Was ist Wahrheit?

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Maurice
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So 19. Mär 2006, 17:11 - Beitrag #61

Kann eine Aussage zum Teil wahr und falsch sein?

Zitat von superconductor: Zu ner Aussage gehört ne Handlung dazu und wenn jene übereinstimmt, dann ist die Aussage wahr bzw. ne Wahrheit.

Bei manchen Aussagen gehöt eine Handlung dazu, aber nicht zu allen. Wenn Aussage und Handlung nicht übereinstimmen (z.B. man sagt "ich gehe jetzt schlafen" tut dies aber nicht), spricht man von einem sogenannten performativen Widerspruch.
Aber wie gesagt bedarf nicht jede Aussage einer Handlung, damit sie wahr ist. Bestes Beispiel ist wohl unser heiß diskutierter Satz "hier steht ein roter Stuhl". Die Aussage, dass hier ein roter Stuhl steht ist ja wohl unabhängig davon wahr oder falsch, ob jemand etwas macht. Oder wie sollte die passende Handlung zu der Aussage "hier steht ein roter Stuhl" aussehen? :confused:


Ich habe aber noch generell eine andere Frage, bzw. ist mir ein Detail in den Sinn gekommen, zu dem ich gerne eure Meinung hören würde:
Ist die Aussage "hier steht ein roter Stuhl" gleichbedeutend mit "hier steht ein Stuhl und dieser ist rot"? Es scheint mir, dass hier eindeutig derselbe Sachverhalt referiert wird, aber handelt es sich auch um dieselbe Aussage? Streng genommen habe ich ja aus einer Aussage zwei gemacht. (Ich spreche im folgendenen von A1 ("hier steht ein roter Stuhl") und A2x ("hier steht ein Stuhl") und A2y ("der Stuhl ist rot").)
Wenn hier nun statt eines roten Stuhls ein schwarzer steht, so würde ich sagen, dass die Aussage A2x wahr aber die Aussagen A1 und A2y falsch sind. Da sich aber die Aussage A1 aus den Aussagen A2x und A2y zusammensetzt, müsste man nicht daraus folgend sagen, dass die Aussage A1 z.T. wahr und z.T. falsch ist? :confused:

Lykurg
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So 19. Mär 2006, 18:10 - Beitrag #62

Nein, die Aussage "da steht ein roter Stuhl" ist eindeutig falsch, wenn nur ein schwarzer Stuhl (oder ein roter Tisch, wie bisher^^) dasteht. Die Option "da ist was Wahres dran" ist in einer üblichen bipolaren Logik nicht zulässig. Das ist wieder kontextbezogen zu werten (z.B. ein kleines Kind hat sich eben ein bißchen geirrt), aber in der Sache ändert es nichts. Die Aussage "Hier steht ein Stuhl und dieser ist rot" verstehe ich - mal ganz abgesehen von der logischen Zweiteilung - als extrem betont, (Ausdruck des Protestes z.B., je nach Zusammenhang sogar fast schon aggressiv), schon daher ist es für mich nicht dieselbe Aussage - den Satz frei von seiner ungewöhnlichen Formulierung aufzunehmen, gelingt nur in einer künstlichen Umgebung (etwa einer Tabelle mit Satzbaumustern).

Roban
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Mo 20. Mär 2006, 10:32 - Beitrag #63

Zitat von Maurice:Wobei "Wahrheit" hier "Tatsache" bedeutet.
Wenn ich die Threads der User hier aber nicht falsch verstanden habe, dann geht es hier um Wahrheit im Sinne von Aussagen. Und Tatsachen sind nicht dasselbe wie Aussagen.


Vernunftwesen neigen dazu, ihre Partner mit Blähungen zu beeindrucken. Deshalb war mir wichtig, Poster darauf hinzuweisen, daß es nur eine Wahrheit gibt, die unabhängig vom Beobachter wahr ist, und daß die Bemühungen aller darauf zielen, ihre Wahrnehmungen als Wahrheit zu betrachten.

Daß es in diesem Thead mehr um Wahrnehmung geht als um die ursprüngliche Threadfrage, habe ich auch schon gemerkt, und daß Forenuser sich mächtig ins Zeug legen, um andere mit ihren Wahrnehmungen zu beeindrucken, erwähne ich hier nur, weil ich selbst so ein Trottel bin. Ich versuche mich damit zu trösten, daß es mir um etwas geht, was ALLEN sehr nützlich sein könnte.

