Wenn Traitor meinen Namen schon erwähnt, will ich doch mal ein paar Zeilen hinwerfen.
Beweisprüfer an sich sind natürlich ein alter Hut [ihr Einsatz in der Mathematik an sich ganz interessant, aber für dieses Thema gerade nicht von Belang]. Die Neuheit scheint es zu sein, einen Beweisprüfer zu bauen, der auch Modallogik beherrscht; die Schwierigkeit davon kann ich nicht beurteilen. Aber wie vorher hier schon bemerkt: Zu behaupten, dass damit nun die formallogische Korrektheit endlich feststeht, ist mehr ein Werbegag. Das Argument ist überschaubar genug, um per Hand geprüft zu werden. Und eben das haben vermutlich schon hunderte Leute getan. Unter anderem habe ich das selbst getan, als ich mich vor Jahren mal intensiver mit dem Thema beschäftigt habe. Festhalten will ich allerdings, dass es eines der ganz wenigen logisch formalisierten philosophischen Argumente ist, die mir bisher begegnet sind, wo der Beweis keineswegs offensichtlich ist und es auch nicht intuitiv klar ist, dass die Konklusio aus den Prämissen folgt.
Für den Vergleich mit den klassischen ontologischen Gottesbeweisen will ich diese noch einmal kurz rekapitulieren:
Anselm [naive Form]: Gott ist ein Wesen wie es nicht höher gedacht werden kann. Existenz ist eine positive Eigenschaft. Daher muss Gott sie haben.
Leibniz [das mag ahistorisch sein; ich schreibe sie ihm aber mal zu, obgleich man denselben Beweis schon in Anselm hineinlesen kann]: Zwei Prämissen: 1) Es ist möglich, dass Gott existiert. 2) Wenn Gott existiert, dann existiert Gott notwendigerweise. Konklusio: Gott existiert (notwendigerweise). Das Argument ist nicht ganz offensichtlich, aber modallogisch korrekt, wenn man folgendes Schlussprinzip akzeptiert:
Modallogisches Axiom: Wenn es möglich ist, dass eine bestimmte Aussage p gilt, dann ist auch notwendigerweise möglich, dass p gilt.
Ich denke, dieses Prinzip ist mittelgradig problematisch. Um das zu erläutern, sollte man ersteinmal klären, was man mit 'möglich' und 'notwendig' meint. Die wohl beste Herangehensweise ist die sogenannte (von Leibniz inspirierte) Kripke-Semantik. Man stelle sich die Gesamtheit aller möglichen Welten vor (Multiversen-Fetischisten mögen meinen, dass diese alle real existieren; das ist aber gerade ohne Belang). Bei manchen Welten ist es möglich von einer zu anderen zu gelangen, bei anderen nicht. Wir nennen nun eine Aussage
möglich, wenn sie in irgendeiner von dieser Welt erreichbaren möglichen Welt wahr ist. Wir nennen sie
notwendig, wenn sie in allen von dieser Welt erreichbaren möglichen Welten wahr ist.
Das genannten modallogische Axiom ist nun mehr oder minder äquivalent dazu, dass man sagt, dass
1) Jede Welt von sich selbst erreichbar ist. [hochplausibel]
2) Wenn Welt B von Welt A erreichbar ist, ist auch Welt C von Welt B erreichbar. [hochplausibel] [Edit: Wie Traitor schon sagte, meinte ich in Wirklichkeit: Wenn Welt B von Welt A erreichbar ist und Welt C von Welt B erreichbar ist, dann ist auch Welt C von Welt A erreichbar. Also Transitivität.]
3) Wenn Welt A von Welt B erreichbar ist, dann ist auch Welt B von Welt A erreichbar.
Wenn man "Welt A ist von Welt B erreichbar" als "A ist eine mögliche Zukunft von B" interpretiert, ist (3) zumindest problematisch. Nun gut, die Newtonsche Gesetze sind zeitsymmetrisch und die Entropiezunahme ist nur stochastisch; trotzdem bleibt es problematisch. Tatsächlich benutzt man den Begriff 'möglich' aber häufig auch anders. Beispielsweise kann man sagen: Wenn Grouchy rechtzeitig zu Napoleons Armee zurückgestoßen wäre, hätten Napoleon die Schlacht bei Waterloo gewinnen können. Insbesondere: Es wäre möglich gewesen, dass Napoleon die Schlacht bei Waterloo gewinnt. Hier benutzt man wohl die Interpretation von "Welt A ist von Welt B erreichbar" als "A ist eine mögliche Zukunft von einer Vergangenheit von B". Dann ist auf einmal (3) tautologisch erfüllt.
