Geschichten des Augenblicks

Gemeinsam Welten und Figuren erfinden - Fortsetzungsgeschichten zum Mitschreiben.
Ceyx
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Do 26. Aug 2004, 00:11 - Beitrag #61

Die Welt, sie liegt still da, so still, wie seit tausenden von Jahren nicht mehr. Du stehst da, inmitten von fallenden Flocken, eisig kalte, wie Schnee, doch du weißt, dass sie Asche sind. Trümmer liegen da, zu deinen Füssen und nur die letzten, flackernden Flammen durchbrechen die Stille.
Dies war also das Ende gewesen, so wird es dir langsam klar und du weißt nicht, ob du es ein bitteres Enden nennen sollst. Du seufzst tief. Es war so anders gewesen, so unendlich anders, als du dir je vorgestellt hattest.
Aber irgendwie gefällt dir die Welt, so wie sie ist. So still und friedlich. Und die Asche, die wie Schnee, viel zu leichter Schnee umher wirbelt und den Boden mit einer lockeren Schicht bedeckt. Das merkwürdigste jedoch ist, dass die Welt nicht nach Untergang riecht. Du riechst keinen Rauch und kein Blut, nein, dir ist, als würdest du den frischen Duft einer blühenden Wiese riechen.
Ob du dir das nur einbildest?

Lange Zeit stehst du nun schweigend da und betrachtest die Trümmer, versuchst, sie in deinem Kopf wieder heil zu machen, versuchst, sie wieder zu hohen Häuser zusammen zu fügen, Häuser, die wie unheilvollschwere Türme gen Himmel sich recken. Ob Gott wohl das Ende geschickt hat?
Ein Lächeln huscht über deine Lippen. Fragen, so viele Fragen. Doch gab es auf der Welt noch einen Menschen, der sie beantworten könnte? Gab es noch jemanden, den diese Antwort interessieren würde?
Endlich gehst du weiter, vielleicht auch nur, weil deine Beine kalt sind, vielleicht auch, weil du Hunger hast. Jemand hat mal zu dir gesagt, lange bevor der Untergang alle mit sich gerafft hat, denkst du, während du einen gebrochenen Finger wieder zurechtrückst, jemand hat gesagt, das Leben, alle Leben zusammen genommen, wären eine Geschichte, die nie enden fortschritt, und alle, jedes Lebewesen, wäre ein Teil dieser Geschichte. Sah so aus, als hätte diese Geschichte, wahrscheinlich die grösste Geschichte der Menschheit ein Ende gefunden. Ein würdiges Ende. Den Tag des Jüngsten Gericht. Ja, du glaubst dich zu erinnern, so würde man es nennen, wenn dieser Untergang von Gott geschickt worden war.
Du stolperst über einen hervorstehenden, fahl schimmernden Balken und fällst nach vorne hin. Scharfkantige Splitter bohren sich durch deine Haut und ein langer, spitz zulaufender Metallstreben bohrt sich durch deinen Bauch, in deinen Magen, welcher er lässig durchsticht, erst der harte Knochenbau deiner Wirbelsäule kann ihn aufhalten.
Die Toten würden aus ihren Gräben kommen und alle würden sie zum Ort des Gerichtes kommen, wo ihre Strafe bestimmt würde. Manche sollten brennen, für alle Sünden, die sie während ihres Lebens begangen hatten, andere gingen in den Himmel ein, wo Glückseligkeit auf sie wartete.
Und für alle würde Gott eine Strafe finden, eine Strafe die ihrer würdig war.
Langsam stemmst du dich wieder hoch. Der Streben zieht sich qualvoll schmatzend aus deinem Körper zurück, hinterlässt ein klaffendes Loch. Wiederum seufzst du, bevor du deinen Weg schweigend fortsetzst.
Dich, Wanderer, dich, letzter Mensch auf Erden, hat Gott mit der Gabe der Unsterblichkeit gesegnet.

Amy
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Do 26. Aug 2004, 20:04 - Beitrag #62

Tränen. Gläserne Träne. Sie tropfen von meinen roten Wangen, drücken meinen Schmerz aus. Drücken die Verwirrung, die Angst in mir aus. Am Liebsten verkriechen, wie eine Schnecke. Am Liebsten sterben.. Ich stolpere durch das hohe Gras, spüre die Tränen in meinen Augen, den Regen auf meinem Gesicht. Ich spüre die Kälte, die mich zittern lässt. Die Kälte um mich herum. Die Kälte in mir. Es würde nichts nützen, auf die Knie zu fallen, zu fluchen und jene zu verdammen, die andere verheiligen. Es würde nichts nützen. Absolut nichts. Alleine. So alleine. Mein Schuh ist so billig, dass er nur noch von Wasser trieft. Meine Füße frieren, als die Socken durchnässt und sie sie nun verwundbar sind. Es ist so kalt, nicht wahr? Meine Augen scheinen mir so blind. Dass, was ich eins dachte, zu sehen, war alles nur Fiktion. Bilder, die ich mir ins Gedächtnis rufte, denen ich befahl, mich zu täuschen. Ich kann nicht mehr. So kalt. In mir drinnen. Ein Stöhnen, die letzten Tränen tropfen von den Wangen, vermischen sich mit dem Regen. Sie werden eins. Und ich falle, falle in das hohe Gras. Spüre den Regen an mir haften. Nein. Ich fiel nicht in Gras. Ich fiel in ein dunkles Loch. Ein Loch, das mit Erde gefüllt wurde, mich begrub. Das mir die Luft nahm, den Willen, zu Leben. Das mir alles nahm, was ich noch hatte.
Der Mund voll mit schwarzer Erde, die Augen blind vor Dreck. Die Finger wund vom Graben. Die Füße bereits tot. Es ist so kalt. So kalt in mir. Und es gibt niemanden, der mich aus dem Grab befreit, mich in den Arm nimmt und mir die Tränen wegwischt. Niemanden, der mir Halt gibt. Niemanden, der die Kälte nimmt. Die Kälte in mir.

Melianawe
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Mo 18. Okt 2004, 19:17 - Beitrag #63

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Hab mal wieder dagesessen und meine Räucherkerzen angestarrt... Die müssen das Bewusstsein verändern ><
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Schwarzverschleiert lag er vor mir, der Nachthimmel. Eine Wand aus niemals endender Dunkelheit, nur durchsetzt von einigen wenigen Sternen, schillernden Fragmenten in der Existenzlosigkeit. So weiß, schön wie Kristalle auf dem Kleid einer im Mondlicht tanzenden Elfe. Ich weidete mich an dem Anblick – erneut. Wie oft saß ich bereits hier, wie oft betrachtete ich bereits das Schauspiel der Dämmerung, das Sinken der so grellen Sonne? Ich liebte das Tagende schon immer, schon seit ich ein kleines Kind gewesen bin. Mit meiner Mutter zusammen hatte ich auf der Bank vor unserem Hause gesessen, bis die letzten Strahlen des wärmenden Flammenballes über meine Knie leckten, meine blasse Haut verließen und sich zurückzogen in ihr Nachtquartier.

Mutter ging dann in die Hütte, um Feuer für den Abend anzuheizen. Ich blieb.

Heute war ich ohne Mutter hier. Erneut. Schon lang habe ich sie verloren. Mutter, Vater, die Hütte, alles. Ich bin allein zurückgeblieben, allein unter dem Mondelfenkleid. Ich klagte nie – warum auch? Ich hatte keinen Grund. Die Ewigkeit gibt und nimmt. Es ist der Kreis der Natur. Es ist Schicksal.

Ich sehe den Weg zurück, den ich gelaufen bin. Nur leicht zeichnen sich meine Stiefelspuren in dem graubraunen Schlick ab, der den Weg inmitten dem Grün kennzeichnet – Farben. Was waren Farben? Auch sie sind nur Illusionen, Fiktion des Verstandes der Menschheit. Wer sagt, das Grün Grün war? Niemand. Es war den Sterblichen einfach nicht gegeben...

Mich fröstelte es, und ich zog meinen weißen Mantel enger. Hier oben, allein mit dem Himmel, den Kristallsternen, fühlte ich mich geborgen. Ich tastete mit meiner Hand nervös in der Tasche meines Umhanges herum – wo waren sie... Ah. Da. Meine Finger schlossen sich um die Box, die, in Leder eingeschlagen, in meiner Kleidung ruhte. Sie waren da. Gut.

So dunkel wie der hinter ihm liegende Himmel glitt ein Falke am Horizont vorbei. Er erinnerte mich an mich selbst. Sein Magen knurrte – ein Schrei entwich dem gekrümmten Schnabel, ein Schrei von Hunger und Verlangen – er war einsam. Ich konnte das alles Spüren, ohne den Falken auch nur aus der Nähe zu sehen. Er war wunderschön. Wie jedes Tier, wie auch jeder Mensch. Wunderschön. Doch in der Gesamtheit nutzlos.

Ich hob den Kopf, als ich Schritte hörte. So. Sie kamen also. Doch ich regte mich nicht, saß still auf der hervorragenden Klippe, allein, die Augen geschlossen. Ich konnte alles noch einmal sehen – das Haus, unser Haus. Mutter. Vater. Meinen ungeborenen Bruder. Den Falken. Das Grün, das vom Braun bedeckt war. Die sich biegenden Weiden. Und Rot. Viel, viel Rot.

Ich mag die Farbe nicht. Rot ist mir zuwider. Es ist so heiß, so feurig und böse. Ich mag die Farbe einfach nicht. Und doch rufe ich sie – und genieße es. Ich lächle, als meine Finger sich um die Box schließen. Rot. So viel Rot.

Die Schritte kommen näher, und ich denke an Christopher. Er war nicht geboren, da war sein Leben bereits vorbei. Er hatte es gut. Er hat nicht gelitten, hat nie das Leben gefühlt, wie ich es erdulden musste. Christopher, danke mir. Du, als Mordopfer, du kamst in das Paradies ohne je den Gürtel ertragen zu müssen. Du bist rein gestorben. Unbefleckt.

Ich werde in der Hölle brennen.

Ich kann hören, dass sie neben mir sind und schwer atmen, ruhelos, doch ich sage nichts. Ich sehe nicht einmal auf. Meine Hand umklammert die Box. Ich zittere leicht – kalt ist es geworden. Die Mondelfe tanzt noch immer, die Kristalle ihres Kleides funkeln vor meinem Inneren Auge – Rot. Alles ist rot.

Als sie meine Arme greifen, wehre ich mich nicht. Sie zerren mich auf die Füße, einer von ihnen greift in meinen Mantel und entwendet mir die Box. „Halt’ sie gut fest!“, hör ich ihn mahnen. Ich reagiere nicht. Ich weiß, dass es kein zurück gibt, von dem Ort, an den sie mich bringen wollen. Der Falke schreit. Es tut mir weh.

Er öffnet die Box – ich höre es. *klick*. Ganz leise. Dann flüstert er „Das ist die Mordwaffe...“ Er wirkt verwirrt. Das ist der Moment, in dem ich die Augen öffne. Verwirrung. So töricht. Mutter und Vater waren auch verwirrt gewesen, als ich vor ihnen stand – als ich sie tötete. Mit einem Ruck befreie ich mich aus ihrer Umklammerung, mache einen einzigen Schritt – einen Satz – über die Klippe. Nur fort.

