Kritik der biologistischen Sicht von Wahrnehmung und Bewußtsein

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janw
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Di 31. Jul 2007, 22:30 - Beitrag #1

Kritik der biologistischen Sicht von Wahrnehmung und Bewußtsein

Wir haben nun einige threads zum Komplex von Wahrnehmung und Bewußtsein gehabt. Meine Sicht dazu kann als recht stark biologistisch getönt beschrieben werden: Für mich finden die zugrunde liegenden Prozesse vornehmlich im Kopf statt, im wesentlichen gesteuert durch neurologische Vorgänge. Als Ergebnis einer netzwerkartigen "Rechenarchitektur" sind die Ergebnisse dabei immer nur relativ ähnlich und kontingent, durch die biologische Flexibilität des Nervensystems sind wesentliche Bereiche des Bewußtseins über Zeit veränderbar.
Hinsichtlich der Wahrnehmungsvorgänge bin ich außerdem nicht wenig beeinflusst von den Ideen des Konstruktivismus von Paul Watzlawick, sehe diesen Ansatz allerdings nicht ganz unkritisch.

Mich würde nun interessieren, ob und wenn welche grundsätzlichen Einwände es gegen das "biologistische" Erklärungsmodell der Entstehung von Wahrnehmung und Bewusstsein gibt. Bin ich da irgendwo auf dem Holzwege, vielleicht gar auf morschen Brettern im Sumpf?

henryN
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Mi 1. Aug 2007, 03:55 - Beitrag #2

ich würde es davon abhängig machen, was man unter "biologistisch" versteht. Wenn das Komplexitätsniveau der Biologie als Betrachtungssystem ähnlich komplex, wie das von sagen wir z.b Elfride Jelinek wäre.... warum nicht. Ich würde ja selbst manchmal noch viel weiter gehen und es physikalisch betrachten. Am Anfang war alles Physik, aber selbst der Ursprung dessen ist noch ungeklärt, aber es wirkt noch immer in uns fort......
"Am Anfang war das Wort......"
Goethe hat Faust sprechen lassen. Hat er deshalb weniger gewusst als ein moderner Neurobiologe?
Aber ich glaube die Chance der Biologie und wie auch der Physik besteht darin, das was wir als soziales Wissen erkennen, als Gedanke zu integrieren.

Wenn ich versuche zu verstehen, wie Musik funktioniert, ist mir auch die Stringtheorie nicht mehr so fremd......

Vorsicht vor Soziobiologen! Sie benutzen eine Biologie, die schon längst überaltert ist, wie mir scheint.

Wie würde eine Wissenschaft aussehen, die das hochkomplexe Niveau eines frühzeitlichen Mehrzellers hätte?

Der Mensch kann selbst Leben erschaffen. Nun gut, leider nur durch sich selbst oder in der Kunst. Aber vermag das auch die Biologie?

Ich finde es überaus hilfreich zu wissen, das komplexe lebende Materie eine DNA braucht, um sich fortzupflanzen. Wenn ich diese Erkenntnis auf die Gesellschaft übertrage, finde ich dort Analogien zu hauf. Auch jede Gesellschaft hat ihre DNA.
Wenn ich darüber hinaus noch in Betracht ziehe wie komplex die DNA ineinander verschachtelt ist, könnte ich von selbst auf den Schluss kommen, dass ich aus einem Bär keine Giraffe machen kann, bzw. aus dem Irak kein Nachkriegsdeutschland.

Andersherum, wenn ich darüber meditiere warum es überhaupt Mann und Frau gibt, zu welchen Erkenntnissen könnte ich in der Biologie oder Wahrnehmungstheorie kommen? Gleiches mit der Kommunikationsforschung, Spieltheorie, die Arbeitsteilung nach Adam Smith......etc.

Ich glaube alle gesellschaftlichen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse einer Epoche, folgen einem gleichen Denkschema.

Als jemand anfing zu denken, das nichts für sich selbst, sondern immer in Relation ist.........

Als jemand anfing zu denken, das die Erde nicht das Zentrum der Welt und auch keine Scheibe sei........

Aber auch so wie sich in der Kunst das Eigentliche zwischen den Zeilen offenbart, ebenso offenbart sich in der Wissenschaft das Leben zwischen den Elementen, zwischen den Theorien, zwischen den "Worten" oder in dem was die Worte durchdringen......

Ich athme kann nicht nur heißen, ich athme durch ein Organ ein das sich Lunge nennt und athme etwas anderes aus, ein Stoffwechselprodukt. Es kann auch heissen ich singe, ich spreche, ich erzähle...... und solange ich dies tue, lebe ich.

