Wissenschaft und Ethik

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 12. Nov 2013, 15:33 - Beitrag #21

Die Behauptung, Forschung sei der Neugierde als menschlichem Gattungsmerkmal geschuldet, deckt bestenfalls die eine Seite der Medaille; sie ist mindestens ebenso stark von Absichten abhängig und geprägt, die sich längst annäherungsweise in zwei Richtungen zusammenfassen lassen, kaufmännische und militärische Absichten.

Wer von denen, die alt genug dafür sind, erinnert sich nicht an die Proteste gegen "Drittmittelforschung", als spätestens in den 60ern und 70ern allmählich einer breiteren Öffentlichkeit bewusst wurde, dass die deutsche Hochschulforschung mitnichten entlang unschuldiger Neugierde verläuft, sondern entlang der Vorgaben externer Geldgeber. Der Umstand, dass diese Proteste, die damals in voller Erbitterung geführt wurden, heute merkwürdig naiv wirken, zeigt, wie sehr wir uns daran gewöhnt haben, die zugrundeliegenden außerwissenschaftlichen Gründe für Forschung für selbstverständlich zu erachten und zu ignorieren. In die gleiche Kerbe schlägt der Umstand, dass es in vielen Fachbereichen längst selbstverständlich ist, dass, wer nicht imstande ist, die Finanzierung für seine Forschung aufzutreiben, eben nicht forschen kann.

Die Forderung nach angemessener ethischer Abwägung kann in einem solchen Umfeld tatsächlich nur als naiv aufgefasst werden. Auch Forscher lieben ihren Arbeitsplatz, und auf einen forschenden C4-Lebenszeitprofessor kommen 100 Forscher, die jederzeit kündbar sind.

Also, liebe Forscher, überlasst die Ethik getrost der PR, die verstehen wenigstens was davon und geben den offiziellen Stellungnahmen den Klang der echten, authentischen Betroffenheit, und arbeitet ihr neugierig weiter am Untergang der Menschheit^^ ich weiß, es ist machbar^^

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
So 17. Nov 2013, 14:04 - Beitrag #22

Erstmal rein auf Deutschland bezogen, da du schon technische Begriffe wie "Drittmittel" einbringst: Echte Drittmittel aus Wirtschaft und Militär sind nur in bestimmten Feldern relevant. Tatsächlich kommt der Großteil der sogenannten "Drittmittel" direkt vom Staat, hauptsächlich via DFG, Exzellenzinitiative und zunehmend EU-Förderungen. Mit Anträgen bei denen engt man seine Forschungsvorhaben zwar schon ein, aber immerhin entlang im Feld selbst bevorzugter Richtungen, nicht "entlang der Vorgaben externer Geldgeber".

Zudem kommt der Großteil der Forscher außerhalb der Biologie, in geisteswissenschaftlichen oder naturwissenschaftlich-grundlagennahen Bereichen, sehr selten überhaupt an ethische Fragestellungen.

Dort, wo die Fragen relevant sind, sollten es aber eben doch die Wissenschaftler selbst sein, die sich ihnen stellen; gleichzeitig aber so viele Informationen wie möglich an Kontrollgremien weitergegeben werden, um ihnen auch auf die Finger klopfen zu können, wenn sie dies unzureichend oder mit gesellschaftlich inakzeptablem Fazit tun.

Albern wird es, wenn für den Umgang mit Tieren in der Forschung strengere Regeln gelten sollen als in der Lebensmittelindustrie. Umgekehrt sollten für die Forschung aber auch keine sonst gültigen Regeln generell aufgeweicht werden, sondern nur in Einzelfällen durch Nutzenabwägung.

Padreic
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4485
Registriert: 11.02.2001
Di 19. Nov 2013, 02:54 - Beitrag #23

@Ipsissimus: Ich denke, man muss deinen Gedanken zumindest etwas präzisieren. Jemand, der unter Druck steht, wird sich tendentiell eher über ethische Grenzen hinwegsetzen. Der Druck mag von einem Geldgeber ausgehen, beispielsweise bei einem Industrieprojekt, oder es kann auch ein selbstinduzierter Druck, Forschungsergebnisse um jeden Preis zu erzeugen, sein. In einem industriell-monetären Geflecht mag der Druck größer sein, aber das sind graduelle Unterschiede. Ethische Grenzen bzgl. Tierversuchen und dergleichen kann der aus Neugier forschende genauso brechen. Vivisektionen in medizinischen Lehrveranstaltungen wären ein Beispiel.

