"Verantwortung" <- Definition

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Maurice
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Mo 24. Sep 2007, 17:23 - Beitrag #1

"Verantwortung" <- Definition

Ich will ein Essay zu der Frage schreiben, ob Determinismus und Verantwortung kompatibel sind. Leider bin ich mir nicht sicher, wie ich "Verantwortung" genau definieren soll. Wie würdet ihr diesen Begriff definieren?
Es soll hier nicht um Determinismus gehen, sondern nur um die Definition von "Verantwortung". Spontan würde ich sie etwa so bestimmen: Grad der Einflussname einer Person auf einen Sachverhalt.
George Bush ist also mehr verantwortlich für die Klimaveränderung als der sechsjährige Junge in Peru.

Das reicht mir aber irgendwie noch nicht als Bestimmung. Findet ihr das die Richtung richtig ist? Was fehlt?
Wenn ihr antwortet dann wenn möglich mit 1-2 Bespielen, die eure Definition illustrieren. :)

Ipsissimus
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Mo 24. Sep 2007, 18:09 - Beitrag #2

andererseits regelt "Verantwortung" die Frage "Wen können wir für den Schaden haftbar machen". Da wäre Bush schon wieder draußen^^

wie wäre es mit Verantwortung = Kausalkettenerzeugung ?

Andererseits müßte eine einigermaßen manierliche Definition auch den moralischen Touch einfangen, dem das Begriffsfeld zu eigen ist. "Verantwortungsvoll" ist eindeutig moralisch positiv konnotiert, "verantwortungslos" negativ.

Die Definition müßte auch enthalten das Moment der Verursachung, aber auch das Moment einer bestimten Art sowohl der Verursachung, als auch einer bestimmten Art es Umgangs mit dem Ergebnis der Verursachung.

Nicht ganz trivial

Wikipedia schreibt:

Verantwortung bedeutet, die Folgen für eigene oder fremde Handlungen zu tragen. Sie drückt sich darin aus, bereit und fähig zu sein, später Antwort auf mögliche Fragen zu deren Folgen zu geben. Eine Verantwortung zieht immer eine Verantwortlichkeit nach sich, d. h. dafür Sorge zu tragen, dass die Entwicklung des Verantwortungsbereichs im gewünschten Rahmen verläuft.

janw
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Mo 24. Sep 2007, 22:31 - Beitrag #3

Zitat von Ipsissimus:wie wäre es mit Verantwortung = Kausalkettenerzeugung ?

Das wäre mir zu weit gefasst, da prinzipiell jedes Ereignis am Beginn einer Kausalkette steht, jeder ständig - bewusst wie unbewusst- neue Kausalketten erzeugt, wie lang auch immer.

Verantwortung bezieht sich für mich auf eine Person, welche durch ihr Handeln oder Nichthandeln im Bezug zu einem betrachteten Ereignis bzw. Prozeß steht - wobei diese Person sich dieses Im-Bezug-stehens zu Ereignis/Prozess und dessen Folgen Nachsichziehens bewusst sein muss.
Gewissermaßen steht diese Bewusstseinsgewinnung gar am Grunde der Entstehung von Verantwortung, in ähnlicher Weise, wie die Zuweisung von Autorität an eine normativ wirkende Institution am Grunde der Gesetzeskraft als der Verwirklichung von Gerechtigkeit und nicht bloß der Machtdemonstration oder eigennützigen Zielen der Institution und ihrer Vertreter dienend steht.

