Ein Versuch über das Glück

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Maurice
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Do 1. Mai 2008, 18:59 - Beitrag #1

Ein Versuch über das Glück

Aus aktuellen Anlass wurde ich motiviert, über das Thema "Glück" nachzudenken. Erst in dieser Reflektion ist mir ein bestimmter Aspekt erst ganz klar geworden. Die im Folgenden beschriebene Unterscheidung habe ich zwar schon in der Beziehung mit Sarah kennengelernt, doch habe ich dessen Bedeutung erst in den Wochen nach der Trennung angemessen realisieren können.
Der Text ist nicht sonderlich lang und ich bin mir unsicher, inweit ich mit dem Ergebnis zufrieden sein sollte. Es ist aber auch ein schwieriges Thema, da es immer heikel ist, Gefühle sprachlich zu vermitteln. Ich bin mir trotzdem sicher, dass mir der ein oder die andere mir in meiner Beschreibung zustimmen wird. Da der Text die ein oder andere These enthält, die den Leser zur inhaltlichen oder formalen Kritik motivieren könnte, sollte es mir mit diesem Text möglich sein, eine kleine Diskussion anzustoßen. Ich verspreche dabei im voraus aber nicht, dass ich mich an dieser beteiligen werde. Ich würde mich aber darüber freuen, wenn auch ohne mich ein Gespräch darüber stattfinden würde. Wenn niemand die Inhalte für diskussionswürdig hält, kann der Text auch als Grundlage für eine diesem angrenzende Fragestellung genutzt werden. ^^
Als letzte Info: In der ursprünglichen Word-Datei sind ein paar Fußnoten enthalten, die hier nicht mitreinkopiert wurden. Imo fehlen dadurch aber keine wichtigen Information. Falls nötig werde ich sie aber nachreichen.


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Das Wort „Glück“ ist im Deutschen polysemantisch, d.h. ein Wort kann für verschiedene Dinge stehen. In einem ersten Schritt lässt sich zwischen „Glück“ als „wünschenswerter, nicht voraussagbarer Umstand“ und als „wünschenswerte Verfassung eines Lebewesens“ grob unterscheiden. Ein Beispiel für den ersten Fall wäre ein Gewinn im Lotto. Der Mensch, der sich über den Lottogewinn freut, wird für gewöhnlich als „glücklich“ bezeichnet, was der zweiten Bedeutung entspricht. Um das zweite Bedeutungsfeld von „Glück“ soll es in diesem Text gehen. „Glück“ im Sinne eines Lottogewinns soll hier keine Rolle spielen.
Ich sprach von einem zweiten Bedeutungsfeld, weil bei näherem Hinsehen auch das Wort „Glück“ als „wünschenswerte Verfassung eines Lebewesens“ wiederum polysemantisch ist, wenn man den Wortgebrauch von ausreichend vielen Personen betrachtet. Dominant ist ein subjektiver Glücksbegriff, also einer bei denen die subjektiven Gefühlszustände eines Lebewesens die Antwort auf die Frage geben, ob das Lebewesen glücklich ist. Deutlich seltener aber durchaus auch vertreten wird ein objektiver Glücksbegriff, bei dem nicht die Gefühlszustände für die Frage nach dem Glück entscheidend sind, sondern äußere Umstände. Beschreibungen für das Glück gemäß einem subjektiven Glücksbegriff können „Freude“, „Lust“ oder „Zufriedenheit“ sein, im Fall eines objektiven Glücksbegriffs hingegen „Reichtum“, „Ansehen“ oder „Produktivität“. Zwischen diesen beiden Glücksbegriffen besteht eine wesentliche Kluft. So kann der Vertreter eines subjektiven Glücksbegriffs fragen, ob ein reicher, angesehener und produktiver Mensch auch glücklich sei und umgekehrt der Vertreter eines objektiven Glücksbegriffs, ob ein freudvoller, lusterfüllter und zufriedener Mensch auch glücklich sei. Neben diesen beiden Optionen ist auch die Möglichkeit eines gemischten Glücksbegriffs denkbar, bei dem sowohl die Gefühlszustände, als auch die äußeren Umstände eines Lebewesens relevant sein würden.
Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen ist ein subjektiver Glücksbegriff:
Um die Frage zu beantworten, was genau Glück sei, bzw. was man als „Glück“ bezeichnen sollte, bedarf es zuerst einer sprachlichen Setzung, die letztlich notwendig ein Element von Willkür besitzt. Ausgangspunkt ist ein bestimmtes Phänomen, von dem der Betrachter der Ansicht ist, dass dies es wert ist, mit einem eigenen Wort bezeichnet zu werden und näher analysiert zu werden. Ein gutes Beispiel für dieses Vorgehen sind alle Diskussionen über die Frage „Was ist Liebe?“. Auch das Wort „Liebe“ ist polysemantisch und wird zur Bezeichnung verschiedener Phänomene bezeichnet, die weder auf ein gemeinsames Phänomen hinreichend zurückzuführen sind, noch ein einziges gemeinsames Element besitzen. Sowohl gewisse Gefühle, die eine Mutter für gewöhnlich gegenüber ihrem Neugeborenen hegt, als auch die schwärmerischen Gefühle eines jugendlichen Mädchens zu ihrem Lieblingsschauspieler, werden als „Liebe“ bezeichnet, obwohl diese zwei grundverschiedene Arten der Zuneigung sind, für die kein gemeinsamer Nenner gefunden werden kann. Um sinnvoll darüber diskutieren zu können, was „Liebe“ sei, muss man sich also zuerst für ein Phänomen entscheiden, was man als „Liebe“ bezeichnen möchte und das man von den anderen Phänomenen, die zuweilen auch als „Liebe“ bezeichnet werden, abgrenzt, um es näher zu untersuchen. Dasselbe gilt hier für die Diskussion über die Frage, was „Glück“ genau sei.