Ich spüre nicht mehr, dass ich falle. Spüre nicht die Kälte, nicht den Wind. Nur mein Triumph ist noch da. Der Aufprall ist kurz und schmerzhaft, aber schnell vorbei. Ich drehe keuchend den Kopf. Rot... Ich mag die Farbe nicht, und doch – alles ist rot. Ich lächele. Über mir schreit der Falke. Die Mondelfe tanzt, und ihr blutiges Kleid hüllt mich ein. Ich schlafe... Ich schlafe nur... unter der tanzenden Elfe... Für immer.

~~~~~~~~~~~

Wie erstarrt standen die Wachen auf der Klippe, blickten hinab.

„Das Arme Ding...“, haucht einer von ihnen.

„Ja... Sie hat sich in den Tod gestürzt. Sie wollte nicht die Todesstrafe von unserer Hand erhalten. Sie wollte nicht brennen für ihre Sünden...“

Der erste Wachmann nickt leicht, er senkt seinen Blick auf die offene Box – Melancholie liegt darin. Und Trauer.

„...Es waren doch nur Zündhölzer... Nur Zündhölzer.“

JaY
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Mo 18. Okt 2004, 20:16 - Beitrag #64

Es ist nun etwas mehr als eine Stunde her, das was ich schreibe sehe ich immer noch nicht klar.

Ich weiß weder wo ich anfangen soll zu schreiben noch wo es enden soll. In mir herrscht plötzlich eine Leere wie ich sie noch nie zuvor in mir verspürrte. Aus meinem Leben ist das verschwunden was ihm einen Sinn gegeben hat. Ich habe lange gebraucht bis ich wusste was ich will und nun als ich festgestellt habe das es die ganze Zeit vor meiner Nase war, ist es zu spät.

Schon immer in meinem Leben habe ich gekämpf,t habe das Letzte gegeben um mein Ziel zu erreichen, doch nun gebe ich mich zum ersten mal in meinem Leben kampflos geschlagen. Und das nur weil ich möchte das sie Glücklich ist. Ich verstehe es selbst nicht. Doch es ist wie es ist. Ich verzichte auf mein Glück nur das die Person Glücklich ist die mir am Wichtigsten ist. Verstehen tu ich es selbst nicht.

Ich hoffe mein "Opfer" war nicht um sonst. ICh hatte nichts zu verlieren doch gewinnen konnte ich auch nichts. Und so stehe ich nun da mit leeren Händen. Einst hätte ich gekämpft bis zum bitteren Ende doch nun verspüre ich nicht einmal das geringste Bedürfnis danach.

Tränen Rollen mir über die Wangen und verwischen mir die Sicht, meine gedanken sind wild und ungeordnet. Der eine Teil in mir sagt: "HeY, JaY du hast richtig gehandelt, der andere Teil in mir fragt sich wie ich nur so dumm sein kann und mein Glück gehen lassen kann.

So stehe ich hier mit meinem Talent und weiß nicht mehr ...

Chennyboy
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Fr 22. Okt 2004, 22:25 - Beitrag #65

Sie war meine grosse Liebe, vor zwei Jahren.
Ich liebe sie immer noch so, aber ich weiss nicht, ob sie mich verzeihen wird.
Mein Herz flammt immer wieder auf, auch wenn ich sie nur fuer einen Augenblick lang wahrnehme, wie sie am Tisch sitzt und ihre Hausaufgaben macht.
Da faellt mir ein, was ich alles zu ihr sagen koennte, wenn ich sie doch nur in diesem Augenblick sehen koennte.
Doch wenn ich sie sah, dann wusste ich nicht mehr, was ich sagen konnte.
Mein Herz raste blind.
Sie redete mit mir, ihre Stimmen war wie Vogelgesang.
Doch ich wusste nicht was ich reden sollte.
Ich oeffnete mein Mund.
Aus meinem Mund kam aber nicht das, was ich sagen wollte. Nur bloede Gelaechter und dumme Sprueche.
Und so verging es Tag fuer Tag.
Jetzt bin ich entschlossen, sie einzuladen. Doch sie ist wahrscheinlich noch bei ihren Grosseltern.
Mein Herz rast.
Ich weiss nicht, was ich noch erzaehlen soll.
Also hoere ich auf.

Ceyx
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Do 28. Okt 2004, 23:00 - Beitrag #66

Es ist ein sicherer Weg, glaub mir.

Ich bin ihn selbst gegangen, glaub mir.

Es gibt nichts, was dir geschehen könnte, so glaub mir doch.

Vertrau mir. Komm mit mir und gib mir deine Hand, ich werde dich führen, in ein Land, fern, fern von hier, jenseits deiner Träume und deiner Gedanken, wo du frei sein kannst, wie du es immer wolltest.

Der Preis, den du bezahlst...
Gib die Münze dem Fährmann, er soll dich führen, und sicher geleiten.
Es ist ein sicherer Weg.
Diese Decke wird dich warm hallten, hüll dich gut ein.
Ich warte hier auf dich, warte.
Am Ende des Weges, den ich selbst gegangen bin, warte ich.

Will deine Hand halten, wie zuvor.
Will deinen Atem spüren, wie dereinst.
Küss mich, wenn du ankommst, wo ich auf dich warte, im Land jenseits vom Leben.

Auf der anderen Seite der Hölle...

Hab ich gerade eben geschrieben, so ein Bündel von wirren Gedanken gehüllt in Worte.

Ceyx
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Do 4. Nov 2004, 12:04 - Beitrag #67

Regen, der fällt,
und, die Sonne, die scheint,
Schnee, die Welt bedeckend,
und, Wind, der weht.

Sie alle sagen mir,
es ist vorbei,
vorbei, flüsternd,
schillernd in tausend Formen.

Zeit, die vergeht,
und, Fleisch, das zerfällt,
Staub, auf Strahlen tanzend,
und, ein Kreuz, das vergeht.

Sie alle sagen mir,
es ist vorbei,
vorbei, flüsternd,
schillernd, in tausend Formen.

Ich sage dir, vielleicht eines Tages,
am Ende dieser Welt,
vielleicht eines Tages,
werden wir uns wiedersehen.

Doch nun, sag mir,
es ist vorbei,
flüstere vorbei,
und schillernd, in voller Pracht,

...wird dies sein Ende finden.

Amy
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Mo 8. Nov 2004, 14:42 - Beitrag #68

Es war abend. Stiller Abend. Alles war in Stille gehüllt. Nur sie war nur noch auf den Straßen und fühlte die Leere und Einsamkeit, die sich in ihren Leib fraß und sich wie Parasiten einnistete. Es war sinnlos zu fliehen, sinnlos einfach loszurennen und sich die Seele aus dem Leib zu schreien. So sinnlos. Es würde sie ja dennoch niemand hören. Wie immer. Ihr ganzes Leben lang hatte sie versucht, so zu sein, wie andere sie wollten: nett, intelligent, witzig und hilfsbereit. Aber sie hatte es satt. Denn man schenkte ihr auch keine Liebe.. Der Wind glitt lautlos über den Asphalt und fegte weg, was im Weg war. Er nahm die Blätter an der Hand und führte sie zu einen Ort, wo er sie beschützte, wo sie sicher waren. Sie folgte ihm. In der Hoffnung, auch Schutz zu finden. Natürlich war ihr bewusst, dass sie keinen Schutz bekommen würde. Aber was war gegen einen Versuch einzuwenden?
Sie fröstelte leicht und schlang die Arme um den Leib. Ihr Schluchzen war das einzige Geräusch in der Luft. In der Luft, die nach Abgasen stank und verbrannten Gummi. Ihre Schuhe gaben bei jedem Schritt ein leises Geräusch von sich. Wasser schwappte aus den Schuhen. Sie war bis oben hin naß. Aber es störte sie nicht. Ja. Nun störte sie nichts mehr. Es würde alles enden. Sie blieb stehen und lächelte leicht. Es war lediglich ein Zucken um den Mundwinkel. Aber der Wind sah es und zog ohne sie weiter. Aber er lächelte zurück. Sie drehte sich um und begann zu laufen. Obwohl ihre Schuhe soviel schwerer waren. Ihre Hand glitt zu dem roten Haar und rissen den Haargummi herunter. Sie breitete die Arme aus und blickte zum Himmel hoch. Sie war frei.
Als sie bei der Brücke ankam, von der sie einige Stunden zuvor gesprungen war, stellte sie sich wieder auf das Geländer. Ja. Endlich frei. Sie atmete tief ein und schloss die Augen. Sie ließ ihr Gewicht nach vorne fallen und bemerkte nicht, wie ihr Körper unterging, wie das Brennen in ihrer Brust so unendlich schmerzhaft wurde. Wasser füllte ihren Mund und der Wille ließ ihren Arm zucken und wollte sie am Leben behalten, doch diesesmal kämpfte sie an. Solange bis der Wille nur noch klein war und der Wunsch nach Erlösung gewachsen war. Diesesmal würde sie nicht wieder auftauchen. Wieso auch? Ihre Lungen gingen über mit Wasser und die Augen brannten. Der fahle Schein der Straßenlaternen entfernte sich. Ein anderes Licht ging auf. Hüllte sie ein und wärmte sie. Sie öffnete ihre grünen Augen und streckte ihre Hände dem Licht entgegen..
Sie wusste, dass sie tot war. Nein. Nicht wirklich. Sie wusste, dass sie in einer anderen Welt nun, in wenigen Momenten, die Augen aufschlagen würde, ein neues Leben beginnen würde.
Aber da war nur Dunkelheit.
Und er. Der Engel mit den schwarzen Federn, der sie von weitem anblickte. Und das genügte ihr.

Ceyx
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Do 18. Nov 2004, 12:06 - Beitrag #69

Ein Strahl der Sonne ist heut durch mein Fenster gebrochen,
hat tanzend Schnee durch den Wind gescheucht,
und als ich sah, wie die Welt glitzernd lächend,
vor meinen Augen verschwam,
meinte ich ein Flüstern zu vernehmen,
ein Versprechen hinter meiner Schulter,
dass alles gut sein würde...

Keine Tränen mehr, keine Angst...

Ich hatte mich umgedreht, frierend,
und war allein, wie zuvor,
das Lächeln schwand von meinen Lippen,
zerfor zu einer Träne, ein Eistropfen,
der splitternd klirrend am Boden zersprang,
mein alter Dämon kehrte zu mir zurück,
Feuerflügel umarmend verbrannten mich.

Er erzählte mir von der Wahrheit,
dass jede Träne in der Dunkelheit,
gespendet, verschwendet,
eine Träne der Einsamkeit wäre,
dass jeder frohe Moment, jeder Sonnenstrahl,
gezollt wird mit tausend Flecken der Seele.
Ich wollte ihm nicht glauben...

Ich wollte mich umdrehen, und wollte auf dem Sonnenlicht tanzen, wollte selbst das Licht sein und jede Träne, die einsam zu Boden fällt, auffangen und neue Hoffnung sein, wollte die Hand reichen, jedem, der bereit war, auf dem Strahl in die Unendlichkeit zu reisen, einem Ort, fernab, von hier, unfindbar, wie Asche im wandelnden Wind, ein Ort leuchtend in unseren Träumen...

aleanjre
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Fr 19. Nov 2004, 10:17 - Beitrag #70

Auch, wenn es nicht ganz in den ernsten Ton der anderen Geschichten passt...
Die Glosse war definitiv ein heiterer Augenblick. :P


Meine Ehe ruiniert meine Figur

Ich muss mich mal ausheulen. *SchnellinsTaschentuchschnaub*

Was ich lange Zeit unbewußt geahnt hatte, ist nun traurige Gewissheit geworden: meine Ehe ist schuld daran, dass mir immer weniger von dem Zeug passt, dass in meinem Kleiderschrank rumhängt!

Nach langer, inniger Kontemplation konnte ich realisieren, was für ein Fresstyp ich bin:
1. Stressesser. Na gut, nicht ungewöhnlich, dass sind viele. Ich halt auch.
2. Verfügbarkeitsesser. Davon hat man noch nicht gehört, aber ich bin es! (Und viele andere auch). Solange ich Knabberzeug zur Verfügung habe, esse ich es auch! Stehen Schubladen und Schränke leer, vermisse ich nichts.