Vielfach wird versucht, im Handeln von Personen einen Ausdruck ihrer selbst zu erkennen. Diese Selbst-Erweisung sehe ich viel mehr in der Art und Weise, in der ein Handelnder mit seinem Bewusst-sein über seine Beziehung zu seinem Handeln und dessen Folgen umgeht, wie weit er sich selbst Autorität zuspricht oder sich selbst gegenüber renitent zeigt:
Hinter sein individuelles Sich-der Handlung und ihrer Folgen-bewusst-sein kann kein Einsichtsfähiger zurück treten, zumindest nur schwer gegen die Forderung, sich dieser bewusst sein zu müssen, solle nicht seine ganze "Mündigkeit" infrage stehen - und damit hinter seine Verantwortung oder Verantwortlichmachbarkeit [liability bzw. possibility to be held liable]. Das bewusste Handeln ist also etwas Eigenes des Handelnden. Darin, wieweit Handelnder sich selbst Autorität zuspricht in dem Sinne, daß er dieses Eigene nicht nur als Manifestation des "ich bin" hinstellt - übliche letzte Begründung jeglicher Macht, die auf Anerkenntnis ihres Machtanspruchs pocht - sondern es als der Verwirklichung seiner Maximen und der Motive seines sonstigen Handelns dienend hinstellt oder lediglich als sich selbst dienend, erweist Handelnder sich IMHO als das, was landläufig mit dem Begriffspaar "verantwortlich/unverantwortlich" gemeint wird.

Zum besseren Verständnis dieses Textes empfehle ich Jacques Derrida: Gesetzeskraft. Der "mystische" Grund der Autorität.

Feuerkopf
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Di 25. Sep 2007, 00:38 - Beitrag #4

Interessant mag auch sein, woher die Verantwortung kommt.
Habe ich sie selbst generiert, indem ich z. B. Kinder in die Welt gesetzt habe, für die ich jetzt sorgen muss?
Hat mir mein Chef eine Verantwortlichkeit übertragen?
Habe ich in einer kritischen Situation spontan die Verantwortung übernommen und z. B. schnelle Entschlüsse gefällt?

Ipsissimus
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Di 25. Sep 2007, 09:43 - Beitrag #5

es ist auch der Aspekt des freien Willens zu bedenken. Setze ich die Kausalkette ohne Zwang in Gang oder unter Zwang. Werde ich z.B. schwanger, weil ich mir sehnlichst ein Kind wünsche, oder weil ich vergewaltigt worden bin - ist meine Verantwortung für das mir per Vergewaltigung aufgezwungene Kind kleiner oder genauso groß wie bei dem aus freiem Wunsch gezeugten Kind? Habe ich als ehemaliger KZ-Folterer nur Befehle befolgt - und entlastet mich das von meiner Verantwortung - oder habe ich mich meiner Verantwortung nur nicht gestellt, wenn ich Befehlsnotstand vorschiebe? Die beiden Beispiele sollen nur zeigen, dass es nicht angemessen ist, vorschnell eine zu eindeutige Meinung absolut zu setzen.

Maurice
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Mi 26. Sep 2007, 10:30 - Beitrag #6

andererseits regelt "Verantwortung" die Frage "Wen können wir für den Schaden haftbar machen". Da wäre Bush schon wieder draußen

Aber haben wir es hier nicht mit einem Fall zu tun, in dem jemand, der für eine Sache verantwortlich ist, nicht ausreichend als solcher behandelt wird? Dass Bush nicht haftbar gemacht wird, ändert ja nichts an seiner Verantwortlichkeit, sondern nur an dem Verhalten gegenüber dieser Verantwortlichkeit.

