Zur Existenz von Gott und Jenseits

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Ipsissimus
Dämmerung
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Di 27. Nov 2007, 14:19 - Beitrag #21

Feuerkopf, ich meine das eher auf einer emotionalen Ebene mit einer gewissen Trennunschärfe, und insofern hat Maurice mit seiner Kritik an der Verwendung des Attributs "wissenchaftlich" für die eine Seite durchaus recht.

Ich habe hier z.B. Kollegen, die schauen mich an, als sei ich von einem anderen Stern, wenn ich das Wort Spiritualität in den Mund nehme. Aber sie empfinden eine geradezu kindlich anmutende Freude, wenn sie sich über eine komplizierte mathematische Formel auslassen können. Dasgleiche finde ich in umgekehrter Richtung genauso.

Maglor
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Di 27. Nov 2007, 15:05 - Beitrag #22

Da ich ein Freund von Geschichten bin, erzähl ich nun eine. ;)
Es waren einmal zwei Forscher, die fanden mitten im Urwald eine heimelige Lichtung von merkwüriger Schönheit, mit Orchideen und so weiter...
Das sagte der eine Forscher, dass müsse wohl ein Garten sein und hier müsse es auch einen Gärtner geben. Der andere Forscher erwiderte, im Urwald gebe es keine Gärtner, doch er erklärte sich dazu bereit, dem Gärtner aufzulauern.
Nun warteten sie den ganzen Tag darauf, dass der Gärtner vorbeikäme, da sprac der eine Forscher, der Gärtner käme wohl nur in dunkler Nacht. Auch in der Nacht sahen sie keine Gärtner, weshalb der Forscher auf die Idee kam, dass der Gärtner unsichtbar sein müsse. Nun platzierten die Forscher einige Bluthunde, die den Gärtner erschnüffeln sollten, doch sie fanden nichts. Da sagte der eine Forscher, der unsichtbare Gärtner müsse wohl auch keinen Geruch haben, doch der andere Forscher meinte nur, er habe doch von Anfang an gesagt, es gäbe hier keinen Gärtner... :D
Tja, aufmerksame Leser erkennen hier vielleicht Typen.
MfG Maglor :rolleyes:

Maurice
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Di 27. Nov 2007, 17:22 - Beitrag #23

Aber Maglor: Es wurde nie bewiesen, dass dieser Gärtner nicht existiert - demnach muss er existieren! :crazy:

janw
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Di 27. Nov 2007, 18:41 - Beitrag #24

Gibt es denn solcher Lichtungen andere? Ist nicht ihre Einzigartigkeit Existenzbeweis genug für den Schöpfer, den Gärtner?

Ich denke, im Kern kommt das hin, was Ipsi beschreibt, als Beispiel fällt mir gerade eine talkshow vor einigen Wochen ein, in der Joachim Bublath (trockener Wiisenschaftler-Typ) mit einigen anderen, mehr oder weniger spirituell angehauchten, teils um Vermittlung zur rationalen Betrachtung bemühten, Leuten über die Existenz von UFOs diskutierte.
Bublath blockte sofort ab, wenn es nur in den Randbereich zu irgendwelchen nicht naturwissenschaftlich erklärbaren Wahrnehmungen ging, eine Kommunikation war da nicht möglich.
Fragt sich nur, woher das kommt.
Aus MRT-Untersuchungen ist bekannt, daß ein bestimmtes Hirnareal speziell bei "religiösen Handlungen", beim beten, meditieren u.ä. verstärkt durchblutet = aktiv ist, eine transzendentale Hinwendung ist demnach dem Menschen durch ein besonderes Hirnareal ermöglicht.
Ich könnte mir insofern vorstellen, daß sozialisationsbedingt dieses Areal unterschiedlich stark mit anderen Zentren verknüpft sein könnte, auch mit Emotionszentren, wodurch dann unterschiedlich gegenüber tranzendentalen Anschauungen "offene" Persönlichkeiten entstehen könnten, mit entsprechend "positiver" emotionaler Grundhaltung diesen Anschauungen gegenüber.

Andererseits...ist die kindlich anmutende Freude über eine mathematische Formel nicht vielleicht ähnlich Ausdruck einer "religiösen" Persönlichkeitskomponente, wie über Spiritualität nachzudenken?
Verwehren sich die "Wissenschaftlichen" nicht vielleicht einfach einen Bereich, weil sie Unbehagen dabei empfinden, gebrannte Kinder, vielleicht?

Maglor
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Di 27. Nov 2007, 20:44 - Beitrag #25

Ich denke, es gibt so viele Gärten, dass es unmöglich ist, sie alle aufzuzählen. Was der eine Zufall nennt, nennt der andere Schicksal oder gar Fügung. Es gibt ja Leute, die wachen morgens verkatert auf, werden urplötzlich Antialkoholiker und Weltherrscher, geben dafür dem lieben Gott auch noch die Schuld.
Dieser Streit kann genauso lang und erfolglos sein, wie der um das halbvolle oder halbleere Glas. Ein nicht spiritueller Mensch muss wohl oder übel einem wandelnden Gott begegnen um bekehrt zu werden. Wer Tranzendenz grundsätzlich ablehnt, dem bleibt eben das Immanente.

Die Bibel gibt natürlich auch eine Antwort, warum die einen glauben und die anderen:
"Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme." (Epheser 2,8-9)
Der Glaube ist also ein Geschenk Gottes und die Gottlosen können im Grunde nichts dafür, dass sie Frevler sind, sondern dürfen Gott die Schuld für ihr Elend geben. :crazy:
MfG Maglor :rolleyes:

Maurice
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Di 27. Nov 2007, 20:53 - Beitrag #26

@jan:

Ist nicht ihre Einzigartigkeit Existenzbeweis genug für den Schöpfer, den Gärtner?

