Naturalismus und Gehirn/Bewusstseins-Problem

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e-noon
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Mi 18. Feb 2009, 22:24 - Beitrag #1

Naturalismus und Gehirn/Bewusstseins-Problem

Zwei Leitfragen, von denen meinetwegen auch abgewichen werden darf:
1) Was ist Bewusstsein und welcher "Seinsstufe" ist es zuzuordnen?
2) Wäre eine dualistische Sicht noch naturalistisch? Wie?

-P- 'Bewusstsein' ist ein Begriff, über den die Naturwissenschaft noch nicht einmal sinnvoll sprechen kann. Z. B. sollte es für Naturwissenschaft wichtig sein, dass mehr als eine Person prinzipiell auf den Forschungsgegensatnd zugreifen kann. Ein anderes verwandtes Problem ist das des Beobachters. Die Naturwissenschaftler sprechen mitunter ganz gern davon, aber in dem Moment verlässt sie eigentlich schon die Naturwissenschaft, da man Beobachten und damit den Beobachter als Beobachter nicht beobachten kann und prinzipiell nicht Beobachtbares nicht in den Bereich der Naturwissenschaft fällt.

-E- [Es] lässt sich gerade anhand von "Bewusstsein" natürlich sehr gut die Verschiedenartigkeit der Herangehensweisen aufzeigen.
Bewusstsein entsteht mit dem Gehirn und stirbt mit dem Gehirn. Bewusstsein lässt sich sichtbar machen - im Gehirn. Wir wissen nicht, wie Gehirn und Bewusstsein zusammen hängen, vielleicht werden wir es nie verstehen, aber man kann entweder als Naturalist davon ausgehen, dass Bewusstsein prinzipiell durch Materie und deren Gesetze bestimmt ist - oder man kann davon ausgehen, dass irgendetwas von der Materie unabhängiges, ideelles das Bewusstsein bildet, das auf geheimnisvolle Weise mit dem Gehirn interagiert und zufällig genau gleichzeitig alles doppelt macht (oder, um nicht zu karikieren: dass erst das Zusammenspiel zwischen Übernatürlichem Geistbewusstsein und natürlichen Gehirnprozessen das formt, was das Individuum als Bewusstsein wahrnimmt).
Welche Erklärung ist sparsamer? Wissenschaftlicher?

-P- Bewusstsein ist erstmal real. 'Bewusstsein' ist offenbar nicht synonym zu irgendeinem physikalischem Begriff. Ein reiner Naturalist (ich weiß nicht genau, ob das eine Karikatur ist) müsste behaupten, dass 'Bewusstsein' auf dasselbe referiert wie ein physikalischer Begriff, da man alles natürliche prinzipiell physikalisch bennenen können muss. Das halte ich persönlich für irgendwas zwischen unwahrscheinlich und totalem Blödsinn. Etwas anderes ist das, was du gesagt hast: es gibt etwas außerhalb der physikalisch beschreibbaren Natur, aber dieses ist (vollkommen) abhängig von der Natur. Aber das dürfte schon kein reiner Naturalismus mehr sein.

Ich persönlich habe Probleme mit deiner Dichotomie, da sie den Begriff der Materie unhinterfragt verwendet. Quine sagte einmal, dass physikalische Objekte Mythen von der selben Art wie die homerischen Götter sind, nur dass erstere auf wissenschaftlichere Art zustande gekommen sind. Für die Naturwissenschaft, wie ich sie sehe, ist es erstmal irrelevant, ob diese Mythen real sind, so lange sie dazu taugen, eine mögliche simple und akurate Erklärung und Vorhersage von Ereignissen erlauben.
Von allen physikalischen Beobachtungen her wäre es natürlich naheliegend, diese Mythen wirklich als real anzunehmen. Allerdings gibt es noch keine Theorie, die die Realität von all den physikalischen Objekten und von Bewusstsein in befriedigender Weise erklärt. Das deutet zumindest darauf hin, dass man den Materiebegriff nicht dogmatisch anlegen sollte, sondern bereit sein sollte, flexibel damit umzugehen. Ich denke, es macht in vielen philosophischen Fragen das Leben ein wenig angenehmer, wenn man a la Kant die physikalische Welt nicht als die Dinge an sich nimmt, sondern sich ihre Modellhaftigkeit bewusst macht. Das trifft sowohl in der Kausalitätsfrage zu wie auch eben hier in der strengen Scheidung zwischen Materie und nicht-Materie.

-E- Ich glaube, ich habe aber nicht ganz verstanden, was die an der Idee gefällt oder plausibel vorkommt, dass Bewusstsein nur auftaucht, wenn Gehirnaktivität da ist, dieses Bewusstsein aber etwas sein soll, das sich nicht allein auf diese Gehirnaktivität zurückführen lässt. Vielleicht machen wirs eine Stufe weniger komplex als Bewusstsein und nehmen eine andere Empfindung, vielleicht Schmerzempfinden?

-T- Das detaillierte Eingehen auf die Leib-Seele-Problematik sprengt hier wie so oft etwas den Rahmen. Ich möchte dazu nur sagen, dass ich genau die Position, die Padreic als "irgendwas zwischen unwahrscheinlich und totalem Blödsinn" betrachtet, vertrete und nichts gegen eine Ausführung dieser strengen Ablehnung in einem entsprechenden Thread einzuwenden hätte.

Padreic
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Mi 18. Feb 2009, 23:52 - Beitrag #2

@Traitor:
Zum Unterschied zwischen Gehirn und Bewusstsein:
Sie sind einfach unterschiedlicher Art. Z. B. ist unser Bewusstsein ein Subjekt, kann Beobachter sein. Materie in irgendeinem physikalischen Sinne kann das nicht. Materie, die ein Subjekt sein kann, ist nicht mehr Materie in dem Sinne, wie wir über Materie sprechen. Und dadurch, dass man mehr Materie zusammenpackt, bekommt man auch nicht qualitativ neues wie ein Subjekt. [manche sprechen hier von Emergenz; ich habe aber nie verstanden, was das in diesem Kontext heißt.]

Weitere Argumente findet man auch im Wikipedia-Artikel über Qualia (und sag nicht, du würdest dich der Position von Dennett anschließen ;)). [das auch zum Thema Schmerzempfinden]

@e-noon:
Eine genaue oder gar endgültige Theorie über das Verhältnis von Bewusstsein und Gehirn habe ich nicht. Aber vorläufig (und spekulativ) stelle ich es mir ungefähr wie folgt vor:
Das (physikalische) Gehirn arbeitet rein nach physikalischen Prinzipien. Dann gibt es noch das Bewusstsein. Jedem Prozess im Gehirn entspricht etwas im Bewusstsein (und Unterbewusstsein) und vor allem auch andersherum. Man kann nicht davon sprechen, dass das eine auf das andere wirkt; in dem Sinne sind sie getrennt. Aber sie sind auch eins in dem Sinne, dass ihre Gesetzmäßigkeiten analog sind und so es immer so bleibt, dass ein Prozess dem anderen entspricht. Vielleicht wäre es konsequent, dann eine komplette "Geistwelt" anzunehmen, die der materiellen Welt entspricht (bzw. dass beide nur zwei Seiten ein und derselben Sache sind).

Mir widerstrebt das ganze allerdings auch ein wenig, da ich im gewissen Sinne auch naturalistisch erzogen bin und deshalb nicht irgendwie einen ganzen Haufen von Geistwesen annehmen will. Deshalb gefällt mir, wenn, der Gedanke auch besser, dass sowohl Materie als auch Geist zwei Seiten ein und derselben Sache sind. [Wenn ich eine Analogie aus der Mathematik nehmen wollte: zwei verschiedene reelle Vektorräume können durchaus denselben komplexen Vektorraum als Komplexifizierung haben.]

