kleines ethisch-juristisches Denkspiel

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Ipsissimus
Dämmerung
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Mo 3. Jan 2011, 21:39 - Beitrag #21

in dem Roman, dem diese Situation entnommen wurde, handelt es sich um zwei junge Philosophie-Studenten, die das Manuskript mit den Fragen ihrer Abschlussprüfung aus dem Haus ihres gemeinsamen Professors stehlen wollen und dabei von diesem ertappt werden. Er droht, sie am nächsten Morgen in der Fakultät zu melden und beiden ihr jeweiliges Studium aberkennen zu lassen. Sie fliehen getrennt aus dem Haus, treffen sich zwei Stunden später wieder und dann schlägt der Zinker vor, den Professor zu töten. Der andere lässt sich darauf ein, worauf der Zinker das Würfeln vorschlägt, mit dem Zusatz, dass derjenige, der das Würfeln gewinnt, in seiner Karriere die philosophischen Positionen des Verlierers vertreten wird. Nach der Tat geht der eine dann für 17 Jahre ins Gefängnis, während der Zinker ein international renommierter Philosophieprofessor wird und dabei im wesentlichen die philosophischen Positionen des Mörders zu Themen seiner Karriere macht, sich also an diesen Teil der Absprache hält.

Eine eigentümliche Schärfung erhält diese Situation noch durch den Umstand, dass der Mörder 30 Jahre später anlässlich des Tods des Zinkers erfährt, dass der Professor, den er getötet hatte, an Krebs litt und zu dem Zeitpunkt, als er ihn tötete, nur noch wenige Wochen zu leben hatte. In dem Roman wird es nicht expliziert, aber einige Stellen klingen danach, als habe der Professor diese Situation seiner Ermordung bewusst herbei manipuliert.

Traitor
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Mo 3. Jan 2011, 21:45 - Beitrag #22

@Ipsi:
die abschreckende Wirkung des Strafrechts darf bezweifelt werden,
Perfekt ist sie sicher nicht, völlig fehlend aber ebenso sicher nicht, siehe e-noon. Für Mord aus hinreichend starken Motiven würde ich aber auch eher an ihr zweifeln. Für meine Argumentation ist aber nur relevant, dass unser Rechtssystem auf der Annahme der Abschreckung beruht, nicht darauf, ob diese tatsächlich eintritt, denn ich erwähnte sie ja nur im Zusammenhang mit dem juristischen Urteil.
aber ansonsten siehst du die Situation recht ähnlich wie ich, Traitor.
Und schon der erste rote Tag des Jahres. ;) Ein Widerspruch aber dennoch:
Der Zinker bricht also die Voraussetzung des Gottesurteils. Das ist aus meiner Sicht unabhängig von allen sonstigen gegebenen juristischen Implikationen und Bewertungen seine eigentliche ethische Verwerflichkeit, die aus meiner Sicht die ethische Verwerflichkeit des Mordes selbst bei weitem übersteigt.
Die Verwerflichkeit des Betruges sinkt für mich sehr stark dadurch, dass er sich gegen einen kriminellen Mitverschwörer richtet und nicht gegen einen ansonsten Unbescholtenen.

@fanvarion und e-noon: Die Mordmotive und der Charakter des Opfers sind für Teil 1 der Ausgangsfrage, so wie ich sie verstehe, tatsächlich recht irrelevant, da man selbst unter Annahme absolut legitimen Tyrannenmordes noch analog fragen könnte "haben beide denselben Verdienst?", statt Schuld. Bei Teil 2 können diese Umstände aber sehr entscheidend sein, da je nach ethischem System die Gesinnung des Betrugsopfers entscheidend ist, die wiederum vom Mordopfer abhängt.

@Maglor: Diese Klauseln wären meines Erachtens hauptsächlich relevant, um abzuschätzen, wie groß der Entscheidungsspielraum des Verlierers nach dem Würfeln tatsächlich noch ist. Aber selbst im Extremfall, dass seine Verweigerung zum automatischen Tod führt, wäre wohl für viele die Weigerung noch die moralisch bessere Option und somit eine (leicht) erhöhte Schuld durch die tatsächliche Morddurchführung vorhanden.

e-noon
Sterbliche
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Fr 14. Jan 2011, 22:56 - Beitrag #23

Habe hier noch einen verwandten Beitrag gefunden, es ging damals um die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung.
[quote="Padreic"]Die Personen A, B, C, D und E haben eine Vereinigung gegründet, die vorhat, den Kapitalismus zu schwächen, auch unter Gewalteinsatz. Im Rahmen dieser Ziele planen sie einen Mordanschlag auf den Chef der Deutschen Bank. Sie ziehen Lose, wer diesen Anschlag vorbereitet und durchführt. Es werden die Personen C, D und E ausgewählt. Diesen versuchen die Zielperson umzubringen und meinetwegen gelingt es ihnen auch]

@Traitor: Ja, über die Umkehrung der Frage bei einem ethisch gerechtfertigten Mord habe ich auch schon nachgedacht. Ich denke, dass dann immer noch der, der den Tyrannenmord ausführt, den weitaus größeren Verdienst hat, ebenso wie der, der den Mord an einem unschuldigen ausführt, die weitaus größere Schuld auf sich lädt.