Was meinst du mit "Beweis"? Also wenn ich mit dem Wort noch irgendwas anfangen will, außer es abzulehnen, bedarf es für mich schon sowas wie einen subjektiven Beweisbegriff. Nimmt man einen solchen, dann ist die Einzigartigkeit für den einen ein Existenzbeweis und für den anderen nicht. Und vielleicht gibt es ja auch noch Personen, für die die Einzigartigkeit sogar ein negativer Existenzbeweis ist. ^^
Ansonsten: Dir als Biologe sollte die Metapher vom "blinden Uhrmacher" doch was sagen, oder? ;)

Bublath blockte sofort ab, wenn es nur in den Randbereich zu irgendwelchen nicht naturwissenschaftlich erklärbaren Wahrnehmungen ging, eine Kommunikation war da nicht möglich.

Hast du die Sendung gesehen? Ich leider nicht, aber was ich darüber gelesen habe, lässt mich dazu tendieren, die Gründe für das Scheitern der Diskussion primär Frau Hagen & Co. zuzuschreiben, als Herrn Bublath. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass er die Diskussion verlässt, wenn seine Argumente kein Gehör finden, er persönlich angegriffen wird und als Alien bezeichnet wird. ^^*
eine transzendentale Hinwendung ist demnach dem Menschen durch ein besonderes Hirnareal ermöglicht

Du meinst in diesem Kontext wohl transzendente Hinwendung. Das ist nicht dasselbe... Und selbst wenn du transzendent meinst, sollte man hier imo besser von "spirituell" sprechen. "Transzendente Hinwendung" klingt für mich schon so wie eine positive Existenzbehauptung - "spirituell" ist da neutraler. (Aber vielleicht geht das nur mir so und den anderen nicht.)

Ich könnte mir insofern vorstellen, daß sozialisationsbedingt dieses Areal unterschiedlich stark mit anderen Zentren verknüpft sein könnte

Als Sympathisant soziobiologischer Erklärungsansätze stimme ich dem zu, möchte aber auch noch darauf verweisen, dass auch den Genen eine notwendige Rolle zukommen wird. ^^

Andererseits...ist die kindlich anmutende Freude über eine mathematische Formel nicht vielleicht ähnlich Ausdruck einer "religiösen" Persönlichkeitskomponente, wie über Spiritualität nachzudenken?

Andererseits...ist die kindlich anmutende Freude über einen Schokoladenpudding nicht vielleicht ähnlich Ausdruck einer "religiösen" Persönlichkeitskomponente, wie über Spiritualität nachzudenken? :rolleyes:

Verwehren sich die "Wissenschaftlichen" nicht vielleicht einfach einen Bereich, weil sie Unbehagen dabei empfinden, gebrannte Kinder, vielleicht?

Dann sag mir mal, wo ich nach deinem Modell gebrannt sein soll.

Feuerkopf
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Mi 28. Nov 2007, 01:12 - Beitrag #27

Ich habe besagte TV-Talkshow gesehen. Bublath blockte, wenn es um Phänomene ging, die nach derzeitigem Stand der Wissenschaft (noch) nicht erklärbar sind, teilweise, weil sie nicht unter Laborbedingungen reproduzierbar sind. Der Prof. (ich vergaß den Namen), der sich intensiv damit befasste, machte einen sehr geerdeten Eindruck.
Bublaths Haltung habe ich als - wenn ich es mal höflich ausdrücke - nicht neugierig empfunden. Das halte ich für ein echtes Manko bei einem Wissenschaftler. Wenn jemand (wie dieser Prof. Dingsbums), der sich sehr pragmatisch damit befasst, sagt, dass ein gewisser Prozentsatz von UFO-Sichtungen (noch) nicht erklärbar ist, einfach als unwissenschaftlicher Spinner abqualifiziert wird, ist das für mich nicht nachvollziehbar. Ein UFO ist ein zunächst mal nicht identifiziertes Flugobjekt, nicht mehr und nicht weniger.
Der Prof. hat mit keinem Wort behauptet, es seien zwingend Flieger from Outer Space. Er war aber offen für die Möglichkeit.
Und das war Bublath nicht. Er war nicht für Möglichkeiten offen.

Nina Hagen ist ein Kapitel für sich, die bestimmt nicht halb so in die Ketten gegangen wäre, hätte Bublath sich ernsthaft mit ihr auseinander gesetzt. Die Frau ist schräg, aber nicht dumm. Wahrscheinlich kann ein Mathe/Chemie/Physik-Kopp wie Bublath mit einem Menschen wie ihr nichts anfangen. ;)
Eigentlich verkörpern die beiden die hier genannten Pole.

janw
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Mi 28. Nov 2007, 02:47 - Beitrag #28

Zitat von Maglor:Der Glaube ist also ein Geschenk Gottes und die Gottlosen können im Grunde nichts dafür, dass sie Frevler sind, sondern dürfen Gott die Schuld für ihr Elend geben.:crazy

Dafür gibt es in der Tat Belege in der Schrift...wie es auch den Fall gibt, daß Mensch glaubt und Gott seinen Glauben auf mannigfach grausame Weise prüft -> Hiob und den Fall, daß Mensch nicht glaubt, aber durch Begegnung mit dem Auferstandenen zu einer anderen Haltung gelangt ->iirc Josephus.
Fragt sich dann eigentlich, ob nicht der Missionsbefehl damit auf verdammt tönernen Füßen steht - pfuscht Mensch damit Gott nicht ins Handwerk, der eben (noch?) nicht alle Menschen zum glauben gebracht hat? Oder vielleicht insgeheim Gefallen an der Vielfalt der Glaubenswege findet?