Und mir ist auch klar, dass das unwissenschaftlich ist, in dem Sinne, dass es nicht falsifizierbar ist, da ich ja gerade behaupte, dass sich die physikalische Welt so verhält wie die physikalische Welt sich halt verhält. Aber das ist sicherlich keine Gegenargument gegen die Wahrheit; denn die Welt mag sich durchaus so verhalten, dass ihre wahre Beschreibung nicht komplett wissenschaftlich ist.
In gewissem Sinne könnte man es vielleicht doch falsfizieren; wenn nämlich in der Gehirnphysik solche Unregelmäßigkeiten auftreten würden, dass die plausibelste Erklärung ein Einfluss "von außen" wäre. Allerdings würde das wohl kaum als Falsifizierung von irgendwas angesehen, da dann die meisten Physiker einfach sagen würden, dass es sich um Mechanismen handelt, die zu komplex sind als man sie jetzt verstehen würde. Die meiste Wissenschaft hat eine gewisse Falsfizierungsimmunität, indem sie Methoden wie "Messfehler" und "komplexe Wechselwirkungen, die zwar prinzipiell in unser Erklärungsraster fallen, aber noch nicht ganz verstanden sind" parat hat ;). Was vielleicht auch gar nicht schlecht ist ;).

e-noon
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Do 19. Feb 2009, 00:05 - Beitrag #3

@Padreic: Bin jetzt müde, daher nur kurz :) Mir fällt gerade auf, dass du von der physikalischen Ebene direkt zum Bewusstsein springst. Was ist mit der chemischen, der biologischen Ebene? Ich weiß nicht, ob man mit Atomen Zellen erklären kann, habe es nie versucht, aber dass man rein physikalisch kein Bewusstsein beschreiben kann, da stimme ich dir zu (was nicht heißt, dass es nicht rein physikalisch IST. Auch. Das ist nur nicht die beste Art, es zu beschrieben). Ich denke aber, dass Biologie (und Psychologie) das ganze (vielleicht noch nicht jetzt) prinzipiell zu erklären im Stande sein werden, rein wissenschaftlich. Vielleicht als zwei Seiten einer Medaille, aber auf jeden Fall EINER Medaille ;)

Traitor
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Do 19. Feb 2009, 02:36 - Beitrag #4

Eine generelle Eingangsbemerkung: Ich glaube, ein wesentliches Problem, das viele Gegner eines rein naturwissenschaftlichen Weltbildes haben, ist mangelnde Phantasie. Das Bild, das selbst ziemlich aufgeklärte und gebildete Menschen oft noch vom Funktionieren der naturwissenschaftlichen Welt haben, ist das eines primitiven laplaceschen Uhrwerks. Man kann sich nicht so recht vorstellen, wie aus simplen Grundregeln und -bausteinen die gigantische Komplexität und Vielfalt der Natur entstehen soll. Dabei macht man den Fehler, alles Schritt für Schritt aufbauen zu wollen, ohne langreichweitige Wechselwirkungen, Rückkopplungsprozesse und eben Emergenz - das Auftreten ganz neuer Phänomene in komplexen Systemen, das sich nicht oder nur mit absolut unverhältnismäßigem Aufwand aus dem Verhalten der Einzelteile herleiten lässt, sondern mit neuen Gesetzen beschrieben werden muss - zu berücksichtigen.

Ein Analogon zur Geist-Materie-Frage kann man in der Evolutionsfrage finden. Ein Standardargument der Kreationisten ist, dass das Leben und seine Formen viel zu komplex seien, um auf naturwissenschaftlichem Wege entstanden zu sein. Dennoch gibt es eine weitgehend geschlossene naturwissenschaftliche Theorie, die all dies erklärt, und zwar anhand emergenter Prozesse (dem gesamten Feld der Biologie), aufbauend auf elementaren Grundregeln der Chemie und Physik. Die Evolutionstheorie wie die Biochemie sind Paradebeispiele wunderschöner Theorien, die sich allein aus Selbstorganisation elementarerer Bestandteile ergeben.

Ebenso kann das Bewusstsein als emergenter Effekt seiner Grundbestandteile, der Hirnzellen und Elektronenströme, und Grundregeln, der Neurobiologie, Biochemie und Elektrodynamik, verstanden werden. Betonung auf "kann verstanden werden", nicht "wird verstanden", denn die vollständige Theorie fehlt natürlich, sonst würden wir hier gar nicht diskutieren. Aber nur weil auch für die Dunkle Energie eine vollständige Theorie fehlt, würde ja sicher niemand behaupten, diese sei feinstofflich. Die Grundidee, wie der Rahmen dieser naturwissenschaftlichen Bewusstseinstheorie aussehen könnte, ist vorhanden, man könnte gar sagen, er ist völlig selbstverständlich. Ob sie jemals vollständig sein wird, ist fraglich, aber im Rahmen des Denkbaren.

Zum Begriff Emergenz gibt es sicher eine Vielzahl von Texten, die eloquenter, fundierter und vollständiger sind, als ich es hier je versuchen könnte, aber wenn du möchtest, kann ich das gerne noch etwas ausführen. Es gibt meines Erachtens genügend Beispiele, die zeigen, dass der Naturwissenschaft prinzipiell die Begründung einer effektiven Theorie mit einer grundlegenden Theorie gelingt, die praktische Beschreibung der höhergeordneten Phänomene dann aber mit den Prinzipien der effektiven Theorie fortgeführt wird.

Nun zu deinen konkreten Vorab-Einwänden.
Die Frage nach Subjekt und Beobachter ist meines Erachtens eine weitgehend veraltete oder, je nach Betrachtungsweise, an Begriffsunklarheiten scheiternde. Ergibt die Aussage, Materie könne kein Subjekt sein, nicht nur dann Sinn, wenn man ein "Subjekt" explizit als etwas definiert, das keine Materie ist? Denn was soll es sonst von ihr unterscheiden?
Wo ist der prinzipielle Unterschied dazwischen, ob ein menschliches Auge ein Photon absorbiert und sein Hirn darüber in Kenntnis setzt, oder ob das Photon von einer Wand oder einem Stern absorbiert wird, wo es einfach etwas zur Wärme beiträgt? Beides sind im quantenmechanischen Sinne Beobachter, die an einem Messprozess teilnehmen. (Hier setzt ein beliebtes Missverständis in der philosophischen Behandlung der QM an, indem diese Äquivalenz übersehen und somit eine Sonderrolle des Menschen postuliert wird.)
Ein häufig genanntes Kriterium für Bewusstsein ist, dass es über sich selbst nachdenkt. Aber wo ist der prinzipielle Unterschied zwischen meinem Geist (ich sage jetzt bewusst nicht reduktionistisch Gehirn), der über seine eigenen Gedanken nachdenkt, und dem Windows-Taskmanager, der anzeigt, wieviel RAM er selbst gerade verbraucht?

Das Qualia-Problem habe ich ehrlich gesagt nie verstanden. Auch es ist meines Erachtens in gewissem Maße durch die unsaubere Begriffspolitik der Philosophen hausgemacht - wenn man "subjektive" Sinneseindrücke genau als die Sinneseindrücke definiert, die sich nicht erklären oder objektivieren lassen, dann ist es relativ logisch, dass diese sich dann weder erklären noch objektivieren lassen, und kein großes Rätsel, oder?
Oder um es mehr inhaltlich anzugehen: was ist an subjektivem Empfinden groß anders als an simplen Messgeräten? Wenn ein Photoapparat ein Photon einer bestimmten Frequenz aufnimmt, dann wechselt auf seinem Film oder Sensor ein Bildpunkt mit der entsprechenden Frequenzintervallsempfindlichkeit vom Zustand "belichtet" in den Zustand "nicht belichtet". Wenn mein Auge ein Photon einer bestimmen Frequenz aufnimmt, wechselt eine Sehzelle des Auges vom Zustand "nicht angeregt" in den Zustand "angeregt", leitet das Signal weiter an mein Gehirn, dieses, und somit mein Bewusstsein, wechselt vom Zustand "keine Farbwarnehmung der zur Frequenz gehörenden Farbe" in den Zustand "eingetretene Farbwarnehmung der zur Frequenz gehörenden Farbe". Es ist ein sehr viel komplexerer Prozess, aber im wesentlichen der gleiche: eine durch einen Messprozess ausgelöste Zustandsänderung.
Wegvereinfachte Aspekte, die vielleicht manchem gerade als Crux der Qualia-Thematik erscheinen mögen, aber meines Erachtens nichts wesentliches beitragen:
*Frage nach der Eineindeutigkeit der Zuordnung von Frequenz und Farbwahrnehmung für verschiedene Individuen - trägt nichts zur Sache bei, da auch für verschiedene Photoapparate nicht exakt gegeben und somit keine Besonderheit von Bewusstseinssystemen/Subjekten
*Direkte Zuordnung von Gehirn und Bewusstsein - natürlich kann man die ablehnen, aber ich argumentiere ja hier gerade aus der Position der Gleichsetzung heraus, um zu zeigen, dass diese das Problem erfolgreich behandeln kann
*Frage nach der Feststellbarkeit exakt dieses Bewusstseinszustandes - praktisch ist dies selbst bei Setzung "Bewusstsein = ausschließlich Hirnfunktionen" unmöglich, würde es doch nach simpler Kombinatorik mehr Rechenkapazität erfordern, als das sichtbare Universum bieten kann. Theoretisch ist dies aber bei dieser Setzung kein Problem, in einem beliebig komplizierten und völlig unbeherrschbaren Hilbertraum sind sämtliche möglichen Bewusstseinszustände sauber kategorisiert.
Zusammenfassend also: sprachliche und technische Unzulänglichkeiten, "subjektive" Eindrücke zu kommunizieren, zu identifizieren und zu dokumentieren, haben überhaupt nichts damit zu tun, dass diese prinzipiell denselben Gesetzen folgen können wie simple mechanische Messungen und somit von der naturwissenschaftlichen Theorie prinzipiell erfasst werden können, wenn auch die tatsächliche Umsetzung dieser Beschreibung wohl nicht auf elementarer Ebene, sondern nur auf der emergenter Konzepte, die eben die "Qualia" sind, möglich ist.