009
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Fr 14. Jan 2011, 23:15 - Beitrag #24

Für die Mitgleidschaft in einer terroristischen Vereinigung droht Strafe, IMHO für das am verlosen teilnehmen nicht, ist ja letztlich ein dem Glücksspiel zum entscheiden überlassener strafbefreiender Rücktritt sowohl von Tat wie Tatversuch.

Also, A-E bestrafen wegen Mitgleidschaft, für C, D, E STrafe für veruchten Mord so sie denn tatsächlich derartige Tatbestände verwirklichten und natürlich Strafe wegen Mord für den letztlichen Täter.

Und keinen Intelligenzorden für alle, denn wie ja gerade die RAF zeigte, war der militärisch-industrielle Komplex eine ungünstige Zielgruppe: erwischt es einen daraus, steht ein Nachfolger schon bereit. Zudem läßt sich dieser Personenkreis recht gut personenschützen, wer nicht dazugehört wähnt sich auch kaum in Gefahr.

Aaaber, war das eigenlich die Frage? Naja, jetzt lass ich es mal stehen.

Roban
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Fr 18. Feb 2011, 21:04 - Beitrag #25

Wären die beiden clever gewesen, hätten sie ihr Opfer gemeinsam überrascht. Beide hätten Fingerabdrücke an der Tatwaffe hinterlassen, aber nur einer hätte geschossen. Da man keinem nachweisen könnte, den Mord begangen zu haben, hätten nach dem deutschen Regelwerk beide freigesprochen werden müssen.

Allerdings sollten wir das Regelwerk der Juristen nicht gar so wichtig nehmen. Sie versuchen damit, unser Verhalten juristischen Formeln zu unterwerfen, obwohl alle Gesetze, Rechtsnormen, Vorschriften, Verordnungen, Vereinbarungen im weitesten Sinne den Boden eines menschlichen, demokratischen Verhaltens bilden sollen.

§§ sind in erster Linie da, um Rechtsverletzungen rasch abstellen zu können und dadurch neue zu verhindern. Wären sie da, damit wir uns nach ihnen richten, müßte jeder Jura studieren oder ständig einen Juristen im Handwägelchen hinter sich herziehen.

009
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Fr 18. Feb 2011, 23:22 - Beitrag #26

Zitat von Roban:Wären die beiden clever gewesen, hätten sie ihr Opfer gemeinsam überrascht. Beide hätten Fingerabdrücke an der Tatwaffe hinterlassen, aber nur einer hätte geschossen. Da man keinem nachweisen könnte, den Mord begangen zu haben, hätten nach dem deutschen Regelwerk beide freigesprochen werden müssen.


So denn nicht einer, ggf. aus welchen Motiven oder gerichtlichen Zusagen heraus, sich als Kronzeuge gegen den anderen stellt, dabei noch als glaubhaft eingestuft und ggf. durch Verbesserung der Kriminaltechnik auch in seinen Aussagen bestätigt wird, dürfte das so kommen, wie Roban schreibt.

Lykurg
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Sa 19. Feb 2011, 02:36 - Beitrag #27

Vom Mord selbst ja, aber wahrscheinlich nicht vom gemeinschaftlich begangenen Verbrechen, Anstiftung oder was auch immer.

janw
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Sa 19. Feb 2011, 11:59 - Beitrag #28

Abgesehen von den Schmauchspuren...

Padreic
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Sa 19. Feb 2011, 12:43 - Beitrag #29

Kann Lykurg Recht geben. Z. B. hier ist ein Fall geschildert, der zeigt, dass man durchaus zum Mittäter werden kann, ohne die Waffe auch nur angefasst zu haben - das Strafrecht ist nicht so einfach auszutricksen wie man denkt ;).
Aber letztlich geht es hier ja gar nicht primär um die juristische Dimension.

janw
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Sa 19. Feb 2011, 17:27 - Beitrag #30

Zitat von Ipsissimus:die abschreckende Wirkung des Strafrechts darf bezweifelt werden, aber ansonsten siehst du die Situation recht ähnlich wie ich, Traitor. Wenn man von der Unhinterfragbarkeit des Mordes selbst für beide Personen ausgeht, dann läuft das Szenario, etwas pathetisch formuliert, auf eine Art Gottesurteil hinaus, auf eine schicksalhafte Zuspitzung in Gestalt eines einmaligen Würfelaktes. Unter welcher Bedingung lässt sich ein Mensch auf so etwas ein? Als absolutes Minimum scheint mir da die Anforderung der "gleiche Chance" durchaus plausibel. Der Zinker bricht also die Voraussetzung des Gottesurteils. Das ist aus meiner Sicht unabhängig von allen sonstigen gegebenen juristischen Implikationen und Bewertungen seine eigentliche ethische Verwerflichkeit, die aus meiner Sicht die ethische Verwerflichkeit des Mordes selbst bei weitem übersteigt.

Das sehe ich nicht wesentlich anders. Für mich kommt aber für den Zinker erschwerend hinzu, daß er seit dem Würfelspiel fortwährend von dem Betrug gewusst hat.
Allerdings hätte es dem Täter wohl weniger genützt, davon zu erfahren, da er ja nun wegen Mordes verurteilt war, den er ja auch begangen hatte.
Aber die fortgesetzte Freiheit des anderen - wenn auch in Schamgefühlen - ist IMHO eben ein Mißstand.

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