Wäre alles kein Problem. So war ich wohl schon immer, trotzdem hab ich früher meine Größe 36 getragen, mit einer 5 vor dem Komma auf der Waage. Bis, ja, bis ich geheiratet habe. Mein angetrauter Mietvertragspartner ruiniert nun schon seit 6 Jahren systematisch meine einst so schöne Figur! Nicht nur, dass er dafür sorgte, dass ich zweimal 9 Monate lang die Dehnfähigkeit meiner Bauchdecke testen musste. Nein, er sorgt hier für ununterbrochene Verfügbarkeit von Süßwaren aller Art!

Er ist nämlich ein ganz anderer Typ als ich. Diese unheilige, Gelbsuchterregende Sorte ich-fress-den-ganzen-Tag-was-immer-ich-will-und-nehm-dabei-noch-2-Kilo-ab. Er kann nicht ohne tägliche Schokoeinheit leben. Und an keinem Chips - Sonderangebot vorbeigehen. Ergo: er schleppt ständig irgendwelches Zeugs an. Und weil er mich wahrhaftig liebt, dieser Schuft, bringt er mir auch wundervolle Kleinigkeiten mit. *schnaub - how dare you???*
Erst vor zwei Tagen: Marzipan - Creme - Schokolade. Ich bin süchtig nach Marzipan. Wenn nur ein einziges Stück dieser Sinnesfreude meinen Gaumen kitzelt, knallen die Sicherungen raus, und ich finde mich erst nach erfolgter Vernichtung von zwei kompletten Riegeln wieder im tristen Alltag der ständig zu weit rechts geneigten Waagennadel.
Die inneren K(r)ämpfe kann ich kaum beschreiben!

-Da, da, in der Schublade! (sabber)
-Lass die Finger davon, du hast eben erst Abendbrot gegessen. Horch auf deinen Bauch - du bist satt, du brauchst jetzt keine Schokolade!
-Da, da in der Schublade! (SABBER)
-Mädel, beiß in `ne Zitrone, du DARFST jetzt keine Schoki! Das Mittagessen war schon so reichlich, heute Morgen ein Kilo mehr, das soll runter, nicht weiter rauf!
-Da, da, da! (AUGENROLL, SCHAUM VORM MUND)
-Würdest du mir mal erklären, was du vor der Schublade willst? Zurück mit dir! Du haltloses, unbeherrschtes, undiszipliniertes Weichei!
-MARZIPAN! (JUCHZ)
-Seufz. NUR EIN STÜCK, HÖRST DU!
-MARZIPAN! GEIL, GEIL, GEIL! (Geh auf, Papier, weiche!)
-Hey. Das waren schon 8 Stück. Hast du denn überhaupt keinen Scham? Hast du denn gar keinen Verstand? Deine Zähne verfallen, der Zucker frisst Löcher in deine Knochen, wertvolle Vitamine werden verschleudert, die Leber ächzt - ist dir klar, wie widerlich diese Schokolade ist? Und wie du morgen früh heulen wirst auf der Waage?
-Gehe morgen einfach nicht auf die Waage. Marzipan - Schoki ist einfach nur geil.

Wie der geneigte Leser feststellt, sorgt die ständige Verfügbarkeit von Süßigkeiten also nicht nur eine Explosion im Hosenbundbereich, sondern auch für akute Anfälle von Schizophrenie.

Jetzt, wo ich dieses Wissen habe, bleibt zu überlegen, wie damit verfahren wird. Ich könnte meinen Liebsten auf Schmerzensgeld verklagen, dann hat er nichts mehr, um beständig Süßvorräte anzuschleppen. Oder ich nähe seine Hosenbünde allesamt drei Zentimeter enger, dann denkt er, er hat schwer zugenommen und hält Diät. Hmm, dass muss ich noch durchdenken.

Auf jeden Fall werde ich ihn leider bei Amnesty International anzeigen müssen wegen Folter und seelischer Grausamkeit. Denn erst letztens betrachtte er sinnend meine Silhouette und fragte: "Süße, wie viel wiegst du jetzt eigentlich?"

*Waaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah*

Amy
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Fr 17. Dez 2004, 14:49 - Beitrag #71

Ähm.. :shy: Das hab ich irgendwie geträumt und heut morgen bisschen weitergedacht und in der Schule dann in ein Heft gekritzelt. Das kommt davon,wenn man zu viel liest ;) :

Alice packte ihre Tasche, schob ihren Stuhl an den Tisch und verließ das Klassenzimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen. Schreckliche Stunden hatte sie hier verbracht, an ihren Kräften genagt. Sie blieb stehen und starrte die Treppe hoch. Sie wirkte so unendlich lang. So unendlich ermüdend. Andere Schüler liefen an ihr vorbei, rempelten sie an und beleidigten sie. Keine Aufmerksamkeit denen... Nutzlose Fleischberge.
Am Ende der Treppe sah sie plötzlich ihn: blondes längeres Haar, die Jacke über die Schulter geworfen und eine Zigarette hinters Ohr geklemmt. "Dorian!", sprudelte es aus ihrem Mund und die Treppe schrumpft, sie kehrt in die Realität zurück, und da sind nur noch zehn Stufen vor ihr. Alice rannte hinauf und Dorian blieb stehen. Steckte die Zigarette in den Mund und drehte sich um.
"Was ist?", knurrte er und suchte nach Feuer in seiner Hosentasche, klopfte jede einzelne ab und da! In der hinteren spürte er die Konturen des Feuerzeuges.
"Es ist wegen gestern Abend..", flüsterte sie und ihr wildes blondes Haar fiel ihr ins Gesicht. Ein beklommenes Gefühl in ihr. Keine Luft.. "wegen.." Sie stockt und versucht, Luft zu bekommen.
"Wegen Dad? Wegen dem was er gesagt hat, dieses Arschloch?!"
"Dorian.. sag das nicht." Die Schüler wurden weniger und irgendwann standen da nur noch sie beide. Wirkten so verloren und einsam, liebesbedürftig. Alice wischte sich eine Träne weg. "Aber er hat doch Recht! Wieso willst du dir die Haare färben?", wisperte sie und sah ihn flehend an, es zu lassen. Dorian machte einen Schritt zurück und drückt sich die Hand aufs Gesicht. "Verdammt, wie irre seid ihr?" Seine Worte laut und scharf. "Ich will mir nur die Haare färben, davon geht die Welt nicht unter!!!"
"Aber Mama wollte doch immer, dass, dass, dass du so bleibst wie.."
"..wie Dorian Gray! Ich weiß, Alice, ich kenn die Geschichte! Aber so werd ich, Himmel noch mal, so und so nicht bleiben. Irgendwann werd ich alt und er is es nie geworden. Denkst du, du wirst ewig ein Kind bleiben, wie Alice im Wunderland?"
"Ja, nein.. aber es war doch ihr letzter Wunsch."
"Sie starb bei unserer Geburt, das tut mir wirklich leid, aber nur weil sie zu viele Märchen las und wollte, dass wir zu fleischgewordenen Romanfiguren werden, heißt das nicht, dass ich das tue!", brüllte er und warf die Zigarette auf den Steinboden. "Verdammt, Alice! Ich will nicht mit dir über einen solchen Mist streiten.. Du bist meine Schwester und das bist du auch immer noch, wenn du nicht mehr in deine blauen Kleidchen passt und Herr Hase stirbt." Er ging langsam auf sie zu, legte seinen Arm um sie und wischte ihr eine Träne aus dem Gesicht.
"Lass uns gehen." Er fuhr sich durchs Haar und seufzte laut.
"Dorian..", hauchte sie und schlang ihre Arme eingeschüchtert um ihn.
"Mh?" er stieß die Tür mit dem Fuß auf und blickte auf sie herab.
"..aber ich hab ihn gesehen." Ihre rechte Hand setzte den Haarreif wieder richtig auf den Kopf und zitterte. Sie biss die Zähne zusammen, als Dorian stehen blieb und sie unsanft an den Schultern packte. Seine Fingernägel bohrten sich in ihr Fleisch, seine Augen wurden zu kleinen funkelnden Schlitzen.
"Nein, das hast du nicht, Alice!", zischte er und meinte es als Befehl. "Und Dad erzählst du nichts, absolut nichts!"
Sie nickte, fiel ihm um den Hals und drückte ihr Gesicht in seine Schulter. "Hast du ihn etwa auch gesehen...?", flüsterte sie ihm ins Ohr und er hob sie hoch, stolperte mit ihr die Stufen hinunter.
"Mh, nein. Nicht den, den du meinst.", antwortete er leise und blickte zu dem Mann auf der anderen Straßenseite. Er war recht groß und stand vor einer Staffelei, führte den Pinsel schnell und gekonnt. "Nicht den, den du meinst.", sagte Dorian erneut und der Mann drehte sich um und lächelte ihn an.
"Ich glaube, wir werden langsam verrückt, Alice.." Mit diesen Worten schlenderte er die Straße entlang und drückte Alice die ganze Zeit fest an sich...

Amy
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Di 4. Jan 2005, 18:08 - Beitrag #72

Das sollte eigentlich mein erster Beitrag bei "Winterseelen" werden, aber wie man sieht, hab ich dann sehr viel anders begonnen. :)



Stille Tränen der Verzweiflung. In den Straßen lagen Leichen. Unzählige Leichen. Frauen, Männer, Kinder. Man hatte vor niemanden Halt gemacht. Sie alle niedergemetzelt wie Schlachtvieh. Die Luft war vom süßen Geruch der Verwesung geschwängert. Man sang Klagelieder, in denen man all seinen Schmerz zum Ausdruck brachte. Aber in Wirklichkeit hörte keiner so richtig auf sie. Alle Aufmerksamkeit war dem Himmel zugewandt. Manchmal schien es, als würden alle erstarren, zu Salzstatuen, den Kopf in die Luft gehoben. Aus dem Keuchen wurde ein stilles Atmen, so leise es ging, damit man jedes Geräusch in der Luft wahrnahm: Flügelschlagen. Das letzte Stöhnen. Ein Aufschlag.
Engel hatten die Welt eingenommen, nicht um sie zu regieren. Sondern um sie von all der Sünde zu reinigen. Sünde. Was war das? Der Mensch war eine Geburt der Sünde, weil er aus seinem eigenen Willen seine Mitmenschen tötete. Daher die unzähligen Toten in den Straßen, die niemand verräumen wollte..
In den Fernsehern lief jeden Tag das gleiche Bild. Der Präsident. Auf seinem Stuhl, an seinem Schreibtisch. Hinter ihm die Flagge. Schweiß auf seiner Stirn. Der Mund zu trocken, um zu sprechen, dennoch öffnet er ihn: „Dinge sind geschehen, die wir nicht verhindern konnten. Dinge, die so grausam sind, dass man daran zerbrechen kann. Aber ich bitte Sie: Verlieren Sie den Mut nicht und gehen Sie sparsam mit Lebensmittel um. Geben Sie Acht auf die Feinde und kämpfen Sie für ihr Land. In diesem Sinne verabschiede ich mich von Ihnen.“ Aus. Wieder die Schwärze auf dem Bildschirm. Wenige Zeilen. Zu wenige. Man kann mit ihnen nichts anfangen. Dass weiß er, der Präsident, auch. Aber es ist ihm egal. Er will nur leben.

Joanne war siebzehn. Ungefähr. Vielleicht jünger oder älter. Aber seit der „Krieg“ begonnen hatte, hatte niemand mehr so recht auf die Zeit geblickt. Irgendwann hörte man auf zu zählen. Wie lange dauerte der Krieg nun? Um die zwei Jahre. Zu erst hörte und sah man die Engel nur. Sie beobachteten die Menschen, wie sie lebten und ihre Sünden begangen. Sie sahen alles mit an. Aber seit einiger Zeit waren sie aktiv geworden und hatten zu töten, zu zerstören begonnen. Viele Familien waren ausgelöscht oder getrennt worden. Joannes Familie war noch am Leben. Weswegen, das wusste sie nicht. So etwas nannte man wohl Glück. Die Familie bestand aus Mutter, Bruder, Großmutter und einer Cousine. Der Vater hatte sie schon vor Jahren verlassen und lebte jetzt irgendwo im Süden. Und Großvater war kurz darauf eine Treppe hinuntergefallen und hatte sich das Genick gebrochen. Die trauernde Witwe hatte täglich zu Gott und Jesus gebeten, sie war eben eine strenge Katholikin.