Viele subjektive Glücksbegriffe stellen einen einfachen Hedonismus dar, bei dem „Glück“ einfach mit Lust und Freude identifiziert wird, wie sie die meisten Menschen jeden Tag oft erleben. Gemäß einem solchen Glücksbegriff ist derjenige „glücklich“, der ein positives Gefühl durch z.B. das Trinken eines schmackhaften Getränks, das Liegen in der Sonne oder dem Sieg seiner Lieblingssportmannschaft erhält. Es ist ein alltagssprachlicher Gebrauch des Wortes „Glück“, Menschen, die Lust oder Freude empfinden, als „glücklich“ zu bezeichnen. Es gibt aber auch Fälle, bei denen Menschen Lust oder Freude empfinden und trotzdem einige Menschen diese nicht als „glücklich“ bezeichnen wollen. Außerdem gibt es Fälle, in denen einige Menschen trotz Unlust und Leid zögern, von „Unglück“ zu sprechen. Beispiele hierfür wäre ein Drogensüchtiger, den viele Menschen nicht als „glücklich“ bezeichnen würden, selbst wenn er gerade durch die Einnahme von Drogen einen angenehmen Rausch empfinden würde. Ebenso würden viele zögern, einen beruflich und privat erfolgreichen Menschen, der mit bester Gesundheit ausgestattet ist, als „unglücklichen Menschen“ zu bezeichnen, nur weil er sich einen Augenblick lang darüber ärgert, dass er versehentlich sein Wasserglas umgestoßen hat. Die folgenden Überlegungen richtigen sich primär an diejenigen, die den Drogensüchtigen nicht als „glücklichen“ und den Menschen im zweiten Beispiel nicht als „unglücklichen Menschen“ bezeichnen würden. Jeder der dies tut, vertritt offensichtlich einen Glücksbegriff, der über einen klassischen Hedonismus hinausgeht. Diejenigen, die den Drogensüchtigen als „glücklichen Menschen“ wegen seiner durch die Drogen erhaltenen Lust und den Menschen mit dem umgestoßenen Wasserglas auf Grund seines Ärgers als „unglücklichen Menschen“ bezeichnen, müssen sich überlegen, ob sie diesen Text an dieser Stelle weiter lesen wollen. Ihre Verwendungsweise des Wortes „Glück“ ist an sich nicht falsch, da keine Verwendungsweise eines Wortes an sich richtig oder falsch ist, sondern immer nur in Bezug auf bestimmte Sachverhalte und sprachliche Konventionen. Jemand, der das Wort „Glück“ in einem klassischen hedonistischen Sinne benutzt, wird das Phänomen, das ich in diesem Text mit dem Wort „Glück“ bezeichnen und untersuchen will, wahrscheinlich nicht für relevant halten. Aber auch für die Vertreter eines solchen Glücksbegriffes könnte es lohnenswert sein, weiter zu lesen, da ich glaube, dass das zu untersuchende Phänomen auch für die Menschen relevant ist, die dieses bisher nicht für relevant halten.