PS: Bitte entschuldigt den tendentiellen Stichwortstil gen Ende, es wird spät. Und ich schreibe zu verschacheltete Sätze für diese Uhrzeit, musste teilweise ihr korrektes Ende nachträglich einfügen. Ich hoffe, man kann's lesen. ;)

Padreic
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Do 19. Feb 2009, 14:39 - Beitrag #5

Ja, man kann's lesen ;). Zur Sache:

Ich muss durchaus zugeben, dass ich früher einmal selbst Probleme mit der Vorstellung hatte, dass so etwas wie das menschliche Auge allein durch Evolution entstanden ist. Mittlerweile sehe ich aber ein, dass es geht, seitdem ich ein bisschen darüber gelesen habe. Genauso bin ich der Meinung, dass die Entstehung des Sonnensystems ohne weiteres durch die basalen physikalischen Gesetze erklärt werden kann. Ich sehe durchaus ein, dass aus einfachsten Regeln komplexeste Gebilde entstehen können; für mich als Mathematiker gibt es da ja auch in meinem Bereich durchaus Beispiele, wie z. B. die Mandelbrotmenge.

Allerdings ist es so, dass ich bei beiden genannten physikalisch/biologischen Prozessen keinen echten qualitativen Sprung sehe. Gegenüber primitiveren Lebensformen haben unsere Augen nun einmal mehr Zellen und die haben sich anders organisiert; genauso ist die Enstehung des Planetensystems im Prinzip nur eine andere Anordnung von Elementen, durch Gravitation entstanden.

Hier soll dann die Theorie der Emergenz ins Spiel kommen. Ich will mit keinem Wort bestreiten, dass der Begriff der Emergenz für unser wissenschaftliches Treiben geradezu unverzichtbar ist. Inwieweit (starke) Emergenz etwas reales ist, ist eine andere Frage.
Beispiel Chemie [um auch e-noons Beitrag aufzugreifen]: ein Molekül ist etwas emergentes gegenüber den konstituierenden Atomen. Dennoch lässt sich alles, was das Molekül tut, perfekt beschreiben und vorausberechnen, wenn man nur das Verhalten der einzelnen Atome und ihrer Wechselwirkungen betrachtet. Im Falle von beispielsweise Polymeren oder anderen sehr komplexen Molekülen ist es ohne Zweifel ungeheuer aufwendig (aber im Prinzip möglich), während chemische Gesetzmäßigkeiten einen sehr viel effektiveren (wenn mitunter auch leicht unpräziseren) Weg darstellen. Dass eine Rechnung praktisch schwer durchführbar ist, da sie sehr aufwendig ist, ist aber durchaus kein philosophisches Argument für irgendetwas.
Beispiel Temperatur: eine Temperatur hat niemals ein einzelnes Atom, sondern nur beispielsweise ein Gas; ähnlich ist es mit Aggregatzuständen. Ähnlich wie im obigen Beispiel würde ich aber sagen, dass Begriffe wie '332 Kelvin warm' oder 'gasförmig' im Grunde nur Metaphern für ein gewisses statistisches Verhalten von Ansammlungen von Atomen sind. Diese erlauben ohne Zweifel sowohl ein intuitiveres Verständnis von den Zusammenhängen als auch wesentlich einfacherere Berechnungen. Allerdings gibt es auch hier nichts echt qualitativ Neues, was nicht aus dem Verhalten der Einzelteile herleitbar wäre.
Beispiele aus dem Bereich des Sozialen, wie z. B. ein Staat, sind vielleicht von etwas anderem Typus. Das liegt aber auch daran, dass sich hier die konstituierenden Individueen bewusst sind, dass sie zusammen einen Staat bilden. Prinzipiell lässt sich aber wohl auch ein Staat schlicht als ein Zusammensein von Individueen mit bestimmten psychischen Zuständen und Wechselwirkungen beschreiben, aber wie gesagt, ein wenig schlechter als beispielsweise ein Molekül.
Ein anderes Beispiel aus dem Bereich der Naturwissenschaften ist Leben. Es gibt durchaus Theorien, Leben als Emergenzphänomen aus dem chemischen Verhalten von Molekülen von gleichem Typus wie die Emergenz von Molekülen aus dem physikalischen Verhalten von Atomen zu begreifen, aber hier scheint es so, dass tatsächlich etwas qualitativ neues vorliegt. Ich denke, dass, was Leben ist und wie es entstanden ist, in der Biologie im Prinzip noch unklar sind; zumindest in einem wesentlichen Sinne unklarer als oft behauptet wird. Dabei ist natürlich nicht die wesentliche Frage, ob Leben in bestimmten Meeresgräben oder auf einem fremden Planeten entstanden ist, sondern wie der Prozess der Lebensentstehung wesentlich aussah. Wenn es jemandem unter Laborbedingungen gelänge, Leben zu synthetisieren, würde sich da vielleicht manches bzgl. dieses Emergenzphänomens ein wenig klären. [die Aussage, dass man es bald kann, ist natürlich noch kein experimenteller Beweis]

Letztlich ist aber eben das der Punkt, worüber du relativ schnell hinweg gegangen bist:
Emergenz - das Auftreten ganz neuer Phänomene in komplexen Systemen, das sich nicht oder nur mit absolut unverhältnismäßigem Aufwand aus dem Verhalten der Einzelteile herleiten lässt, sondern mit neuen Gesetzen beschrieben werden muss - zu berücksichtigen.
Großer Aufwand ist kein Argument für etwas qualitativ neues, eine nicht-Erklärbarkeit schon. Und zumindest in den allermeisten Beispielen sehe ich nur das erstere.


Das Qualia-Problem habe ich ehrlich gesagt nie verstanden. Auch es ist meines Erachtens in gewissem Maße durch die unsaubere Begriffspolitik der Philosophen hausgemacht - wenn man "subjektive" Sinneseindrücke genau als die Sinneseindrücke definiert, die sich nicht erklären oder objektivieren lassen, dann ist es relativ logisch, dass diese sich dann weder erklären noch objektivieren lassen, und kein großes Rätsel, oder?
Ich glaube nicht, dass man Qualia oder Subjektsein oder Bewusstsein wirklich definieren muss. Wir wissen doch, was das ist. Qualia sind so mit das einzige, auf das wir direkten Zugriff haben, ganz anders als bei Materie, wozu unser epistemologisches Verhältnis nicht ganz geklärt und auf jeden Fall nicht unmittelbar ist.
Hinzu kommt noch, dass ich nicht ganz verstehe, was du unter 'objektivieren' verstehst. Behauptest du, dass du meine Empfindungen teilen könntest, in dem Sinne, dass du nicht nur ähnliche oder sogar die gleichen Empfindungen selbst haben kannst, sondern dass du eben auch dieselben Empfindungen wahrnehmen könntest? Dass es letztlich keinen wesentlichen Unterschied gäbe, wenn du meine Hirnströme nur genau genug beobachtest, und meinem Empfinden eines Schmerzenes oder meinem Denken eines Gedanken?
Oder andere Situation, ähnliche Frage: Betrachten wir Mary. Sie lebt in einem schwarzweißen Raum, ist selbst schwarz-weiß angemalt und beobachtet die Welt über schwarz-weiß Fernsehere. Sie ist eine brilliante Wissenschaftlerin und findet letztlich alles über das Farbensehen von Menschen heraus. Nun tritt sie irgendwann heraus in die weite Welt und sieht das erste Mal selbst mit eigenen Augen Farben (angenommen, der Farbsehsinn ist nicht irgendwie verkrüppelt in der Zeit). Ist dann da irgendwas neues für sie?

Natürlich ist es nichts wesentlich anderes, ob ein Photon auf eine Wand trifft oder auf unsere Auge. Im QM-Sinne mag beides ein Beobachter sein, in der Alltags- und Philosophensprache versteht man unter einem Beobachter etwas anderes.

Dein Beispiel mit dem RAM ist analog zu einem, wo ein Mann Reaktionen auf alle möglichen Sätze der chinesischen Sprache in allen Kontexten auswendig gelernt hat (dass das möglicherweise unendlich viele wären, ist für das Argument, denke ich, unwesentlich) und somit den Eindruck erweckt, perfekt chinesisch zu können. Versteht er deswegen chinesisch?

Letztlich kann ich dir natürlich nur im begrenzten Umfange argumentativ begegnen. Wenn du sagst: ja, es macht keinen wesentlichen Unterschied, ob du meine Gehirnströme beobachtest oder fühlst, was ich fühle; nein, es gibt da nichts neues für Mary; ja, er versteht dann chinesisch; ja dann, dann kann ich nur wenig noch weiter argumentieren. Das ist ähnlich zu einer Situation in einer Moraldiskussion, wo man den Gesprächspartner argumentativ in eine Ecke gezwungen hat, wo er behaupten müsste, dass es in jeder Situation gut wäre, möglichst viele Leute umzubringen und, wenn noch Zeit ist, ihre Leichen zu verstümmeln (ohne natürlich behaupten zu wollen, dass du irgendwas ähnliches vertrittst ;)). Wenn er sagt: ja, das sehe ich so, dann kann man nur noch wenig argumentativ ausrichten.