Die Gründe, warum man an einer Sache forscht, sind üblicherweise komplex. Auch Drittmittel von DFG und dergleichen können einen Druck ausüben, an "populären" Sachen zu forschen. Das kann aber auch der Wunsch nach Anerkennung erzeugen. Forschung als bloße Neugier eines Individuums in Reinform ist eine Abstraktion oder ein Sonderfall. Nichtsdestotrotz ist man als Mathematiker üblicherweise schon sehr frei in der Wahl seiner Forschung. In den USA kann (oder konnte) das sogar für militärfinanzierte mathematische Forschung passieren, geschuldet durch ein Übermaß an Mittel in Militärtöpfen.

Darüberhinaus sehe ich sicherlich nicht prinzipiell unethisches, seine Forschungsrichtungen an Mittel aus der Wirtschaft zu koppeln:
1) Häufig sind das Themen, die konkreten Nutzen bringen können. Direkt einem Unternehmen, indirekt aber auch weiteren Kreisen. Das kann man über vieles in der Grundlagenforschung (inkl. meiner eigenen Forschung) nicht sagen.
2) Man kann nicht erwarten, dass man einfach machen kann, was man will und einem das finanziert wird. Das wird schon für erstaunlich viele Leute gemacht (ich verstehe jedenfalls nur teilweise, warum meine mathematische Finanzierung von staatlicher Seite finanziert wird). Es ist in heutiger Zeit schon eine sehr viel größere Zahl von Leuten in recht freier Forschung beschäftigt als in den Jahrhunderten zuvor.

Bei militärischer Forschung mag es heikler sein, aber ich sehe darin nichts prinzipiell verwerfliches, es sei denn, man würde, ein Militär zu haben als etwas verwerfliches sehen. Ich bin froh, dass Deutschland ein Militär hat (wo eine generelle Entwaffnung der Welt nicht realisierbar scheint). Mithin kann es auch nicht prinzipiell verwerflich sein, dafür zu arbeiten, beispielsweise als forschender. Deswegen finde ich Initiativen, militärische Forschung aus Universitäten zu verbannen, auch eher albern.

In die gleiche Kerbe schlägt der Umstand, dass es in vielen Fachbereichen längst selbstverständlich ist, dass, wer nicht imstande ist, die Finanzierung für seine Forschung aufzutreiben, eben nicht forschen kann.
Das ist eine Tautologie.

Also, liebe Forscher, überlasst die Ethik getrost der PR, die verstehen wenigstens was davon und geben den offiziellen Stellungnahmen den Klang der echten, authentischen Betroffenheit, und arbeitet ihr neugierig weiter am Untergang der Menschheit
Als Forscher kann man genauso ethisch oder unethisch sein, wie jeder andere auch, nur dass man, wohl möglich, wenn auch nicht notwendig, anderen Problemen gegenüber tritt. Das gleiche Statement könntest über fast jede Branche machen. Ich habe wenig Hinweise darauf, dass sich Forscher generell nicht um ethische Fragestellungen kümmern würden.

Edit: Ich möchte nochmal betonen: Dass Forschung heute nur noch dem Nützlichkeitsparadigma unterliegt, ist sicherlich eine Legende. Das mag ein Aspekt sein, der in den Vordergrund rückt, aber allein die vielen reinen Mathematiker, die der Staat beschäftigt und finanziert, belegen das Gegenteil. Ich finde es vielmehr verwunderlich, wie viel Geld der Staat ausgibt für Forschung von fragwürdiger Nützlichkeit. Vielleicht sollte man mal dem Bund der Steuerzahler stecken, was die Mathematiker so machen ;). 'Perverse Garben' dürften in ihrer PR-Tauglichkeit fast ungeschlagen sein ;).

