Planetenmigration

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
Ipsissimus
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Mi 31. Dez 2014, 14:49 - Beitrag #1

Planetenmigration

faszinierend, wenn eherne Gesetze sich plötzlich als falsch herausstellen^^ das Vidio hat es echt in sich, und der trägt das richtig witzig vor^^

Lykurg
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Mi 31. Dez 2014, 19:30 - Beitrag #2

Ein Link würde helfen... ;)

Ipsissimus
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Mi 31. Dez 2014, 20:33 - Beitrag #3


Lykurg
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Do 1. Jan 2015, 00:17 - Beitrag #4

Ja, amüsante Vortragsart, etwas übertrieben; wie neu der Inhalt tatsächlich ist, kann ich nicht beurteilen, aber für mein Empfinden hätte man ihn auch in drei bis fünf Sätzen zusammenfassen können.

(Gegenwärtige Meßmethoden führen vor allem zur Entdeckung von sonnennahen Gasriesen. Da diese nicht dort entstanden sein können, müssen sie dorthin gewandert sein, was Abbremsung ihrer Bahngeschwindigkeit voraussetzt. Zum Abbremsen hervorragend geeignet ist Staub, der direkt um den Stern herum verdampft, weswegen der Gasriese nicht weiter abgebremst wird und auf der sonnennäheren Position verbleibt. Staubabbremsung verändert die Bahn wenig, während Abbremsung durch Gravitationseffekte anderer Sterne zu starker Exzentrizität führt.)

Traitor
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Di 13. Jan 2015, 12:08 - Beitrag #5

Das Lesch-Video ist übrigens von 2006. Lykurgs Zusammenfassung ist ganz gut, der erste Satz gilt aber inzwischen zum Glück nicht mehr ganz so sehr. Eine Migrationsmöglichkeit, die Lesch auslässt (oder vielleicht auch nicht, ich habe nicht durchgängig zugehört), wäre noch direkte gravitative Wechselwirkung mehrerer Planeten, da es durchaus Zigjahrmillionen dauern kann, bis ein Vielkörper-System eine stabile Konfiguration gefunden hat.

Ob Zeit und Lesch mit der historischen Behauptung, man habe vor 1995 an ein "ehernes Gesetz" gegen Migration geglaubt, stimmt, kann ich spontan nicht beurteilen. Es gibt zumindest keinen echten physikalischen Grund dagegen, also denke ich eher, dass es nur ein "man hatte nie ernsthaft darüber nachgedacht, weil es keine Hinweise darauf gab" war. Ich werde mal in ein paar Veröffentlichungen, die direkt nach der Entdeckung von 51 Pegasi rauskamen, reinlesen, wie stark deren "umstürzlerische" Formulierungen waren.

Traitor
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Di 13. Jan 2015, 22:27 - Beitrag #6

Das passendste Alt-Paper, das ich auch Anhieb finden kann, ist Lin & Papaloizu (1986), die u.a. sagen:
If the mass of the protoplanet is relatively large compared with that of the disk, no significant orbital evolution will take place.

Sie haben aber nur vereinfachte Modelle (u.a. keine Mehrfachplaneten) studiert und schließen explizit nicht aus, dass es in der Realität andere Phänomene geben kann. Ansonsten sieht es mir dann auch eher so aus, als wäre Migration vor 1995 einfach nie sehr viel bedacht worden.

Hätte es ein "ehernes Gesetz" gegeben, würde sicher nicht im Abstract des 51-Pegasi-B-Entdeckungs-Artikels so frei heraus stehen:
This object might be a gas-giant planet that has migrated to this location through orbital evolution, or from the radiative stripping of a brown dwarf.

Im Text heißt es dann:
The very small distance between the companion and 51 Peg is certainly not predicted by current models of giant planet formation.
[...]
Present models for the formation of Jupiter-like planets do not allow the formation of objects with separations as small als 0.05 AU.

"Ehern verboten" war also wohl nur, was Lesch "in-situ-Bildung" oder so ähnlich nennt.

