflation ursprünglich erfunden wurde, während jetzt tatsächlich eine Vorhersage nachträglich bestätigt wird, in wissenschaftstheoretisch korrekter Chronologie. Wie gesagt, noch nicht 100%ig gesichert, und sicher nicht 100% alternativlos, aber ein sehr, sehr wesentlicher Fortschritt.
Unsicher bin ich derweil noch (Paper erst bruchstückhaft gelesen), warum sie sich so sicher sind, dass, wenn ihr Ergebnis stimmt, es GW sein müssen. Prinzipiell gibt es noch exotischere Möglichkeiten für Tensormoden (multiple Inflationsfelder oder sonstige "Extra-Freiheitsgrade", die man sich ja bekanntlich in beliebiger Anzahl basteln kann). Natürlich erwartet man eher GW als jene, und als "Konservativer" würde auch ich diese als die bei weitem wahrscheinlichste Erklärung ansehen, aber ein wenigstens prinzipielles Eingestehen der Alternativmöglichkeiten fehlte mir in der Präsentation. Vielleicht haben sie aber auch noch Details, die zumindest die populäreren Alternativen besonders unwahrscheinlich aussehen lassen.
Hier noch zwei wie üblich sehr schöne Zusammenfassungen von Matt Strassler, wenn er diesmal auch genauso Halblaie ist wie ich:
1,
2MedienDie Pressekonferenz war eigentlich sehr gut gemacht, gefiel mir besser als die zum Higgs oder von Planck. Leider wurden aber an (mindestens?) zwei Stellen von den Zuständigen selbst unhaltbare Aussagen wie eben "direct image of GW" in den Mund genommen. Dass die Presse sich fast komplett auf den Aspekt einschießt, ist aber auch mit dieser unsauberen Werbung noch nicht zu rechtfertigen, denn eigentlich haben sie den Fokus durchaus halbwegs ordentlich auf dem Inflations-Thema gehalten. Eher habe ich das Gefühl (durch teilweise Erwähnung von "bewegten Massen" in den GW-Erklärungen, was so bei primordialen GW keinen Sinn ergibt, wohl aber bei stellaren im LIGO-Frequenzbereich, stark bestärkt), dass die Redaktionen das Thema CMB und Inflation so derzeit gar nicht auf dem Schirm hatten, aber für LIGO (und/oder nach der ESA-Entscheidung zu LISA letztens) zu GW bereits gedanklich geimpft waren und sogar Textfragmente auf Vorrat hatten, sodass sie darauf besonders ansprangen. Und Einstein verkauft sich natürlich immer besonders gut...
Sehr überraschenderweise ist der Stern-Artikel dabei noch ein positiver Ausreißer, besser als Spiegel oder Guardian - erst Inflation als Hauptthema, dann erst GW, und sogar kombiniert mit "Dies ist zwar kein direkter Nachweis von Gravitationswellen". SZ muss ich später noch nachlesen.