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Di 19. Nov 2013, 10:56 - Beitrag #24

Iih, mit Schweinkram beschäftigt ihr euch also auch noch, und das aus Steuergeldern? :pro:

Ich habe wenigstens das befriedigende Gefühl, daß meine Forschungstätigkeit - außer volkswirtschaftlich gesehen - keinen Schaden anrichtet, ethisch ist so gesehen also alles in Ordnung^^ - abgesehen davon, daß ich für etwas, das ich gern tue, Steuermittel bekomme, die von Leuten stammen, die teilweise vermutlich weniger zufrieden mit ihrem Beruf sind. Zum volkswirtschaftlichen Schaden wäre hinzuzurechnen, daß ich anderen Forschern für ihre Tätigkeitsfelder, deren wirtschaftlicher Nutzen nur über Brückenkonstruktionen erklärt werden könnte (im Sinne von: [trägt ganz am Rande bei zu] Kultur -> Tourismus; Kultur -> Lebensqualität -> Produktivität), Material zum Weitermachen (oder schlimmer noch, für neue Förderungsanträge) bereitstelle.

Aber ja, natürlich ist das notwendig. Es ist Aufgabe der Bibliotheken, unser historisch-kulturelles Erbe zu verwahren und zugänglich zu machen; es ist Aufgabe geisteswissenschaftlicher Forschung, es zu interpretieren und Zusammenhänge sichtbar zu machen, die uns helfen, Teile unserer Identität zu hinterfragen und besser zu verstehen. Nur lassen sich diese hehren Ziele im Einzelfall kaum erkennen, geschweige denn deren Gewichtigkeit jemandem gegenüber rechtfertigen, der nicht geneigt ist, sich auf diese Argumente einzulassen, sei es aus völligem Desinteresse (das wohl tatsächlich von einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird) oder aus der Überzeugung heraus, daß die entsprechenden Gelder z.B. im Straßenbau besser verwendet wären.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 19. Nov 2013, 14:58 - Beitrag #25

Traitor, deine Antwort empfinde ich ein bisschen nach dem Motto Tiere werden sowieso wie ein Stück Dreck behandelt, dann ist es auch für die Forschung okay

ganz grundsätzlich lauern ethische Fragestellungen auch an Stellen, wo man sie nicht vermuten sollte^^ "Ist zwar nur eine kleine Optimierung, spart über´s Jahr gesehen aber fünf Arbeitsplätze ein"^^


Jemand, der unter Druck steht, wird sich tendentiell eher über ethische Grenzen hinwegsetzen.
Das mag im Einzelfall so sein, Padreic. Im Allgemeinen schätze ich die Situation aber eher so ein, dass sich Forscher kaum über ethische Implikationen Gedanken machen, nach dem Motto, was ich nicht messen kann, gibt es nicht. Damit dürften 90% des Forschungsalltags abgedeckt sein, und wenn derartige Fragen überhaupt mal relevant werden, greifen für die restlichen 10% andere Antwortmuster.

Die Gründe, warum man an einer Sache forscht, sind üblicherweise komplex.
Kann sein. Vielleicht ist mein Denken unterkomplex. Aber wenn ich die Gründe betrachte, warum deutsche Forschungsgesellschaften forschen, kann ich das mit einem Satz zusammen fassen: weil es Geld bringt. Natürlich gibt es auch Websites, in der über hehre, teilweise staats- oder gesellschaftstragende Motive und ethische Grundlagen fabuliert wird. Mag sein, deren PR glaubt das wirklich^^ **meine Kollegen von der PR hier betrachte** okay, also selbst die PR glaubt das nicht, zumindest nicht die alten Zyniker jenseits der 30^^

Bei Mathematik weiß man nie, wozu sie nicht irgendwann mal nütze ist, von daher sind die vielen Mathematiker wohl eine Investition in die hoffnungsvolle Zukunft. Ähnliches gilt wohl für viele Grundlagenforschungen und auch für "komplex motivierte" Forschungen. Anders gesagt, das ist strategische Forschung.

Wenn du froh darüber bist, dass es Militär gibt, kann es theoretisch immer noch prinzipiell verwerflich sein, dass es Militär gibt, nur für dich ist das dann anders^^ ich bin nicht froh, dass es Militär gibt^^


jo, Lykurg, und das ist wohl der Grund, weswegen sich Geisteswissenschaftler immer wärmer anziehen müssen, es sei denn, sie hätten Nischen gefunden

Padreic
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4485
Registriert: 11.02.2001
Mi 20. Nov 2013, 03:35 - Beitrag #26

@Ipsissimus:
Die meisten Leute verhalten sich im großen und ganzen ihrem sozialen Umfeld entsprechend und darüberhinausgehende ethische Betrachtungen machen sie nur ausnahmsweise. Meiner Erfahrung und Einschätzung nach, machen sich Forscher nicht weniger Gedanken über Ethik als andere Leute, eher mehr, da sie sich allgemein eher mehr Gedanken machen [was nicht heißt, dass sie mehr Taten folgen lassen]. Bei den anderen Leuten sollte man dabei Leute ausnehmen, die hauptberuflich ethisch sind.