Zitat von Maurice:Was meinst du mit "Beweis"? Also wenn ich mit dem Wort noch irgendwas anfangen will, außer es abzulehnen, bedarf es für mich schon sowas wie einen subjektiven Beweisbegriff. Nimmt man einen solchen, dann ist die Einzigartigkeit für den einen ein Existenzbeweis und für den anderen nicht. Und vielleicht gibt es ja auch noch Personen, für die die Einzigartigkeit sogar ein negativer Existenzbeweis ist. ^^
Ansonsten: Dir als Biologe sollte die Metapher vom "blinden Uhrmacher" doch was sagen, oder? ]
Das bezog sich auf die angenommene Einzigartigkeit der Lichtung. Gäbe es der Lichtungen mehrere, mit ähnlicher Anmutung und Artenzusammensetzung, dann könnte man zwangslos sagen, dieser Typ Lebensraum sei das Integrat aus seinen Standortbedingungen und den ihn besiedeln könnenden Arten, der bei Vorliegen der entsprechenden Standortfaktorenkonstellation innerhalb des Areals der ihn aufbauenden Arten regelmäßig auftritt.
Gäbe es nur eine dieser Lichtungen, ließe das auf eine sehr spezielle Standortfaktorenkonstellation schließen - eher seltene Angelegenheit - oder eben auf schöpferische Einwirkung.
So mein Gedanke, der allerdings insofern nicht ganz ernstgemeint war, als solche seltenen Angelegenheiten durchaus vorkommen, besonders wenn man zeitlich dynamische Prozesse mit lokaler Wirkung mit zu den Standortfaktoren zählt und wenn man den Fall einbezieht, daß die den Lebensraum aufbauenden Arten in ihrer heutigen Form dort entstanden sein könnten. Inseln sind solche einzigartigen Lebensräume.

Hast du die Sendung gesehen? Ich leider nicht, aber was ich darüber gelesen habe, lässt mich dazu tendieren, die Gründe für das Scheitern der Diskussion primär Frau Hagen & Co. zuzuschreiben, als Herrn Bublath. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass er die Diskussion verlässt, wenn seine Argumente kein Gehör finden, er persönlich angegriffen wird und als Alien bezeichnet wird. ^^*

Feuerkopf hat es ganz gut geschildert. Nina Hagen ist Nina Hagen, da weiß man, womit man zu rechnen hat.
Aber für mich war Bublath das wirkliche Problem, weil er, wie Feuerkopf anmerkt, völlig unneugierig war. In meinen Augen ist Neugier eine Grundvoraussetzung für wissenschaftliches Forschen, neben der kritischen Distanz zu den sich offemnbarenden Phänomenen. Sicher sind die meisten der Sichtungen leicht zu erklären, als Lichteffekte, Fälschungen usw. Aber bei denen, die sich solchen Erklärungen entziehen, ist Neugier gefragt. Und nicht, die anderen Diskussionsteilnehmer als esoterischen Kaffeeklüngel mit Halluzinationen hinzustellen.
Nicht, daß ich an Besuch von da draußen glauben würde - aber was da nun wirklich gesehen wurde, das würd mich schon interessieren.

Du meinst in diesem Kontext wohl transzendente Hinwendung. Das ist nicht dasselbe... Und selbst wenn du transzendent meinst, sollte man hier imo besser von "spirituell" sprechen. "Transzendente Hinwendung" klingt für mich schon so wie eine positive Existenzbehauptung - "spirituell" ist da neutraler. (Aber vielleicht geht das nur mir so und den anderen nicht.)

Der Satz war vielleicht nicht ganz sauber formuliert. Ich meinte sowas wie "denken des Transzendentalen/Spirituellen", Hinwendung zum Spirituellen.
Natürlich war das nicht als apriorische Existenzbehauptung gemeint, eher als Fähigkeit, zu denken, es könnte da etwas geben.

Als Sympathisant soziobiologischer Erklärungsansätze stimme ich dem zu, möchte aber auch noch darauf verweisen, dass auch den Genen eine notwendige Rolle zukommen wird. ^^

Eine genetische Komponente wäre sicher nicht undenkbar, ich glaube hier aber eher an vorrangig soziale und lebenserfahrungsgebundene Einwirkungen. Wäre aber sehr spannend, wenn da etwas übers x-Chromosom vererbt würde ;)

Andererseits...ist die kindlich anmutende Freude über einen Schokoladenpudding nicht vielleicht ähnlich Ausdruck einer "religiösen" Persönlichkeitskomponente, wie über Spiritualität nachzudenken? :rolleyes:

Ich konnte mir Ipsis Kollegen recht bildhaft vorstellen, und so ganz dröge und nüchtern schien er mir nicht zu sein^^ eher so, daß auch mathematischen Formeln etwas innewohnt, das an spirituelle Verarbeitungseinheiten appelliert, daß aber viele sich dies nicht genehmigen.

Dann sag mir mal, wo ich nach deinem Modell gebrannt sein soll.

Das war nur ein Ansatz zur Erklärung meiner Vermutung - vielleicht sind auch die spirituellen Menschen eher die Gebrannten...oder die Sache hat ganz andere Gründe.

Maurice
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Mi 28. Nov 2007, 10:13 - Beitrag #29

@Jan:

@Nina Hagen und Ufos: Ok, wenn eure Beschreibung zutrifft (ich gehe hier mal davon aus), dann haben beide Seiten keine ausreichende Diskussionskultur an den Tag gelegt. Ich kann zwar immer noch nachvollziehen, warum Herr B. die Talkrunde verlassen hat, aber seine selbstunkritische Denkweise war auch nicht vorbildlich.

denken des Transzendentalen/Spirituellen

Jan, "transzendent" nicht "transzendental"! ^^
Ich habe hier am Uni-PC leider nicht meine Philo-Lexika bei der Hand, weshalb es ausnahmsweise auch Yanapedia tun muss:
Transzendenz (von lat. transcendere „überschreiten“) bedeutet Überschreiten von Grenzen des Verhaltens, Erlebens und Bewusstseins, sowie das Sichbefinden jenseits dieser Grenzen.