Roban
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Mo 20. Mär 2006, 10:49 - Beitrag #64

Dort flog ein grünes Ei.

Hier steht ein roter Stuhl.


Beide Aussagen sind wahr, obwohl sie genau die gleiche Beobachtung beschreiben, nämlich folgende:

Nirgendwo liegen zwei weiche Gedanken rum.

Es kommt nur darauf an, welche Inhalte Begriffen zugeordnet werden.

Der Begriff "grundsätzlich" z. B. bedeutet für die meisten, die deutsch sprechen und denken gelernt haben, "immer", während Juristen, die Mißverständnisse darüber bewirtschaften, "vom Grundsatz her", "im Prinzip" und "in der Regel" verstehen. "Regelmäßig" deuten Juristen als "der Regel entsprechend, nicht der Ausnahme", während normale Menschen :D eher "gleichmäßig, wiederkehrend oder häufiger" damit verbinden.

Die Beschäftigung mit der Wahrnehmung ist ziemlich wichtig für ein friedliches Zurechtkommen miteinander. Was Vernunftwesen dabei anstellen können, ist gewaltig.

Maurice
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Mo 20. Mär 2006, 12:35 - Beitrag #65

@Lykurg: Ich hatte Sarah auch auf diesen Punkt hingewiesen, weshalb sie mich auf Russell verwies. Der macht die nützliche Unterscheidung von "Behauptung" und "Aussage" wie folgt: "hier steht ein roter Stuhl" ist eine Behauptung, die aus mehreren Aussagen besteht ("hier steht ein Stuhl" - "der Stuhl ist rot"). Teile der Behauptung können also stimmen oder falsch sein. Sobald ein Teil der Behauptung falsch ist, ist die ganze Behauptung falsch.
Ich hoffe, ich habe das jetzt richtig wiedergegeben. Wobei ich das eigentlich drauf haben sollte, habe ich das ja unter anderem in einem Russell-Seminar im zweiten Semester gehabt. Aber man merkt sich eben nicht alles. ^^*

PS: Bliebe für mich im Moment nur noch die Frage, ob es sich bei "hier steht ein Stuhl und dieser ist rot" um eine oder um zwei Behauptungen handelt. Oder ist das einfach nur Ansichtssache?

Feuerkopf
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Mo 20. Mär 2006, 13:05 - Beitrag #66

Zitat von Maurice:PS: Bliebe für mich im Moment nur noch die Frage, ob es sich bei "hier steht ein Stuhl und dieser ist rot" um eine oder um zwei Behauptungen handelt. Oder ist das einfach nur Ansichtssache?


Das ist eine Und-Verknüpfung, demnach müsste es sich um zwei Aussagen zu einem Objekt handeln, die beide falsch oder richtig sein können. Oder eine ist falsch und die andere richtig.

Kann eine Aussage zum Teil wahr und falsch sein?


Wie sieht es aus, wenn die Aussage von der Perspektive des Aussagenden abhängt?

Wenn ich von mir sage: "Feuerkopf ist jung" , weil ich mich subjektiv als solches empfinde und es in der Relation zu vielen Menschen auch bin, dann ist die Aussage wahr.

Ein Teenager würde diese Aussage zu recht anzweifeln, weil er wesentlich jünger ist als ich, somit wäre die Aussage falsch.

Ipsissimus
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Mo 20. Mär 2006, 13:36 - Beitrag #67

es scheint mir dringend notwendig, bei derartigen Aussagen über das Abstraktionsniveau zu reflektieren. Beim derzeitigen Ende der Fahnenstange physikalischer Erkenntnis ist da mitnichten ein Stuhl und er ist mitnichten rot, sondern da sind ein paar Elementarteilchen, die einen Tanz über einem Beinahe-Nichts aufführen, weitaus mehr als 99 Prozent Vakuum, die so tun, als seien sie feste Materie.

Nehmen wir nun wahr, was da ist? Nein, unsere Wahrnehmung setzt erst einige 10er-Potenzen höher an, und auch dort nehmen wir nur einen Ausschnitt wahr. Beweis: schaut euch das Teil durch eine Infrarotkamera an. Schnallt euch einen Brillenvorsatz vor die Augen, der ein Libellenauge simuliert. Oder eine Linse, die rot-grün-Blindheit simuliert. Oder eine Umkehrbrille.