„Es gibt keinen Gott, Oma, hör auf, zu ihm zu beten!“ Freche wütende Worte aus Joannes Mund. Sie saß vor dem toten Fernseher und drehte sich um. In ihren Augen Zorn, der die Angst überdecken soll. Ihre Großmutter hob den Zeigefinger und schüttelte ihn hin und her. „Sprich nicht so, Kind. Sonst wird Er dich strafen.“, keuchte sie mit bebender Stimme.
„Adrian, sag doch was!“, stieß Jo hinter den Zähnen hervor und ihr tiefrotes Haar hing ihr wild ins Gesicht. Ihr Bruder sah auf, schlug das Buch zu. Seine dunklen Augen wirkten etwas verwirrt. Er hatte die Konversation nicht mitverfolgt und wusste nicht, was er jetzt sagen soll. Aber seine Schwester wirkte verärgert. Wie so oft in letzter Zeit. Während andere ständig weinten, schrie sie nur rum. Und er machte sich Sorgen um sie. Er wollte gerade beichten, dass er mit dem Kopf wo anders gewesen war, als ihn die Cousine unterbrach: „Müsst ihr denn immer streiten?“ Sie zündete eine Kerze am Boden an und setzte sich neben Adrian in einen Sessel. Mit einem armeverschränken gab sie sich klüger, als sie war. Das dachte sie jedenfalls. „Die Situation ist schon ernst genug.“
Joanne stand auf, kochend vor Wut, weil ihr niemand richtig zuhörte und rannte aus dem Haus. Leichtsinnig. Immerhin waren die Engel überall. Adrian stürmte ihr nach und erreichte ihre Hand auf der mit Löchern übersäten Straße. „Willst du den Tod?“, fragte er sie und packte sie an den Schultern. Verlegen sah sie zur Seite und begann zu weinen. Adrian nahm sie in den Arm und strich ihr über den Kopf. Man ahnte es vielleicht nicht, aber sie litt wohl am meisten in der Familie an diesem Krieg. Sie hasste es eingesperrt, unterdrückt zu sein. Von Engeln. Und nur weil sie Engel waren, dachten alle an Gott und an seine strafende Hand. War es wirklich Gott gewesen?
„Du bist ein Dickkopf.“, seufzte er und lächelte.
Da.
Adrian zuckte zusammen, so sehr, dass Joanne zurückschreckte und ihn anstarrte.
„Was ist mit dir?“, fragte sie und er drehte den Kopf nach rechts und blickte in die schwarzen Wolken. Ein kühler Wind kam auf, strich ihm durch das schwarze Haar und schlug ihnen mit einem Mal ins Gesicht. Wie ein Peitschenhieb. Das Mädchen stolperte, fiel auf den Boden und sah Adrian an.
„Lauf!“ Seine Worte klangen mechanisch. „Lauf!“
„Aber, was ist denn..“ Ein Zittern in ihrer Stimmen. Noch bevor er antworten konnte, sah sie ihn. Dieses wunderschöne Wesen am Ende der Straße, über einen Kadaver gebeugt, mit ausgebreiteten Flügeln.
„Engel!“, stöhnte Joanne und erstarrte. Sie spürte ein Kribbeln in ihren Händen. War es nur ein Zittern? Von Angst gepackt sprang sie auf und rettete sich zur Tür des Hauses. Doch sie ging nicht hinein. Lehnte nur an der Tür und beobachtete ihren Bruder und den Engel, der sich näherte. Lächelte er?
Das Buch der sieben Siegel.. Bist du der Hüter?
Auch sie hörte die Stimme des Engels in ihrem Kopf. Hallend und kalt war sie. Welches Buch? Ihr Blick fiel auf Adrian. Da! In seiner rechten Hand ein Buch. War es das?
„Adrian..“, flüsterte sie und er hörte sie. Drehte sich zu ihr um und befahl ihr erneut, nun in einem schärferen Ton, zu verschwinden. Aber auch der Engel hatte sie gehört. Und nun waren seine Augen auf das zitternde Mädchen bei der Tür angelangt.
Sie..? „Halt die Fresse, Missgeburt!“, brüllte Adrian und hob das Buch in die Luft. „Du willst das Buch, mh?“ Der Engel bewegte den Kopf etwas, aber es war kein Nicken. „Was ist, wenn ich es dir aber nicht gebe?“ Er lächelte siegessicher. Fast wie ein Verrückter.
Das wäre dein Ende, Mensch. Und ich würde dich nicht schnell töten, sondern langsam quälen. Und ihr würde ich die kleinen Körperteile einzeln ausreißen..
Solche Worte. Wie konnte man da denken, dass diese Wesen von Gott kamen?
Aber vielleicht können wir auch verhandeln.. Geschmeidig wie eine Katze glitten seine Füße über den Boden, auf Joanne zu. Adrian stürzte auf den Engel zu, doch dieser stieß ihn nur zur Seite mit einem abfälligen Lachen. Das Mädchen weinte, zitterte so sehr, dass sie die Türklinke nicht herunterdrücken konnte. Doch der Engel hatte sie sowieso schon erreicht. Hob seine Hände und rahmte damit ihren Kopf ein. Joanne kniff jammernd die Augen zusammen und spürte die kalten Finger auf ihren Augenliedern. Augen, wie die unseren besitzen.. Schmerz. Unsagbarer Schmerz. Joanne schrie, weil sie dachte, er hätte ihr eine Nadel durch die Augen geschossen. Adrians Stimme kam an ihr Ohr. „Lass sie in Ruhe!“ Joanne fasste sich an die Augen, spürte warmes Blut. Ihr Blut. Sie schrie. So laut sie konnte. Die Angst, dass er sie blind gemacht habe, war zu stark. Doch er beruhigte sie: Öffne doch die Augen. Und sie tat, was er gesagt hatte. Kein Unterschied. Sie sah noch dasselbe. Aber sie können jetzt töten, wenn du es willst.
„Sie ist erst siebzehn!! Sie muss niemanden töten!“, brüllte Adrian und stand etwas abseits von ihnen.
Und du.. Flügel gegen das Buch?
„Ich brauche keine Flügel, verdammte Missgeburt!! Will ich denn so sein wie du?“ Der Engel lächelte. Warf den Kopf zurück und brach in schallendes Gelächter aus. Joanne wusste, dass dieser Satz den Engel provoziert hatte. Das würde Adrians Tod bedeuten. Oder? „Adrian..“, sagte sie zu sich selbst, besorgt um ihren Bruder. Sie wollte zu ihm gehen, doch plötzlich öffnete sich die Tür und ihre Mutter packte das Kind. „Was tust du da?“, zischte sie.
„Mama, Adrian.. ich muss raus.“, stammelte Joanne, doch ihre Mutter schüttelte den Kopf.
„Du musst gar nichts, dein Bruder schafft das auch ohne dich. Aber was ist mit dir passiert..?“ Mutter trat einen Schritt zurück, hielt sich die Hand vor den Mund und stöhnte auf. „Du hast dich verändert!“, stieß sie hinter den Zähnen hervor. Joanne sah zu Boden.
„Seine Augen..“
„Nicht nur seine Augen, Jo! Sieh dich doch an!! Deine Haut ist so blass...“

Dann. Ein Schrei.
Adrian!
Joanne riss die Tür auf, sah den Engel am Boden. Blut rann aus seinem Mund. Adrian war weg. Das Buch – auch...

Ceyx
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Mi 9. Feb 2005, 01:39 - Beitrag #73

Nun, schau sie dir doch an...
Wie sie dasteht, mit diesem Blick, in ihren Augen. Als würde sich die Welt um sie drehen. Dabei ist das doch ihr Weg, den sie eingeschlagen hat und warum sollte jemand Mitleid haben. Es ist doch ihr Weg und es ist ihre Entscheidung. Ganz einfach.

Ja, vergiss es. Aber sieh mal hoch zu den Sternen, sie sind wunderbar heute, nicht?

Jetzt, wo du es sagst, ja, stimmt eigentlich. Eigentlich hast du ja recht, aber du musst wissen, und du weisst es, das weiss ich ja, dass ich schon vor etlicher Zeit aufgehört habe, zu den Sternen zu sehen, und zu sagen, sie sind schön und so, weil, ja, weil, eigentlich, egal wie schön sie sind, man kann sie doch nicht erreichen, und kann höchstens von ihnen Träumen und seine Hand blind weinend nach ihnen ausstrecken und hoffen, eines Tages mal einen dieser Sterne zwischen Händen haltend sterben...oder so.

Oder so?

Ja, oder so. Ich meine, du weisst ja...man weiss nie, was man bekommt...oder so.

Vielleicht.

Jetzt steht sie immer noch da. Immer noch schweigend und ich glaube, sie hat Tränen in den Augen. Ich frage mich, warum sie Tränen in den Augen hat. Ich meine, wenn es Tränen sind. Vielleicht ist es auch nur der kalte Herbstwind, der in ihre Augen sticht.

Vielleicht. Wenn du hier stehst, wirst du das nie erfahren. Soviel ist schonmal klar.

Klar.

Ja.

Und nun? Denkst du, ich geh zu ihr hin, und frag sie, was los ist?

Warum nicht?

Darum. Wie stellst du dir das vor. Ja, hallo, wie gehts, weinst du...oder wie? Oder, hey, kann ich dir helfen, brauchst du ein Taschentuch, oder soll ich mit dir reden, oder willst du mit mir reden, oder was?

Ja, so könnte man das machen.

Ja, könnte man.

Und warum kann man nicht? Und warum macht man nicht? Was ist daran so schwierig? Warum können Menschen nicht mit Menschen reden, auch wenn sie einander nicht kennen, nur um einander zu helfen? Ist es leicher, jemand, den du nicht kennst zu töten, als mit ihm zu reden, oder warum sterben soviele? Oder, warum...

Wirst du nun zum Philosophen? Was solls, was bringts...?

Nichts. Hier stehen und denken, nichts. Hier stehen und sie anstarren und hoffen, sie wird mich nicht sehen und nicht bemerken, dass ich mich frage, ob sie Tränen in den Augen hat, oder nicht, nichts. Nichts tun, ist als würde man gar nicht sein, oder?

Vergiss es. Sieh sie dir an, sie geht. Vergiss es, ob sie nun Tränen in den Augen hatte oder nicht, denn sie ist weg, und ich glaube nicht, dass du sie je wiedersehen wirst. So klein ist diese Welt auch nicht...



Ich gehe. Mein Herz ist fast so schwer, wie mein Kopf und meine Augen tun weh. Ich denke nach, und überlege, ob ich alles aufgeschrieben habe, was ich noch sagen will. Oder wollte, ich bin nun nicht mehr sicher, ob ich das überhaupt sagen will, aber ich weiss, wenn ich jetzt umkehre, wird sich ja doch nie etwas ändern. Der kalte Herbstwind blässt in meine Augen und treibt mir die Tränen ins Gesicht, ich wische sie schnell weg, denn ich will nicht, dass jemand merkt, dass sie da sind. Viele sagen ja, es ist stark sein, dieses Leben und es ist stark sein, seine Tränen zu verstecken, irgendwo dort, wo man den Rest der Gefühle hingepackt hat. Ich frage mich nun, warum ich mich doch so schwach fühle, ich habe doch nie meine Gefühle gezeigt und habe nie meine Tränen gezeigt und will sie auch jetzt nicht zeigen, obwohl es doch keine Rolle spielt, ob mich noch jemand weinen sieht, oder nicht. Ich vergesse die Tränen und denke nochmal an die Dinge, die ich unbedingt sagen wollte und jetzt nicht mehr sagen will. Mir wird klar, dass ich sie ja doch nie sagen werde, doch sie sind da, auf diesem Stückchen Papier, dass ich mit dem blauen Kugelschreiber und zittriger Hand geschrieben habe, wie unter Krämpfen, und dieses Blatt wird an meiner Stelle sprechen. Oh, bitte entschuldigt mich, es tut mir leid, ob ich diese Worte aufgeschrieben habe? Oder ob es reicht, wenn ich sie nun noch denke? Jetzt ist es eh zu spät, der Weg ist nicht mehr weit. Vorbei an diesen Menschen, die mich anstarren...oder wahrscheinlich bilde ich mir ein, dass sie mich ansehen, warum sollten sie mich ansehen, in dieser Welt interessiert sich eh keiner mehr für den anderen. Ich mich doch auch nicht...Warum geht mir dieses Lied nun durch den Kopf? Wie geht der Text, weiter gehen, denken. Ich kenne das Lied doch noch...darüber muss ich nachdenken, bis alles vorbei ist...