Unter transzendental (von lat. transcendere, „überschreiten”) versteht die Erkenntnistheorie eine Fragestellung bzw. eine Begründungsweise, welche zurückführt auf die notwendigen Bedingungen, unter welchen gegenständliches Erkennen überhaupt möglich ist.
(Quelle: http://www.Wikipedia.de)

Das jetzt mal als kurze Zusammenfassung. Der Ausdruck "transzendental" kann z.B. auch in der Ethik vorkommen, aber hier soll es ja e nur um "transzendent" gehen. Außer natürlich jemand will versuchen, mit einem transzendentalen Argument die Existenz eines transzendentes Wesen zu beweisen. ^^

Eine genetische Komponente wäre sicher nicht undenkbar, ich glaube hier aber eher an vorrangig soziale und lebenserfahrungsgebundene Einwirkungen. Wäre aber sehr spannend, wenn da etwas übers x-Chromosom vererbt würde

So war das nicht gemeint. Jede Verhaltensweise bedarf einer genetischen Basis. Ohne diese genetische Basis ist eine Verhaltensweise nicht möglich. Das soll nicht heißen, dass es allein in unseren Genen steht, ob wir z.B. lieber Action-Filme oder Komödien anschauen. Aber ohne die entsprechenden genetischen Voraussetzungen können wir gar keine Vorlieben für Filme entwickeln. Die Frage "Gene oder Umwelt" ist, wenn man sie als die jeweils andere Seite ausschließend versteht, falsch gestellt. Das gilt demnach auch auf Religiösität. Ohne die entsprechenden Gene, ist es ausgeschlossen, dass ein Lebewesen religiöse Anschauungen entwickelt - ohne entsprechende äußere Einflüsse aber ebenso wenig.
Ich komm mir gerade wie im Biophilosophie-Tutorium vor, wo ich einem Studenten ein paar Grundlagen erklären muss ^^* ...

Das war nur ein Ansatz zur Erklärung meiner Vermutung - vielleicht sind auch die spirituellen Menschen eher die Gebrannten...oder die Sache hat ganz andere Gründe.

Manche halten Religiösität ja für eine adaptive Problemlösung - ich bin da skeptisch. Ich gehe davon aus, dass Religiösität nur ein Nebenprodukt anderer Denkmuster ist. Bei der These, Religiösität sei fitnessförderlich vermute ich kausale und statistische Fehlschlüsse... aber da will ich mich auf keinen Fall festlegen, da ich die entsprechenden empirischen Studien nicht im Detail kenne. Aber selbst wenn Religiösität in den meisten Fällen fitnesssteigernd sein sollte, ist das 1. allein noch kein Grund für die Person, religiös zu werden und 2. noch nicht bewiesen, dass sie eine adaptive Problemlösung darstellt und nicht ein Nebenprodukt.
Naja, ich warte mal ab, was die Wissenschaft in ein paar Jahrzehnten dazu sagt. ^^

@Frage nach der religiösen Freude an Mathematik und Schokoladenpudding:
Was ich mit der leicht veränderten Kopie deiner Aussage ausdrücken wollte, war nur eine Wiederholung meines Einwandes gegen henryN, dass ein so weiter Religionsbegriff imo nicht sinnvoll ist.

janw
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Mi 28. Nov 2007, 11:53 - Beitrag #30

Zitat von Maurice:Jan, "transzendent" nicht "transzendental"! ^^

Ok, ich verstehe, worauf Du hinaus willst, hast recht. Lies einfach "transzendent".

Jede Verhaltensweise bedarf einer genetischen Basis. Ohne diese genetische Basis ist eine Verhaltensweise nicht möglich. Das soll nicht heißen, dass es allein in unseren Genen steht, ob wir z.B. lieber Action-Filme oder Komödien anschauen. Aber ohne die entsprechenden genetischen Voraussetzungen können wir gar keine Vorlieben für Filme entwickeln. Die Frage "Gene oder Umwelt" ist, wenn man sie als die jeweils andere Seite ausschließend versteht, falsch gestellt. Das gilt demnach auch auf Religiösität. Ohne die entsprechenden Gene, ist es ausgeschlossen, dass ein Lebewesen religiöse Anschauungen entwickelt - ohne entsprechende äußere Einflüsse aber ebenso wenig.

Der Punkt ist, daß allgemeine Vorlieben wohl keine bestimmte Verortung im Gehirn haben, insofern die Vermutung einer bahnungsbedigten Beeinflussung hier nicht so greift. Während es wie gesagt eine Hirnregion gibt, die spezifisch bei "religiösen Handlungen" aktiv ist. Wie stark diese Region auf das Verhalten einwirkt, hängt von ihrer Anbindung ab, also davon, wieviele Nervenbahnen sie mit anderen Zentren verbinden, vor allem mit dem Thalamus als Zentrum für Lustempfindungen.
Diese Bahnungen entstehen im allgemeinen sozialisations- und lebenserfahrungsbedingt.
Gut, könnte man einwenden, daß es vielleicht eine genetische Beeinflussung der Leichtigkeit von Bahnbildungen geben könnte - ist mir bislang noch nicht untergekommen, aber wer weiß?
Wäre mal interessant, was die Zwillingsforschung zu der Frage sagt.

Manche halten Religiösität ja für eine adaptive Problemlösung - ich bin da skeptisch. Ich gehe davon aus, dass Religiösität nur ein Nebenprodukt anderer Denkmuster ist. Bei der These, Religiösität sei fitnessförderlich vermute ich kausale und statistische Fehlschlüsse... aber da will ich mich auf keinen Fall festlegen, da ich die entsprechenden empirischen Studien nicht im Detail kenne. Aber selbst wenn Religiösität in den meisten Fällen fitnesssteigernd sein sollte, ist das 1. allein noch kein Grund für die Person, religiös zu werden und 2. noch nicht bewiesen, dass sie eine adaptive Problemlösung darstellt und nicht ein Nebenprodukt.
Naja, ich warte mal ab, was die Wissenschaft in ein paar Jahrzehnten dazu sagt. ^^

Wie gesagt, ich bezog mich auf die "Religiosität" bzw. Offenheit gegenüber transzendenten Inhalten des Einzelnen, nicht des Menschen an sich.
"Adaptive Problemlösung" wäre da durchaus eine Erklärung in Richtung "gebranntes Kind", bestimmte Erfahrungen würden dann zu einer verstärkten Einbindung des entsprechenden Zentrums in die Verhaltenssteuerung führen.