Beide Zitate verweisen auf eine offensichtliche Autorität, den Boss. ;) Der spricht zwar immerhin schon von einer
possible theoretical expectation being that Jupiter-like planets will be found much closer [inside the Earth-sun separation of 1 astronomical unit (AU)] to these low-luminosity stars than Jupiter is to the sun (5.2 AU).
Auffälligerweise geht er aber stets implizit davon aus, dass Beobachtungsabstand=Entstehungsabstand.

Die erste genauere Abhandlung zur Migrationserklärung war dann wohl die von Lin, Bodenheimer & Richardson (man beachte denselben Lin wie 1986), die dabei an keiner Stelle den Eindruck erwecken, ein "ehernes Gesetz" umzustoßen.

Interessant ist dann auch noch dieser Artikel, der sich zumindest etwas um rückblickende Einordnung bemüht:
This object is certainly problematic. [...] One hundred times closer to its primary than Jupiter itself, 51 Peg B thwarts conventional wisdom.


Zusammengefasst würde ich sagen, dass die Situation komplexer war, als Lesch sie darstellt. Als gesichert galt damals wohl nur, dass Gasriesen nicht nahe an Sternen entstehen können, während Migration weder explizit erlaubt noch explizit verboten war - man hatte bisher einfach keine Anzeichen, dass sie stattfinden könnte oder als Erklärung nötig war, und daher wohl nicht allzu viel in ihre Erforschung investiert. Implizit ging man also davon aus, Gasriesen nur weit außen zu finden, und die Entdeckung an sich war eine große Überraschung - aber eben mehr der Befund an sich als seine sich dann schnell ergebende Erklärung.
Allerdings habe ich die Literatur (insbesondere zwischen 1986 und 1995) natürlich nicht erschöpfend durchsucht, und kann nicht ganz ausschließen, dass aus Studien wie der von Lin & Papaloizu eine Art implizites Dogma erwachsen war, das durchaus viele für "ehern" hielten, ohne dass das je bewiesen oder auch nur lautstark verkündet worden wäre.

Lykurg
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Mi 14. Jan 2015, 00:14 - Beitrag #7

...näherliegend, wenn auch nicht als belegt anzusehen wäre aber die Deutung, daß Lesch das Thema popularisiert, indem er das 'Gesetz' erst zu einem solchen erklärt oder zumindest ihm sehr viel mehr Gewicht verleiht als es eigentlich je hatte. Sein nicht übertrieben sachlicher Vortragsstil schließt die Anwendung einer solchen Technik zumindest nicht explizit aus.

Ipsissimus
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Mi 14. Jan 2015, 11:38 - Beitrag #8

na ja, das mag zwar stimmen, aber Leute, das ist eine Wissenschaftssendung^^ das kann man in diesem Kontext nicht so vortragen, als hätte ein Lateinlehrer einen Stock verschluckt und würde Seneca rezitieren^^ ich bin ziemlich sicher, dass Lesch in einem physikalischen Seminar anders präsentieren würde^^

Und da uns allen überbewusst ist, dass alle naturwissenschaftliche Erkenntnis unter dem Vorbehalt der Datenlage steht^^ darf man ihm vielleicht auch einfach ein bisschen ironisches Spiel mit Erwartungshaltungen unterstellen^^ die Dinge dürfen doch auch mal mit leichter Hand verstreut werden, statt nur mit letzter sauertöpfscher Strenge und bierernstem Gesichtsausdruck^^

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Fr 16. Jan 2015, 00:38 - Beitrag #9

@Lykurg: Lesch ist sowohl altersmäßig als auch fachlich näher dran am Thema, bzw. dessen historischem Aspekt, als ich, also vermute ich schon, dass auch in dem populären Slogan noch etwas mehr Wahrheit steckt, als ich auf Anhieb finden konnte. Übertrieben hat er dabei wohl mindestens genauso sicher. Auch wenn das, wie Ipsissimus sagt, halt auch einfach zu seinem, sehr erfolgreichen, Stil gehört, ist es halt vor allem schade, dass er die Behauptung nicht belegt, nichtmal anekdotisch.

Wieso hat die Zeit das Video eigentlich gerade jetzt ausgegraben...? Wäre dann ja eigentlich eine gute Gelegenheit gewesen, etwas Hintergrund anzubieten.


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