Ich hoffe, ich bin den meisten deiner Ausführungen einigermaßen gerecht geworden.

janw
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Do 19. Feb 2009, 15:38 - Beitrag #6

Zitat von Traitor:Wenn ein Photoapparat ein Photon einer bestimmten Frequenz aufnimmt, dann wechselt auf seinem Film oder Sensor ein Bildpunkt mit der entsprechenden Frequenzintervallsempfindlichkeit vom Zustand "belichtet" in den Zustand "nicht belichtet".

]Bewusstsein entsteht mit dem Gehirn und stirbt mit dem Gehirn. Bewusstsein lässt sich sichtbar machen - im Gehirn. Wir wissen nicht, wie Gehirn und Bewusstsein zusammen hängen, vielleicht werden wir es nie verstehen, aber man kann entweder als Naturalist davon ausgehen, dass Bewusstsein prinzipiell durch Materie und deren Gesetze bestimmt ist - oder man kann davon ausgehen, dass irgendetwas von der Materie unabhängiges, ideelles das Bewusstsein bildet, das auf geheimnisvolle Weise mit dem Gehirn interagiert und zufällig genau gleichzeitig alles doppelt macht (oder, um nicht zu karikieren: dass erst das Zusammenspiel zwischen Übernatürlichem Geistbewusstsein und natürlichen Gehirnprozessen das formt, was das Individuum als Bewusstsein wahrnimmt).[/QUOTE]
Sichtbar machen...wüsste gerade nicht, wie.
In jedem Falle ist schon recht klar, wie Bewusstsein und Hirn zusammen hängen, es handelt sich dabei nämlich um ein emergentes Phänomen. Wenn genügend netzwerkartig zusammengeschaltete Zellen mit bestimmten gespeicherten Information und Routinen zu ihrer Verarbeitung zusammenarbeiten, entsteht etwas, das wir Bewusstsein nennen. Wie dieses Bewusstsein für jeden einzelnen ist, ist dabei vom jeweils individuellen Informationsbestand und dem individuellen Schaltplan der Zellen - wobei der Schaltplan einen Teil der Informationen darstellt - abhängig, außerdem vom Gewicht der Informationen, teilweise in der unterschiedlichen Dicke der Leitungsbahnen und der Zahl der Synapsen realisiert. Diese Gewichtung der Informationen bringt ein Element des Zufalls in die Entstehung des Bewusstseins, kein Bewusstsein ohne Kontingenz.

Emergenzen sind jedenfalls durchaus real, so real, wie Dein Fernseher Dir real aus den vom Sender kommenden Daten bewegte bunte Bilder zaubert.

Zitat von Padreic:Zum Unterschied zwischen Gehirn und Bewusstsein:
Sie sind einfach unterschiedlicher Art. Z. B. ist unser Bewusstsein ein Subjekt, kann Beobachter sein. Materie in irgendeinem physikalischen Sinne kann das nicht. Materie, die ein Subjekt sein kann, ist nicht mehr Materie in dem Sinne, wie wir über Materie sprechen. Und dadurch, dass man mehr Materie zusammenpackt, bekommt man auch nicht qualitativ neues wie ein Subjekt. [manche sprechen hier von Emergenz]

Die Frage ist, was Du unter "Beobachter sein" verstehst. Wahrnehmung auf zellulärer Ebene geschieht durch das Andocken bestimmter Substanzen, was zu einer Änderung des elektischen Zustands der Zelle führt und weitere Stoffwechselkaskaden auslöst. Temperaturwahrnehmung eines Schwarzen Körpers geschieht durch Eneregieaufnahme, wodurch er warm wird und ggf. sogar seinen Aggregatzustand ändert.
Und wenn Du immer mehr Uran 238 oder Plutonium zusammenpackst, bekommst Du irgendwann eine atomare Kettenreaktion, die zur Bildung neuer Atomsorten führt.
Ist das qualitativ alter Kaffee?^^

e-noon
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Do 19. Feb 2009, 17:03 - Beitrag #7

E=e-noon
P=Padreic
T=Traitor
Aus dem Bright-thread rüberkopiert.

Bewusstsein lässt sich sichtbar machen - ist, in diesem thread, dann wohl ein Glaubenssatz. Gehirnaktivität lässt sich im Labor verfolgen, und die Probanden bestätigen, in diesem Moment Bewusstsein und Gedanken gehabt zu haben. Ob man nun tatsächlich das Bewusstsein (von außen) gesehen hat oder nur seine physische Ursache, ist wohl die große Frage hier.

Ich bin nicht sicher, ob ich außer meiner Grundüberzeugung noch vieles an Erklärungen beisteuern kann, da ich nur über wenige Beispiele genügend informiert bin. Ich versuch's aber trotzdem ^^

Allerdings gibt es auch hier nichts echt qualitativ Neues, was nicht aus dem Verhalten der Einzelteile herleitbar wäre.

Ich denke, es ist wichtig zu unterscheiden zwischen "qualitativ neu" und "aus dem Verhalten der Einzelteile herleitbar".
"Temperatur" ist sicher aus dem Verhalten der Einzelteile herleitbar. Verteilung und Energie/Geschwindigkeit/wai der Atome/Moleküle/wai ergeben einen Gesamtzustand, dessen mittlere Energie/Geschwindigkeit für einen bestimmten Raum ermittelt werden kann. "Temperatur" gibt es dann aber nur auf der Ebene der vielen Teilchen, das einzelne Teilchen und dessen einzelne Bestandteile haben in diesem Sinne keine Temperatur (bis hierher korrekt? Kann man mir noch folgen? Ich nicht. Anderes Beispiel.).

Marys Beispiel habe ich mir durchgelesen und im gleichen Artikel auch schon Gegenargumente gefunden, die du sicher auch gelesen hast; wenn man sagt, dass Mary "alles" über diese Farben weiß, KANN sie gar nichts neues mehr lernen. Was auch irgendwie sehr spitzfindig ist. Sagen wir also, sie kennt alle Daten (auch die möglichen zukünftigen), hat aber noch nie selbst Farbe erfahren. Ich denke schon, dass sie dann einen völlig neuen Eindruck erhält, allerdings lernt sie nichts Neues kennen, sondern etwas bekanntes von einer anderen Seite.
Vielleicht kann ich dich schon mal beruhigen und sagen, dass ich durchaus einen Unterschied darin sehe, ob ein Mensch die richtige Antwort auf die richtige Frage auswendig gelernt hat, oder ob er Chinesisch beherrscht. Und sicher ist Gehirnströme beobachten etwas anderes, als Bewusstsein haben.

*schweigt und geht nachdenken*

Traitor
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Do 19. Feb 2009, 17:29 - Beitrag #8

@Jan: Ups...

@Padreic, ein wenig mehr:

Meines Erachtens ziehst du eine willkürliche Grenze zwischen "elementare Erklärung lediglich unpraktikabel" und "elementare Erklärung nicht möglich". Und zwar ungefähr da, wo unsere derzeitigen Erklärungsmöglichkeiten gerade zufällig stehen.
Natürlich kann ich nicht garantieren, dass eine elementare Erklärung des Bewusstseins jemals möglich sein wird (was eine vollständige Erklärung angeht, erwarte ich dies auch selbst nicht, lediglich das Aufzeigen einzelner Aspekte, was zur Begründung auf der fundamentalen Theorie ausreichen würde), aber außer philosophischen a-priori-Setzungen sehe ich keinerlei bisherige Erfahrungen, die dagegen sprechen. Es ist ein junges Forschungsgebiet, das noch nichteinmal die Phase der Formalisierung erreicht hat, aber dennoch schon viele Fortschritte macht und keineswegs den Eindruck erweckt, sich bereits in der Nähe einer prinzipiellen Barriere zu befinden.
Auf den Punkt gebracht: die Aussage, Bewusstsein sei qualitativ verschieden von anderen Emergenzphänomenen, ist ein reiner Glaubenssatz. Die feste Aussage, es sei nicht verschieden und werde irgendwann erklärt werden, ist natürlich ebenso einer. Aber da bisher schon viele anscheinend unerklärbare Phänomene doch auf elementare Grundlagen zurückgeführt werden konnten und die Bewusstseinsforschung bisher keine Anzeichen einer Grenze geliefert hat, gibt es überwältigende Hinweise darauf, die letztere Position bis zum Beweis des Gegenteils oder zumindest der Änderung der Indizienlage als die beste Hypothese anzusehen. Dem entgegen stehen meines Wissens lediglich althergebrachte Wünsche der Sonderstellung und der Unwille, sich von alten Denksystemen zu trennen, die ohne jede Kenntnis der modernen Forschungsergebnisse entstanden.
Dies soll nicht heißen, dass ich mir sicher bin, bei dir wären es nur diese beiden Beweggründe. Vermutlich gibt es Befunde und Gedankenexperimente, die dir als Indizien in die entgegengesetzte Richtung erscheinen. Diese Interpretationen müsstest du mir allerdings plausibel machen, was bisher noch keinem Text oder Redner in dieser Richtung gelungen ist. ;)

Bei den Qualia kann ich deine Befürchtung einer radikalen Gegenposition meinerseits zum Glück entkräften. Meine Position ist nicht, dass es keine Qualia gibt. Sondern, dass es sie zwar gibt, aber sie etwas ziemlich triviales sind, es also kein Qualia-Problem gibt.
Mit "objektivieren" meine ich, dass oft zur Qualia-Definition gesagt wird, man könne einem Anderen sagen, das Messgerät habe eine "23" angezeigt, und er wisse damit alles, was es darüber zu wissen gebe; sage man ihm aber, man habe "etwas Rotes gesehen" oder "gefroren", dann würde er das zwar mit eigenen Erfahrungen, die er genauso nennt, identifizieren, wisse aber nicht genau, ob es wirklich derselbe Eindruck ist, der gemeint war.
Ich behaupte auch nicht, ich wäre zu dieser Objektivierung aller Wahrnehmungen und Eindrücke in der Lage, das käme ja der Leugnung von Qualia gleich. Ich gebrauchte den Begriff lediglich in dem Zusammenhang, dass seine Verneinung oft zur Definition von Qualia genutzt wird, wie soeben ausgeführt, aber seine Nichtmöglichkeit dann gleichzeitig als das "Rätsel" der Qualia bezeichnet wird, was einen Zirkelschluss darstellt.

