Nouwaleon

Gemeinsam Welten und Figuren erfinden - Fortsetzungsgeschichten zum Mitschreiben.
Padreic
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Di 14. Jan 2003, 23:02 - Beitrag #1

Nouwaleon

Hier beginnt die Geschichte, die alles bisherige und alles kommende in den Schatten stellen wird, oder auch nicht. Auf jeden Fall wird mit diesem Beitrag die lang im Rahmenhandlungs-Thread vorbereitete Geschichte, Nouwaleon, gestartet. Im Moment gibt es drei Schreiberlinge: Seeker, Traitor und ich. Ich hoffe, ihr werdet Freude beim Lesen haben.

Aus dem sanften Hügelland blickte Palidorno auf Kajeve, das Tor zur Welt. Tage war er von den Säumen des großen Waldes hierher gewandert, die Landschaft mit ihren niedrigen Hügeln und den kleinen Bächen, die zwischen ihnen entlang flossen, schien unermesslich zu sein. Doch letzendlich hatte er es dann doch noch nach Kajeve geschafft.
Er zählte hier mehr Dächer, als er in seinem Leben bisher gesehen hatte. Die Häuserreihen zogen sich an beiden Seiten des Ufers entlang. Das hier war die größte Stadt des Nordens und gleichzeitig der Ort, von dem man noch weiter in den Süden kam. Namen wie Mantura oder Faltica lockten, doch Kajeve war für den Anfang schon beeindruckend genug.
An den Rändern des großen Waldes gab es keine Städte, nur kleine Dörfer oder vereinzelte Häuser. Das war auch einer der Gründe, warum er fortgegangen war. Holzfällen allein macht nicht glücklich. So war er denn losgezogen, das Leben in den Städten kennenzulernen und auf Abenteuer zu gehen. Sein Vater hatte ihn schweren Herzens mit einem alten Schwert und etwas Geld ziehen lassen. Lange hatte sein Vater auf ihn eingeredet, dass er doch wie er selbst und sein Vater und dessen Vater ein Holzfäller werden sollte, doch er wollte es nicht. Erst als sein Vater gesehen hatte, dass kein Überredungsgeschick noch helfen konnte, hatte er ihm das, was er brauchte gegeben. Aber er war in Frieden und nicht im Streit geschieden und der Abschied war nicht für immer.
Mit diesen Gedanken im Kopf stand Palidorno lange Zeit auf dem Hügel, von dem aus er das erste Mal eine Stadt gesehen hatte.

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Sa 18. Jan 2003, 21:36 - Beitrag #2

Da war es, das Tor zur Stadt, die das Tor zur Welt war. Der lange Weg hatte sich gelohnt. Groß war das Tor und die Verzierungen waren in einer Weise kunstvoll, wie sie Palidorno zum ersten Mal sah. Doch es war nicht das, was ihn am meisten beeindruckte, sondern es waren die vielen Menschen, die durch dieses Tor strömten: Viele waren es wie Bäume im Wald und sie strömten wie das Wasser im Fluss. Beides vereinigt und dazu noch mit Menschen statt Bäumen war überwältigend. Palidorno zögerte ein wenig. Wie würde es in dieser Stadt mit so vielen Menschen sein? Was würde ihm zustoßen? Doch letzendlich fasste er genügend Mut den Schritt zu tun.
Bisher waren seine Gedanken eher bei der Frage gewesen, ob und wenn wie er zur Stadt hinkam, doch jetzt, wo er in diesem Straßengewirr stand, stellte sich ihm immer mehr die Frage, wohin er eigentlich wollte und was er machen würde. Ein wenig Arbeit sollte er auf jeden Fall finden. Einen Schlafplatz für diese Nacht musste er auch noch finden. Nach den Nächten im Hügelland wollte er endlich mal wieder ein Gasthaus aufsuchen und in einem Bett schlafen. Im Hafenviertel würde es so etwas sicher geben, dachte er sich, und machte sich so auf den Weg zum Fluss. Als der Fluss in Sicht war, viel ihm ein, dass er auch einfach jemanden fragen könnte, wo denn so etwas zu finden sei. So wandte er sich an die an die erste Person, die ihm entgegenkam, einen südländisch aussehenden jungen Mann: "Entschuldigung, Herr. Ich komme von den Säumen des großen Waldes und kenne ich mich eher im Wald aus als in einer großen Stadt wie dieser. Deswgen wollte ich Euch fragen, wo man hier einen Schlafplatz und etwas Arbeit bekommen kann."