Kann sein. Vielleicht ist mein Denken unterkomplex. Aber wenn ich die Gründe betrachte, warum deutsche Forschungsgesellschaften forschen, kann ich das mit einem Satz zusammen fassen: weil es Geld bringt.
Was verstehst du unter deutschen Forschungsgesellschaften?

Bei Mathematik weiß man nie, wozu sie nicht irgendwann mal nütze ist, von daher sind die vielen Mathematiker wohl eine Investition in die hoffnungsvolle Zukunft. Ähnliches gilt wohl für viele Grundlagenforschungen und auch für "komplex motivierte" Forschungen. Anders gesagt, das ist strategische Forschung.
Sachen, wo man nicht weiß, wofür sie mal nütze sein können, strategische Forschung zu nennen, klingt doch arg nach PR ;). Vom Nützlichkeitsaspekt ist reine Mathematik im besten Fall mögliche Grundlagenforschung für Grundlagenforschung. [Auch wenn sich viele Mathematiker gar nicht so sehen: Sie sehen sich häufig mehr als Geisteswissenschaftler, zumindest aber nicht als Dienstleister für die Naturwissenschaften.] Abgesehen von Aspekten, zur Ehre des menschlichen Verstands zu forschen, könnte ich es durchaus verstehen, wenn man sagt: "Weniger Geld für die Mathematik und mehr Geld für die Krebsforschung (oder den Straßenbau oder die Bereitstellung von sauberen Trinkwasser in dritte-Welt-Ländern)."

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mi 20. Nov 2013, 10:59 - Beitrag #27

Was verstehst du unter deutschen Forschungsgesellschaften?
Helmholtz, Max Planck, Fraunhofer, Leibniz und eine Reihe kleinerer und spezifischerer Institutsverbünde.

Nicht aber die DFG, weil die, soweit mir bekannt, nur finanziert, aber nicht selbst forscht. Deren Mittel empfinde ich übrigens auch nicht als Drittmittel.

Mag sein, dass mein Blick auf die Mathematik zu idealistisch ist, dann wahrscheinlich von alter Sehnsucht getrübt - ich habe es mir nie verziehen, keine Mathematik studiert zu haben^^ trotzdem glaube ich auch sachlich, dass Mathematik eine conditio sine qua non aller Naturwissenschaft und damit ihre Förderung per se gerechtfertigt ist.

Padreic
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4485
Registriert: 11.02.2001
Mi 20. Nov 2013, 17:30 - Beitrag #28

Ich denke, es ist hier nicht dienlich Helmholtz-, Max-Planck- und Frauenhofer-Institute über einen Kamm zu scheren. Bei Frauenhofer-Instituten ist mehr als 80% des Forschungsvolumens sogenannte Vertragsforschung (meist vermutlich Verträge mit Unternehmen, teilweise auch mit Militär oder aber auch Software-Entwicklung für öffentliche Verwaltung). D.h. dem Design nach machen Frauenhofer-Institute überwiegend Auftragsforschung und wenn sie keine Aufträge oder Verträge bekommen, haben sie kein Geld. Insofern ist es sicherlich nicht ganz falsch zu sagen, dass sie bloß für Geld forschen.
Die Lage ist etwas anders bei Helmholtz- und deutlich anders bei Max-Planck-Instituten. Zwei Drittel des Etats von Helmholtz-Instituten wird direkt von Bund und Ländern getragen, nur der Rest sind Drittmittel, wobei durchaus noch DFG-Mittel dabei sein dürften. Bei Max-Planck habe ich keine genauen Zahlen, schätze aber, dass 90% direkt von öffentlicher Hand finanziert werden. Ich kenne das Max-Planck-Institut für reine Mathematik in Bonn ganz gut und zu sagen, dass sie nicht nur für Geld forschen, würde wohl den falschen Eindruck vermitteln: In der alltäglichen Forschung spielt Geld einfach quasi keine Rolle und gibt auch nicht die Richtung der Forschung vor. Wenn es Orte der reinen Forschung gibt, sind es wohl die Max-Planck-Institute.