wie wäre es mit Verantwortung = Kausalkettenerzeugung

Wenn du damit völlig neue Kausalketten meinst, so wie Janw schreibt, kann ich dem nicht zustimmen - das bedeutet ein indeterministisches Konzept der Willensfreiheit, das ich für widersprüchlich halte. Aber da es wenn möglich nicht wieder um die Frage gehen soll, wie man "Willensfreiheit" definieren sollte, würde ich es begrüßen, wenn wir uns dem Begriff der Verantwortung nähern können, ohne dieses Problemfeld allzu stark zu thematisieren.
Darüber hinaus würde mir eine solche Definition auch zu unpräzise sein. Mal angenommen, der Mensch kann komplett neue Kausalketten schaffen, dann würden wir einem geistig stark behindertes Kind, in vielen Fällen keine Verantwortung für sein Handeln unterstellen, als bei einem gesunden Erwachsenen. Es kommt also nicht auf die Erschaffung neuer Kausalketten an, sondern um das freie Handeln einer Person, die sich zu einem bestimmten Grad über die Motive und Konsequenzen seines Verhalten bewusst ist. Umso mehr diese Kriterien erfüllt sind, plus der Grad der Einwirkung einer Handlung auf eine Sache, macht die Höhe der Verantwortung aus. Der exotische indetermistische Felsbrocken, der einen Autofahrer erschlägt ist genauso wenig für seinen Tod verantwortlich, wie der Bewohner des Planeten XYZ 100.000 Lichtjahre von uns entfernt.

Feuerkopfs berechtigte Fragen zeigen, dass der Begriff aber nochmal deutlich komplexer zu sein scheint. Wir sollten uns aber wenn möglich von einem Bedeutungsaspekt zum nächsten hangeln, wenn möglich, also von einer Frage zur nächsten, sobald die grundsätzliche Richtung stimmt. :)

Ipsissimus
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Mi 26. Sep 2007, 11:53 - Beitrag #7

Maurice, es wirkt zumindest zwiespältig, wenn du einerseits die Erzeugung neuer Kausalketten mit dem Hinweis auf ein daraus erwachsendes indeterministisches Konzept von Willensfreiheit zurückweist, andererseits aber bei einem geistig behinderten Menschen die Möglichkeit von Verantwortlichkeit aufgrund der fehlenden oder mangelnden Handlungsfreiheit minimiert sehen möchtest^^ aber egal, das ist nicht Thema^^

ich glaube ohnehin nicht, dass es eo ipso sowas wie Verantwortung gibt; Verantwortlichkeit andererseits ist imo Handhabungsfolge einer sozialen Zuschreibung oder (bei Mutterschaft) einer Kombination von Instinkt und Zuschreibung, mithin Konvention. Teil davon ist sicher das Verursacherprinzip - die Überzeugung, der Verursacher eines Sachverhaltes sei verantwortlich für diesen Sachverhalt - aber auch ein Belohnungs-/Bestrafungssystem, bei erfüllter/nichterfüllter Verantwortlichkeit. Sprich, Verantwortung handelt vom sozial wünschenswerten Umgang mit Konsequenzen.

Insofern ist die Verantwortungszuschreibung ein Werkzeug sozialer Regulierungen, mithin in Grenzen konsequent und willkürlich zugleich (welch letzteres sich an den unzähligen erfolgreichen Versuchen unzähliger privilegierter Verursacher zeigt, sich der Verantwortung für ihr Tun legitim zu entziehen, bzw. an den gesellschaftlichen und politischen Anstrengungen, dies wo möglich zu unterbinden, jedenfalls bei den Menschen, bei denen die Verantwortungsflucht nicht durch Privilegien abgesichert ist).

Maurice
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Do 27. Sep 2007, 01:00 - Beitrag #8

Was die Frage nach Freiheit und Determinismus angeht, schau dir mal bei Gelegenheit "Illusion Freiheit?" von Michael Pauen an. Ich stimme dem Autor nicht komplett zu und er hätte sich imo an ein paar Stellen kürzer fassen können, aber mir hat das Buch insgesamt sehr gut gefallen. Er argumentiert allgemein verständlich, warum (in seinen Augen) ein Inkompatibilismus ein widersprüchliches Freiheitskonzept ist und versucht stattdessen Freiheit über Selbstbestimmung zu definieren, die keinen Indeterminismus voraussetze.
Aber ich will das Buch nicht nacherzählen. Musst es auch nicht lesen, kann aber auch bestimmt nicht schaden. ;)