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Sa 18. Jan 2003, 23:21 - Beitrag #3

"Eine Herberge sucht ihr?"
Der Mann zog geräuschvoll die geruchgeschwängerte Luft in die Nase, sah sich aufmerksam um, als wolle er überprüfen, ob er auf den Arm genomme wurde.
"Ihr seid neu hier, nicht wahr? Nehmt Euch vor Dieben in acht! Das ist kein Ort für Euch."
"Wieso sagt Ihr mir dass?", fragte Palidorno überrascht.
"Weil Ihr ehrlich ausseht. Und wenn ich ehrlich bin, dann habt Ihr Glück, mich getroffen zu haben. Mein Name ist Oluktel und ich kenne diese Stadt, wie meinen Münzbeutel. Kommen Sie, ich zeige Ihnen eine gute Herberge."
Palidorno war dankbar, dass er einen solch hilfreichen Mann getroffen hatte und war mit wenigen Schritten an Oluktels Seite, der schnell ausschritt. Sie gingen eine Weile schweigsam nebeneinander her und er nahm die Vielzahl der Grüche, die verschiedenartig gekleideten Menschen und das bunte Treiben in sich auf. Er war von einer Leichtigkeit erfüllt, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Schliesslich brachte ihn seine Neugier dazu, das Schweigen zu brechen.
"Herr Oluktel, wieviele Menschen leben hier?"

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So 19. Jan 2003, 12:57 - Beitrag #4

"Genau weiß das niemand, da nie jemand Volkszählungen durchführt. Aber es dürften bestimmt Zweitausend Dutzend sein." antwortete dieser. Palidorno hatte bereits mit einer riesigen Zahl gerechnet, aber so viel überstieg sein Vorstellungsvermögen - sein Heimatdorf hatte knapp 30 Einwohner gezählt, und Talire, die "große Stadt" in der Nähe, einige hundert. Sein Eindruck, in dieser gigantischen Stadt verloren zu sein, verstärkte sich immer mehr, und um so froher war er, einen erfahrenen Begleiter gefunden zu haben.
Im Weitergehen passierten sie Häuserzüge, die mit dem Abfallen der Straßen zum Fluss hin immer niedriger und schäbiger wurden. Allmählich wandelten sich die Passanten von sauber gekleideten Händlern und Handwerkern zu immer abgerisseneren Männern, Frauen und Kindern, viele schwere Lasten tragend oder mit tumbem Blick vor sich hintrottend.
Schließlich blieb Oluktel vor einem etwas weniger schäbigem, aber doch windschiefem Haus stehen, an dem ein ebenfalls schiefes Schild mit großem, aufgemaltem Bierkrug hin. "Das ist der "Hafenkrug", meine Stammwirtschaft. Hier könnt ihr sicher bleiben." meinte er. Dann führte er Palidorno in einen muffigen, dunklen Schankraum und ließ direkt zwei Bierkrüge auf seine Rechnung kommen. Erneut war der junge Reisende überrascht von der Großzügigkeit dieses Mannes.

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Mo 20. Jan 2003, 21:37 - Beitrag #5

Das Bier war stark und rasch stieg es Palidorno zu Kopf, doch Oluktel ermutigte ihn immer wieder zu trinken und gab ihm noch ein Bier aus. "Ein sehr großzügiger Mann, dieser Oluktel. In der Stadt scheinen die Menschen besser zu sein, als ich dachte. Mein Vater hat mich vor den Leuten in der Stadt gewarnt, doch er hat wahrscheinlich wie üblich übertrieben. Auch hier gibt es Leute, die nett zu einem sind und denen man vertrauen kann.", dachte er mit dem langsamen Denken eines müden Betrunkenen.
Oluktel erzählte viel von seinen Reisen, die ihn bis in die östlichen Steppen geführt hatten. Ein weitgereister Mann schien dieser Oluktel zu sein. Händler war wohl ein guter Beruf, wenn man reisen wollte. So lauschte Palidorno ihm eine ganze Weile. Irgendwann sprach Oluktel:
"Palidorno, Ihr seht müde aus. Vielleicht habe ich euch auch etwas viel Bier spendiert. Auf jeden Fall solltet ihr bald schlafen, wenn ihr morgen früh nach einer Arbeit suchen wollt. Ich werde kurz zum Wirt gehen und einen guten Preis aushandeln." Nach kurzer Zeit kam er wieder. "Das Zimmer ist die Treppe rauf und dann gleich das erste Zimmer links. Gebt mir nur kurz Euren Geldbeutel, dass ich euer Zimmer bezahlen kann. Ich bringe ihn Euch dann gleich hoch. Ihr sollt euch keine Umstände machen." "Danke für Eure Mühe.", sagte Palidorno, gab Oluktel den Geldbeutel und machte sich auf den Weg zu seinem Zimmer. Als er sich aufs Bett gelegt hatte, schlief er, obwohl er es nicht beabsichtigt hatte, schnell ein.