Warum bezeichnen nun einige Menschen den Drogenkonsument nicht als „glücklichen Menschen“ und den, der das Glas umgeworfen hat, nicht als „unglücklichen“? Sie könnten einen objektiven oder gemischten Glücksbegriff verwenden. Dies wird bei einigen wohl der Fall sein, was hier aber nicht weiter diskutiert werden soll. Stattdessen soll untersucht werden, wie ein subjektiver Glücksbegriff beschaffen sein könnte, der über einen klassischen Hedonismus hinausgeht. Ich halte es nämlich für ein wesentlich interessanteres Projekt, die oben genannten Intuitionen bezüglich der Verwendungsweise von „Glück“ durch einen erweiterten subjektiven Glücksbegriff zu rekonstruieren zu versuchen, als einen subjektiven Glücksbegriff lediglich durch willkürliches Hinzufügen von äußerlichen Kriterien in einen gemischten zu verwandeln.
Inwiefern kann man also denjenigen, der das Glas umwirft und sich darüber ärgert, trotzdem als „glücklichen Menschen“ bezeichnen? Die nahe liegende Antwort ist, dass der Ärger über das Glas nur eine Nebensächlichkeit sei und man davon abgesehen davon auszugehen habe, dass er ein Leben führe, dass von Freude und Wohlbefinden geprägt ist. „Glück“ wäre hier demnach mehr als nur das Lustempfinden es Augenblicks, sondern ein strukturelles Phänomen. Doch das allein scheint es noch nicht zu sein, da die meisten Menschen auch einen Drogenkonsumenten nicht als „glücklich“ bezeichnen würden, wenn er dank einer Wunderdroge den Großteil seines Lebens im Rauschzustand leben würde, ohne nach kurzer Zeit unter Nebenwirkungen zu leiden. Die wohl am häufigsten im Zusammenhang mit Drogen geäußerte Kritik ist, neben der des Verweises auf die Langzeitfolgen, dass die Drogen nicht „wirklich glücklich“ machen würden. Das „Glück“, welches der Drogenkonsument empfinde, sei nur ein oberflächliches.
Wer mir in der Verwendungsweise von „Glück“ in diesen beiden Beispielen folgt, dessen Glücksbegriff geht eindeutig über den einen klassischen Hedonismus’ hinaus, da „Glück“ zum ein strukturelles Phänomen sei und zum anderen nicht oberflächlich. Den Aspekt der fehlenden Oberflächlichkeit lässt sich im Nachhinein auch im Beispiel mit dem umgeworfenen Glas wieder finden, da der Urheber des Missgeschicks zwar oberflächlich in diesem Moment „unglücklich“ ist, aber von uns trotzdem als „glücklicher“ Mensch bezeichnet wird. Ein Glück, das nicht oberflächlich ist, soll im Folgenden als „tief“ bezeichnet werden. Neben dem oberflächlichen und momentanen „Glück“, wird also ein tiefes und strukturelles „Glück“ postuliert, dass man auch als „das wahre Glück“ bezeichnen könnte. Der Einfachheit wegen soll dieses „wahre Glück“ hier kurz nur mit dem Wort „Glück“ repräsentiert werden. Das „oberflächliche und momentane Glück“ wäre demnach also kein „Glück“ im gerade genannten Sinne. Solche Phänomene sollen nur als „Lustzustände“ oder „Lustempfindungen“ bezeichnet werden.