Dieses Lied war niemals gesungen und schon wieder vergessen. Es sang über ein Mädchen, eine einsame Seele inmitten von Einsamen, es sang, wie diese Seele, die, anstatt nur einmal umarmt zu werden, endlich vom Tod in die Arme genommen worden war.

:Ende:

Anadyr
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Mo 14. Feb 2005, 23:26 - Beitrag #74

Fallende Schneeflocken, draussen, vor dem Fenster. Die Stimmung: düster, beinahhe deprimierend. Doch soll ich dem Schnee die Schuld daran geben? Die Fensterrollade ist schon eher zu beschuldigen. Sie lässt das bereits knappe Licht nicht ins Zimmer. Ausserdem versperrt sie mir die Hälfte meiner Aussicht. Nur gestreift sehe ich die Realität.
Gefängnis, ist das Wort, woran mich mein vergitterter Ausblick erinnert. Doch wenn dies doch die einzige Parallele zu diesem Wort wäre...
Gefangen fühle ich mich, nicht in der Schule, nicht des Lernens wegens. Sondern gefangen im Zwang Zeit zu töten. Jede Stunde 60 Morde.
Dabei gibt es doch Sätze wie „Nutze die Zeit, dass Leben ist kurz“. Doch wie? Wie soll man Zeit nutzen, wenn man an einen Stuhl gefesselt ist? Sich Worte anhören muss, die sich nur im Detail von denen Unterscheiden, die man gestern, mit Glück vorgestern, bereits einmal gehört hat?
Die Sekunden werden lang. Die Minute zur Lebdauer. Die Stunde zur Ewigkeit.
Eine nach der anderen muss sinnlos getötet werden. Die eine erhängt. Die andere vergiftet. Die dritte erschossen. Die nächste erstochen. Und die letzte beginnt aus lauter Verzweiflung Selbstmord. Das Einzige, was sie zurücklassen, ist der Wunsch nach Sinn. Doch Wünsche bleiben Wünsche. Ihr Charakter besteht darin, dass sie fernab der Realität entstehen, verweilen und irgendwann, wie die Zeit, vergehen.

Amy
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Mo 21. Feb 2005, 13:51 - Beitrag #75

Der folgende Text sollte das erste Kapitel eines ganz großen Romans von mir werden. Aber bereits am Ende des ersten Kapitels wusste ich: Ne, das wird nichts. Das ist Schrott und langweilig ;) Hab sie gerade wieder entdeckt und ist doch ganz amüsant. Man sieht am Titel, dass sie bereits ein Jahr alt ist


2004 – Ich glaube


1. Kapitel : Keine Täuschung

Wolken, so viele am Himmel, wie Fische im Meer. Langsam und zögernd schlichen sie über die blaue Fläche und umringten die Sonne. Bevor sie, sie dann verschlungen und es für einen Moment dunkler wurde.
Die Bäume rauschten an dem kleinem Zugfenster vorbei und bogen sich im Wind in alle Richtungen. Sie schob das Fenster etwas hoch und sofort fuhr ihr der kalte Atem des Elements durch das rote Haar. Erleichtert seufzte sie und schloss die Augen. Ihre Hand lag auf einem alten John Sinclair Heft auf ihrem Schoss und die andere hielt sie sich vor die Augen, als Schutz vor der Sonne. Wie gut die frische Luft doch tat... In Zügen war es immer schwül und nervig. Ein Grund dafür war, dass die Züge meistens überfüllt waren. Wie auch dieser hier. Jeder saß auf jeden und war so gereizt wie der Teufel höchstpersönlich. Das Schlimmste war, dass es jetzt dann Kaffee und Kuchen in einem Wagon gab. Das konnte einfach nicht gut enden. So viele Leute, ein Wagon und einige Liter Kaffee.
Trotz der Überfülltheit des Zuges hatte sie ein eigenes Privatabteil. Ganz alleine. Keine nervigen alten Leute, die einem Geschichten von früher erzählten, oder Mütter mit ihren Kindern, die so laut schreien konnten, dass man sich die Ohren zuhalten musste. Ganz alleine.
Aber dann klopfte es an der Tür und ein junger Mann in Anzug und Sonnenbrille schob sie auf. Sie nahm die Hand von ihren Augen weg, um zu sehen, wer er war. Hm, ein Fremder.
„Baijabett Kingsten?“, fragte er mit seiner tiefen Stimme und schob die dunkle Sonnenbrille auf seine Stirn.
“Wer will das wissen?“, wollte sie gereizt wissen und drehte sich etwas besser zu ihm.
„Ist das so wichtig?“
„Für mich schon.“ Sie lächelte ihn spöttisch an und hob die Augenbraue.
„Cook Thomas.“
„Wie die Fluggesellschaft?“
„Ja...“
Baijabett konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
„Und, sind sie nun Baijabett Kingsten?“, fragte er erneut und schloss die Tür hinter sich. Auf eine Antwort wartend setzte er sich ihr gegenüber auf den leeren Platz und sah sie an.
„Ja. Was wollen Sie von mir, Thomas?“
„Wollen Sie wirklich nach London, um diesen Report über die Mordfälle zu schreiben? Ich will Sie warnen, dass das nicht sehr einfach sein wird...“
„Wieso wollen Sie mich abhalten?“, lächelte Baijabett.
„Weil das nicht mit rechten Dingen zugeht, diese Mordfälle. Denken Sie denn wirklich, dass Vampire ihre Hände im Spiel haben?“
„Ja.“, antwortete sie überzeugt und legte das Heft auf ihrem Schoss zur Seite.
„Das ist doch lächerlich...“ Er schüttelte den Kopf und sah flüchtig aus dem offenen Fenster.
„Für Sie vielleicht.“, entgegnete Baijabett genervt und wünschte sich, dass er wieder ginge.
„Ich wollte Sie nur warnen. Denn falls es wirklich so sein wird, haben Sie nicht leichtes Spiel.“, murmelte Thomas, stand auf und verlies ihr Abteil, so wie sie es sich gewünscht hatte. Als er weg war seufzte sie erleichtert und sah aus dem Fenster. Sie war sich ganz sicher, dass Vampire ihre Hände im Spiel hatten. Ganz sicher. Als sie wieder zu dem Platz ihr gegenüber blickte, fiel ihr auf, dass Thomas eine Visitenkarte mit seiner Handynummer und Adresse liegengelassen hatte.
Plötzlich hörte sie Getrampel vor ihrem Abteil und verschiedene Stimmen, die alle wie im Chor riefen: „Ich brauche Kaffee!!“, „Mein Gott, der Kuchen sieht gut aus!!!“
Baijabett schüttelte den Kopf schmunzelnd und hielt sich wieder die Hand vor die Augen.

Um zehn Uhr abends hielt der Zug in London an und ein freundlicher älterer Herr half ihr, den Koffer die Treppen hinunterzutragen. Alleine hätte sie es nicht geschafft.
„Danke, das war sehr nett von Ihnen.“, lächelte Baija und winkte dem Herr noch einmal zu, bevor er wieder in den Zug einstieg, um sein Gepäck zu holen.
Baija strich sich durch das rote Haar und sah sich verwirrt um. „Irgendwo hier muss doch eine Treppe zur U-Bahn führen..“, sagte sie zu sich selbst und kratzte sich am Kopf. Doch weit und breit sah sie niemanden... und auch keine Treppe. Nur der alte Herr, der ihr geholfen hatte, schob seinen Koffer langsam hinter sich her. Doch dann wurde er von der Dunkelheit verschlungen, der Zug fuhr weiter und Baija war wieder alleine. Irgendwo musste doch die Tre..
„Kann ich Ihnen helfen?“
Baija zuckte zusammen und drehte sich um, um den Besitzer der Stimme zu sehen. Sie staunte. Vor ihr stand ein großgewachsener junger Mann, um die zwanzig, mit blonden schulterlangen Haaren. Mit seinen stechend hellblauen Augen sah er sie an.
„Äh... ja. Wo ist denn die Treppe zur U-Bahn..?“, stammelte Baija und fuchtelte mit einer Beschreibung, die sie aus dem Internet hatte, herum. „Hier steht, dass ich sie nicht übersehen könnte. Dummerweise übersehe ich sie..“
Er lächelte. Es war ein warmes und verführerisches Lächeln, dass ihr Herz schneller schlagen lies. Wie schön er doch war, wie ein Engel.
„Ich bring sie zu der Treppe.“, murmelte er. „Warten Sie, ich trage ihren Koffer.“ Ohne ihre Zustimmung, griff er hinter sie und nahm ihren Koffer. Er ging los und Baija rannte ihm wie ein Schosshund hinterher. Sein schwarzer langer Mantel und das blonde Hand wehten im Wind. Am Liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen und hätte ihn nicht mehr freigegeben. Nach ein zwei Minuten sah sie vor sich die Treppe, die unter die Erde führte. Und da fürchtete sie schon, dass er jetzt gehen würde, aber das tat er nicht! Mit dem Koffer in der rechten Hand ging er an ihrer Seite die Treppe hinunter.
„So. Und was führt Sie nach London?“, fragte er plötzlich, während sie die Stufen hinuntergingen. Dabei sah er sie wieder an, doch nun, wo sie langsam ins Licht der U-Bahn-Station traten, fiel ihr erst auf, wie blass er im Gesicht war. Na ja, dachte sie sich, nicht jeder sonnt sich gerne. Dennoch, sie hatte noch nie so weiße Haut gesehen...
„Die Arbeit. Nur die Arbeit.“, antwortete sie mit einem Nicken und steckte die Hände in die Jackentasche.
„Und, was arbeiten Sie, wenn ich fragen darf?“
„Journalistin. Ich dachte mir, dass ich in London mehr zum Berichten habe, als in Deutschland.“
„Sie kommen gerade aus Deutschland?“, wollte er interessiert wissen.
Sie nickte und er nickte auch.
>>Bitte gehen Sie einen Schritt zurück, die U-Bahn fährt gleich ein.<<, drang es von den Lautsprechern heraus und es gab Baija einen Stich ins Herz. Jetzt hieß es wohl Abschied nehmen. Er stellte den Koffer ab und lächelte sie an.
Die U-Bahn kam und die Türen öffneten sich mit einem lauten Quietschen.
Baija nahm ihren Koffer, bedankte sich einige Male bei dem schönen Mann und betrat dann den Wagon.
„Passen Sie auf sich auf. Momentan passiert ja eine Menge in London!“, grinste Baija.
„Seien Sie lieber vorsichtig. Mir passiert schon nichts.“, sagte der Mann.
Baija wollte gerade etwas darauf entgegnen, als sich die Türen wieder schlossen. Was meinte er damit, dass ihm nichts passieren würde? Sie schlug mit der flachen Hand noch einmal gegen die Tür, in der Hoffnung, sie würde sich öffnen. Baija sah den Mann mit einem mitleidigen Blick an. Er lächelte sie an. Flüchtig sah sie sich über die Schulter und griff nach einem der Schnallen, damit sie nicht umfiele, wenn die Bahn losfahren würde. Dann sah sie wieder nach vorne und ihr Herz blieb für einen Moment stehen: Er war weg! Sie lies los, rannte den Wagon wie eine Irre entlang und drückte sich ihre Nase an der Scheibe platt. Nichts, er war weg. Verschwunden. Wo war er hin? Sie hatte sich doch nur einen Augenblick umgedreht! Es waren nur einige Sekunden!! So schnell konnte er nicht rennen!
Mit einem kleinem Ruck fuhr die U-Bahn los und Baija stieß gegen die Eisenwand. Doch es war ihr egal, sie bekam es gar nicht richtig mit. Geschockt lies sie sich auf einen der zerfetzten Plätze fallen und holte ihr Handy aus der Jackentasche. Wie ferngesteuert wählte sie eine Nummer.
„Ja?“, meldete sie eine Stimme am anderen Ende.
„Vielleicht wollen Sie es mir nicht glauben, Thomas, aber ich denke, ich habe gerade einen Vampir getroffen...“, sagte sie mit trockenem Mund und starrte ungläubig aus den beschmierten Fenstern..

2. Keine Beweise