Mag sein, dass mein Blick auf die Mathematik zu idealistisch ist, dann wahrscheinlich von alter Sehnsucht getrübt - ich habe es mir nie verziehen, keine Mathematik studiert zu haben^^ trotzdem glaube ich auch sachlich, dass Mathematik eine conditio sine qua non aller Naturwissenschaft und damit ihre Förderung per se gerechtfertigt ist.
Für weite Teile der Naturwissenschaften (abgesehen von manchen Teilen von Biologie und Chemie wohl) ist Mathematik sicherlich essentiell. Ich wollte nur sagen, dass sich Mathematiker nicht als Dienstleister für die Naturwissenschaften sehen und ihre Forschung zum (aller)größten Teil wohl niemals direkten Nutzen für Naturwissenschaft oder Technik haben wird, sondern, trotz häufiger Anfangsmotivation durch Physik oder, früher, durch Geodäsie und Astronomie, letztlich vom Interesse an der Reichhaltigkeit der Strukturen und unserer Neugier darauf selbst getragen wird. Ich finde es seltsam, dass du eine primäre Dienstleisterrolle als idealistischer betrachten würdest ;).

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
Mi 20. Nov 2013, 22:27 - Beitrag #29

Zitat von Ipsissimus:Traitor, deine Antwort empfinde ich ein bisschen nach dem Motto Tiere werden sowieso wie ein Stück Dreck behandelt, dann ist es auch für die Forschung okay
Das ist zu vereinfachend wiedergegeben. Es mag Behandlungen geben, die gar nicht zu rechtfertigen sind. Wenn aber die aktuelle Behandlungsweise im allgemeinen als mit Konsumgelüsten und wirtschaftlichen Erwägungen rechtfertigbar gilt, dann ist Forschung mit Sicherheit keine schlechtere Rechtfertigung. Das sagt nichts darüber aus, ob es absolut gesehen "okay" ist. Aber das besondere Einschießen mancher Aktivisten auf die Forschung ist eben albern, wenn man Quervergleiche zieht.
Man könnte allerdings sagen, dass zwar nicht die Wissenschaft an sich aus ihren Grundmotiven heraus, aber die Wissenschafler persönlich als sich für besonders reflektiert reklamierende Kaste eine moralische Verpflichtung haben, in Sachen Tierschutz mit leuchtendem Beispiel vorauszugehen, obwohl die statistisch weit relevantere wirtschaftliche Tierhaltung nicht mitzieht.

Zitat von Ipsissimus:ganz grundsätzlich lauern ethische Fragestellungen auch an Stellen, wo man sie nicht vermuten sollte^^ "Ist zwar nur eine kleine Optimierung, spart über´s Jahr gesehen aber fünf Arbeitsplätze ein"^^
Das ist tatsächlich eine Fragestellung, der man sich zumindest implizit gestellt haben muss, bevor man Ingenieurswissenschaftler oder derartiges wird. Sicher forscht in diesen Bereichen kaum jemand, der Automatisierung und Einsparung altmodischer Arbeitsfelder nicht als ethisch begrüßenswert ansieht.

Zitat von Ipsissimus:Aber wenn ich die Gründe betrachte, warum deutsche Forschungsgesellschaften forschen, kann ich das mit einem Satz zusammen fassen: weil es Geld bringt.
Die sehr viel erschreckendere Wahrheit: sehr oft wird in erster Linie geforscht, weil Geld da ist. ;)
(Ansonsten siehe Padreic.)

@Padreic zum Selbstverständnis von Mathematikern als Nicht-Dienstleister: in Teilen der Probabilistik und Numerik sieht das anders aus, für die meisten Gebiete hast du aber sicher Recht.

Zitat von Padreic:Bei militärischer Forschung mag es heikler sein, aber ich sehe darin nichts prinzipiell verwerfliches, es sei denn, man würde, ein Militär zu haben als etwas verwerfliches sehen.
Nein, dieses "es sei denn" ist kein eindeutiger Schluss. Man kann auch die Existenz eines Militärs unverwerflich finden, jedwede Einflussnahme des Militärs auf die Zivilgesellschaft (inkl. der Forschung) aber verwerflich.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Do 21. Nov 2013, 11:22 - Beitrag #30

Ich stelle individuelle Motivation der Wissenschaftler gar nicht in Frage, auch wenn es da sicher eine erhebliche Bandbreite gibt. Aber Förderung wird heute nach Relevanzkriterien gewährt. Dann sei als Wissenschaftler mal neugierig auf etwas, das auf kein Relevanzkriterium verweisen kann.

