Analyse des kategorischen Imperativs

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
blobbfish
Listenkandidat
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 3022
Registriert: 26.01.2003
Di 23. Dez 2003, 20:47 - Beitrag #21

Die Disksussion über Fremdworte erkläre ich hiermit für beendet. Dann kann sich hier wieder dem kategorischen Imperativ zugewandt werden, wir sind hier schließlich nicht im Smalltalk ..

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Fr 13. Sep 2013, 16:16 - Beitrag #22

"Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie allgemeines Gesetz werde."


meiner Ansicht nach wird der kategorische Imperativ nicht durch die Existenz von Sadisten und Masochisten, die einen einheitlichen volonté generale unmöglich machen, in Frage gestellt, sondern einmal durch die schlichte Frage "wieso?" und zum anderen durch die ebenso schlichte Verfügung "Ich will aber nicht". Kant wird darauf hin die Verwerflichkeit der Verfügung logisch belegen und dabei gleichzeitig die Frage ebenso logisch beantworten, aber spätestens mit meinem Ausruf "na und?" wird er resignieren müssen oder in einen zirkulären Diskurs gezwungen^^

Etwas ernsthafter: Kant ist gefährlich nah an einer Art absoluter Moral, einer Moral apriorihafter absoluter Gültigkeit, gebaut, er erkennt nicht den Charakter von Moral als willkürlicher, zumindest Absichten verpflichteter und diesen folgender Setzung. Möglicherweise ist diese Erkenntnis einem Anhänger eines aufgeklärten Absolutismus auch gar nicht zuzumuten^^

Noch anders, wenn dir danach zumute ist, anderen Moral aufzuzwingen, liefert Kant dir Munition. Allen anderen kann Kant gleichgültig sein.

Padreic
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4485
Registriert: 11.02.2001
Mo 16. Sep 2013, 03:31 - Beitrag #23

Zu sagen, Kant sei "gefährlich nah an einer Art absoluter Moral, einer Moral apriorihafter absoluter Gültigkeit" erinnert mich an den Vorwurf, Thomas von Aquin sei gefährlich nah an der Annahme eines Schöpfergottes ;).

Gegen ein "Na und?" könnte Kant einwenden, dass seine ethischen Schriften eben nur für Leute gedacht sind, die vorhaben, ethisch zu handeln. Wenn ich zu einem Autor eines exzellenten Schachbuchs gehe und sage "Na und? Ich spiele gar keine Schach.", hat dieser allen Grund zu sagen: "Was kümmert mich dein Geschwätz?"

Etwas ernsthafter: Zu sagen, Moral sei eine willkürliche, zumindest durch Absichten bedingte Setzung, ist selbst durch Absichten und Zwecke bedingt. Für soziologische oder psychologische Studien halte ich das für eine sehr passende Einstellung. Für mich als handelndes Subjekt sehe ich aber nur einen beschränkten Nutzen. Der Nutzen, den ich sehe, ist, dass diese Einstellung mir hilft, anderer Leute Moraleinstellung nicht unreflektiert zu übernehmen. Es bleibt aber, dass ich Entscheidungen treffen muss, viele Entscheidungen. Viele dieser Entscheidungen scheinen keine ethischen Bezüge zu haben, wie z. B. ob ich mir noch ein Glas Wasser hole oder nicht. Ich denke, selbst in diesem Fall gibt es ethische Bezüge, da man verschiedene Bedürfnisse wie Faulheit und Durst gegeneinander abwägt, was im Hintergrund wieder auf Güter und Ziele verweist. In anderen Fällen sind ethische Bezüge sehr viel deutlicher (Schwarzarbeit, im Bus für einen älteren Menschen aufstehen, etc. pp.). Man bemerke, dass ich auch Abwägung verschiedener Aspekte des Eigennutzes als ethisch durchwoben ansehe (z. B. kurzfristige Schmerzvermeidung gegen längerfristiges Glück etc.). Da hätte ich Kant und eine ganze Schar anderer Leute sicherlich auch hinter mir [das ist nicht als Sach-, sondern als semantische Unterstützung gedacht.]
Mein Punkt ist also, dass man gar nicht nicht-ethisch handeln kann; Handlungen haben immer eine deutlich oder, meistens, eine weniger deutliche ethische Komponente. Nur in seltenen Fällen behandeln wir diese ethische Komponente bewusst, in den seltensten Fällen reflektiert. Nicht man die Aussage, dass Moral reine Willkür ist, ernst, wüsste ich nicht, was die Folgerung davon sein sollte. Eine könnte sein, vollständig auf unbewusste und unreflektierte ethische Prinzipien zurückzugreifen (sofern das möglich ist). Der Grundsatz "Do what thou wilt shall be the whole of the Law" ist erstens schon ein ethischer Grundsatz; zweitens macht er nur Sinn, wenn man 'Willen' spezifiziert. Das Verhältnis von Willen zu Bewusstsein ist so subtil, dass "Tu, was du willst." erstmal ein Grundsatz ist, aus dem nichts folgt. Auch der Angriff, dass Moral ja ohnehin immer nur das rechfertigt, was man ohnehin will, verkennt die Subtilität dieses Verhältnisses (auch wenn er eine gewisse Berechtigung hat).
Häufiger wird man die Situation vorfinden, dass trotz der Beteuerung, dass moralische Systeme reine Willkür sind, mit moralischen Begriffen wie 'Boshaftigkeit', 'schlechter Charakter' etc. hantiert wird. Die Einsicht, dass Moral reine Willkür ist, muss keinerlei Auswirkungen auf das eigene moralische Gerüst haben. Inwieweit dann diese Einsicht ernsthaft angewendet wird, mag dahingestellt sein. Man bemerke aber, dass die Einsicht zweiter Stufe, dass die Ansicht, Moral sei willkür, selbst wieder Absichten und Zwecken verpflichtet ist, erlaubt, Menschen, insofern sie diese Ansicht vertreten, selbst wieder soziologisch und psychologisch zu untersuchen.