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Do 23. Jan 2003, 13:32 - Beitrag #6

Palidorno schlief tief und fest. Seine vom Alkohol verzerrten Träume beschehrtem ihm eine seltsame Nacht, in der sich Albtraum an Albtraum reihte, unterbrochen von kurzen, sinnlichen Träumen. Als er am Morgen von der Sonne geweckt wurde, erinnerte er sich an den letzten Abend. Ein leichtes Lächeln stahl sich über seine Lippen und er setzte sich auf. Etwas zu schnell, wie er jetzt bemerkte. Sein Kopf fühlte sich an, als hätte Tullik, der stärkste Hengst seines Heimatdorfes, nach ihm getreten. Jede noch so kleinen Bewegung löste beissende, drückende Schmerzen aus und er sank langsam zurück aufs Bett. Was wohl Oluktel gerade machte? Eine dunkle Erinnerung drang an die Oberfläche und er beschloss, bei aller Freudlichkeit, die dieser Herr ihm angedeihen hatte lassen, nach seinem Beutel voller Geld zu suchen.

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Fr 24. Jan 2003, 22:18 - Beitrag #7

Mit brummendem Schädel tappte er langsam die Treppe des Gasthauses hinunter. Unten war der Schankraum um diese Zeit natürlich völlig leer, nur in einer Ecke wischte der Wirt einige Tische ab - selbst dieses leise Geräusch erklang schon unangenehm laut in Palidornos Ohren. Trotzdem ging er näher heran und richtete das Wort an den Wirt: "E-edler Herr, scha... sagt mir" - es dauerte ein paar Worte, bis er seine schwere Zunge unter Kontrolle bekam, und selbst dann fiel ihm das Reden ncoh einigermaßen schwer. So mies hatte er sich noch nie nach Alkohol gefühlt. "Sagt mir bitte, ob Ihr einen Mann names Oluktel gesehen habt. Er hat für mich bezahlt."
Der Wirt sah von seiner Arbeit auf, wischte sich die Hände an seiner Schürze ab und schaute den jungen Mann abschätzend an. Dann begann er mit leichtem südländischen Akzent: "Nein, für Euch hat niemand bezahlt, Bursche. Ich habe nichts dagegen, wenn jemand zu betrunken ist, um sein Zimmer im Voraus zu bezahlen - aber dann möchte ich am nächsten Tag Geld sehen und keine Ausreden. Also, habt Ihr Geld oder nicht?" Palidorno schüttelte benommen den Kopf.

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Sa 25. Jan 2003, 18:50 - Beitrag #8