@Verantwortung: So kann man die Sache natürlich auch sehen... aber wenn ich so eine Definition in meinem Essay bringe, brauche ich gar nicht nach der Relevanz einer möglichen Determiniertheit zu fragen. ^^*
Ich versuche daher erstmal "Verantwortung" so zu definieren, dass sie nicht bloß auf die reine Willkür der Gesellschaft zurück zu führen ist. ;)

Ipsissimus
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Do 27. Sep 2007, 11:32 - Beitrag #9

im Rahmen des gesellschaftlichen Konventionen-Systems ist es ja auch, in der Theorie, keine reine Willkür; das gesellschaftliche Normensystem selbst ist natürlich hochgradig kontingent. Willkür im Rahmen des Normensystems ist nur insofern gegeben, als reale Ungleichprivilegierung dazu führt, dass die Folgen von erwiesenermaßen erfüllter und unerfüllter Verantwortung bei gleichem Maß der Verantwortlichkeit unterschiedlich ausfallen.

Aber wenn du Verantwortung nicht als gesellschaftliche Konvention charakterisieren willst, hast du, außer im Falle von Mutterschaft, ein schwieriges Geschäft zu erfüllen^^

Maglor
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Do 27. Sep 2007, 20:14 - Beitrag #10

Als verantwortungsvolles Handeln, bezeichnet man jenes, welches sich der Folgen bewusst ist. Es kommt nicht so sehr darauf an, dass man durch sein Tun oder Nichttun eine Kausalkette auslöst, sondern dass man sich sich dieser bewusst. Verantwortung ist ein Bewusstsein für die eigene Schuld oder auch etwaige Erfolge. Der Unverantwortliche handelt verantwortungslos; er denkt nicht an ein morgen. Auch wenn man man nicht die Verantwortung trägt, löst man unweigerlich Kausalketten aus. Verantwortung ist im Grunde ein Geständnis selbst Ursache zu sein. Trägt man die Verantwortung, nimmt man die Schuld auf sich; trägt man keine Verantwortung, so weist man die Schuld anderen Menschen oder gleich höheren Dingen zu.

MfG Maglor :rolleyes:

Ipsissimus
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Fr 28. Sep 2007, 09:58 - Beitrag #11

Als verantwortungsvolles Handeln, bezeichnet man jenes, welches sich der Folgen bewusst ist.


... und diese Folgen schon während des Handelns nicht ignoriert sondern in das Handeln mit einbezieht^^

außerdem nimmt man nicht nur die Schuld auf sich sondern gegebenenfalls auch das Verdienst^^

Aydee
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Fr 28. Sep 2007, 10:10 - Beitrag #12

[quote="Maglor"]Als verantwortungsvolles Handeln, bezeichnet man jenes, welches sich der Folgen bewusst ist. Es kommt nicht so sehr darauf an, dass man durch sein Tun oder Nichttun eine Kausalkette auslöst, sondern dass man sich sich dieser bewusst. Verantwortung ist ein Bewusstsein für die eigene Schuld oder auch etwaige Erfolge. (...) Auch wenn man man nicht die Verantwortung trägt, löst man unweigerlich Kausalketten aus. Verantwortung ist im Grunde ein Geständnis selbst Ursache zu sein. Trägt man die Verantwortung, nimmt man die Schuld auf sich]
Find ich ziemlich gut
Mich stört darin nur der Begriff der Schuld, da er für mich schon wieder zu sehr interpretierbar ist, hätte ihn inklusive des Teils mit dem Erfolg schlicht als Ursache benannt.

Ipsi's Zusatz ist auch gut, aber ob man immer in der Lage ist *alle* Folgen seines Handelns abzuschätzen und diese gegebenenfalls auch in das eigenen Handeln einzubeziehen bezweifle ich ,-) Doch sich die Folgen seines Handelns wenigstens im Nachhinein bewusst machen und sie in künftiges Handeln integrieren - das wäre mein Zusatz ,-)


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