Hat Aristoteles nicht schon das sagen können, was ein heutiger Psychologe in seiner Fachsprache ausdrückt? Nur mit anderen Worten? Kann ein Biologe in seiner Sprache benennen, was Aristoteles schon sagte? Ja, er kann es bzw. er könnte es........

Ipsissimus
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Mi 1. Aug 2007, 11:47 - Beitrag #3

Mich würde nun interessieren, ob und wenn welche grundsätzlichen Einwände es gegen das "biologistische" Erklärungsmodell der Entstehung von Wahrnehmung und Bewusstsein gibt.


wir wissen halt immer noch nicht, welcher ontologische Status dem Bewußtsein zukommt; und die Neurobiologie ist glücklicherweise noch längst nicht soweit, Gedankeninhalte aus der Messung neuronaler Aktivitäten zu rekonstruieren.

Wenn wir Bewußtsein als Funktionszustand hochkomplexer Materieanordnungen auffassen, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als sein Zustandekommen physikalisch-chemisch-biologisch zu erklären; fassen wir es stattdessen als Eigenschaft einer eigenen Entität - etwa Seele oder Geist - auf, gibt es Alternativen

Beim derzeitigen Stand der Forschung bleibt der eine wie der andere Bescheid reine doxxa, eine weltanschauungsbasierte Entscheidung.

janw
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Mi 1. Aug 2007, 14:58 - Beitrag #4

Ich will dabei gar nicht abstreiten, daß mir der Gedanke eines Geistes als eigene Entität nicht auch sympathisch ist und könnte ihn mir durchaus irgendwo in dem System verortet vorstellen. Vielleicht als grundlegenden "Film", der durch seine individuelle "Pigmentierung" und "Körnung" gewissermaßen die "Empfindlichkeit", "Aufmerksamkeit" liefert, welche den verschiedenen Dimensionen der Umweltreize entgegengebracht wird und damit justiert, wie stark ein solcher Reiz eben wirken kann bzw. wie groß er sein muss, um überhaupt eine Wirkung zu entfalten.
Es gibt da etwas, das eineiige Zwillinge so ähnlich macht, und ich glaub nicht, daß das alles nur vorgeburtliche Prägung ist.

Nur...kommen wir bei solchen Betrachtungen über metapysische Entitäten gänzlich ins Feld der Spekulationen, dann kommen wir endgültig zu Gott und der Welt^^

Oder...könnte es sein, daß dieses "Etwas" ursprünglich gar nicht existiert, leer ist und erst durch karma existent wird, indem es wirksam wird?

Ipsissimus
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Mi 1. Aug 2007, 15:42 - Beitrag #5

that´s th problem^^ spekulieren können wir viel, aber selbst die derzeit avancierteste Neurobiologie sagt uns nichts darüber, was Bewußtsein IST, sondern nur darüber, wie Neuronen miteinander interagieren

Wir müssen uns in irgendeiner Weise mit dem Urphänomen auseinander setzen; irgendetwas IST einfach. Irgendetwas IST schon immer und überall von einem digitalen Nichts verschieden gewesen, irgendetwas, ein Potential, eine Fähigkeit, eine Entität, Materie, Energie, was auch immer, irgendetwas hat es schon immer aus sich selbst heraus gegeben, bedurfte keiner Schöpfung, ist ewig. Je nachdem, was dieses Etwas ist, wird unsere Antwort anders ausfallen.

Als Buddhist ist mir der Gedanke einer sich selbst erhaltenden Illusion sehr sympathisch. Aber das ändert nichts daran, daß das nur ein Begriff ist, daß damit keine ontologisch relevante Aussage über irgendetwas verbunden ist. Solange wir nicht TECHNISCH verstehen, wie es gemacht ist, werden wir nichts verstehen, sondern uns nur mit Begriffen gegenseitig erschlagen.

Das gleiche gilt auch für Gott, Materie und alles andere, was wir uns vorstellen können.

janw
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Mi 1. Aug 2007, 17:12 - Beitrag #6

Willkommen an den Grenzen des Ergründbaren^^

Oder glaubst Du, in satori oder im nirvana könnte gewesenes mensch einen kleinen, auch nur winzigen und kurzen Blick auf dies erfassen, was IST und wie dies auf die Menschen, auf alle fühlenden Wesen wirkt?

Ipsissimus
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Fr 3. Aug 2007, 10:44 - Beitrag #7

im Satori enden alle Interpretationen. Ich glaube, niemand, der/die das mal erlebt hat, wünscht, diese Erfahrung mit neuen Interpretationen zu belasten^^

Nirvana hat damit nichts zu tun


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