"Nein, Herr.", lallte Palidorno. "Den Geldbeutel hat Oluktel, ich vertraute ihm." "In der Stadt musst du vorsichtig sein, Junge, da bist du selber schuld. Aber wenn du willst, kannst du eine Weile bei mir arbeiten, um dein Zimmer bezahlen zu können. Du siehst sowieso aus, als ob du Arbeit brauchen könntest." Palidorno überlegte und langsam wurde sein Kopf wieder klarer. Er hatte kein Wahl. "Ja, Herr.", sagte er. "Ich kann gleich heute abend anfangen." "Schön, Junge, ich werd dich dann heut abend einweisen."
Palidorno spürte immer noch die hämmernden Schmerzen in seinem Kopf und so ging er wieder nach oben in sein Zimmer. Er legte sich hin, denn es verlangte ihn nach Schlaf, doch trotz seiner Müdigkeit konnte er nicht schlafen und daran waren nicht nur seine Kopfschmerzen durch. Quälende Gedanken gingen ihm durch den Kopf.
"Ich habe mich in der Stadt getäuscht. Ich habe einem fremden Menschen mein ganzes Geld anvertraut. Ich war zu vertrauensselig. Mein Vater hatte Recht. Ich darf hier niemanden trauen. Niemandem." Immer wieder machte er sich Vorwürfe, einerseits, weil er sein ganzes Geld leichtfertig verloren hatte, aber auch, weil er nicht auf seinen Vater gehört hatte. "Ich hätte zu Hause bleiben sollen. Mein Vater hatte Recht. Das ist kein Platz für mich. Jetzt liege ich hier und bin nicht besser dran als zuvor. Kein Geld habe ich und eine Arbeit, die nicht besser als das Holzfällen ist, wo man wenigstens die Frische der Luft genießen konnte. In dieser stickigen Kneipe muss ich Säufern ihr Bier bringen, bis es mir zum Halse raus hängt. Und noch länger. Ich bin ein Idiot."

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Sa 25. Jan 2003, 23:10 - Beitrag #9

Palidorno betrachtete die nur matt durch den Dunst über der Stadt durchschimmernden Sterne. Ein langer, anstrengender Abend in der verrauchten Spelunke, als die sich das Wirtshaus bei klarem Kopf herausgestellt hatte, lag hinter ihm, und als er weit nach Mitternacht endlich ins Bett durfte, war er, da er den ganzen Nachmittag seinen Rausch ausgeschlafen hatte, trotz aller ZErschlagenheit nicht in der Lage, einzuschlafen. So hatte er sich entschieden, nocheinmal nach draußen zu gehen und die nächtliche Stadt etwas zu beobachten .
"Aber auf keinen Fall ein Risiko eingehen " schoss es ihm durch den Kopf. "Ich kann es mir nicht erlauben, nochmal auf jemanden hereinzufallen. " Langsam lenkte er seine Schritte zum Ufer der Hisie, die ruhig, aber doch recht schnell durch die Stadt strömte. Eigentlich sollte um diese Zeit alles ruhig sein, aber von einer Ansammlung aus baufälligen Schuppen und Hafenmolen hörte er laute Geräusche, die ihm sehr seltsam vorkamen. Obwohl er sich weiter vorhielt, nur vorsichtig zu sein, begann er, neugierig dorthin zu gehen.

Seeker
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Mi 29. Jan 2003, 09:08 - Beitrag #10

Langsam ging er näher an die Hütte heran. Von drinnen flackerte das Feuer und warf gespenstische Schatten an die gegenüberliegende Wand, die man durch eine Art Fenster sehen konnte. Palidorno hörte lautes Grunzen, spitze Schreie und so etwas wie ein Krug zersplitterte. Er ging noch näher heran und spürte sein Herz wie wild schlagen. Nur mal kurz reinsehen, ich mische mich nicht ein, nein, keine Schwierigkeiten anziehen ...,schoss es ihm durch den Kopf. Langsam beugte er sich weiter nach vorne und sah einen widerwärtigen Fettwanst auf einer hilflosen Frau liegen. Seine Hose schlackerte ihm um die dünnen Beine und erneut grunzte er widerwärtig. Die Frau wehrte sich mit all ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, kratzte und biss, aber konnte gegen die Masse des Fetten nichts ausrichten. Palidorno wurde schlecht. Was sollte er tun? Einfach weitergehen?

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Do 30. Jan 2003, 16:20 - Beitrag #11