Der Wecker ging mit einem hohen Ton hoch. Baija öffnete müde die Augen und suchte mit der Hand nach der „On/Off“ - Taste. Dabei warf sie ein Wasserglas und ihr Handy hinunter. Da! Ihre Hand spürte den Wecker in der Form eines Hahnes. Sie packte ihn und drückte auf „Off“. Der Hahn verstummte und Baija lies sich seufzend zurückfallen. Sie streckte sich und gähnte. Während sie die nackte Decke anstarrte, dachte sie noch einmal an gestern. Immer wieder. Nein, so schnell konnte man nicht weglaufen.. Es musste ein Vampir gewesen sein. Sie beugte sich über den Bettrand und griff nach dem Handy, das am Boden lag und vibrierte. „Ja?“, gähnte sie und hielt es sich ans Ohr.
„Morgen. Thomas hier. Lassen Sie uns noch einmal von gestern sprechen..“, sagte er ernst.
„Meinetwegen. Aber Sie wissen schon alles.“
„Es ist erst zehn Uhr, da können wir das ruhig alles ...“
„Zehn Uhr??!!!“, kreischte Baija, warf das Handy in hohen Bogen fort und rannte zu dem kleinem Hocker in dem Hotelzimmer, wo ihr Koffer stand. Fluchend holte sie ein weinrotes Kleid heraus, zog es an und stolperte zum Spiegel. Ein verschlafenes Gesicht mit tiefen Augenringen blickte ihr entgegen, mit einem Ausdruck, der sagen wolle: „Baija, du verschläfst auch immer. Du bist eine große Enttäuschung für die Welt!“ Sie schüttelte den Kopf, gab sich leichte Ohrfeigen, um wach zu werden, bevor sie ihren Kopf in das eisige Wasser im Waschbecken tauchte. Die Kälte fing sie ein, wie ein Netz, dass sie nicht mehr losließ. Wie gerne wäre sie noch Minuten, Stunden so geblieben, aber sie konnte nicht. Die Arbeit rief, schon lange. Sie riss den Kopf hoch und sog die frische, etwas muffige Luft des Hotelzimmers ein. Wieso gab es nur in den Suiten Blumen zur Begrüßung, die so gut rochen, dass Tage danach noch der Duft im ganzen Raum war. Aber nein, sie hatte nur dieses kleines abartige Zimmer bekommen.. Baija rannte zu ihrem Nachttisch und holte eine Mappe heraus, die sie in einen Lederrucksack stopfte und sich dann eilig auf den Weg zur Arbeit machte.
Als sie an der Rezeption vorbeikam warf ihr der junge Hotelbesitzer ein „Guten Morgen!“ nach, doch Baija hatte es nicht einmal bemerkt, dass er da gewesen war.
Heute war ein schöner Tag, dachte sie sich, als sie auf die Straßenbahn wartete. Die Sonne stand hell am Himmel und brannte auf die Menschen nieder. Nur ab und zu meldete sich eine Wolke, die den Menschen etwas gutes tat und einen Moment vor die Sonne huschte.
In Baija machte sich ein komisches Gefühl breit.. Sie fasste sich an den Hals, es kam ihr vor, als würde sie nicht mehr atmen.. Ein Flüstern! Die junge Reporterin drehte sich um, doch da war nichts...

„Sie glauben wirklich, einen Vampir gesehen zu haben?“, sagte der Chef der Zeitung im strengen und ernstem Tod. Sein Blick ruhte auf ihr, es schien ihr fast unerträglich, ihn so gelassen zu sehen – er glaubte ihr nicht.
„Sie halten mich für eine Spinnerin, nicht wahr..?“, murmelte sie und lies sich auf den Stuhl gegenüber des Schreibtischs fallen.
„Na ja, jeder Neuling will die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, Sie sind nicht die Erste.“
„Aufmerksamkeit auf mich ziehen?“, schrie Baija entsetzt. Was dachte er sich nur? Sie log nicht. Er hob nur die Hand und machte die Geste, dass sie sich wieder setzen sollte, was Baija auch tat. Dann dachte sie lange Zeit nach, während ihr Vorgesetzter ihre Akten durchging. Sie kratzte sich am Hals. Schon wieder dieses Gefühl. Es schien so schwül und heiß hier drinnen. „Wenn ich ihnen ein Beweis zeigen könnte, würden Sie mir dann glauben?“, schlug sie vor und krallte ihre zitternden Finger in die Lehne des Stuhls. Er sah auf, interessiert und verwundert.
„Beweise? Sie haben Beweise, dass ein Vampir an den Mordfällen Schuld ist?!“ Er hob die Augenbraue und überkreuzte seine Hände übereinander. Baija nicke, obwohl sie keine Beweise hatte. Keinen einzigen. Nicht einmal ein Bild. Ihr Herz raste.
Er nickte auch und nahm dabei seine Brille von der kleinen langen Nase. „Morgen.“, sagte er, „Morgen will ich die Beweise.“
„Ja..“ Baija stand auf und es kam ihr vor, als könnten ihre Füße sie nicht mehr tragen, so schwach und klein kam sie sich vor. Beweise. Woher sollte sie Beweise hernehmen? Was dachte er sich nur? Nein, was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihn zu fragen, ob er ihr glauben würde, wenn sie Beweise hätte. Baija packte ihre Tasche und verlies sein Büro, verlies das ganze Gebäude. Es kam ihr vor, als würde sie keine Luft mehr bekommen. Daher machte sie sich auf, in der Stadt etwas zu shoppen. Sie ging sogar in eine alte Bibliothek, um mehr über den angebliche Mörder zu finden. Doch gab es nur ein Buch, und dies war ein altes Märchen. So stand sie wieder ohne Informationen da. Vier Stunden waren vergangen und die Reporterin hatte bis jetzt nur die Hälfte des Märchens verschlungen. Sie klappte das Buch zu, schloss die Augen und fuhr sich mit der Hand durch das weiche Haar. Sie war so müde, so unglaublich müde. Ein Bett, wie schön wäre doch ein Bett! Baija gähnte und starrte dabei auf das Bild auf dem Märchenbuch: Eine sehr alte Zeichnung war es, die Kinder darstellte, die auf Gräbern saßen und von deren Mundwinkel Blut lief. „Der Friedhof! Na klar! Wieso bin ich nicht gleich darauf gekommen?!“, schrie sie, packte das Buch in ihre Tasche, ohne es jemanden gesagt zu haben, und rannte los. Voll Hoffnung. In dem Märchen war es um Kinder-Vampire gegangen, die die Nacht über damit verbrachten, andere gierig zu töten. Und natürlich kamen auch all die Gerüchte hinzu, dass abends auf Friedhöfen immer Geister und Vampire seien. Ja.

Als es langsam Abend geworden war und Baija mit klopfendem Herz vor dem Gitter eines Friedhofs in London stand, spürte sie die Nervosität. Die Angst. Angst, getötet zu werden. Es musste ja kein Vampir sein, es genügte schon, ein normaler launischer Jugendlicher mit einem Taschenmesser. Denn auch solche streunten auf Friedhöfen herum, in der Hoffnung, die dunkle Erleuchtung zu finden. Und wenn nicht, irgendeinen Dummen, dem man Geld abknöpfen konnte. Baija schluckte und sah sich immer wieder über die Schulter. Durch die Dunkelheit und dem Wissen, dass es hier in dieser Stadt gab, was Leute einfach so ermordete, fühlte sie sich beobachtet und verfolgt. Wenn doch nun nur jemand hier wäre... Eine alte Frau, die das Grab ihres toten Mannes zurecht machte. „Vergiss es!“, seufzte sie. Es wäre keiner hier und es würde auch keiner kommen...
Die Uhr schlug elf Uhr und Baija blieb für einen Moment das Herz stehen. Ihre Hand umklammerte fest den Griff des Gitters, doch konnte sie sich keinen Zentimeter rühren. „Beweg dich!“, befahl sie sich und starrte unsicher durch die Gitterstäbe zum dunklen Friedhof hinein. Dennoch stieß sie auf einmal das Gitter auf und schlich durch die gepflasterten Wege, vorbei an Maria – und Jesusstatuen und großen Kreuzen, die so unheimlich in den Totenlichtern leuchteten, dass sie ihr Schritttempo beschleunigte. Wie gruselig... Ich komme mir vor wie in einem Horrorstreifen..., dachte sie sich und drückte ihre Tasche fester an sich. Baija konnte kaum etwas sehen, doch umso mehr hörte sie um sich herum. Stimmen, Gelächter, Schritte. Konnte das nur Einbildung sein oder hörte sie das wirklich alles?! Wie sehr man sich in diesen Momenten wünschte, es sei ein Einbildung...
„Sie lesen „’Zinnobers Kinder’?“
Baija schreckte zusammen und wirbelte herum. Ihr Mund stand weit offen und ihr Herz war dem Zerspringen nahe. Vor ihr stand der junge Mann von gestern Abend. Der wahrscheinliche Mörder und Vampir...
„Wie?“, stotterte Baija und ging einige Schritte ängstlich zurück. Weg, sie wollte weg.

Amy
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Mo 21. Feb 2005, 13:55 - Beitrag #76

(der Text passte doch tatsächlich nicht in einen Beitrag, daher musste ich teilen ;) Also: Teil II)


„’Zinnobers Kinder’“, sagte er erneut und deutete auf ihre Tasche, wo das Buch aus der Bibliliothek herausschaute. Das Buch über die Vampirkinder. Die Kinder von dem Menschen Zinnober waren alle Vampire gewesen. Zuerst hatten sie ihren Vater ermordet und sich dann auf die Suche nach ihrer Mutter, eine Vampirin, gemacht. Ihr Weg wurde von vielen Toten gepflastert. Um ehrlich zu sein, war es ein sehr blutiges und erschütterndes Märchen. Viel zu detailliert verfasst, man konnte sich alles vorstellen, wie in einem Film. Und die Bilder in dem Buch verfolgten einem in seinen Träumen. Es hieße, die Geschichte sei tatsächlich passiert...
„Ja.“ Baija lachte nervös und sah flüchtig auf das Buch. „Ich wollte es mir einmal durchlesen. Der Autor ist ein wundervoller Schreiber. Ich bin ein großer Fan...“
„Es ist eine Autorin.“, sagte er kalt und zündete sich eine Zigarette an. Das Feuer sah wie ein kleines Glühwürmchen in der Dunkelheit aus. Verdammt, dachte sie sich, jetzt hab ich den Salat...
„Sagte ich Autor? Pardon, ich meinte natürlich Autorin.“, kicherte Baija und spielte mit einer Strähne ihres Haares. Er zog an seiner Zigarette und lächelte dabei anziehend.
„Sind sie noch gut nach Hause gekommen?“, fragte er und wechselte lässig das Thema.
„Mh, ja! Aber sie sind so schnell verschwunden, ich...“
„Ich musste noch etwas erledigen!“, zischte er und kehrte ihr den Rücken. Er sah sich um.
Sein blondes Haar, dass ihm bis zum Kinn reichte, wurde vom sanften Wind gestreichelt. Wie schön er war. Zu schön für einen Menschen. Er atmete den Rauch aus und drehte sich wieder zu ihr um. Baija krallte ihre Fingernägel in ihre Tasche und berührte dabei das Buch. Sie holte tief Luft.
„Sie.. sie sind kein Mensch. Nicht wahr?“, stieß sie hinter den Zähnen hervor und wartete darauf, dass sie jemand von hinten packen würde und ihr ein Taschenmesser in den Hals rammen würde – aber nichts geschah. Er starrte sie nur an, ohne einen Ausdruck im Gesicht.
Er warf die Zigarette auf den Boden und drückte sie räuspernd aus. Er strich sich durchs Haar und dann waren seine beiden Augen nur auf sie gerichtet.
„Kommen Sie darauf, nur weil sie das Märchen gelesen haben?“, sagte er in einem etwas beleidigtem Ton. Hatte sie ihm mit diesem Vorwurf weh getan?
„Nein.“, antwortete die Reporterin und zog das Buch heraus. Sie ging wieder ein paar Schritte auf ihn zu und öffnete das Buch an jener Stelle, wo sie es geschlossen hatte. Baija deutete auf ein Bild auf der rechten Seite und blickte ihn an. Es zeigte einen jungen Mann mit blonden Haaren und dunkelrotem Samthemd. An seinen Fingern klebte Blut, dass auf ein totes Mädchen tropfte, die zu seinen Füßen lag. „Das sind Sie, oder?“