Das Mary-Argument habe ich schon gestern bei Wikipedia gesehen und überlegt, präventiv darauf einzugehen. Nun denn, erkläre ich daran, was ich damit meine, dass Qualia kein Problem darstellen: Natürlich passiert für sie etwas neues. Aber das liegt ganz einfach daran, dass "Wissen" im Sinne von Bildung und Fakten vom Hirn auf ganz andere Weise verarbeitet wird als direkte Sinneseindrücke der Augen. Marys Gehirn und Bewusstsein waren noch nie im Zustand "sie nimmt eine Farbe wahr", lediglich in den Zuständen "sie erfährt, was Farben sind", "sie erfährt, wie Farbwahrnehmungen sich anfühlen" und, tatsächlich völliges Wissen vorausgesetzt, auch "sie erfährt, wie genau die Konfiguration des Zustandes 'Mary würde eine Farbe wahrnehmen' lautet". Das sind aber alles andere Zustände, getragen von völlig anderen Zentren des Hirns, als die tatsächliche Farbwahrnehmung.
Mary wird also in der Lage sein, festzustellen "aha, ich sehe eine Farbe, und tatsächlich, es fühlt sich für mich so an, wie mir beschrieben wurde, dass es sich anfühlen würde", aber dass sie es fühlt, ist noch immer etwas neues.

Zum Chinesischlerner - ein dekonstruierendes Gegenargument wäre, dass ein Mensch, der all dies lernt, nicht dadurch, aber unvermeidbar währenddessen tatsächlich Chinesisch lernen würde, da jeder Mensch ein grundlegendes Sprachtalent hat und aus der Zuordnung von beliebig vielen Sätzen und Kontexten die Sprache unwillkürlich rekonstruieren würde. Exakt so lernen schließlich Kleinkinder ihre Muttersprache.
Um auf den eigentlichen Punkt zu kommen und es gegen dieses Argument zu immunisieren, kann man das Gedankenexperiment aber natürlich auf einen Computer, der dieses vollständige Satzrepertoire eingegeben bekommt, abwandeln. Dann ist man bei der Frage, was heißt es, "Chinesisch zu verstehen"? Heißt es nur, sich perfekt auf Chinesisch unterhalten zu können, kann er es, und man hat die Frage auf den Turing-Test eingeschränkt. Soll es auch heißen, dass er den Sinngehalt des Gesprächs in einer anderen Sprache (meinetwegen auch seiner eigenen Maschinensprache, um sich nicht weitere Komplikationen durch eine zweite menschliche Sprache einzuhandeln) wiedergeben kann, dann bräuchte er dafür natürlich weitere Komponenten. Aber prinzipiell ließen sich wohl sämtliche höheren Geistesfunktionen des Menschen mit (genügend fortgeschrittenen und großen, was vielleicht auch über das tatsächlich machbare hinausgeht) Computer nachbauen, und ob diese dann denken und bewusst sind oder nicht, ist letztlich eine Definitionsfrage - soll Bewusstsein nur das sein, was menschliches Bewusstsein ist, oder alles, was genau das gleiche leistet? Auch diese Zentralfrage der Kybernetik besteht letztlich aus den zwei Teilen "Ist es möglich?" und "Wenn es möglich ist, finden wir uns damit ab, oder definieren wir es weg?".

Zum Begriff des Beobachters muss ich dasselbe sagen wie zu einem anderen Satz von dir:
Ich glaube nicht, dass man Qualia oder Subjektsein oder Bewusstsein wirklich definieren muss. Wir wissen doch, was das ist.
Doch, muss man. Die Naturwissenschaft ist heutzutage so weit, dass sie vielen althergebrachten Begriffen einen ungefähr mit dem diffusen Alltagsverständnis übereinstimmenden, aber ganz exakten und einschränkenderen oder allgemeineren Sinn zuweisen kann. Die Philosophie muss sich dieser Herausforderung stellen und entweder diese Definitionen akzeptieren, oder ihnen eigene entgegensetzen, die dann aber genauso fundiert und klar sein müssen, und sich nicht auf ein "man weiß ja seit Jahrhunderten irgendwie, was gemeint ist" beschränken. Welche Kriterien muss denn nun etwas erfüllen, damit es ein "Beobachter" im "wir wissen es doch"-Sinn ist? Und welche dieser Kriterien erfüllt ein lebloses QM-Objekt nicht, sodass die naturwissenschaftliche Verwendung des Begriffes ihm nicht gerecht wird? Und was erklärt diese alternative Definition besser als die naturwissenschaftliche? Und wie würde der klar definierte und bewiesenermaßen produktive Sachverhalt, den die Naturwissenschaft so nennt, dann besser genannt werden?

PS: Entschuldige, wenn manches etwas hart klingen mag, oder arrogant; ersteres ist der Bemühung geschuldet, den Beitrag nicht mit Floskeln noch länger zu machen; letzteres keinesfalls intendiert, da ich gut weiß, dass du dich mit dem Thema mindestens so gut auskennst wie ich.

e-noon
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Do 19. Feb 2009, 18:15 - Beitrag #9

Vorschlag: Sind wir uns einig, (erstmal) nur die Probleme und Eigenschaften phänomenalen Bewusstseins zu diskutieren?
Aus meiner Lieblingsquelle:

Bewusstsein als phänomenales Bewusstsein: Ein Lebewesen, das phänomenales Bewusstsein besitzt, nimmt nicht nur Reize auf, sondern erlebt sie auch. In diesem Sinne hat man phänomenales Bewusstsein, wenn man etwa Schmerzen hat, sich freut, Farben wahrnimmt oder friert. Es wird allgemein anerkannt, dass Tiere mit hinreichend komplexer Gehirnstruktur ein solches Bewusstsein haben. Phänomenales Bewusstsein ist als so genanntes Qualiaproblem eine Herausforderung für die naturwissenschaftliche Erklärung.


@Mary/Padreic: Ich habe noch nicht ganz herausbekommen, wann etwas für dich neu ist, und wann qualitativ neu. Es würde mir helfen, wenn du mir folgende Fragen beantwortetest:
Sagen wir, Mary kannte vorher schon alle Farben außer einer bestimmten Rottönung. Lernt sie etwas qualitativ neues, wenn sie diese Rottönung zum ersten Mal sieht?
Sagen wir, Mary kannte vorher schon blau und gelb, aber kein rot. Lernt sie etwas qualitativ neues, wenn sie zum erstenmal rot sieht?
Sagen wir, Mary war immer im Dunkeln eingesperrt und hat alles nur erzählt bekommen. Lernt sie etwas qualitativ neues wenn sie zum ersten Mal etwas anderes sieht als schwarz? Lernt sie etwas qualitativ neues (vielleicht sogar zwei Qualitätsstufen auf einmal gehend), wenn sie zum ersten Mal verschiedene Farben sieht?

Sagen wir, Mary ist keine Wissenschaftlerin und ganz normal auf der Alm aufgewachsen. Lernt sie etwas qualitativ neues, wenn sie mit der Farbtheorie konfrontiert wird?

@Traitor:
Zu Chinesisch: Das Beispiel musst du dir so vorstellen, dass der Mann die Anweisung kriegt: "Wenn sie diese Zeichen lesen, schreiben sie jene Zeichen". Und dann eine sehr lange Liste möglicher Kombinationen. Das ist vielleicht bei einer (uns) so fremden Sprache wie Chinesisch schon ein wenig Kontextarm, um daraus wirklich eine Sprache zu lernen. Photographisches Gedächtnis vorausgesetzt, lernt er da tatsächlich schneller auswendig, als dass er die Sprache lernt, würde ich sagen.
soll Bewusstsein nur das sein, was menschliches Bewusstsein ist, oder alles, was genau das gleiche leistet?
Diese Frage ist imo ziemlich schwierig und einer der Kernpunkte der Diskussion. Während ein Mensch das übersetzt, "leistet" er zum einen die Übersetzung - wie der Mann in dem Chinesischbeispiel; er leistet aber bei Beherrschung der Sprache noch etwas anderes, nämlich die bewusste Aufnahme des Inhaltes.
Ist das damit für dich gegeben, dass der Computer Chinesisch in seine Programmsprache übersetzt? Oder dann entsprechende Operationen ausführt? Oder muss noch etwas dazukommen?