"Kein Risiko eingehen, bloß kein Risiko eingehen, das habe ich mir geschworen. Einmal bin ich ein Risiko eingegangen und derbe auf die Fresse geflogen. Bloß kein Risiko eingehen.", dachte sich Palidorno und drehte sich zum Gehen um. Abermals hallte ein heller Schrei in den Gassen wieder, ein noch dringlicherer als die Schreie zuvor. "Tod und Verderben, verdammt möge ich sein." durchschnitt es seine Gedanken und er wandte sich wieder um. "Halt!" "Kümmer dich um deinen eigenen Kram, Junge.", klang es verächtlich von dem Mann. "Halt, sagte ich.", rief Palidorno, jetzt mit noch festerer und wütenderer Stimme. "Ist das etwa deine Braut?", lachte der Mann zurück und wandte sich wieder der Frau zu. Da erinnerte sich Palidorno seines Schwertes, das er mitgenommen hatte, um sich schützen. Er zog es langsam hervor. Lang war es her, dass er es zuletzt benutzt hatte. Er war kein Schwertkämpfer. Doch dann sah er in das Gesicht der hilflosen, schreienden Frau. Er ging zu dem Fettwanst hin, hielt ihn die Klinge an die Kehle und sprach voller Hass: "Steh langsam auf, Hund!" Der Mann stand, durch die Angst wie verwandelt, vorsichtig auf. "An die Wand!" Der Mann tat, was ihm befohlen wurde. "Ich werde dich der Wache übergeben.", sprach Palidorno. "Ich bin von der Wache.", lächelte der Mann, der seine Selbstsicherheit zurückgewonnen hatte. "Sie werden mich nicht einlochen. Sie werden dich einlochen. Sowas ist ohne Bedeutung, es ist üblich." Palidornos Hand begann gefährlich zu zucken. Angst und Hass zugleich stiegen in ihm auf. "Was ist das nur für eine Welt? Mögen die Götter diese Stadt verfluchen, wenn es wahr ist, was der Mann sagt. Doch dann muss ich hier weg. Schnellstens. Verflucht. Doch was ist, wenn der Mann lügt? Dann kann ich ihn der Stadtwache ausliefern. Und wenn er nicht lügt, dann darf ich ihn auch nicht laufen lassen, denn dann wäre ich schnell gefasst. Der Mann hat Strafe verdient und es scheint an mir zu sein, sie ihm zu geben. Er zitterte immer mehr. "Einen Menschen umbringen, einen Menschen umbringen... Kann ich das?", fragte er sich. "Wenn du nur willst.", sagte die andere Seite in ihm. "Dein Hass ist berechtigt. Er hat sich an diesem jungen Mädchen vergriffen. Du hast es schreien hören!" "Nein, nein, ich kann ihn nicht umbringen. Ich habe nicht das Recht dazu. Und auch wenn? Ich würde von da an als Mörder gejagt, als Mörder eines von der Wache gar! Wenn einer von ihnen umgebracht wird, sind sie immer am härtesten. Nein, nein, es geht nicht." "Du kannst ihn nicht laufen lassen, du würdest sicher erwischt. Du kannst nicht zur Polizei gehen, du würdest eingelocht. Und sowieso kannst du ihn nicht ungestraft lassen! Es ist an dir, das Recht in die Hand zu nehmen! Denk an das Mädchen! Stell dir vor, es wäre deine Schwester! Stell dir vor, sie würde hier auf dem Boden liegen und so schreien! Stell dir vor, er würde sich an ihr vergreifen und ihr Leben so zerstören."
Palidorno machte den Schnitt, ließ das Schwert fallen und rannte fort.

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Fr 31. Jan 2003, 20:29 - Beitrag #12

Wo war er, wohin war er gerannt? Palidorno wusste es nicht und er fragte sich auch nicht danach. Er wusste nur, dass er einen Menschen umgebracht hatte. Ihm war nach weinen zumute, doch die Tränen kamen nicht. Er war nun stehen geblieben und sein Blick ging ins Leere, in die Weite, die nicht bestand, weil sie von den engstehenen Häusern verdeckt wurde. Hier war er nun, allein in den Gassen einer Stadt, die ihm fremd war, und auch sich allein hatte er dies alles zu verdanken. Doch er spürte keine Reue, sondern nur die Leere. Langsam kamen ihm wieder seines Selbst Funken jenseits des Schnittes in den Geist. Es waren Kindheitserinnerungen, wie er auf der Wiese mit seinen Brüdern spielte. Die Sonne schien noch ungetrübt. Dann kamen ihm die Klänge einer Axt zu Bewusstsein und er sah sich, wie er zusammen mit seinem Vater seinen ersten Baum fällte. Er war mächtig stolz gewesen, damals. Dann kamen die langen Gespräche mit seinem Vater, bevor er weggegangen war. Lang war das nicht her, das spürte Palidorno. Dann tauchte plötzlich vor ihm das Tor von Kajeve auf. Langsam erinnerte sich Palidorno wieder. Er war in Kajeve. Nun kam ihm Oluktel in den Sinn und fast bedauerte er, nicht mehr sein Schwert zu haben, so groß war der Hass auch auf ihn. Fetzen von der langen Nacht im Wirtshaus kamen. Dann war er auf einen Spaziergang gegangen und plötzlich war ihm alles wieder deutlich, das Mädchen, der Mann, das Schwert, der Schnitt... Was hatte er bloß nur getan?

