Die Frage, die ich mir hier stelle, ist: ist das so?Du weißt ja, eine meiner Kernthesen lautet, dass Europa nicht wegen des Christentums ein einigermaßen erträglicher Platz, ist sondern trotz des Christentums, was einigermaßen gelang, weil es hier eben das Korrektiv der Aufklärung gegeben hat.
Ich schätze nämlich, dass es sowohl 'trotz' als auch 'wegen' ist. Die Gründe des 'trotz' sollten allgemein bekannt sein. Zum 'wegen' will zumindest folgendes sagen:
In der lange Zeit dominanten katholischen Ausprägung hat die Vernunft stets eine wichtige Rolle gespielt. Diese mag nicht immer dieselben Meinungen vertreten haben wie wir und auch nicht immer alle modernen Ansprüche an Rationalität erfüllt haben, aber doch. Das lässt sich schon im viel gescholtenen Inquisitionsverfahren beobachten. Aber auch in Philosophie, Theologie und Wissenschaft im Hoch- und Spätmittelalter. Ich denke dabei beispielsweise an die immer ausgefeilteren Argumentationen von Thomas von Aquin bis Duns Scotus und Ockham. Die Logik und Sprachphilosophie dieser Zeit ist bis heute gerühmt. Ferner kann man (oder Thomas Kuhn) sehen, dass Galileos Analyse des Pendels keinesfalls nicht nur auf Experiment, sondern durch den durch spätmittelalterliche Denker (Buridan, Oresme,...) erfolgten Paradigmenwechsel gegenüber der aristotelischen Physik (inklusive der Einführung des Prinzips des Impulserhalts). Diese Fortschrittte basieren alle letztlich auf dem Gedankenmachen um das Wesen Gottes und der Eucharastie. Das gewinnt angesichts der katholischen Auffassung, dass nicht jede Gotteserkenntnis schon in der heiligen Schrift liegt - anders als bei vielen Spielarten des Protestantismus und dem Islam [wodurch letztlich nur natürlich war, dass der Islam seine aufgeklärte Phase verloren hat].