Wir wissen seit langem, daß der Ausschnitt des Frequenzspektrums, den wir mit natürlichem Sinn überblicken, nur ein sehr kleiner Ausschnitt ist; darüber hinaus gibt es in der Natur vorkommende Augen, welche die Welt ganz anders wahrnehmen als die unsrigen und hochfunktional sind.

Darüber hinaus das Schnee/Sand-Phänomen: bis zu 100 verschiedene Bezeichnungen für Sand bei saharischen Nomadenvölkern, bis zu 40 verschiedene Bezeichnungen für Schnee bei Inuit - wo unsereins fast unterschiedslos "Sand" oder "Schnee" als Bezeichnung wählt. Und das heißt: 100 bzw. 40 unterschiedliche Wahrnehmungen, die unsereins nicht zugänglich sind - da wir nicht darauf konditioniert wurden.

Das Beispiel mit der Umkehrbrille verrät noch mehr. Wer das entsprechende Experiment machen will, braucht gute Nerven. Eine Umkehrbrille kehrt hoch und tief und links und rechts um, es steht also alles "auf dem Kopf". Nach zwei quälenden Wochen das Wunder - die Welt ist wieder geradegerückt - das Gehirn hat die Sinneseindrücke wieder "abgeglichen" und "funktional" gemacht. Dann die Brille ausziehen - und wieder ist alles umgekehrt, und wieder braucht das Gehirn etwa 2 Wochen, um den Normalzustand herzustellen.

Was soll das im Kontext? Ich halte es für extrem zweifelhaft, ob ein Wahrheitsbegriff im Bereich der Sinnesleistungen etwas zu suchen hat. Was prüfbar ist, sind korrekte Ableitungen in Axiomensystemen, wenn die Ableitungsregeln samt der Logik eindeutig formalisiert sind. Im Bereich der Wirklichkeit bleiben Wahrnehmung und ihre Ableitungen kontingent. Bei einem Streitgespräch wie das über den roten Stuhl, geführt von 2 Inuit über 2 Sorten Schnee, die ICH gar nicht erst sehe, bleibt für mich der Wahrheitsgehalt völlig offen, bei aller intellektuellen Nachvollziehbarkeit der Einzelausführungen.

Letztlich wird damit auch jede Ausführung über den roten Stuhl suspekt. Vielleicht aussagbar ist, daß auf einer bestimmten Ebene der Wahrnehmung entsprechend und gleichermaßen konditionierte Wahrnehmer sich auf eine gemeinsame Beschreibung einigen können. DAS wiederum ist imo etwas völlig anderes als "Wahrheit".

janw
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Mo 20. Mär 2006, 14:56 - Beitrag #68

Volle Zustimmung.

Man nehme als Vergleichsbetrachter einen Farbenblinden mit Rot/Grün-Blindheit.
Seine Behauptung "Da ist kein roter Stuhl" ist genauso wenig in Wahrheitskategorien bewertbar wie meine Feststellung, daß dort sehr wohl einer steht.

Fragt sich für mich nur, wie man diese jeweils" subjektive Wahrheit" adäquat benennen könnte, denn die jeweilige Beobachtung hat ja systemimmanent für das jeweilige Beobachter-Objekt-Bezugssystem durchaus Gültigkeit.

Maurice
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Mo 20. Mär 2006, 19:44 - Beitrag #69

@Farbbrille: Je nachdem wie man die Kriterien für "rot" wählt. Das hatten wir hier jetzt schon mehrmal besprochen, aber dann eben nochmal:
Wenn man Farbe des Stuhls an Hand der Frequenz des reflektierten Lichts definiert, dann spielt es keine Rolle, ob wir eine farbige Brille anhaben. Meinen wir aber mit "der Stuhl ist rot", dass der Stuhl uns rot erscheint, dann ist die Aussage abhängig davon, ob wir eine Brille haben.