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Mo 3. Feb 2003, 20:47 - Beitrag #13

Es wurde kälter und Palidorno lief immer noch planlos durch die engen Gassen. Dunkle Gestalten schoben sich an den Häusermauern entlang, versteckten sich vor ihm und einige schienen ihn zu verfolgen. Ihm war alles egal. Wozu war er nur geworden? Ein Mörder! Ein kleiner Teil seines Selbst wehrte sich gegen diese Bezeichnung - er war kein Mörder - er hatte dieses Mädchen gerettet!

Illmak schob sich näher an sein Opfer heran. Er war sich sicher, dass er leichtes Spiel habe würde, denn der Mann schwankte, griff sich immer wieder an den Kopf und schluchzte manchmal laut auf. Solche lebenden Leichen wandelten nicht oft durch die Unterstadt und er war froh, dass er ihn so früh erkannt hatte. Er zog den lange Dolch aus seinem Wams, griff fester zu und schob seinen schweren Umhang zur Seite. Gleich würde er zuschlagen! Nur noch ein paar Meter, dann würde ihm das Wenige, was dieser Mann dort vorne bei sich trug, ihm gehören.

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Mo 3. Feb 2003, 22:21 - Beitrag #14

Plötzlich ein stechender Schmerz, der ihn aus seiner verwirrten Dämmerigkeit riss. Kalter Stahl durchbohrte seinen Bauch. "Tod auf Tod.", dachte Palidorno nur. Er sah, dass jemand ihn durchsuchte. Doch er fand nichts, Palidorno hatte kein Geld mehr. Palidorno schaute auf die Sterne. Sie waren so schön. Die starken Schmerzen spürte er in seinem wegdämmernden Bewusstsein kaum noch. "Es ist schade, dass es schon so weit ist. Die Sterne sind so schön." Er merkte kaum, dass sich der Mann wütend entfernte, die ganze Umwelt wurde bedeutunglos. Ich habe hier im Angesicht Todes doch noch meinen Frieden gefunden, meinen Frieden gefunden. Es war das letzte, das er dachte, bevor seine Augen zufielen und die Sterne und all die anderen Dinge aus seinem Bewusstsein schwanden.

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Traitor
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Fr 7. Feb 2003, 22:16 - Beitrag #15

Seltsame Laute drangen in sein Bewusstsein. Langsam lösten sich die Schleier, und er begann, sie zu identifizieren: Schreie. Hohe Schreie. Sofort war er hellwach. Er fühlte einen körperlichen Schmerz, aber der wurde völlig überlagert durch den Schmerz der Erinnerungen: diese Schreie versetzten ihn sofort in die schäbige Hütte zurück, er sah wieder den Mann vor sich, die durchtrennte Kehle, die bluttriefende Klinge. Schon begann er wieder, seine Gefühle nach der Tat zu durchleben, als ein vernünftig gebliebener TEil seiner selbst die Schreie genau erkannte: es waren keine Angst- oder Schmerzschreie. Es waren fröhliche Schreie.
Langsam drängte er die Panik zurück, und als er wieder einigermaßen klar denken konnte, erkannte er endlich, was es für Schreie waren: die Rufe von Marktfrauen. Dann drangen auch die vertrauten Gerüche von Wurst, Bier und stinkenden Tieren in seine Nase. JEtzt wusste er immerhin wo er war. Dennoch fühlte er noch den Schmerz in seinem Bauch, und seine Augen blieben blind, auch wenn er sie weit öffnete. Zumindest letzteres konnte er sich allerdings schnell erklären, denn er spürte ein Gewicht auf seinem Kopf, dass sich als Kissen herausstellte. Er schob es zur Seite und blickte sich im Raum um.
Er befand sich in einem kleinen, nur halb von dem durch die Tür und die Ritzen in den vernagelten Fenstern kommendem Sonnenlicht erhellten Raum. Einzelheiten konnte er durch die Beleuchtung nur direkt gegenüber der Tür erkennen, wo einige Werkzeuge an der Wand hingen, und etwas, das ihn sehr überraschte: eine pergamentene Landkarte. Aber dieser konnte er nur wenig Aufmerksamkeit zuwenden, denn direkt neben der Tür erkannte er im Zwielicht einen großen Schatten sitzen, von dem ihn zwei Augen unter einer tiefgezogenen Kapuze ansahen.