Da es hier um eine subjektive Glückskonzeption gehen soll, muss die Frage gestellt werden, ob es überhaupt ein Gefühl gibt, dass dem oben beschriebenen „wahren Glück“ entspricht. Es ist nämlich durchaus denkbar, dass viele Menschen an ein „tiefes und strukturelles Glück“ glauben, für das aber bei näherer Betrachtung in der Realität kein entsprechendes Phänomen zu finden wäre. Gibt es also ein Gefühl, das dem gerade skizzierten „Glück“ entspricht und weder oberflächlich noch kurzlebig ist? Dieser Text wäre eine gar absonderliche Arbeit, wenn meine Antwort auf diese Frage „nein“ lauten würde. Mir ist ein solches Gefühl sehr wohl bekannt und ich möchte versuchen, es im Folgenden genauer zu beschreiben. Dieses besondere Zufriedenheitsgefühl wird sich nicht bei allen Menschen identisch äußern. Wir gehen davon aus, dass die Gefühlszustände aller Menschen eine große Ähnlichkeit besitzen, sich aber im Detail unterscheiden. Ein Mensch liebt, hasst und ängstigt sich nicht in einer absolut gleichen Weise wie ein anderer, doch gehen wir davon aus, dass sich Liebe, Hass und Angst bei allen Menschen sehr ähnlich anfühlen. Die Ähnlichkeit in der Hirnphysiologie und die meistens erfolgreiche Kommunikation über Gefühle legen dieses Urteil nahe.
Wenn ich nun versuche, die von mir hier als „Glück“ genannte Zufriedenheit näher zu beschreiben, erhebt dies folglich nicht den Anspruch, das Phänomen exakt so zu beschreiben, dass es vollständig dem individuellen Erlebnis jeden einzelnen entspricht. Die Beschreibung ist lediglich der Versuch einer Annäherung meines eigenen Erlebens dieses Phänomens, von dem ich hoffe, dass es eine ausreichende Schnittmenge mit dem Erleben der anderen besitzt, damit es wieder erkannt werden kann.
Diese tiefe, strukturelle Zufriedenheit, was hier als „Glück“ bezeichnet wird, ist mit folgenden Aspekten verbunden: Es handelt sich um ein ruhiges Gefühl, das zwar euphorische Gefühle begünstigen kann, selbst aber fern von diesen ist. Man empfindet eine grundlegende Balance und Ausgeglichenheit, d.h. selbst wenn Arbeit und Probleme zu einem äußerlichen Stress führen, gerät man nicht aus dem Gleichgewicht und behält ein Mindestmaß an innerer Ruhe. Damit sind eine Sicherheit und ein Vertrauen verbunden, was das eigene Leben angeht. Es handelt sich also um eine besondere Art der Stabilität. Wer glücklich ist, muss nicht frei von Sorgen und Problemen sein, aber machen diese ihm keine ernsthafte Angst und er ist zuversichtlich, diese in die vorliegenden Probleme zu meistern. Zusätzlich liegt eine Art von „Wunschlosigkeit“ vor: Würde ein glücklicher Mensch gefragt werden, ob ihm etwas Wichtiges in seinem Leben fehle, ob er irgendetwas bedürfe, was er nicht besitzt, würde er dies verneinen. Er besitzt alles, was er braucht. Das heißt nicht, dass man einem glücklichen Menschen prinzipiell nichts geben könnte, was sein Leben verbessern würde, aber es wäre kein wesentlicher Zugewinn, da er alles für ihn Wichtige bereits besitzt.
Vom Glück darf nicht erwartet werden, dass es einem perfekten, also dauerhaft absoluten Wohlempfinden entspricht. Ein solches Wohlempfinden könnte man berechtigt als „Glückseligkeit“ bezeichnen, bei dem aber zumindest aus naturwissenschaftlicher Sicht davon auszugehen ist, dass dies für den Menschen unerreichbar ist. Wie auch bei Lust und Unlust gibt es ein Mehr und Weniger bei Glück und Unglück. Es gibt damit einen fließenden Übergang zwischen Glück und Unglück, weshalb es manchmal schwer zu sagen ist, ob man eher glücklich oder unglücklich ist. Erschwerend kommt hinzu, dass Glück übersehen und das spezifische Gefühl vergessen werden kann.