Was Du ansprichst, betrifft die Frage, warum sich beim Menschen überhaupt solch ein Zentrum entwickelt hat und warum er transzendente Vorstellungen entwickelt hat. Adaptive Problemlösung...da müsste ein entsprechendes Problem benannt werden. Steigerung der ökologischen Fitness...nun, zumindest kann es nicht zu einem Verlust an Fitness geführt haben, denn sonst hätte das Merkmal nicht in der Population überlebt.

@Frage nach der religiösen Freude an Mathematik und Schokoladenpudding:
Was ich mit der leicht veränderten Kopie deiner Aussage ausdrücken wollte, war nur eine Wiederholung meines Einwandes gegen henryN, dass ein so weiter Religionsbegriff imo nicht sinnvoll ist.

Und ich habe es so gelesen, daß Du Dich auch auf den von Ipsi erwähnten "Rechenfanatiker" bezogst.

Maglor
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Mi 28. Nov 2007, 15:54 - Beitrag #31

Spiritualität kann viele Formen annehmen. :crazy:

Maurice
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Mi 28. Nov 2007, 17:56 - Beitrag #32

@Jan:

@Gene + Umwelt: Nochmal etwas allgemeiner, weil ich den Eindruck habe, dass der folgende Punkt noch nicht ausreichend bei allen klar ist:
Jede Fähigkeit bedarf einer genetischen Basis. Daraus folgt nicht, dass eine Fähigkeit deshalb auch notwendig vom Genträger entwickelt wird.
Man wird es nie schaffen, einem Goldfisch Stepptanz und das Schreiben von Gedichten beizubringen. Es fehlt ihm einfach die genetischen Voraussetzungen dafür. Ebenso wird ein Mensch niemals radfahren lernen, wenn er nie mit Fahrrädern in Berührung kommen wird. Es fehlen die notwendigen äußeren Einflüsse.
Wie sollten auch Merkmale beschaffen sein, die völlig ohne das eine oder das andere entstehen? Wie sollten solche überhaupt in die Welt gekommen sein? (Wenn man keine religiösen oder mystischen Erklärungsversuche bemühen will.)

Adaptive Problemlösung...da müsste ein entsprechendes Problem benannt werden.

Wenn ich wüsste, dass der Student nichts dagegen hätte, würde ich sein Essay hier posten, in dem er einen soziobiologischen Erklärungsansatz darstellt. Bekomme das aus dem Kopf nicht ausreichend zusammen. Müsste ich nachlesen.
Fürs erste hier ein Link zu einem kleinen Artikel von Voland zu dem Thema ->
Das ist jetzt natürlich sehr kurz und oberflächlich verfasst, weil es ein Zeitungsartikel ist, der auch dem Laien einen groben Überblick geben soll. In den entsprechenden Büchern, wird das Thema selbstverständlich ausführlicher behandelt.

(...)zumindest kann es nicht zu einem Verlust an Fitness geführt haben, denn sonst hätte das Merkmal nicht in der Population überlebt

Jein. Ein für die Fitness eher hinderliches Merkmal stirbt nicht notwendig aus, solange die Gensets andere phänotypische Merkmale hervorbringen, die diese Nachteile ausgleichen. Unsere Vorliebe für fettes und salziges Essen stellt eine adaptive Problemlösungsstrategie dar und war lange Zeit in der Menschheitsgeschichte funtkional/fitnessförderlich. Für den mordernen wohlhabenden Menschen von heute, ist diese Vorliebe aber eher fitnesshinderlich (mangelnde Bewegung, Übergewicht usw.). Trotzdem gibt es diese Vorliebe auch heute noch.
Mit Blick auf die Tatsache, dass adaptive Merkmale ihre fitnessfördernde Wirkung verlieren können, kann man nun auch fragen, ob Religiösität, angenommen sie war einmal fitnessförderlich, auch heute noch funktional ist.
Das können wir hier nicht entscheiden, sondern nur darüber mutmaßen, aber der Gedanke sei an dieser Stelle geäußert.

janw
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Fr 30. Nov 2007, 01:43 - Beitrag #33

Zitat von Maurice:@Gene + Umwelt: Jede Fähigkeit bedarf einer genetischen Basis. Daraus folgt nicht, dass eine Fähigkeit deshalb auch notwendig vom Genträger entwickelt wird.
Man wird es nie schaffen, einem Goldfisch Stepptanz und das Schreiben von Gedichten beizubringen. Es fehlt ihm einfach die genetischen Voraussetzungen dafür. Ebenso wird ein Mensch niemals radfahren lernen, wenn er nie mit Fahrrädern in Berührung kommen wird. Es fehlen die notwendigen äußeren Einflüsse.
Wie sollten auch Merkmale beschaffen sein, die völlig ohne das eine oder das andere entstehen? Wie sollten solche überhaupt in die Welt gekommen sein? (Wenn man keine religiösen oder mystischen Erklärungsversuche bemühen will.)