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Fr 7. Feb 2003, 23:20 - Beitrag #16

Als er den durchdringenden Blick auf sich ruhen fühlte, versuchte Palidorno unwillkürlich, sich aufzusetzen. Dabei durchfuhr ihn aber sofort ein stechender Schmerz, und er sank stöhnend zurück. Der Fremde ließ seinen Blick noch einmal über ihn wandern und setzte sich dann langsam auf, ging langsamen Schrittes an das Bett und reichte ihm einen Krug, der auf dem nahen Schrank gestanden hatte. "Trink das. Du bist noch sehr geschwächt von deiner Wunde."
Erst zuckte er zurück. "Ich habe schon schlechte Erfahrungen gemacht mit Leuten, die freundlich zu mir sind und mir etwas zu trinken anbieten." dachte er sich, aber Durst und Schwäche obsiegten über das Misstrauen. Und als er den Krug ansetze, erwies sich der Inhalt als simples, angenehm frisches Wasser. Er leerte ihn in wenigen, gierigen Zügen, obwohl ihm dies weitere leichte Schmerzen bereitete.
Der Mann beobachtete ihn dabei regungslos, aber der Blick wirkte eindeutig abschätzend. Als Palidorno absetzte, betrachtete er ihn ebenfalls eingehender, soweit er ihn im Halblicht erkennen konnte - er hatte sich geschickt gegen die einfallende Sonne gestellt. Er war deutlich älter als er selbst, genauer konnte man es aber nicht einschätzen. Er hatte schwarze, mittellange Haare und wirkte allgemein eher etwas zwielichtig. Nach den schlechten Erfahrungen mit dem auf den ersten Blick sympathisch wirkenden Oluktel war Palidorno aber geneigt, dies nicht so ernst zu nehmen.
"Wer seid Ihr, Herr?" fragte er mit noch leicht zittriger Stimme. "Nenn mich Taran, Junge. Du kannst von Glück sagen, dass ich dich gefunden habe und du überlebt hast. Diese Stadt ist kein Ort für einen Unbewaffneten, der auch noch so unerfahren ist wie du es zu sein scheinst..."

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Sa 8. Feb 2003, 13:44 - Beitrag #17

Palidorno senkte den Kopf. Taran hatte recht, er war unerfahren. Palidorno sah dann wieder Taran an. Der Mann sah nicht freundlich aus, doch er hatte ihm das Leben gerettet. "Mein Name ist Palidorno. Und ihr habt recht, ich bin in den Angelegenheiten der Stadt unerfahren. Ich komme von den Säumen des großen Waldes."
"Verstehe.", antworte Taran. "Und was machst du dann hier in der Stadt?"
"Ich war auf Abenteuer aus, ich wollte die Stadt kennenlernen und andere Länder besuchen. Jetzt sehe ich, wie töricht das war." Palidorno senkte wieder den Blick.
"Nein, das war nicht töricht. Wer will schon sein Leben lang im Wald holzfällen oder Fallen stellen. Nein, so ein Verlangen ist nicht töricht. Töricht war aber, dass du dich hast ausrauben lassen."
Palidorno sah Taran wieder an. So hatte er es noch nicht gesehen. Taran stand nun auf.
"Ich habe jetzt aber Geschäfte erledigen und werde mehrere Stunden weg sein. Leg dich am besten wieder schlafen. So einen Stich in den Bauch sollte man nicht unterschätzen."
"Herr, noch eines, bevor Ihr geht."
"Ja?"
"Danke, dass Ihr mich gerettet habt."
Taran wandte sich um und ging aus der Tür.