Wenn aber die aktuelle Behandlungsweise im allgemeinen als mit Konsumgelüsten und wirtschaftlichen Erwägungen rechtfertigbar gilt, dann ist Forschung mit Sicherheit keine schlechtere Rechtfertigung.
natürlich, das sehe ich genau so^^ Wenn es als rechtfertigbar gilt, dann ist auch Forschung eine Rechtfertigung. Und wenn ein Forscher mit der Mentalität eines Masthähnchen-Züchters klar kommt, dann bedarf es auch keines weiteren Gedankens^^ und wenn die anderen es so machen, dürfen wir es auch so machen, denn deren ethische Maximen sind auch unsere^^

Padreic
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4485
Registriert: 11.02.2001
Fr 22. Nov 2013, 03:32 - Beitrag #31

@Traitor
@Padreic zum Selbstverständnis von Mathematikern als Nicht-Dienstleister: in Teilen der Probabilistik und Numerik sieht das anders aus, für die meisten Gebiete hast du aber sicher Recht.

Dass die angewandten Mathematiker sich häufig an Anwendungen orientieren, ist in der Tat korrekt ;).

Nein, dieses "es sei denn" ist kein eindeutiger Schluss. Man kann auch die Existenz eines Militärs unverwerflich finden, jedwede Einflussnahme des Militärs auf die Zivilgesellschaft (inkl. der Forschung) aber verwerflich.

Nicht konsistenterweise, denke ich. Wo soll denn das Militär beispielsweise ihrere Gewehre und ihre Panzer, meinetwegen auch nur ihre Matratzen und Uniformen herbekommen? Sie geben sie bei zivilen Fabriken und Unternehmen in Auftrag. Für die Effektivität des Militärs ist Weiterentwicklung wichtig -- bei diesen Aufträgen sind also auch Forschungsaufträge dabei. Innerhalb der Waffenfabrikanten wird diese ohnehin stattfinden. Der Unterschied in der Universität ist nur, dass sie öffentlicher ist. Ich stimme allerdings vollkommen zu, dass ein wesentlicher Einfluss des Militärs auf eine normale Universität unschön und möglichst zu unterbinden wäre. Wenn aber 1% der Forscher an der Uni teilweise auch für das Militär forschen, kann ich durchaus damit leben.

Ich selbst habe am liebsten möglichst wenig mit Militär und dergleichen zu tun. Der Anblick von Bewaffneten oder Uniformierten ist mir unangenehm. Mir selbst wäre es auch etwas unangenehm vom Militär finanziert zu werden (wie es in der Vergangenheit zumindest in Frankreich auch in der reinen Mathematik geschehen konnte). Das heißt nicht, dass ich es für verwerflich halte oder andere Leute davon abhalten will, für das Militär zu arbeiten.
Ich sehe das so ähnlich wie mit Schlachtern. Ich esse Fleisch, sogar nicht wenig. Bevor ich mich über Schlachter empöre, sollte ich sicherlich mit meinem Fleischkonsum aufhören oder ihn zumindest stark einschränken. Trotzdem empfinde ich eine gewisse Abscheu davor, ein (Wirbel-)Tier zu töten oder auch nur etwas damit zu tun zu haben.
Mein Wohl- und Unwohlfühlen sind legitime Maßstäbe um mein eigenes Verhalten zu steuern, nicht aber um anderen Leuten Moral zu predigen.

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4280
Registriert: 25.12.2001
Fr 22. Nov 2013, 18:58 - Beitrag #32

Zitat von Traitor:Zudem kommt der Großteil der Forscher außerhalb der Biologie, in geisteswissenschaftlichen oder naturwissenschaftlich-grundlagennahen Bereichen, sehr selten überhaupt an ethische Fragestellungen.