Was unterscheidet dann einen (Menschen) mit Bewusstsein von einem ohne Bewusstsein?

janw
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Do 19. Feb 2009, 19:43 - Beitrag #10

Zitat von e-noon:Bewusstsein lässt sich sichtbar machen - ist, in diesem thread, dann wohl ein Glaubenssatz. Gehirnaktivität lässt sich im Labor verfolgen, und die Probanden bestätigen, in diesem Moment Bewusstsein und Gedanken gehabt zu haben. Ob man nun tatsächlich das Bewusstsein (von außen) gesehen hat oder nur seine physische Ursache, ist wohl die große Frage hier.

Die Aktivität von Hirnarealen lässt sich sichtbar machen, das wird mit MRT gemacht. Und die Probanden haben dabei Bewusstsein und sollen bewusst an etwas denken. Wenn sie dabei an Musik denken, führt dies iirc zu einer erkennbaren Aktivität bestimmter akustischer Areale, Gedanken über Bilder lassen sich als Aktivität bestimmter optischer Areale erkennen. Irgendwo habe ich kürzlich gelesen, daß man Textgedanken von Spracharealen ableiten und über eine Membran hörbar machen kann oder dies zumindest für machbar hält.
Letzteres ausgelassen, kann man dabei aber nur erkennen, daß gedacht wird, daß sich das Bewusstsein auf bestimmte Sinnesbereiche focussiert, aber es ist nicht möglich, zu erkennen, was da gedacht wird, welche Melodie dem Probanden durch den Kopf geht, ob er an eine Palmeninsel oder die Arktis denkt und was er dabei empfindet.
Was im MRT gesehen wird, ist nämlich nur die Durchblutung der Hirnregionen, die bei Aktivivtät größer ist als im Ruhezustand.

"Temperatur" ist sicher aus dem Verhalten der Einzelteile herleitbar. Verteilung und Energie/Geschwindigkeit/wai der Atome/Moleküle/wai ergeben einen Gesamtzustand, dessen mittlere Energie/Geschwindigkeit für einen bestimmten Raum ermittelt werden kann. "Temperatur" gibt es dann aber nur auf der Ebene der vielen Teilchen, das einzelne Teilchen und dessen einzelne Bestandteile haben in diesem Sinne keine Temperatur (bis hierher korrekt?

Wenn Du mit "Teilchen" Atome meinst, dann hat das einzelne Atom einen gewissen Schwingungszustand, je wärmer, umso mehr schwingt es.
Temperatur ist die Umsetzung der Bewegungen vieler Teilchen in den Ausschlag einer Messskala, bei der die Teilchen einer Flüssigkeit (Alkohol, Quecksilber o.ä.) durch die schwingenden Teilchen des Messgutes in Bewegung gebracht werden, so daß die Flüssigkeit sich ausdehnt und an der Skala des Thermometers emporsteigt.
Wie ein Stoff auf Wärmezufuhr reagiert, hängt zum einen von der betreffenden Atomsorte ab, aber auch wesentlich von der Art und Weise, wie die Atome zusammengebaut sind. Kohlenstoffatome als wirrer Haufen ergeben einen Schwarzen Körper, als Nappo-Kristalle einen glänzenden grauen Körper und in Würfelkristallform unbestätigten Gerüchten zufolge a girl's best friend ;)

Traitor
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Do 19. Feb 2009, 20:57 - Beitrag #11

@e-noon: Dieses "phänomenale Bewusstsein" schließt meines Erachtens die spannendsten Aspekte, die Selbstreflektivität und die Fähigkeit zum logischen Denken, aus, aber da die Debatte seitens Padreic und mir eh von Qualia dominiert zu werden drohte, ist das für den Moment sicher ein guter Fokus.

Was das Chinesisch angeht, ist deine Form gegenüber "in allen Kontexten" natürlich massiv eingeschränkt. Damit hat man nicht mehr als eine biologisch-ineffiziente Form des Chatbot-Computers und somit gilt das für ihn gesagte.
Ist das damit für dich gegeben, dass der Computer Chinesisch in seine Programmsprache übersetzt? Oder dann entsprechende Operationen ausführt? Oder muss noch etwas dazukommen?
Sind die Inhalte hinreichend komplex (was bei Voraussetzung "alle möglichen Sätze" inklusive ist), so kann eine getreute Umsetzung in eine andere Sprache oder in konkrete Handlungen nur durch ein vollständiges Verständnis des Inhaltes gegeben sein, und zwar tatsächlich auf logischer, denkender Ebene, denn Chinesisch ist eine natürliche Sprache und somit nicht rein aus Grammatik und Vokabular heraus interpretierbar, sondern stets von seinem Inhalt abhängig und nur durch einen echten Verstand interpretierbar.

@Jan: Das mit der Membran klingt so in Kürze etwas obskur, hast du dazu einen Link?
Dass die Hirnaktivitätsbeobachtungen nur eine Korrelation, nicht eine Kausalität zeigen können, solange sie rein dokumentierend und nicht auch interpretierend sind, ist klar.

Wenn Du mit "Teilchen" Atome meinst, dann hat das einzelne Atom einen gewissen Schwingungszustand, je wärmer, umso mehr schwingt es.
Das ist leider falsch. Der Prozess, aus dem sich die Größe Temperatur ergibt, ist die Brownsche Molekularbewegung, eine rein kinetische Bewegung, keine Schwingung.
Die Temperatur ist dann ein Maß der gemittelten Geschwindigkeit der Einzelteilchen. Damit kann man sie prinzipiell auch für genau ein Teilchen definieren, dann ist eben der Durchschnitt gleich dem Einzelwert. Aber diese Größe sagt einem dann nichts sinnvolles, lässt sich insbesondere nicht mit den Gesetzen der Thermodynamik behandeln. Insofern ist es zulässig, davon zu reden, dass es keine Einteilchen-Temperatur gibt.
Aber ich glaube, die Temperaturgeschichte trägt nicht viel zum Thema bei.

e-noon
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Do 19. Feb 2009, 21:11 - Beitrag #12

Das ist leider falsch.
Interessante Formulierung. Sicher bedauerst du nicht, dass Temperatur keine Atomschwingung beinhaltet, sondern dass du ein klares, nicht provokantes Statement als falsch benennen musst, und du bedauerst es, weil es beim Schreiber Unbehagen erzeugen könnte, richtig? Interessant./OT ENDE.

Eben weil phän. Bewusstsein die interessantesten (kompliziertesten, umstrittensten) Aspekte beinhaltet, sollte man sich vielleicht zunächst über Qualia etc. einig werden und dann munter weiterstreiten/-schreiten.

Sagen wir, jemand kann alle geschriebenen Sätze angemessen auf chinesisch beantworten (da gelernt), sodass er praktisch jeder Kommunikation gewachsen ist, in der keine neuen Elemente dazukommen (neu im Sinne von "noch nie geschrieben"). Dann kann er nach meinem Empfinden immer noch kein Chinesisch, da er nur (äußert gut) auswendig gelernt hat und reagiert. Wenn jemand ihn auf Chinesisch höflich fragt "wünschen Sie ein Glas Wasser?" und er hat gelernt zu sagen "Nein, im Augenblick nicht, vielen Dank", wenn er das gefragt wird, dann schein er chinesisch zu können, für den Beobachter... wenn der Mann aber in dem Moment höllischen Durst hatte, wird klar, dass er chinesisch nicht wirklich kann, sonst wäre seine Antwort anders ausgefallen.

An alle: Was wäre, wenn man Gedanken sichtbar machen könnte? Sagen wir, Textgedanken werden zu Text, Bilder können grob angezeigt werden, Melodien werden mitgehört... Wäre das ein (endgültiger) Beweis dafür, dass es sich bei Bewusstsein um etwas physisches handelt und keine höhere Qualität hat?
Oder würde man hier immer noch argumentieren können, dass dies nichts anderes ist, als wenn uns derjenige sagt, was er denkt... da man nie denselben Sinneseindruck haben kann?

janw
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Do 19. Feb 2009, 23:08 - Beitrag #13

Zitat von Traitor:@Jan: Das mit der Membran klingt so in Kürze etwas obskur, hast du dazu einen Link?

Leider habe ich keinen link dazu, ich hab es aufgrund der Topicrandlichkeit etwas verkürzt dargestellt. Iirc hat man die ausgehenden Nervenimpulse des betreffenden Teils des Sprachzentrums abgeleitet und auf ein lautbildendes System übertragen, mag eine Kehlkopfprothese gewesen sein. Ich weiß leider nichts näheres mehr dazu.

Das ist leider falsch.

Stimmt, die Schwingungen sind Brownsche Teilchenbewegungen, danke für die Klarstellung.