Das klingt etwas, als meintest Du, es gäbe ein Fahrradfahr-Gen beim Menschen, zumindest eine diesbezügliche Disposition, die bei entsprechender Umwelt zum Ausdruck komme.
Daß Menschen Rad fahren, ist aber praktisch in gleichem Maße auf ihre Gene zurück zu führen, wie, daß Dir gerade diese Zeilen angezeigt werden, auf die Schaltungen Deiner Rechner- und Monitorplatinen und den Code Deines browsers und Deines Betriebssystems zurückzuführen ist.
Wir können Rad fahren, weil im Zuge einer kulturellen Evolution ein Fahrrad entwickelt worden ist und wir über die nötigen Kräfte, Gleichgewichtssinn und Koordinationsvermögen verfügen, es zu benutzen und wir zu jenen Menschen gehören, denen das Rad fahren nahe gebracht worden ist.
Und weil wir Lust dazu hatten, es zu erlernen.
Daß wir Rad fahren können, ist also eine mögliche, aber nicht notwendige Folge aus all diesen Voraussetzungen, kontingent also.
Man könnte IMHO die Fähigkeit zum Rad fahren auch als Emergenz ansehen.
Letztlich liegt hier auch der Hase im Pfeffer, weil Du mit Emergenzen Deine Schwierigkeiten hast - letztlich ist das Menschenmögliche aber zum großen Teil eben ein Set emergenter Eigenschaften, wesentlich bedingt durch etwas, das kulturelle Evolution genannt wird.

Wenn ich wüsste, dass der Student nichts dagegen hätte, würde ich sein Essay hier posten, in dem er einen soziobiologischen Erklärungsansatz darstellt.
Fürs erste hier ein Link zu einem kleinen Artikel von Voland zu dem Thema ->
Das ist jetzt natürlich sehr kurz und oberflächlich verfasst, weil es ein Zeitungsartikel ist, der auch dem Laien einen groben Überblick geben soll.

Du könntest den Studenten motivieren, seinen Essay selbst hier zu posten und mitzudiskutieren.

Der Artikel ist eine gute Quelle.
Allerdings offenbart er auch die Schwäche, welche dem soziobiologischen Erklärungsansatz in dieser Frage innewohnt, nämlich, daß sie versucht, alles auf die biologistische Schiene runterzubrechen, bis hin zu den konkreten Phänomenen der Beschäftigung mit transzendenten Inhalten.
Hier müsste mE die kulturelle Evolution stärker berücksichtigt werden, die eben diese und jene Wege eingeschlagen hat, sicher in Reaktion auf und Reflexion der jeweiligen Lebensverhältnisse, Bedürfnisse und Probleme der Menschen zu bestimmten Zeiten, aber angetrieben durch das, was den Menschen dazu einfiel, kontingente Prozesse also. Die heute offenbar allen Religionen eigenen 4 methodischen Eigenschaften sind dabei entstanden/entwickelt worden, weil sie den Menschen in den Sinn gekommen sind und dann konserviert worden, weil sie offenbar tragfähig waren, vielleicht auch, weil sie an einem Punkt so gesellschaftlich konstitutiv geworden waren, daß nichts von ihnen genommen und nichts hinzugefügt werden konnte, ohne diese gesellschaftliche Konstitutivität anzukratzen. Die Entstehung dieser methodischen Eigenschaften war also möglich, aber nicht notwendig, also kontingent.

In der Evolution der Tiere sind nur zwei Grundbaupläne für Gliedmaßen entwickelt worden, auf denen die gesamte Artenvielfalt der Insekten, Krustentiere und Wirbeltiere beruht.
Diese Grundbaupläne sind schon sehr früh in der Evolution entwickelt worden, etwa in der Zeit des ausgehenden Präkambriums und Kambriums vor etwa 600 Mio Jahren und seit dem im Wesentlichen unverändert.
Die Entwicklung dieser Grundbaupläne war mE ein kontingenter Prozess, daß sie konserviert wurden und keine weiteren hinzu gekommen sind, kann neben ihrer Funktionalität auf die Entwicklung der Genome zurückgeführt werden:
Parallel mit der Entwicklung der Artenvielfalt wurden die Genome größer und komplexer, durch die aufwendige "Verpackung" der DNA wurden manche Abschnitte durch eine mehr "innere" Lage besser vor mutagenen Einflüssen geschützt als andere, weniger abgeschirmte Bereiche, außerdem führte die Aufwicklung der DNA dazu, daß bestimmte Bereiche mit höherer Wahrscheinlichkeit beim crossing-over verlegt oder zerteilt wurden, als andere, die Mutationsrate eines Gens wurde also neben der Mutagenität der Umwelt auch durch die Lage des betreffenden Gens im Genom und seiner Organisationsstruktur bestimmt.
Hier scheint es nun - mir ist leider die Quelle entfallen - so zu sein, daß die die Grundbaupläne betreffenden Gene so liegen, daß sie stärker konserviert werden als andere, oder sie sind so stark an grundlegenden Steuerungsprozessen beteiligt, daß minimale Änderungen an ihnen sehr zuverlässig ein Systemversagen zur Folge haben. Somit war die Entwicklung weiterer Plattformen ab einem bestimmten Punkt praktisch unmöglich, weil die eingetretene Komplexität der Genome dies nicht mehr ermöglichten.

Ich sehe hier eine gewisse Analogie zwischen der biogischen und der kulturellen Evolution, in dem die methodischen Eigenschaften der Religionen aufgrund ihrer nur in unverfälschter Form gegebenen konstitutiven Wirkungen für die menschlichen Gesellschaften, die eben wesentlich auf tradierten Inhalten basierten, konserviert wurden, wie auch die Bauplan-Plattformen der Tiere konserviert wurden, weil Änderungen an ihnen für die betreffenden Organismen fatal gewesen wären bzw. waren.

Jein. Ein für die Fitness eher hinderliches Merkmal stirbt nicht notwendig aus, solange die Gensets andere phänotypische Merkmale hervorbringen, die diese Nachteile ausgleichen. [...] Für den mordernen wohlhabenden Menschen von heute, ist diese Vorliebe für fettes Fleisch aber eher fitnesshinderlich (mangelnde Bewegung, Übergewicht usw.). Trotzdem gibt es diese Vorliebe auch heute noch.
Mit Blick auf die Tatsache, dass adaptive Merkmale ihre fitnessfördernde Wirkung verlieren können, kann man nun auch fragen, ob Religiösität, angenommen sie war einmal fitnessförderlich, auch heute noch funktional ist.
Das können wir hier nicht entscheiden, sondern nur darüber mutmaßen, aber der Gedanke sei an dieser Stelle geäußert.