@Feuerkopf: Ich würde sagen, dass man vorher festgelegt haben muss, was "jung" bedeutet. Wenn du mit "Feuerkopf ist jung" meinst, dass du dich jung fühlst oder dass du dich wie ein junger Mensch benimmst, dann spielt dein tatsächliches Alter keine Rolle. Wenn du aber mit dem Satz über dein Alter referierst, muss man definieren, mit welchem Alter man jung oder alt ist. Das könnte man auch durchaus relativional machen, indem man sagt "X ist relativ zu Y jung, wenn X mindestens 20 Jahre jünger als Y ist".
Der Wahrheitsgehalt einer Aussagen ist mit abhängig von den zu Grunde liegenden Definitionen. Die Aussage "Feuerkopf ist jung" muss sowohl für dich oder einen Teenager wahr oder falsch sein, wenn ihr beide die selben Begriffe verwendet. Wenn du "jung" anders definierst als der Teenie, dann handelt es sich bei dem Satz "Feuerkopf ist jung" für dich um eine andere Aussage, als für den Teenie, da die Begriffe anders definiert werden. Für dich stünde da F=X und für den Teenie F=Y, aber beidesmal wird diese Aussage mit "Feuerkopf ist jung" ausgedrückt. Dass man zu anderen Ergebnissen kommt liegt hier wie gesagt am unterschiedlichen Gebrauch der Wörter.
Ich hör hier mal auf, ich merke schon, dass ich mich wiederhole. ^^*

Ipsissimus
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Di 21. Mär 2006, 00:22 - Beitrag #70

siehst du Frequenzen, Maurice? Ich meine, siehst du sie unmittelbar, erlebst du sie sinnlich als Frequenz?

Ich verstehe schon, weswegen du von "Wahrheit" auf "wahre Aussagen" wechseln willst; "wahre Aussagen" können axiomatisch modellhaft viel einfacher gehandhabt werden als "Wahrheit". Dafür funktioniert das ganze außerhalb formaler Systeme auch nicht mehr. Ich verstehe nicht, wieso das für Philosophen so schwer zu verstehen ist^^

Maurice
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Di 21. Mär 2006, 14:04 - Beitrag #71

Ich habe niergendwo von "Wahrheit" auf "wahre Aussagen" gewechselt. Ich habe hier schon mehrmals betont, dass ich "Wahrheit" als "wahre Aussage" definiere. Zwischen Synonymen gibt es keinen Bedeutungsunterschied und von daher kann man auch nicht zwischen ihnen wechseln, sieht man vom bloßen Ausdruck ab.
Ka was du unter "Wahrheit" verstehst. Es ist natürlich angenehmer, möglichst ungenau zu bleiben, um Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. :rolleyes:

@Frequenzen: Ich nehme auch den Stuhl nicht unmittelbar war. Ja ich nehme nicht mal mich selbst unmittelbar in meinem vollen Sein war. Ändert das etwas darabn, ob unsere Theorien, die unsere Wahrnehmungen erklären sollen richtig oder falsch sind? Natürlich diese "Frenquenz" ist eine Theorie, aber das ist auch der "Stuhl".
Es ging aber auch gar nicht um Wahrnehmung, sondern um eine Definition von Farbe, durch die man "die Farbe" einer Sache intersubjektiv möglichst unstrittisch überprüfen kann.

janw
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Di 21. Mär 2006, 14:38 - Beitrag #72

Maurice, letzteres wirst Du nur erreichen, wenn Du das Objekt Deines Interesses in eine Photometer gibst. Dann kannst Du zu der universell gültigen Aussage gelangen, daß der Gegenstand eine Lichtabsorption von x% aufweist und das reflektierte Licht eine Wellenlänge von etwa 700 nm aufweist.

Diese Wellenlängenbereich ist mW international als "dark red" festgelegt, diese Bezeichnung wird also Gültigkeit beanspruchen können, auch wenn Dein Mitbeobachter dank rot-Grün-Blindheit den Gegenstand als grau wahrnimmt und von "rot" keinen eigenen Begriff hat.

Genauso kann das Photometer erweisen, daß noch eine Farbe von 380 nm Wellenlänge beigemischt ist, was als ultraviolett bezeichnet wird.

Eine Biene hätte das glatt so erkannt.

Ipsissimus
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Di 21. Mär 2006, 14:39 - Beitrag #73

ich bestreite, daß "Wahrheit" und "wahre Aussagen" auch nur annähernd synonym sind. Mit der Begrifflichkeit der "wahren Aussagen" und ihrer Verwendung statt der Begrifflichkeit "Wahrheit" fallen viele, viele Elemente des Konnotations- und Assoziationsfeldes "Wahrheit" einfach weg.