Zitat von e-noon:Was wäre, wenn man Gedanken sichtbar machen könnte? Sagen wir, Textgedanken werden zu Text, Bilder können grob angezeigt werden, Melodien werden mitgehört... Wäre das ein (endgültiger) Beweis dafür, dass es sich bei Bewusstsein um etwas physisches handelt und keine höhere Qualität hat?
Oder würde man hier immer noch argumentieren können, dass dies nichts anderes ist, als wenn uns derjenige sagt, was er denkt... da man nie denselben Sinneseindruck haben kann?

Gedanken sind nur ein Teil von Bewusstsein, und als solche sind sie von Gefühlen, Wahrnehmungen, Assoziationen begleitet, die in ihrer Zusammenstellung einzigartig und für uns spezifisch sind. Letztlich ist auch das Gefühl, zu sein, für jeden einzigartig. Für mich reicht das aus, um Bewusstsein als Emergenz anzusehen.

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Fr 20. Feb 2009, 01:49 - Beitrag #14

Hallo,

ich möchte mir nicht den ganzen Thread durchlesen, da es für mich zu viel Arbeit ist. Stattdessen möchte ich mich auf beide Fragen beschränken und nur meine Sichtweise erläutern:

1) Was ist Bewusstsein und welcher "Seinsstufe" ist es zuzuordnen?
2) Wäre eine dualistische Sicht noch naturalistisch? Wie?

Also meiner Meinung nach ist der Mensch ein Zufallsprodukt der Evolution. Das Bewusstseins ist nichts weiter als eine Verkettung von Neuronen, die sich mit dem Tod auflösen. Der Mensch strebt nach der größtmöglichsten Ausschüttung von Glückshormonen. Dafür hat der Mensch Machtmittel wie Intelligenz, Muskelkraft und einen Verstand bekommen, die er mit aller Macht benutzt, um sein Ziel zu erreichen.

Allein die Tatsache, dass jedes Lebewesen der genetischen Variation unterliegt, ergibt, dass sich jeder Mensch im Verhalten, Denken und Fühlen unterscheidet, weil sich jedes Gehirn im Laufe der Zeit unterschiedlich entwickelt hat und Endorphine bei unterschiedlichen Reizen in unterschiedlichen Mengen ausgeschüttet werden.

Ob es einen geistlichen Kern gibt, den man Seele nennen kann, ist nicht bewiesen, was nicht bedeutet, dass man nicht daran glauben kann. Aber dann frage ich mich, warum nicht auch eine Virenzelle eine Seele haben sollte, die nach dem Tod weiterexistiert. Vielleicht beideutet höhere Bewusstseinsstufe, dass das Denken, Fühlen und Handeln komplexer werden, aber dennoch dem gleichen primitiven Ziel dienen: der möglichst hohen Ausschüttung von Glückshormonen!

e-noon
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Fr 20. Feb 2009, 12:37 - Beitrag #15

@Padreic: Wo Fanum gerade die Evolution einbringt...
Meiner Meinung nach gibt es zwei Möglichkeiten, wie man über Bewusstsein als etwas, das nicht physisch ist, denken kann.
Entweder es ist ähnlich einer Seele - etwas, das in einem bestimmten Stadium der Evolution einfach hinzugefügt wurde und damit entweder schon vorher da war, oder absichtsvoll in dem Moment erschaffen wurde. Das müsste meiner Meinung nach religiös sein, weil sonst nicht nachvollziehbar ist, warum ausgerechnet in dem Moment ein Lebewesen es bekommt und was damit nach seinem Tod geschieht. Demzufolge müsste es dann auch Bewusstsein ohne Gehirntätigkeit geben, indem eben die "Seele" sozusagen als externe Speicherkapazität die Persönlichkeit (meinethalben auch die "wahre Persönlichkeit") enthält.

Oder es ist ein nicht-physisches Emergenzphänomen. In diesem Falle ist das Bewusstsein nichts eigenständiges, sondern etwas, das immer dann entsteht, wenn eine gewisse Gehirnaktivität besteht, etwas überphysisches, was aber dennoch stark an die physische Welt gebunden ist. In diesem Sinne wäre es unseren Gesetzmäßigkeiten zumindest zum Teil unterworfen und könnte nicht ohne materielle Grundlage existieren.

Wahrscheinlich hab ich irgendwas vergessen ^^ aber soviel erstmal dazu.

janw
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Fr 20. Feb 2009, 16:32 - Beitrag #16

Zitat von e-noon:Oder es ist ein nicht-physisches Emergenzphänomen. In diesem Falle ist das Bewusstsein nichts eigenständiges, sondern etwas, das immer dann entsteht, wenn eine gewisse Gehirnaktivität besteht, etwas überphysisches, was aber dennoch stark an die physische Welt gebunden ist. In diesem Sinne wäre es unseren Gesetzmäßigkeiten zumindest zum Teil unterworfen und könnte nicht ohne materielle Grundlage existieren.

In wiefern nicht-physisch? Bewusstsein ist wirksam, indem es eine wichtige Steuerungsinstanz unseres Verhaltens darstellt.
Es resultiert aus physikochemischen Prozessen, auch in sofern ist es für mich physisch. Auf jeden Fall würde ich keine Kategorisierungen wie "überphysisch" o.ä. vornehmen, da das doch sehr in die Nähe des "Metaphysischen" gerät, das eine Domäne der Religionen im weiteren Sinne ist.

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Fr 20. Feb 2009, 16:58 - Beitrag #17

@Janw: Wenn das Bewusstsein für dich vollkommen physisch ist, kannst du nicht gemeint gewesen sein ;-) Die zwei Möglichkeiten sind die, die ich sehe, WENN man von Padreics These (Bewusstsein kann nicht rein physisch sein) ausgeht. Eine dritte Möglichkeit ist natürlich die, dass das Bewusstsein physisch ist, wie Traitor das vertritt und der ich zustimme.

Padreic
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Mo 23. Feb 2009, 14:54 - Beitrag #18

@Traitor:
Doch, muss man. Die Naturwissenschaft ist heutzutage so weit, dass sie vielen althergebrachten Begriffen einen ungefähr mit dem diffusen Alltagsverständnis übereinstimmenden, aber ganz exakten und einschränkenderen oder allgemeineren Sinn zuweisen kann. Die Philosophie muss sich dieser Herausforderung stellen und entweder diese Definitionen akzeptieren, oder ihnen eigene entgegensetzen, die dann aber genauso fundiert und klar sein müssen, und sich nicht auf ein "man weiß ja seit Jahrhunderten irgendwie, was gemeint ist" beschränken. Welche Kriterien muss denn nun etwas erfüllen, damit es ein "Beobachter" im "wir wissen es doch"-Sinn ist? Und welche dieser Kriterien erfüllt ein lebloses QM-Objekt nicht, sodass die naturwissenschaftliche Verwendung des Begriffes ihm nicht gerecht wird? Und was erklärt diese alternative Definition besser als die naturwissenschaftliche? Und wie würde der klar definierte und bewiesenermaßen produktive Sachverhalt, den die Naturwissenschaft so nennt, dann besser genannt werden?

Ich gebe dir sowohl recht als auch nicht recht. Die Physik ist sicherlich im Vorteil, da sie gar nicht über reales redet, sondern nur gute Modelle bauen will. Oder was ist die präzise physikalische Beschreibung von Materie, die die Physik liefert? Die Beschreibung ist intrinsisch präzise als mathematisches Modell, aber darüber hinaus?
Ich gebe dir auch recht, dass die Philosophie viele Begriffe präziser fassen muss, als dass das oft der Fall ist: analytisches Urteil, synonym, Notwendigkeit etc. Doch das sind im weiteren Sinne wissenschaftliche Begriffe. Wir haben ein Objekt, wie z. B. die Sprache oder die Möglichkeits-Notwendigkeits-Struktur der Welt, das wir uns anschauen. Es ist hier schon ein wenig schwieriger als in der Physik, weil wir sehr aufpassen müssen, da wir selbst beim Sprechen über Sprache z. B. schon immer selbst schon sprechen. Begriffe wie 'Erleben' oder insbesondere 'Beobachtersein' können wir noch viel weniger rein objektiv betrachten; wir erfahren sie nicht als Beobachter (im Gegensatz zu allen physikalischen Gegebenheiten), sondern im (reflektierten) tätigen Erleben. So oder so ist es letztlich so, dass man auf nicht weiter definierbare Begriffe zurückgreifen muss, um nicht in einen Zirkel zu geraten. Wenn man das nicht tut, haben die Definitionen keinen Grund und keinen Wert. Man kann diese Begriffe nur weiter ergründen, nicht definieren. Oder würde dir das Kriterium: "Jeder, der beobachtet, ist ein Beobachter." weiterhelfen? ;). Ein ungefähre Beschreibung mit anderen Worten für 'beobachten' ist vermutlich: 'Daten in sein Bewusstsein aufnehmen'.
Die Physik spricht, denke ich, nur metaphorisch von Beobachtern. Ursprünglich hat sie den philosophischen Begriff übernommen, zwischendurch einmal in der Anfangsphase der QM gedacht, er wäre nützlich oder sogar notwendig in der physikalischen Welt, hat dann festgestellt, dass die physikalische Rolle eines (menschlichen) Beobachters durch beliebige Teilcheninteraktion geleistet werden kann und dann den Begriff übertragen...wenn ich es recht verstehe, kann man den Begriff des 'Beobachtens' in der QM durch den der Interaktion ersetzen und den 'Beobachter' in der Relativitätstheorie ersetzt man dann durch Koordiatensysteme.
Dass ein Begriff immer etwas "erklären" muss, ist vielleicht ein physikalisches Vorurteil. Oder was erklärt der Begriff 'Wasser'? Ich finde es schon nicht schlecht, wenn ein Begriff etwas benennt, was es gibt.