Entsprechend ist derjenige unglücklich, dem es an den oben genannten inneren Zuständen mangelt. Unglück zeichnet sich durch eine anhaltende, bzw. regelmäßig wiederkehrenden tiefe Unruhe aus, die sich zuweilen vor allem in Aggressivität, Trauer oder Furcht äußern kann. Ein unglücklicher Mensch kommt nie wirklich zur Ruhe und jeder Versuch, richtig zur Ruhe zu kommen, schlägt letztlich fehl. Ein entscheidender Mangel verhindert, dass man richtig „abschalten“ kann. Man fühlt sich unausgeglichen, nervös, neigt verstärkt zur Ungeduld und ist leichter reizbar. Auch kann das Realitätsgefühl beeinträchtigt sein, sodass sich die Dinge und Erlebnisse nicht mehr ganz „wirklich“ anfühlen. Es kann sogar soweit kommen, dass man das Gefühl hat „neben sich zu stehen“, nicht man selbst zu sein. Besonders markant ist der Umstand, dass unglückliche Menschen sich mit nichts richtig zufrieden geben können. Es scheint egal zu sein, was sie besitzen oder erreichen, es bleibt das Gefühl, dass etwas Wichtiges fehlt. Bedauerlicherweise haben viele unglückliche Menschen zugleich keine Ahnung, was ihnen denn eigentlich zum Glück fehlt.

Der hier erarbeitete Glücksbegriff ist empirisch schwieriger kontrollierbar als ein klassischer hedonistischer, weil sich die Frage, ob jemand glücklich ist, häufig nicht einfach beantworten lässt. Der Blick nach innen wird oft durch die oberflächlichen Lust- und Unlustempfindungen erschwert, in manchen Fällen sogar unmöglich gemacht. Das Glück ist am ehesten erkennbar, wenn starke oberflächliche Gefühle und äußere Reize fehlen. Die beste Chance hat man, indem man äußerlich zur Ruhe kommt, um in sich zu gehen und zu erkennen, ob man glücklich ist. Das Glück offenbart sich dann in einem Aha-Effekt und der Glückliche ist sich gewiss: „Das ist es!“
Aus diesem Kritikpunkt an dem hier vorgelegten anspruchsvolleren Glücksbegriff folgt aber nicht, dass dieser Glücksbegriff schlechter ist als ein klassisch hedonistischer. Letzen Endes ist es die Entscheidung des Einzelnen, welches Phänomen er als „Glück“ bezeichnen möchte. Die Verwendung der Wörter, ändert hier nichts an den Phänomenen, sondern nur an der Art, wie man über sie spricht. Derjenige, der schon oberflächliche und kurzlebige Lustempfindungen als „Glück“ bezeichnet, braucht freilich ein anderes Wort für die tiefe und strukturelle Zufriedenheit, die manche Menschen empfinden. Zumindest derjenige, der eine solche Zufriedenheit schon erfahren hat, wird sie garantiert als ein so relevantes Phänomen ansehen, dass für dieses in seinem Sprachgebrauch ein eigenes Wort reserviert sein wird. All denjenigen, die eine solche Zufriedenheit bisher noch nicht kennen gelernt haben, ist zu wünschen, dass sie diese noch erfahren werden. Erst dann werden sie die vorangegangenen Ausführungen angemessen nachvollziehen können.
Doch wer Glück bewusst erlebt hat, wird dieses höher schätzen als jedes noch so intensive Lustgefühl.

Ipsissimus
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Fr 2. Mai 2008, 15:13 - Beitrag #2

es scheint so eine simple, banale Einsicht zu sein: Menschen sind verschieden. Natürlich, Werbung funktioniert, und daher kann es mit der Verschiedenheit der Menschen nicht gar so weit her sein. Die Verschiedenheit geht aber immerhin weit genug, als dass die meisten Menschen sich ziemlich aufregen würden, wenn ihnen vorgeschrieben werden sollte, wann sie sich glücklich zu fühlen hätten. Sie fühlen sich vielleicht unter denselben Bedingungen glücklich; aber sie würden es - zu recht - ablehnen, diese Bedingungen als normativ für Glücksbefinden anerkennen zu müssen und sich dadurch quasi unter die situative Zwangspflicht, glücklich zu sein, stellen zu lassen. Dies wäre vergleichbar einer Anmaßung der Art, dass bei einer bestimmten erotischen Technik 90 Prozent aller Frauen einen Höhepunkt erlangen, also ist jede Frau unnormal, die dabei keinen Orgasmus erlangt. So was geht einfach nicht.