Ich denke, mensch muss hier wirklich unterscheiden zwischen dem "Weg der Philosophie", die sich irgendwann entschloss, der Frage nachzugehen, wie zuverlässiges Wissens gewonnen werden kann - und in Beantwortung dieser Frage die Komplexität der Wirklichkeit zugunsten modellhafter Vorstellungen opferte - und dem "Weg des alltäglichen Denkens und Empfindens", das sich mit Fragen und Problemen herumschlagen muss, die der Philosoph in seinen Modellen einfach ausblendet, weil sie ihn bei seinen Modell-Lösungen nur stören würden. Probleme von Zuverlässigkeit, Wahrscheinlichkeit, Vertrauen udgl., losgelöst aus einem modellhaften Kontext und übertragen auf reale Interaktionen erschöpfen sich nicht mit dem Verweis, daß dann "Wahrheit" vorliege, wenn alle Aussagen "wahr" sind.

Maurice
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Di 21. Mär 2006, 15:29 - Beitrag #74

Zitat von Ipsissimus:ich bestreite, daß "Wahrheit" und "wahre Aussagen" auch nur annähernd synonym sind.

Ob Wörter Synonyme sind, also für denselbe ist Definitionssache. Die Wörter haben an sich keine Bedeutung. Dass für ich die Ausdrücke "Wahrheit" und "wahre Aussage" keine Synonyme sind, ist offensichtlich. Deine Allaussage, dass sie keine Synonyme sind, ist ohne den Verweis auf ein Bezugssystem sinnlos. Bei mir ist das Bezugssystem ich selbst und demnach sind diese Wörter für mich Synonyme.

Mit der Begrifflichkeit der "wahren Aussagen" und ihrer Verwendung statt der Begrifflichkeit "Wahrheit" fallen viele, viele Elemente des Konnotations- und Assoziationsfeldes "Wahrheit" einfach weg.

Der Sinnüberschuss des alltäglichen Gebrauchs von Wörtern muss nunmal zu Gunsten der Effizenz der Theorienbildung gesenkt werden. Das machen alle Menschen. Kein Mensch berücksichtigt den Sinnüberschuss den ein Wort im alltäglichen Gebrauch haben kann. Das ist auch gar nicht möglich, da der gesammte Sinnüberschuss gar nicht bekannt ist und auch gar nicht bekannt sein kann, da die verschiedenen Konnotations- und Assoziationsfelder bei über 6Millarden Menschen einfach nicht erfassbar ist.
Die Forderung alle Details zu berücksichtigen, die mit den Vorstellungen hinter den Wörtern verbunden sind, ist daher nicht umsetzbar. Darüber bruachen demnach auch nicht zu diskutieren. Diskussionswürdig ist höchstens in welchem Grad man den Sinnüberschuss der Begriffe zu gunsten der Effizenz von Theorienbildung und Kommunikation reduzieren sollte. Und ich behaupte, dass eine Reduzierung des Sinnüberschusses in den meisten Fällen keine nicht negativ ins Gewicht fällt, da die Sinnüberschüsse von denen, die sich nicht um prazise Begriffe bemühen, nicht mal benannt und erkläutert werden können. Die schwammige Ausdrucksweise auf Kosten der Effizenz des Denkens und Sprechens kann ich mir nur durch einen Hang zur Gefühlsduselei erklären.

Ipsissimus
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Di 21. Mär 2006, 16:08 - Beitrag #75

Ob Wörter Synonyme sind, also für denselbe ist Definitionssache.


im Selbstgespräch vielleicht. Im Dialog kann man auf allgemeinen Sprachgebrauch verweisen, der jedem Muttersprachler hinsichtlich seiner Muttersprache transparent sein könnte


Der Sinnüberschuss des alltäglichen Gebrauchs von Wörtern muss nunmal zu Gunsten der Effizenz der Theorienbildung gesenkt werden


hättest du gesagt "kann" statt "muss", hätte ich dir hier sogar zugestimmt^^

hinsichtlich deiner weiteren Ausführungen verweise ich allerdings darauf, daß - wenn mensch schon weiß, daß ein Wort abertausende von Bedeutungs- und abermillionen von Assoziationsnuancen aufweist - es vielleicht möglich sein könnte, die Vielzahl dieser Nuancen wenigstens summarisch zu berücksichtigen, anstatt völlig an der Wirklichkeit vorbei an der "ein Begriff - eine Bedeutung"-These festzuhalten. Theorien, die sich der Komplexität nicht stellen, sind außerhalb des akademischen Elfenbeinturms nur von akademischem Interesse^^