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So 9. Feb 2003, 00:28 - Beitrag #18

Er hatte viel Zeit, um über sich, seine Vergangenheit und die Menschen dieser Stadt. Immer wieder wanderten seine Gedanken zur Vergewaltigung zurück. Er fragte sich, wie ein Mann so gegen eine Frau vorgehen konnte. Er hatte richtig gehandelt. Gleichzeitig jedoch spürte er die Macht des Zweifels an seiner Tat. Wer war er, dass er über das Leben eines anderen entschied? War die Welt wirklich so schlecht, wie sein Urgrossvater immer gesagt hatte? Wie es wohl der Frau ging, die er gerettet hatte? Wer war sie? Wie lebte sie? Dachte sie öfters an ihn? War sie ihm dankbar? Seine Gedanken drehten sich immer schneller im Kreis, glichen immer mehr einer Art steigendem Fieber, das in Wahn überging. Dumpfe Geräusche drangen durch die Wände an sein Ohr, er hörte viele Stimmen und Geschrei, das Wiehren von Pferden und einige Dinge, die er noch nie zuvor gehört hatte und von denen er nicht wusste, woher sie kamen. Die Wunde schmerzte bei jeder Bewegung und er bemerkte keine Besserung. Wie lange würde er wohl hier liegen müssen?
Irgendwann ging die Tür auf und Taran kam zurück. Seine Schritte waren langsam und müde. Er gab ihm etwas zu trinken, legte wortlos etwas Brot und Käse auf den Tisch vor ihm und ass. Nach einer Weile hob er den Kopf.
"Wie geht es Dir?"
"Nicht viel besser, seit heute morgen. Danke für Deine Hilfe."
"Ich kann dich noch zwei weitere Tage hierbehalten, danach muss ich die Stadt für eine Weile verlassen. Sieh zu, dass du bis dahin wieder einigermassen in Ordnung bist."
Palidorno fasste den wenigen Mut, den er noch besass und fragte:
"Hat man etwas von einer toten Wache in der Stadt gehört?"
Taran sah ihm direkt in die Augen und fragte:
"Wieso willst du das wissen?"

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So 16. Feb 2003, 14:04 - Beitrag #19

"Ich hätte nicht fragen sollen."
Was sollte er jetzt tun? Er konnte Taran nicht sagen, dass er eine Wache getötet hatte.
"Ich sah eine tote Wache im Hafenviertel liegen."
"Lügen tut weh, aber es war die einzige Möglichkeit."
"Und was hast du dann gemacht?", fragte Taran kühl.
"Ich, äh, ich war etwas schockiert und bin in der Stadt auf der Suche nach einer Wache, der ich es melden konnte, umhergeirrt. Dann kam mir aber der Räuber in die Quere."
Taran lächelte bitter und Palidorno wurde klar, wie unglaubwürdig er wirken musste.
"Mach dir keine Sorgen, irgendjemand wird die Wache schon finden. Aber in dieser Stadt werden so viele Menschen umgebracht, da wird eine Wache auch nicht für große Aufregung sorgen."
Palidorno sah, dass Taran ihn durchschaut haben musste, doch es schien ihm nichts auszumachen. Wieder fragte sich Palidorno, was das für ein Mann war.
Langsam wurde es im Zimmer noch dunkler. Es kam wohl langsam die Dämmerung.
"Leg dich wieder schlafen, Junge.", sagte Taran. "Denk dran, in zwei Tagen musst du wieder OK sein."
So drehte Palidorno sich um und schloss seine Augen, um zu schlafen.

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Do 27. Feb 2003, 15:00 - Beitrag #20

Düstere und wirre Träume quälten ihn die ganze Nacht. Seltsame Sinneseindrücke vermischten sich mit seiner Traumwelt, die Wiese, auf der er gerade mit seinem Vater gefaulenzt hatte, begann zu brennen, Rauch quoll von überall her auf ihn ein. Er konnte ihn sogar riechen! Plötzlich war er wach! Er hörte Menschen schreien, sah flackernden Lichtschein durch das Fenster dringen und er roch es: Feuer! Seine Wunden schmerzten, als er sich abrupt aufrichtete und nach Taran suchte. Er war alleine. Ein Pferd gallopierte am Fenster vorbei und wiehrte laut auf, als er mit irgendetwas zusammenstiess. Palidorno quälte sich vom Bett hoch und humpelte zum Fenster. Was er sah, lies ihn seine Schmerzen vergessen ...

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