Was mir bei deinen im Einzelnen durchaus zustimmungswerten Überlegungen wie so oft fehlt, ist das Fließen des Großen Ganzen. Du formulierst wie fast immer in recht harten Setzungen, aber das Fließen, welches erst die dringend nötige Ellenbogenfreiheit, den Platz zum Atmen schafft, fehlt in deinen Darlegungen fast immer. Fast alles, was in der Realität von Menschen ein "Können" ist- im Sinne von "kann sein, muss nicht sein" - wird bei dir ein "sollen", gelegentlich ein "müssen", und fast immer im Sinne von "so sollten Menschen sein". Das funktioniert nicht.

Was wirklich wichtig ist, um glücklich zu werden: die Gelassenheit, die sich nicht unter Druck setzen läßt, in irgendeiner Situation irgendeine Haltung einnehmen zu müssen, sondern beobachten und sich entwickeln lassen kann, welche Haltung in dieser Situation dem sie erlebenden Menschen wirklich angemessen ist, ungeachtet philosophischer Vorgaben, was empfunden werden "sollte".

Maurice
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Fr 2. Mai 2008, 15:38 - Beitrag #3

Sorry, aber ich versteh nicht, was du mir sagen willst. ^^*

@Gelassenheit: Mir ging es im Text gar nicht darum, zu diskutieren, wie man zu Glück gelangt. Was dafür nötig ist (z.B. Gelassenheit) steht im Text nicht zu Deabtte. Diese Frage habe ich bewusst offen gelassen. Mir ging es nur darum, ein bestimmes Phänomen, das ich als "Glück" bezeichne ansatzweise zu beschreiben.
Ich wollte auch an keiner Stelle sagen "dies und das müssen alle Menschen tun". Ok, gewisse Ratschläge werden impliziert, dadurch dass ich behaupte, dass Glück etwas Erstrebenswertes ist. Das einzige Sollen im Text ist wohl, dass man von Zeit zu Zeit in sich gehen sollte, um zu prüfen, ob man glücklich ist und man sich nicht auf das Betrachten von oberflächlichen Lust- und Unlustgefühlen beschränken sollte.

Ipsissimus
Dämmerung
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Mo 5. Mai 2008, 12:20 - Beitrag #4

wie kommst du darauf, dass Lust-/Unlustgefühle oberflächlich sind? Und welcher Antiwert formuliert sich im Begriff der Oberflächlichkeit für dich? Und was wäre der Wert von "Tiefe" als gemutmaßter Gegensatz zu "Oberflächlichkeit"?

Maurice
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Mo 5. Mai 2008, 18:33 - Beitrag #5

@1. Ich spreche aus Erfahrung. Derjenige, der das Phänomen, das ich als "Glück" bezeichnet habe, nicht schon bewusst erlebt hat, wird nicht einsehen können, dass im Vergleich zu diesem Gefühl, Lust und Unlust nur oberflächlich sind.
Ich bin mehr sehr wohl darüber bewusst, dass diese Argumentation eine Imunisierung meiner These darstellt. Doch wer bisher nur verliebt war, aber noch nie wirklich geliebt hat, dem wird man auch nicht weißmachen können, dass Verliebtheit im Vergleich zu Liebe nur ein oberflächliches Gefühl ist.

@2. Die Frage verstehe ich nicht.

@3. Das habe ich im Text geschrieben. (Aber hier bin ich mir nicht sicher, ob ich ausreichend verstehe, was du von mir wissen willst.) Wer Glück bewusst erlebt hat, wird es mehr wertschätzen als Lust. (Ebenso wie die Liebe mehr geschätzt wird als die Verliebtheit.) Tiefe ist nicht per Definition mehr wert als Oberflächlichkeit, sondern ihr größerer Wert erschließt sich für den, der sie erlebt hat.


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