Maurice
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Di 21. Mär 2006, 20:49 - Beitrag #76

Im Dialog kann man auf allgemeinen Sprachgebrauch verweisen

Dann verweise ich auch mal auf den allgemeinen Sprachgebrauch in diesem Thread. Wenn die Mehrheit bestimmt, was die richtige Bedeutung eines Wortes ist, dann ist die richtige Bedeutung des Wortes "Wahrheit" in diesem Thread "wahre Aussage". :P

wenn mensch schon weiß, daß ein Wort abertausende von Bedeutungs- und abermillionen von Assoziationsnuancen aufweist - es vielleicht möglich sein könnte, die Vielzahl dieser Nuancen wenigstens summarisch zu berücksichtigen, anstatt völlig an der Wirklichkeit vorbei an der "ein Begriff - eine Bedeutung"-These festzuhalten

Wo habe ich eine solche These aufgestellt? Ich weiß selbst, dass Wörter in der menschlichen Sprache meist verschiedene Bedeutungen haben, die zum einen an den Kontext aber auch an die subjektive Konnotierung gebunden sind. Es wäre aber ein Fehlschluss von den Ist-Zustand auf einen Soll-Zustand zu schließen. Nur weil weil dem so ist, dass wir eine uneffizente Sprache benutzen, heißt das nicht, dass ich das bejahen oder gar noch fördern sollte. Ich würde mir wünschen, wenn mehr Menschen um eine klarere Ausdrucksweise bemüht werden, was wiederum voraussetzt Sinnüberschüsse von Wörtern zu reduzieren.

PS: Definier mir doch mal, was du unter "Wahrheit" verstehst, statt mal wieder nur zu kritisieren. Ich wette, du kannst deinem eigenen Anspruch nicht gerecht werden und wirst keine Definition geben, die schillernden Bedeutungsüberschuss gerecht wird. Für eine ernsthafte philosophsiche Betrachtung ist das aber auch nicht nötig.

Ipsissimus
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Di 21. Mär 2006, 21:15 - Beitrag #77

"Wahrheit ist alles, was Menschen für selbige halten"^^

Padreic
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Ich habe nur über "wahre Aussagen" gesprochen, da ich mich auf Maurice bezog, nicht über Wahrheit im Allgemeinen (weiß nicht, ob das in meinen Beiträgen rübergekommen ist).
Bei komplexen Begriffen ist es meist nicht oder nur mit höchsten Mühen möglich, sie in eine einfache Definition zu pressen. Wer einem in der Alltagssprache schon geprägten Begriff eine einfache Definition verpasst, die nicht der in der Alltagssprache geprägten Bedeutung entspricht, muss sich gefallen lassen, dass er erstens Missverständnisse provoziert und zweitens das vielleicht nicht ganz unabsichtlich tut; wer z. B. dem Begriff 'Freiheit' eine einfache Definition verpasst, dann mit dieser Definition zeigen kann, dass es keine Freiheit geben kann und dann verkündet, er habe das Freiheitsproblem gelöst und gezeigt, dass es keine Freiheit gebe, der macht glauben, dass er mehr geschafft hätte, als er eigentlich geschafft hat. [Ich will damit nicht andeuten, dass jemand in diesem Forum so etwas absichtlich machen würde.]
Das aber nur als Nebenbemerkung.

@Maurice:
Zum Problem des roten Tisches:
Ich finde es interessant, festzuhalten, dass wir uns davon gelöst haben, die Aussage "Der Tisch ist rot." wirklich als eine bloß über eine äußere Wirklichkeit zu sehen. In deiner Lösung hältst du sowohl fest, dass es nur der Fall ist, dass uns der Tisch rot erscheint, als auch, dass da ein Objekt der Kategorie 'Tisch' ist; wobei Kategorie eben wohl Denkkategorie heißt, also auch nicht ohne Subjekt zu betrachten ist.
Wir reden so mit der Aussage nicht mehr über die Realität/Wirklichkeit, sondern über die Außenwelt, wenn man die Begrifflichkeit so ansetzt, dass 'Welt' hier im Sinne von 'meine Welt', also subjektbezogen, gedacht wird.

Zum 'und':
Ich würde mich auch auf den Standpunkt stellen, dass es beides die selben Aussagen sind, nur unterschiedlich "formalisiert". Du nimmst halt in einem Fall das Prädikat "ist ein roter Stuhl" auseinander, im anderen nicht.