Er sah sie zornig an und riss ihr das Buch aus der Hand. „Sie müssen mir das nicht zeigen; ich habe dieses Buch hundert Mal in jeglichen Sprachen gelesen! Denken Sie, ich weiß nicht, was für Bilder darin sind?!“, schrie er und fuchtelte mit dem Buch herum. Seine Reaktion nach, war er der Mann auf dem Bild. Einer der Alten, auf die Zinnobers Kinder in dem Märchen gestoßen waren, der ihnen die Kunst beibrachte, Kinder in ihren Bann zu ziehen.
„Sie sind Raeth de Solis. Der Kindermörder aus dem 18. Jahrhundert. Der Vampir, der den Zinnoberkindern im Weg war. Der Vampir, den sie daher töten wollten, doch einen ihrer Brüder bei dem Kampf verloren...“, hauchte Baija.
„Seien Sie still! Was geht Sie das alles an? Das ist mein Leben! Meine Geschichte!“, schrie er und rannte auf sie zu. Baija wollte in panischer Furcht die Flucht ergreifen, doch er hatte sie am Fuß gepackt und zu Boden geworfen. Sie schrie ängstlich, als er sie umdrehte, dass sie auf dem Rücken lag und er sich auf sie setzte, damit sie nicht fliehen konnte. Baija spürte seinen kalten Atem in ihrem Gesicht und kniff die Augen zitternd zu. Wieso hatte sie sich nur auf so etwas eingelassen? Wieso nur?
„Wieso spionieren Sie mir nach? Was habe ich Ihnen getan?“, wollte er wissen und bemerkte, dass sie weinte.
„Sie haben mir nichts getan, aber den Kindern und den Jugendlichen...“, schluchzte sie und fürchtete um ihr Leben. Wenn er wollte, dann könnte er sie sofort töten. Niemand würde sie wohl so schnell hier draußen finden.
„Den Kindern und den Jugendlichen?“, wiederholte er verwirrt und hielt sie am Handgelenk fest. „Wie kommen Sie auf so etwas?! Sie denken doch nicht wirklich, dass ich an den Morden Schuld bin, oder?“ Er starrte sie ungläubig und verwirrt an. Baija öffnete die Augen langsam und zögernd. Die Tränen glänzten in ihren Augen wie kleine Diamanten.
„Doch.“, stieß sie langsam hinter den Zähnen hervor und ihre Unterlippe zitterte.
„Weshalb sollte ich das tun?“, fragte er sie mit ruhiger Stimme und stand auf. Er fuhr sich durchs Haar und konnte nicht glauben, was er gehört hatte. Sie beschuldigte ihn, dass er die Kinder getötet habe.
„Sie haben es doch vor zweihundert Jahren auch schon getan, wieso sollten Sie sich jetzt ändern?“
„Vor zweihundert Jahren war alles etwas anders, als jetzt.“, sagte er ernst und beobachtete sie, wie sie sich langsam aufrichtete. Doch sie floh nicht. Baija blieb ängstlich vor ihm stehen.
„Vor zweihundert Jahren war es mir egal, wenn ich tötete. Ich tat es einfach so, aus Langeweile..“
„Und, ist Vampiren jetzt nicht mehr langweilig?“, erwiderte Baija und hob das Märchenbuch auf und schob es zurück in ihre Tasche.
„Oh doch, und wie. Aber ich habe die Lust am unnötigen Töten verloren.“, erklärte er ernst.
„Wirklich?“, fragte die Reporterin nach und schien ihm irgendwie zu glauben. Raeth nickte. „Ich lüge Sie nicht an, Baija. Ich war es nicht. Ich habe diese unschuldigen Kinder nicht getötet.“
Baija wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und biss sich auf die Lippe.
„Damals war ich einer der Gewalttätigsten..“, flüsterte Raeth und Baija dachte an das Bild in dem Buch zurück.
„Aber wer war es dann?“, stotterte sie, die Angst steckte noch in ihren Gliedern. Wenn Raeth es nicht wahr, hatte sie keine Spur und somit würde sie auch keine Beweise finden. Sie war verloren. „Ich brauche doch Beweise..“
„Beweise?“
„Ja, sonst kann ich meinen Job vergessen. Ich habe darauf gewettet, dass es ein Vampir war, besser gesagt, Sie. Aber am Ende war es gar kein Vampir.. Und ich bin arbeitslos.“
„Ich kann Ihnen helfen.“, lächelte Raeth.
Baija starrte ihn baff an und brachte den Mund nicht mehr zu.
„Wie bitte?“, stammelte sie und kam einen Schritt auf ihn zu. Hatte sie sich verhört?
„Ich kann Ihnen helfen.“, sagte er erneut.
„Wie wollen Sie das anstellen, wenn ich fragen darf?“, sagte Baija höflich und schüttelte irritiert den Kopf.
„Falls es wirklich ein Vampir ist, kann ich Ihnen helfen, ihn aufzuspüren.“, lächelte Raeth.
„Wie denn?“, stocherte Baija nach und kratzte sich an der rechten Hand.
„Wir spüren die Unseren.“, erklärte er und drehte sich dann um, ein Zeichen, dass er nicht weiter darauf eingehen wollte. Auf Baijas glattem Gesicht zeichnete sich ein zögerndes aber liebevolles Lächeln. Er wollte ihr helfen, freiwillig.
„Danke.“, hauchte sie überglücklich und legte den Kopf etwas schief. Sie erinnerte ihn an einen Hund aus dem Tierheim, der ein neues Herrchen wollte. Er lachte innerlich, zeigte es ihr aber nicht, sondern knöpfte seinen marineblauen Mantel zu. Er räusperte sich.
„Wenn Sie mich jetzt entschuldigen. Ich habe zu tun.“, sagte er und verschwand mit einem Nicken in der Dunkelheit. Baija stand noch lange Zeit dort und starrte auf die Stelle, wo er vor kurzem noch gestanden war. Sie hatte noch keine Beweise, aber mit Raeth an ihrer Seite würde sich dies schnell ändern, hoffentlich...
Baija drückte ihre Tasche an sich, schielte dabei flüchtig auf das Märchenbuch und machte sich dann auf den Weg zu ihrem Hotel.

Anadyr
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Di 22. Feb 2005, 21:27 - Beitrag #77

Versuch mal zu lächeln, während dir eine Tränen ironisch langsam über die Wange kullert? Versuch es. Und du wirst verstehen was mich zerreisst.
Dein Wunsch mich glücklich zu sehen. Mein Wunsch, deinem Wunsch entsprechen zu können. Und auf der anderen Seite, im Schatten, meine Trauer, mein Kampf. All das, was mir die Kraft nimmt für dich zu strahlen. Dabei möchte ich es. Für dich.
Wieso kann ich nicht lächeln, wenn mir nach weinen zumute ist? Andere können es doch auch. Wieso ich nicht? Eine andere könnte es. Für dich.
Reisst du mir deine Hand trotzdem nicht weg?
Denk an das Mond-Prinzip, er braucht die Sonne, die ihn anstrahlt um zu leuchten. Nimm mir nicht die Sicherheit, die ich nur bei dir finden kann. Gewähr mir weiterhin deine Wärme, vielleicht schaff ich es dann auch wieder zu strahlen. Für dich.

Amy
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Mo 28. Feb 2005, 15:27 - Beitrag #78

Ein Text, den ich wieder mal in irgendeinem Ordner gefunden habe, an den ich mich kein bisschen mehr erinnern kann. Hoffentlich ist er auch wirklich von mir ;) Aber das ist einer der ersten, wo ich mir denke: An dem schreibst du weiter! Sollte anscheinend eine Kurzgeschichte werden, aber ich hab sie nicht fertiggeschrieben.


Es war Mittag, an einem Tag im Dezember. Der Himmel fraß die Sonne auf und tauchte alles in aschegraues Licht. Es wirkte alles so verloren und auch die Kälte raubte einem fast den Atem. Tage kamen zur Welt, an denen man nur in dicken Sachen eingehüllt das Haus verlassen konnten. Tage kamen zur Welt, an denen die Straßen immer leerer wurden. In einem Park am Stadtrand saß Victor, seit kurzem Vater und Reporter, auf einer Bank und stellt die Schärfe seiner Kamera richtig ein. Man hatte ihm ein Angebot gemacht, dass er annehmen musste, sonst hätte man ihn gefeuert: Er musste einen Mann interviewen, der seine Frau bei einem Überfall verloren hatte und darauf hin Amok gelaufen war. Ein heikles Thema und eigentlich viel zu scharf für einen Neuen wie ihn. Er konnte sich leicht in die Finger schneiden und andere nicht, weil sie eine dicke Hornhaut besaßen. Doch er hatte ja gesagt. Auch wenn dieses üble Gefühl in seiner Magengegend nicht verschwand und seine Hände wie im Sommer schwitzten. Er wusste nicht, wie er es angehen sollte. Zu erst Bilder und dann interviewen. Ah, verdammt. Wäre das nichts für einen Psychologen? Der Kerl könnte jeden Moment wieder durchdrehen und Victor würde gerne den ersten Geburtstag seiner Tochter miterleben. Er setzte sich seine Kappe umgekehrt auf und entfernte den Schweiß, der sich über seiner Oberlippe gebildet hatte. Da vorne kamen sie. Zwei schwarze Gestalten am Horizont, die auf ihn zu gingen. Victor stand auf und wischte sich die nassen Hände an seiner Jeans ab. Gott, er war noch so jung und die schickten ihm einen Verbrecher mit nur einem Sicherheitsbeamten!? Als die Beiden vor ihm standen reichte ihm der Polizist, ein älterer Afroamerikaner, die Hand und nickte. „Guten Tag.“, lächelte er und sah sich um. „Haben Sie sich ja ne schöne Gegend für das Interview ausgesucht.“ Er lachte und Victor sah sich gezwungen, mitzulachen. Nur kurz, denn er war zu nervös. „Mein Name ist Timothy und wenn irgendetwas ist, schreien Sie mir. Ich mach es mir bei dem Pavillon dort vorne gemütlich..“ Victor kratzte sich am Ohr und nickte einverstanden, auch wenn er es nicht war. Nur ein Polizist und der ließ ihn jetzt auch noch alleine. Als Timothy über die Wiese auf den Pavillon zuschlurfte, fiel ihm erst wieder ein, dass er nicht alleine war. Victor drehte sich um und musterte den Amokläufer. Etwas gekrümmt stand er da und starrte auf seine dreckigen Schuhe, das Haar zersaust und kaputt. Auf Victor wirkte dieser Mann eher wie ein Penner, als einer, der mit einem Maschinengewehr durch die Gegend lief und unschuldige Leute abschoss. Victor trat einen Schritt auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. Sein Gegenüber zuckte zusammen und starrte ihn verwirrt an. „Mein Name ist Victor, ich werde Sie heute interviewen.“, sagte er mit dem freundlichsten Lächeln, dass er parat hatte. Er wusste, dass er nicht lächeln konnte, bei dem Anblick eines solchen armen Mannes, also stellte er sich den Moment vor, als er das erste Mal Susanna, seine Tochter, in den Armen hielt und konnte lächeln. Sein Gesichtsausdruck wurde nur hastig erwidert. „Samuel.“, gab der Fremde ihm leise zurück und setzte sich auf die Bank. „Aber Sie können mich gerne Sam nennen.“ Victor nickte und setzte sich neben Sam. Aufgeregt knetete er an der Kameratasche herum und fragte sich, was er zu erst fragen sollte. Doch es war alles wie weggeblasen. Sein Kopf war so leer, als wäre da nie eine Frage gewesen. Das Schweigen wurde immer unerträglicher und peinlicher, bis Samuel es beendete: „Sind Sie verheiratet?“ Victor zuckte zusammen, nicht damit gefasst, dass man ihm Fragen stellte. Sein Blick fiel auf den goldenen Ring auf seinen Finger und er nickte als Antwort. „Ja. Seit drei Jahren.“, antwortete der Reporter und lächelte. „Mit der liebsten Frau der Welt.“ Victor versank in Erinnerungen, er sah Jennifer in der Kirche den langen Weg entlang gehen, roch den Weihrauch und den süßen Duft ihres Haares, als sie neben ihm stand. Ah, verdammt! Bleib bei der Sache, Victor! Der Reporter machte eine Handbewegung, als würde er die Vergangenheit zur Seite schieben. Sein ewiger Fehler. Wenn er Leute interviewen musste, versank er zu sehr in seinen Gedanken. „Sie.. waren ja auch verheiratet. Wie hieß sie?“ Vorsichtig und mit Taktgefühl stellte der junge Vater die Frage und Samuel sah auf. Seine Augen wirkten ängstlich, wie die eines vergewaltigten Kindes, das man die Frage stellte, was der Täter ihm angetan hatte. Victor war sich sicher, dass Samuel nicht gerne von seiner toten Frau erzählte, aber in diesem Fall musste er, sonst wäre er morgen arbeitslos.