Meines Erachtens ziehst du eine willkürliche Grenze zwischen "elementare Erklärung lediglich unpraktikabel" und "elementare Erklärung nicht möglich". Und zwar ungefähr da, wo unsere derzeitigen Erklärungsmöglichkeiten gerade zufällig stehen.
Das mache ich natürlich nicht. Bei Sachen, die ähnlich geartet aussehen wie andere Gesetzmäßigkeiten, wo elementare Erklärungen früher nicht möglich waren, mittlerweile allerdings schon. Im gewissen Sinne würde ich z. B. sagen, dass eine elementare Erklärung von Gravitation momentan noch nicht möglich ist, aber ich habe gutes Zutrauen, dass sich da noch einiges tun wird. Ich halte es auch für gut möglich, dass irgendwann auch eine elementare Erklärung des Phänomens Leben möglich sein wird, auch wenn ich mir da noch nicht ganz so sicher bin.
Wie ich schon einmal erwähnt habe, dürften selbst aus physikalistischer Sicht, 'Bewusstsein' und 'Gehirn' keine Synonyme sein. Über das Gehirn kann die Physik ohne Schwierigkeiten sprechen. Die Physik kann gut über empirische Phänomene sprechen, aber ist 'Bewusstsein' konstituiert aus empirischen Phänomenen? Den Inhalt unserer inneren Wahrnehmung mag man im weiteren Sinne noch als empirische Phänomene bezeichnen (auch wenn ich hier eher die Psychologie als die Physik am Werke sehe, aber sie gehen ohne Zweifel ähnlich vor; auch ist das etwas, wo ich denke, dass die rein physikalische Untersuchung des Gehirns zu sehr ähnlichen Ergebnissen wie denen der Psychologie führen kann). Aber das Wahrnehmen und das "Bewussten" selbst, das ist kein Phänomen. So sehe ich nicht, wie die Physik darüber überhaupt sprechen kann. Das macht es einer Erklärung etwas schwer zugänglich.

Deine Antwort zum Mary-Gedankenexperiment finde ich gut. Vielleicht war es tatsächlich nicht so glücklich gewählt, da nach meiner formulierten These das physikalische Modell ja innerlich kohärent ist und die Inhalte der Qualia eine exakte Korrespondenz zu Gehirnzuständen haben (wenn auch nicht das Qualiasein selbst). Wie schon erwähnt, glaube ich nicht, dass es bei der Psychologie der Bewusstseinsinhalte Hindernisse gegen eine physikalische Beschreibung gibt.

Das Chinesisch-Beispiel ist ein Gedankenexperiment; d.h. die praktische Durchführbarkeit (wie z. B. dass ein Mensch dabei unweigerlich durch seine Sprachlernfähigkeit die Sprache lernen würde) ist nur insofern wichtig, als sie das Argument beeinflusst. Was ich ausdrücken wollte, ist: es gibt einen Unterschied zwischen "von außen alle Merkmale eines Chinesischverstehenden erfüllen" und "Chinesischverstehen". Dass es diesen Unterschied gibt, können wir nur natürlich aufgrund Selbstbeobachtung bei unserem Umgang mit Sprachen feststellen, weil wir bei anderen Personen da naturgemäß keinen Unterschied feststellen können. Dies ist als Analogie zum Bewusstsein gedacht. Es ist nicht gleichbedeutend, dass jemand von außen (oder auch in seinem Gehirn) alle Merkmale von Bewusstsein erfüllt und dass er Bewusstsein hat (auch wenn vermutlich in unserer Welt tatsächlich jeder, der das eine erfüllt auch das andere erfüllt). Wenn wir nicht selbst Bewusstsein hätten, dann könnten wir diesen Unterschied nicht merken (ganz davon abgesehen, dass wir dann eh nichts merken könnten ;)). Jeder Diskussion von Bewusstsein, die also nicht die Innenperspektive eines Menschen berücksichtigt, ist daher entscheidend unvollständig und zum Scheitern verurteilt.

@e-noon: Oder es gibt die Möglichkeit, dass alles Leben (oder sogar noch mehr) Bewusstsein hat. Dagegen, dass alles Leben Bewusstsein hat (wenn auch mitunter vielleicht ein sehr dunkles), spricht, denke ich, eher wenig.

Zum qualitativ neuem bei Mary: gegenüber anderen Farbtönen ist ein neuer Farbton nichts qualitativ neues; gegenüber dem theoretischen Wissen von diesem Farbton, denke ich schon.

@Fanum: Dass es eine "Seele" gibt, die nach dem Tod fortdauert, hat hier keiner behauptet; das ist ein anderes Problem. Ebenso dass jedes Lebewesen nach Maximierung seiner Glückshormonausschüttung strebt. Was ich, zumindest in der Form wie es dasteht, auch bestreiten würde ;).

Maglor
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Di 24. Feb 2009, 00:01 - Beitrag #19

Ich werde mich nur zu einigen Aspekten äußern.
Eigentlich hat sich Karl Marx hierzu bereits vortrefflich aphoristisch zum Thema geäußerst. Gegen Hegels These "Das Bewusstsein bestimmt das Sein." schrieb er schlicht und einfach "Das Sein bestimmt das Bewusstsein."
Wenn also das Bewusstsein von der Materie abhängig ist, so steht doch das Bewusstsein nicht im Widerspruch zu einem matrialistischen Weltbild. Das Problem ist dann aber, dass das Bewusstsein keinerlei Bedeutung ohne jenen, der sich bewusst ist.
Ersteinmal bin auch der Ansicht, dass das Untverständnis Außenstehender gegenüber einem rein naturwissenschaftlichen Weltbild, tatsächlich auf mangelnder Fantasie beruht. Ich möchte ich gern auf eine von mir nacherzählte Fabel, die mir vor nun mehr vielen Jahren im Religions-Schulbuch begegnete:
Die Geschichte zeigt ganz gut, warum man so lange über Gretchenfrage streiten kann, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Ich staune immer wieder über Äußerungen, dass die Existenz Naturgesetze zwangsläufig ein Gott voraussetzen. Dass Problem liegt im Denken. Muss man für alles eine einfach Erklärung haben?
Besser sollte ich fragen, braucht man eine einfache Erklärung, eine unumstößliche Wahrheit?
Mir genügt die Ungewissheit. Ich kann auch damit Leben, dass Licht sowohl Teilchen als auch Welle sein könnte usw...
Die sinnlich erfassbare oder mathematisch berechenbaren Teilen der Welt können nicht die einzige Form der Wirklichkeit sein. Dass liegt aber nicht an der Qualität der Schöpfung - sie ist nur Auslöser - sondern an der mangelnden Rechen- und Sinnesleistung des Geschöpfes, genannt Mensch.
Im Grunde geht es nur um's brauchen:
Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe. Herr K. sagte: " Ich rate dir, nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde. Würde es sich nicht ändern, dann könnten wir die Frage fallenlassen. Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so behilflich sein, daß ich dir sage, du hast dich schon entschieden: Du brauchst einen Gott."

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Mi 25. Feb 2009, 14:09 - Beitrag #20

Kleiner Nachtrag, weil wahrnehmungstechnisch interessant
Zitat von e-noon:Interessante Formulierung. Sicher bedauerst du nicht, dass Temperatur keine Atomschwingung beinhaltet, sondern dass du ein klares, nicht provokantes Statement als falsch benennen musst, und du bedauerst es, weil es beim Schreiber Unbehagen erzeugen könnte, richtig? Interessant./OT ENDE.

e-noon, an diesem kleinen Diskurs zeigt sich IMHO recht gut, welche Bedeutung die Gewichtung der Gegenstände der Wahrnehmung für die individuelle bewusstseinsausformung haben - letztlich auch, warum bei gleichen Tatsachenwissensgrundlagen Menschen leicht aneinander vorbei reden können.
Als ich das Wort Schwingungen benutzte, hatte ich die Brownschen Bewegungen im Kopf, dachte dabei aber zugleich an Kristallgitter, was mir gewisse Probleme hinsichtlich größerer Teilchenbewegungen verschaffte, und so wich ich auf die Formulierung "Schwingungen" aus. Was für mich durchaus noch mit Bewegung assoziiert werden konnte, war für Traitor aber ein gänzlich anderes Phänomen, gegen dessen Gleichsetzung er dann zu Felde ziehen musste. Ich weiß aber, wie es gemeint war :)
Unbehagen ist nicht messbar, ergo kann es auch nicht erzeugt werden...
So viel dazu.

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