Padreic

Maurice
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Di 21. Mär 2006, 22:30 - Beitrag #79

@Ipsi: Deine "Definition" ist ein Witz. Wenn du das jemanden erzählen würdest, der zuvor noch nie das Wort "Wahrheit" gehört hätte, könnte er sich nichts drunter vorstellen. Deine "Definition" lässt sich auf alle Begriffe anwenden und ist deshalb nichtssagend.

@Pad: Was die Sache mit den Definitionen angeht, so sorgt nicht eine präzise Definition für Verwirrung, sondern die Unklarheit die den allgemeinen Sprachgebrauch kennzeichnet. Natürlich sollte man Begriffe die mehrfach belegt sind, nicht immer nur durch eine Bedeutung ersetzen. Das widerspricht aber nicht meiner Forderung Sinnüberschüsse zu reduzieren. Am Beispiel von Freiheit kann man z.B. verschiedene Arten unterscheiden und diese möglichst präzise definieren. Das ist der Kommunikation förderlich und das sollte doch im Interesse aller sein.

Was den roten Tisch angeht: Ob man sagen kann, dass dort objektiv ein Tisch steht, hängt damit zusammen, wie man "Tisch" definiert. Ich würde "Tisch" als Ansammlung von Materie bezeichnen, die man als "Tisch" begreift. Da je nach Gebrauch des Gegenstands ein und die selbe Sache mal Tisch und mal Stuhl sein kann (je nachdem wie man es gebraucht) stimme ich dir zu, dass es ohne den Menschen auf Grundlage dieser Überlegung keine Tische gäbe. Man könnte es aber auch so machen, dass alle die Objekte "Tische" sind, die von einem intelligenten Wesen zum Zweck der Funktion "Tisch" konstruiert wurden. Damit wäre ein Objekt, dass zum Zweck des Tisch-Sein konstruiert wurde, selbst dann noch ein Tisch, wenn es keinen Menschen mehr auf der Welt gäbe oder sonst ein Lebewesen, dass das Objekt als einen Tisch benutzt.
Hier zeigt sich, dass es nicht eine Definition von "Tisch" gibt, sondern mehrere, die je nach Kontext gebraucht werden. Wenn wir fragen "ist das Objekt dort ein Tisch" so muss angegeben, welche Definition von "Tisch" Grundlage für die Beantwortung der Frage sein soll.

PS: Verstehe ich das richtig, dass wir hier eienr Meinung sind? :)

PPS: Verstehst du unter "Wahrheit" nicht "eine wahre Aussage"? Welche Definition würdest du von "Wahrheit" abgeben?

Padreic
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Di 21. Mär 2006, 23:23 - Beitrag #80

Wie du dir nach meinen Ausführungen aus dem letzten Posting vielleicht denken kannst, werde ich hier keine Definition von 'Wahrheit' angeben. Einen solch vielschichten und bedeutungsreichen Begriff gilt es eher zu ergründen denn zu definieren, denke ich.
Ich glaube, der richtige Weg dazu wäre, sich ein oder mehrere Dutzend Äußerungen, wo der Begriff 'Wahrheit' vorkommt, herauszugreifen und erstmal zu schauen, wie dort der Begriff 'Wahrheit' gebraucht wird (ein wenig a la Grimmsches Wörterbuch oder Oxford-Dictionary). Das ist der "wissenschaftliche Schritt".
Dann versucht man sich über mehrere Dinge klar zu werden: was ist das gemeinsame an diesen Verwendungsmöglichkeiten, was ist der Kern von allem (wenn man einen einzelnen lokalisieren kann), welche Verwendung ist besonders zweckdienlich und vor allem auch: was bedeutet 'Wahrheit' für mich.

Mir fehlt im Moment die Zeit für so ein Vorgehen. Was mir aber als ein Ansatz einfallen würde, wäre das folgende Zitat (Ipsi hat es zuvor schon zitiert):
"Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben." (Johannes-Evangelium IIRC)
Es dürfte klar sein, dass hier nicht gemeint ist, dass Jesus Christus eine wahre Aussage ist.

Noch zu den Definitionen:Ich bin nicht generell gegen Definitionen. Nur sollten sie meiner Meinung nach eher am Ende, denn am Anfang der Beschäftigung mit einem Begriff stehen. Und wenn man keine Definition findet, die einer Bedeutung gerecht wird, muss man das auch zugeben können.

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