Das sehe ich aber anders. Gerade im geisteswissenschaftlichen Bereich gibt es immer wieder ein Drang zu Ideologisierung.
Da gibt es auch Dinge, die nicht erforscht werden dürfen. Es besteht Tabus und Denkverbote und natürlich Dogmen, an denen nicht gerüttelt werden darf.
Es natürlich kein schwerwiegendes ethisches Problem, ob man den Bodensatz politischer Korrektheit verlassen darf oder nicht, aber es ist eins.

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
So 24. Nov 2013, 13:32 - Beitrag #33

Zitat von Ipsissimus:Aber Förderung wird heute nach Relevanzkriterien gewährt. Dann sei als Wissenschaftler mal neugierig auf etwas, das auf kein Relevanzkriterium verweisen kann.
Warum "heute"? Auch (ganz) früher konnte nur forschen, wer einen Gönner fand oder selbst reich genug war, seine irrelevante Neugier zu befriedigen. Heute kann halt nur forschen, wer einen institutionalisierten Geldgeber findet (verständlicherweise an Relevanz geknüpft, die Frage sind nur die Kriterien) oder selbst reich genug ist (aber gibt es noch irgendwen, der reich ist und forscht?). Am besten war es noch "zwischendurch", zur Hochzeit der festen Stellen im Mittelbau, als mehr Forscher nach anfänglicher Relevanzprüfung der eigenen Gesamtforschungsrichtung später nicht mehr jeden Einzelfall prüfen lassen mussten.

Zitat von Ipsissimus:und wenn die anderen es so machen, dürfen wir es auch so machen, denn deren ethische Maximen sind auch unsere
Eben das gilt es zu hinterfragen - aber das ist keine Frage nach "der Wissenschaft", sondern an jeden einzelnen Wissenschaftler.

@Padreic: Es wäre durchaus denkbar, dass das Militär eine komplette Parallelwirtschaft für seinen Beschaffungsbedarf aufzieht. Wünschenswert aber auch aus Perspektive eines Fundamentaltrenners wohl nicht, da damit letztlich mehr Menschen unter direkter Kontrolle des Militärs landen. Ich denke aber schon, dass sich das "konsistent" denken lässt - nur vernünftig ist es nicht.
Einen Beitrag zu Forschungsbudgets halte ich auch nicht grundsätzlich für verwerflich. Die Gefahr unangemessener Einflussnahme ist vermutlich sogar geringer als bei Geldgebern aus der Wirtschaft. Es sollte vor allem darauf geachtet werden, dass die Militäraufträge in keinem Fachbereich oder auch nur Forschungsthema stark überwiegen - sodass sichergestellt bleibt, dass ein Student, der aus Gewissensgründen grundsätzlich nicht an einem Militärauftrag arbeiten will, in seiner Themenauswahl nicht eingeschränkt wird.
Gleichzeitig sind wohl viele dieser Aufträge so angewandt, dass man sich, unabhängig von ihrer Quelle, eh fragen kann, was die an Unis zu suchen haben.

@Maglor: Das sind aber eher individualethische Fragen - "Was mute ich mir selbst zu?" - als gesellschaftlich relevante - "Welche Folgen entstehen für andere aus meiner Forschung?". Gegenbeispiele wären vielleicht historische Forschungen zur Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, bei denen abzuwägen ist, wieviel Wahrheit man Tätern, Opfern und deren Nachfahren zumuten will. Aber die würde ich, analog zum Ingenieurs-Optimierungs-Beispiel, eher beim Ergreifen des Karrierewegs als beim einzelnen Forschungsvorhaben ansetzen - als Forscher hat man sich nunmal der Wahrheit verpflichtet. Die verbleibenden ethischen Fragen sind dann vor allem die, was man tun darf, um an die Wahrheit zu kommen - nicht die, was aus einer Wahrheit folgt.

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4280
Registriert: 25.12.2001
So 24. Nov 2013, 21:53 - Beitrag #34

Zitat von Traitor:@Maglor: Das sind aber eher individualethische Fragen

Eine rechtes Wort im falschen Ohr über den Islam bedeutet vielleicht hunderte Tote. Von der praktischen Seite sollte man darüber gedanken machen, wie man auf Angriffe mit Handbeilen reagieren würde.
Es gibt Themen die einfach nur Sprengstoff sind. Sie sind so gefährlich, dass sie nur solche Quartalsirren wie Thilo Sarrazin anpacken dürfen.

Vorherige

Zurück zu Wissenschaft & Technik

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 5 Gäste