Man könnte sagen, daß unsere heutige Lebensweise nicht mehr an unsere genetische Konstitution angepasst ist, welche eher auf eine unregelmäßige und stark schwankende Nahrungsversorgung ausgelegt ist.
Daß wir diese Diskrepanz überleben, liegt an unserer Fähigkeit zu technischen Maßnahmen.

Die Frage ist eben, welches das adaptive Merkmal ist - die bei transzendenten Denkprozessen selektiv aktive Hirnregion oder die Religiosität oder ihre Erscheinungsformen.
Nach meinem Dafürhalten eher die Hirnregion, alles weitere ist Folge dessen, was Mensch damit angestellt hat.
Ich denke, daß diese Hirnregion auch nützlich ist, wenn wir eine atheistische oder areligiöse Haltung annehmen, denn sie ermöglicht es uns meiner Meinung nach auch, gedanklich aus uns herauszutreten, ein Bild unserer Selbst in unserer Welt zu gewinnen, uns auch in verschiedene andere Szenarien hinein zu denken - wichtige Voraussetzung für jede Art von Lebensperspektivenentscheidung.

Maurice
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Fr 30. Nov 2007, 13:55 - Beitrag #34

Daß wir Rad fahren können, ist also eine mögliche, aber nicht notwendige Folge aus all diesen Voraussetzungen

Habe ich irgendwo etwas anderes behauptet?

Das klingt etwas, als meintest Du, es gäbe ein Fahrradfahr-Gen beim Menschen

So ist das natürlich nicht gemeint. Aber nehmen wir nochmal den Goldfisch, um die Sache zu vereutlichen: Der Mensch hat Gene, die es ihm ermöglichen unter den dafür notwendigen äußeren Einflüssen (Erfindung des Fahrrads, genug Geld um sich ein Fahrrad zu kaufen usw.), fahrradfahren zu erlernen. Beim Goldfisch ist es vollkommen ausgeschlossen, dass er jemals fahrradfahren lernen wird, da er nicht die dafür notwendigen Gene hat, die dafür Voraussetzung sind.
Der Mensch hat deshalb natürlich kein "Fahrrad"-Gen, sondern Gene, die ihm ermöglichen, dass er das Fahrradfahren erlernen kann.
Es gibt ja auch kein "Gedichtschreibe"-Gen, aber wenn ein Mensch keine Gene hätte, die ihm z.B. das Erlernen einer Sprache ermöglichen würden, würde er niemals lernen können, Gedichte zu schreiben. Dass es zum Gedichtsschreiben natürlich mehr bedarf, als die entsprechenden Gene, nämlich zusätzlich bestimmter äußerer Einflüsse (darunter gewisse Kulturleistungen) habe ich immer wieder betont.

Daß wir diese Diskrepanz überleben, liegt an unserer Fähigkeit zu technischen Maßnahmen.

Und dass wir Werkzeuge und Technologien entwickeln können, ist nur der Fall, weil wir Gene haben, die uns dieses ermöglichen. Und ich wiederhole an dieser Stelle nochmal: Natürlich sind diese Gene nicht die hinreichende Bedingung, um Werkzeuge bauen zu können, aber neben den äußeren Einflüssen eine notwendige Bedingung.

@Emergenz: Ja, mit dem Thema "Emergenz" habe ich so meine Probleme. Aber das muss ich ja eigentlich auch haben, da es mehre sich teils widersprechende Emergenzbegriffe gibt. Es scheint mir daher wenig sinnvoll zu sein, einfach das Wort "Emergenz" in den Raum zu werfen und dann zu glauben, damit hätte man alle Probleme gelöst, wenn erstmal völlig unklar ist, was "Emergenz" eigentlich meinen soll.

janw
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Fr 7. Dez 2007, 22:09 - Beitrag #35

Zitat von Maurice:Habe ich irgendwo etwas anderes behauptet?

Ich habe es nur mal bekräftigt, weil ich den Eindruck hatte, daß Du die genetische Basis etwas höher bewertest als ich.
Aber das hast Du ganz gut gerade gerückt.

Und dass wir Werkzeuge und Technologien entwickeln können, ist nur der Fall, weil wir Gene haben, die uns dieses ermöglichen. Und ich wiederhole an dieser Stelle nochmal: Natürlich sind diese Gene nicht die hinreichende Bedingung, um Werkzeuge bauen zu können, aber neben den äußeren Einflüssen eine notwendige Bedingung.

Wir haben eine Reihe Gene, die zu der Größenentwicklung unseres Großhirns führen - wohl vor allem mittelbar, indem sie eine Form unseres Schädels zur Folge haben, die diesem Platz gibt. Der Rest ist dann einfach, daß die Hirnzellen in diesen Raum hinein wachsen, bis er voll ist.
Die Nervenzellen verbinden sich dann untereinander, induziert durch äußere Reize in Form von Nervenimpulsen, zu einem komplexen Netzwerk, wobei die Verknüpfungen in Verbindung mit bestimmten Molekülen eine längerfristige Speicherung von gelernten Inhalten bedeutet.
Die Komplexität des Netzwerks in Verbindung mit den gespeicherten Inhalten bringt dann die Erkenntnisfähigkeit als emergente Eigenschaft hervor.

@Emergenz: Ja, mit dem Thema "Emergenz" habe ich so meine Probleme. Aber das muss ich ja eigentlich auch haben, da es mehre sich teils widersprechende Emergenzbegriffe gibt. Es scheint mir daher wenig sinnvoll zu sein, einfach das Wort "Emergenz" in den Raum zu werfen und dann zu glauben, damit hätte man alle Probleme gelöst, wenn erstmal völlig unklar ist, was "Emergenz" eigentlich meinen soll.