„Veronica war ihr Name, sie war meine erste und einzige Liebe.“, flüsterte Samuel.
„Wie sah sie aus, wenn ich das fragen darf?“
„Veronica. Veronica hatte dieses lange blonde Haar wie eine keltische Königin. Und ihre Augen besaßen so viel Stolz und Zuversicht. Wissen Sie was..“
„Ja?“ Victor schrieb interessiert auf seinem Block mit und war glücklich darüber, dass Samuel ihm vertraute, dass er von Veronica erzählte.
„.. als ich ihren Kopf in meinen Hände hielt und in ihre sterbenden Augen blickte, waren sie nicht anders als sonst. So wunderschön blau und mutig. Als hätte sie mir damals gesagt, ich solle keine Angst um sie haben, denn sie fürchte den Tod auch nicht. Als sie so da lag und immer schwächer wurde, war sie schöner den je. Sie wirkte so viel selbstbewusster, ja, fast zufrieden. Kurz bevor sie starb lächelte sie sogar noch. Vielleicht war es nur ein Zucke um ihren Mundwinkel, aber ich denke wirklich, sie hat gelächelt. Sie war so schön..“
Victor nickte und kaute auf seinem Stift herum. „Sie wurde durch einen Schuss getötet, hat man mir gesagt, stimmt das?“
Samuel strich sich mit den Fingern über die Augen und räusperte sich. „Ja, das stimmt. Leider. Ein Schuss in die Brust und einer in den Unterleib.“ Samuel lehnte sich nach vorne und stützte seine Ellenbogen auf den Beinen.
„Wollen Sie mir erzählen, wie das passiert ist, Sam..?“
Der ältere Mann nickte seufzend und fuhr sich durchs Haar. Er schien bereits jetzt ziemlich am Ende. Armer Kerl. Victor blickte noch kurz zu dem Pavillon, um sich zu vergewissern, dass Timothy sie nicht stören würde. Jetzt war er doch wieder froh, dass er nicht da war und aufpassen würde, dass nicht passierte. Denn sicherlich hätte Samuel sich sonst nicht geöffnet.
„Wir waren Einkaufen. In einem kleinem Laden bei einer Tankstelle.“, erzählte Samuel und Victor sah wieder zu ihm. „Wir wollten gerade zahlen, da kamen zwei Jugendliche hereingerannt. Sie haben mit den Waffen auf uns und den Verkäufer gezielt. Man drohte uns zu erschießen, wenn wir uns bewegen würden. Veronica sah mich eindringlich an und ich wusste, was sie tun wollte: Die Notruftaste bei ihrem Handy drücken. Ich hab sie für lebensmüde gehalten, aber jetzt seh ich sie nur als Heldin, irgendwie. Klingt sicherlich kindisch. Aber sie ist immerhin gestorben, weil sie helfen wollte. Jedenfalls.. einer der Jungs rannte im Laden rum und stopfte seine Jacke mit allem voll, was er erwischen konnte. Veronica dachte, dass das ihre Chance wäre. Sie beugte sich langsam zu ihrer Tasche hinunter und versuchte, dass Handy zu erwischen. Da schrie der Junge, der rumrannte, zu uns hinüber, was wir da taten. Ich drehte mich zu ihm um und meinte, dass wir nichts machen würden. Ich wollte zu ihm gehen und ihn irgendwie ablenken, aber da hörte ich hinter mir das Piepen des Handys, was es immer tat, wenn man es einschaltete und der Junge hörte es auch. Im selben Moment schoss er noch. Zweimal. In Brust und Unterleib. Ich war wie benommen. Torkelte zu ihr und fiel neben ihr auf die Knie. Sie zitterte und zuckte vor Schmerzen, auch wenn sie es nicht sagte. Sie wollte nie, dass ich mich Sorgen um sie machte. Mein Engel..“ Er wischte sich die Tränen weg. „Ich hielt ihren Kopf in meinen Händen und streichelte ihre kalten Wangen. Die Jungs schrieen rum und ich wusste, dass sie nicht damit gerechnet hatten, jemanden zu töten. Sie wollten nur an viel Geld kommen und niemanden das Leben rauben. Dennoch hatten sie es getan. In Panik rannten sie weg und ich hielt Veronica in meinen Armen, sah in ihre Augen. Sie öffnete den Mund und flüsterte, dass es vorbei sei. Ich weinte und schrie, dass das nicht stimmen würde. Aber wir wussten es beide.“

Anadyr
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Do 3. Mär 2005, 18:57 - Beitrag #79

Der Titel ist halt nur was, für die, die in mit einem Film verbinden können.


One night at McDonalds
One night? Eine Nacht? Entweder ist Zeit relativer, als ich bis anhin meinte, oder ich neige schlicht und einfach zu Übertreibungen. Es wird nicht eine Nacht sein, sonder höchstens 10 Minuten, die ich hier sitzend verbringen werde. Wie könnte ich auch eine ganze Nacht an einem Ort hängen bleiben, welcher die Schnell-Vergänglichkeit unser ganzen Gesellschaff symbolisch vertreten sollte? Ich kann es nicht, und man könnte es genauso wenig.
Das mit der Vergänglichkeit, ganz aus der Luft gegriffen ist es nicht. Ein ständiges komme und gehen. Jede Minute fünf neue Gesichter. Keines dem anderen gleich. Hinter jedem eine Leben. Doch welches? Was war das?
Ein Gesicht, das nicht in die Menge der üblichen passt. Es sticht hervor, hebt sich ab. Eine dunkelblaue Kappe, tief ins Gesicht gezogen. Unten wird es von einem braunen Kragen begrenzt, die Seiten sind von dunkeln kurzen Locken eingerahmt. Doch nichts von all dem macht den Unterschied aus. Ich hebe noch einmal meinen Blick, mustere es noch einmal bis ins Detail. Und dann... zwischen braun und dunkelblau versinke ich ins nichts. Nicht ins Nichts, nein, in ein Eismeer eher. Fröstelnd tauche ich wieder auf, zurück in die Realität. Zwei hellblaue Augen, strahlend, klar, eisig.
Ich lasse meinen Blick abschweifen. Ich ertrage diese Eismeerfarbe nicht länger. Unter den Augen, regelmässig geschwungene Lippen, jemand anders würde sie als erotisch beschreiben. Die Wörter die ich als passend erachte: ästhetisch, doch unbedeutend. Die Augen lassen ihre Schönheit verblassen. Auch meine Aufmerksamkeit rauben sie ihnen. Mein Blick wandert erneut nach oben. Versinkt, fasziniert ein zweites Mal. Kälte und Wärme. Der Kontrast der Pupille zur Iris verstärkt deren beiden Farbe. Die Faszination, nur ein Farbspiel? Nein, der Ausdruck dahinter fordert meine Neugierde heraus. Welche Geschichte verbergen diese Augen? Dieses Gesicht?
Dies herauszufinden stiehlt mir die Zeit. – Warum kannst du nicht ein einziges Mal gütig sein Chronos? – Die Augen wenden sich ab. Meinem Blick bleibt nur noch ein Rücken, zwei schmale Schultern. Erst jetzt nehme ich den ganzen Menschen war, der zu den eisblauen Augen gehört, wahr. Langsam entfernt er sich, öffnet die Tür, entschwindet meiner Sicht.
Zurück bleibe ich, fasziniert, verwirrt. Mustere weiter die kommenden und gehenden Gesichter.

Ceyx
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Fr 4. Mär 2005, 00:53 - Beitrag #80

Du bildest dir nicht wirklich ein, dieser Augenblick hätte je etwas bedeutet? Ich meine, etwas in mir, oder etwas in dir, oder etwas in uns... es gab nie ein uns, das wusstest du doch, oder, das wusstest du die ganze Zeit, oder?
Was schweigst du...
Hab ich dich etwa verletzt?
Nein, das wollte ich nicht, eigentlich nicht, auch wenn es eigentlich egal ist, denn zwischen uns war nichts, wird nie etwas sein und ist nichts, klar. Nein, du weisst, ich mag dich ja, eigentlich, kann ich dich ganz gut leiden, aber eigentlich bist du mir ja ziemlich egal, ich fands nur nett, in deinen Armen zu liegen und deine Wärme zu spüren, als ich allein war und ich dachte, du wärst allein und da...
Einsamkeit...
zwei einsame Herzen, du weisst ja, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft und ohne Gegenwart, das wussten wir doch beide...
Sag doch etwas...
Nein, sag nichts, ich gehe nun meinen Weg, du gehst deinen und morgen sind wir schon wieder ganz die alten, die wir waren, bevor wir uns trafen, weisst du, und es ist ja nichts so, als hätte sich durch unser Treffen etwas geändert, denn es hat doch nichts bedeutet. Wir haben die Welt nicht bewegt, die Welt hat uns nicht bewegt und uns haben wir auch nicht bewegt. Zumindest nicht aufeinander zu. Alles, was wir jetzt tun müssen, ist einen anderen Weg gehen, weisst du.


Tja, dann war sie gegangen, schnell, mit schnellen Schritten aus der Wohnung und mir war, als würde ich noch ihre Schritte hören, wie sie die Treppe runterrannte und schliesslich durch die Haustüre, die zwei Stockwerke unter mir lag. Tja, dann war sie weg, und ich sass immer noch da, an dem kleinen Tisch, der eine rechteckige Form besass und ihre Zigarette verglühte langsam im Aschenbecher, der das einzigste Schmuckstück auf dem alten Tisch war. Ich überlegte einen Moment lang, die Zigarette an ihrer Stelle fertig zu rauchen, doch entschied mich dagegen, kurz bevor ich nach der Zigarette griff, mir sagend, dass ich genug lange anstelle anderer da gewesen war, und zog den warmen Tabak in meine Lungen. Vergeblich hoffte ich darauf, dass mein Blut das Nikotin direkt in mein Hirn brachte und ein Gefühl von Benommenheit in mir ausbreiten würde, denn ich war schon allzu gewohnt an die Droge. Trotzdem rauchte ich die Zigarette bis zu Ende, ohne mich ansonsten zu bewegen und starrte an die Decke und an die matte Glühbirne und mir wurde schlecht und ich überlegte mir, ob ich kotzen sollte, oder doch lieber ein paar Bücher aus dem Regall reissen sollte und durch meine Wohnung werfen oder noch besser das Fenster aufmachen sollte und etwas hinauswerfen und schauen, ob ich einen Passanten treffen würde. Ich war müde, irgendwie, hatte jedoch Angst davor zu schlafen. Ich wusste, dass ich sie vermissen würde, nein ich vermisste nicht sie, ich vermisste nur ihren Körper, ihre Wärme, die sie ausstrahlte und mich besser schlafen lies. Ich vermisste nicht sie, keinesfals. Liebe, am Ende, war nur eine Illusion, nicht einmal dies. Ich blies den Rauch aus meinem Mund und stand auf, mit der Zigarette in der rechten Hand und war bereit, einen Dialog zu halten, der einem Tarantino an die Nieren gehen würde, der klasse hatte, für jeden beschissenen imaginären Zuhörer, der mir zuhören würde. Liebe war eine Entscheidung sprach ich stumm, und das war schon alles, was ich sagen wollte.

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