Jedem kann Kant gleichgültig sein. Das Vorhaben, einem anderen seine Moral aufzuzwingen, ist aber (wie auch dir jenseits von Polemik sicherlich bewusst), keinesfalls der einzige Grund, sich mit einer ethischen Schrift zu beschäftigen. Anregungen für Leitlinien zum eigenen Handeln zu finden, ist ein anderer. Mir ist durchaus bewusst, dass im Korsett aus Gewohnheiten und sozialem Druck wir nur selten in Freiheit ein ethisches System anwenden werden; einen gewissen Einfluss mag es aber dennoch haben, je nachdem, auf welchen Boden es fällt.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mo 16. Sep 2013, 11:47 - Beitrag #24

der Autor des Schachbuches verzichtet aber in aller Regel darauf, von mir zu fordern, überhaupt Schach zu spielen^^ davon abgesehen würde Kant in der Tat vielleicht darauf verweisen, dass seine moralia nur für Leute gedacht sind, die sich darauf beziehen lassen, jedoch würde er damit in die Irre führen^^ Und selbst er dürfte nicht so unbedarft gewesen sein, zu glauben, dass philosophische Moralsysteme nicht auf Gesetzeskraft abzielen - die Leute, die diese Systeme in Gesetzeskraft übergeführt haben, waren es gewiss nicht.

Vor allem in Überwachen und Strafen, aber in geringerem Umfang auch in vielen anderen Werken hat Michel Foucault eine große Zahl philosophischer Grundbegriffe wie Willensfreiheit, Handlungsfreiheit, Moral, Ethik und andere in Hinsicht auf ihre politische Eignung und faktische Verwendung analysiert. Es wird dich nicht überraschen, wenn die Philosophie dabei verdammt schlecht abschneidet^^ insofern schlecht abschneidet, als Foucault nachweist, dass viele ihrer zentralen Konzepte dazu dienen, politische Maßnahmen und Entscheidungen dem Diskurs zu entziehen. Die Unterscheidung von Willens- und Handlungsfreiheit z.B. dient nur in der grauen philosophischen Theorie zu Klärung eines komplexen Sachverhalts, ganz pragmatisch wird sie dafür zur Verfügung gestellt, um deviantes Verhalten bestrafen zu können, ohne Devianz überhaupt zu diskutieren. Es ist dies das philosophische Äquivalent zu den Naturwissenschaften, deren Repräsentanten ja nur neugierig sind^^ dass aus ihren Ergebnissen auch politisch-wirtschaftliche Konsequenzen folgen - prominentestes Beispiel der Bau der Atombombe - hat die Neugierde noch nie gestört. Axiome werden, einmal gesetzt, nicht hinterfragt^^

Das heißt, die übergroße Mehrheit der Philosophen sind im Macht-Diskurs parteiische Apologeten, und keineswegs neutrale Analysten und Klärer. Es kann ihnen - ohne massive Berücksichtigung soziologischer Erkenntnisse, die seitens Philosophie normalerweise nicht gegeben ist - nicht getraut werden. Mehr wollte ich eigentlich nicht sagen^^

Vorherige

Zurück zu Philosophie

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 13 Gäste