Gut, ich meine damit das Phänomen, daß komplexe Systeme Eigenschaften aufweisen, die eine Folge dieser Komplexität sind und nicht in ihren Bausteinen erkennbar angelegt sind. "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile" beschreibt das Phänomen recht gut, in diesem Mehr liegt die Summe der emergenten Eigenschaften.

Letztlich muss man dabei sagen, daß Menschen und ihre behaarten Verwandten dabei über ein "hyperkomplexes" oder "Meta-Netzwerk" verfügen, das auf der Kommunikation zwischen Artgenossen basiert und dessen emergente Eigenschaften die bei ihnen zu beobachtenden kulturellen Phänomene sind.
Es gibt zwar den einen oder anderen Hund, der mühsam dahinter kommt, daß durch Drehen des Deckels das Futter im Glas erreicht werden kann - aber das bleibt auf immer und ewig sein Wissen, weil er es seinen Jungen nicht vermitteln kann. Schimpansen, Gorillas, Bonobos, Orang-Utans und Schnee-Affen können dies erworbene Wissen an ihre Artgenossen weitergeben, wodurch nun eine ganze Schnee-Affen-Kolonie Muscheln knackt und wäscht und am warmen Vulkan-Whirlpool überwintert und die Schimpansen im Tai-Wald Werkzeuge herstellen.
[N.B. Im Grunde wird es Zeit, ihre Lebensräume nicht nur als gefährdete Lebensräume mehr schlecht als recht zu schützen, sondern als Siedlungsgebiete gefährdeter Minderheiten politisch abzugrenzen.]

Maurice
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Fr 7. Dez 2007, 23:13 - Beitrag #36

"Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile"

Zustimmung! Stimmst du mir auch zu, wenn ich behaupte "Das Ganze ist ein System durch das Zusammenspiel seiner Teile"?
Wir sollten die Emergenz-Sache darüber hinaus hier wohl nicht weiter diskutieren. Ich vermute, sonst wird es zu ot. Unsere ganze Bio-Diskussion ist mittlerweile ja schon nicht mehr direkt auf die Frage nach Gott und Jenseits bezogen. ^^

@tierische Lehrer: Gabs aber nicht auch ein paar Fälle im Tierreich, in denen sich Nicht-Primaten etwas beigebracht haben? Ich bin mir nicht sicher, aber gehören manche Raben nicht dazu? Ich habe erst letztens wieder gesehen, was für krasse Problemlöser, Strategen, Werkzeugbauer usw. Raben sein können. Leider weiß ich nicht mehr, ob sie sich auch gegenseitig ihre Tricks beigebracht haben.

janw
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Sa 8. Dez 2007, 02:01 - Beitrag #37

Stimmst du mir auch zu, wenn ich behaupte "Das Ganze ist ein System durch das Zusammenspiel seiner Teile"?

Wikipedia sagt dazu:
Ein System, [...] „das Gebilde, Zusammengestellte, Verbundene“; Pl. Systeme) ist eine Gesamtheit von Elementen, die so aufeinander bezogen sind und in einer Weise wechselwirken, dass sie als eine aufgaben-, sinn- oder zweckgebundene Einheit angesehen werden können und sich in dieser Hinsicht gegenüber der sie umgebenden Umwelt abgrenzen.

Insofern ist ein System immer System, weil seine Teile zusammenspielen, mit einander wechselwirken. Also: Ja.

@tierische Lehrer: Gabs aber nicht auch ein paar Fälle im Tierreich, in denen sich Nicht-Primaten etwas beigebracht haben?

Ja, doch, da gibt es eine Reihe Beispiele: Raubkatzen bringen ihren Jungen das Jagen bei, und bei einigen werkzeugbenutzenden Vögeln gucken die Jungen zumindest bei den Alten ab, wenn da nicht auch aktiv Fertigkeiten vermittelt werden.
Mein Glas-Beispiel war insofern ungünstig - der Unterschied liegt letztlich in einem ganzen gruppenspezifischen System von Verhaltensweisen, iirc einschließlich der Entwicklung differenzierter Lautsysteme, die sich als gruppenspezifische "Dialekte" deuten lassen, das es so nur bei den Menschenaffen gibt. Systeme, die so weit über individuelle Einzelfertigkeiten hinaus reichen, daß der Begriff der "Kultur" auf sie anwendbar ist.

Um mal wieder den religious turn^^ zu schaffen...
Ich sehe es derzeit so, daß die Gattung Homo irgendwann eine Hirnregion entwickelt hat, die bei Beschäftigung mit transzendenten Fragestellungen aktiv wird. Die wird in irgendeiner Weise für das Überleben mindestens neutral gewesen sein - wobei ich aber annehme, daß sie sogar vorteilhaft war, denn sie wird nicht auf einmal entstanden sein und beansprucht kostbare Raum- und Rechenkapazitätsressourcen, weshalb sie bei einer nur neutralen Wirkung wohl rausgemendelt worden wäre.
Worin der Vorteil für ihre Träger lag? Vielleicht, wie schon angedeutet, war es mit ihr den Menschen möglich, gedanklich aus sich herauszutreten, ein Bild ihrer Selbst in ihrer Welt zu gewinnen, sich auch in verschiedene andere Szenarien hinein zu denken - wichtige Voraussetzung für jede Art von Lebensperspektivenentscheidung.
Vielleicht bekamen sie dadurch auch ein Bewusstsein für die Zyklizität in der Natur, Jahreszeiten usw, die sich auch in den Sternbildern zeigen.
Vielleicht diente sie auch der Förderung des sozialen Zusammenhalts, in dem die menscheneigene instinktbedingte Empathie nun auch eine Repräsentanz im Bewusstsein fand, vielleicht die Basis für die Entwicklung moralischer Codices. Vielleicht war die Entwicklung religiöser Vorstellungen eine notwendige Begleiterscheinung dabei, vielleicht nur ein zufälliges Nebenprodukt, das überlebte, weil es so gut mit den sich entwickelnden Machtstrukturen zu vereinbaren war.

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