Wenn es um Gott als einem vielleicht außerhalb der Zeit existierenden Wesen gehen soll, ist auch diese Interpretation von "erreichbar" wohl nicht geeignet. Manche benutzen die Erreichbarkeitsrelation der Vorstellbarkeit. Das wäre mir aber zu psychologisch.
Die genaue Interpretation des Erreichbarkeits- und damit des Möglichkeits- und Notwendigkeitsbegriffs ist eine subtile Angelegenheit. Auf jeden Fall muss man konsistent bei einer bleiben. So mancher mag den Prämisses von Leibnizens Argument aufgrund wechselnder Begrifflichkeiten zustimmen: "Natürlich ist es irgendwie vorstellbar, dass Gott existiert. Und wenn etwas wirklich ist, dann ist es immer notwendigerweise wirklich wegen Determinismus." So geht's nicht.
Kant hat sicherlich zutreffend die naive Form von Anselms Argument kritisiert: Existenz ist keine Eigenschaft. Ich glaube, Leibniz hat Anselms Gedankengang als zutreffende Argumentation für eine zweite Prämisse (Gottes Existenz impliziert seine notwendige Existenz) gesehen, aber die erste Prämisse (Gottes Existenz ist möglich) nicht als von Anselm belegt zu sehen. Nach Kants Kritik muss damit dieses Argument als gleich doppelt gescheitert angesehen werden.
Kommen wir nun zu Gödels Argument. Ich denke, es stellt sich allen diesen Kritikpunkten auf clevere und subtile Weise. Um nochmal die Axiome in Umgangssprachlicher Form zu wiederholen:
1) Wenn eine Eigenschaft F positiv ist, ist es nicht positiv, F nicht zu haben.
2) Jede Eigenschaft, die von einer positiven Eigenschaft
notwendig nach sich gezogen wird, ist positiv.
3) Gottartig zu sein ist positiv.
4) Wenn eine Eigenschaft positiv ist, ist sie notwendigerweise positiv.
5) Notwendige Existenz ist eine positive Eigenschaft.
6) Wenn eine Eigenschaft F zu haben, positiv ist, ist F notwendigerweise zu haben, auch positiv.
Hier ist es wichtig zu beachten, dass 'gottartig' und 'notwendig existent' genau definierte Begriffe sind (wenn man den Begriff der Positivität voraussetzt). Ein Wesen heißt gottartig, wenn jede essentielle Eigenschaft dieses Wesens positiv ist und dieses Wesen jede positive Eigenschaft essentiell hat. [Eine Eigenschaft essentiell haben heißt hier, dass jede Eigenschaft, die man notwendig hat, von diesen essentiellen Eigenschaften impliziert wird.] Die Definition von notwendiger Existenz ist besonders clever, weil Gödel natürlich Kants Kritik bewusst ist. Deswegen definiert er sie wie folgt: Ein Wesen A existiert notwendig, wenn es ein Wesen gibt, dass alle essentiellen Eigenschaften von A besitzt. Dadurch, dass man hier nicht über die Existenz A selbst spricht, ist das plötzlich eine Eigenschaft.
Modallogisch vollkommen korrekt argumentiert nun Gödel von diesen 6 Axiomen für die Existenz eines gottartigen Wesens. Der einzige Kritikpunkt an dem Argument selbst wäre die Verwendung des obigen modallogischen Axioms. Das sei für den Moment geschenkt, da es plausible Interpretationen von möglich und notwendig gibt, die es wahr machen.
Nun gibt es noch zwei Möglichkeiten der Kritik: Man kritisiert die Prämissen oder man kritisiert die Interpretation des Ergebnis. Zu letzterem: Ist wirklich ein gottartiges Wesen in Gödels Sinne ein Gott? Das kommt wohl sehr darauf an, was man unter 'positiv' versteht. Ich wäre aber versucht zu sagen: Bei halbwegs üblichen Interpretationen von positiv, ja.
Das wirft einen aber wieder zum wirklich trickigen Punkt zurück: Was heißt positiv eigentlich? Gödel gibt wohl zwei Möglichkeiten an: Einerseits die moralisch-ästhetische, d.h. im wesentlichen: positiv ist, was man so üblicherweise so als positiv bezeichnen würde. Die andere setzt positive als 'reine Zuschreibungen'. Eine Eigenschaft ist eine reine Zuschreibung, wenn sie zu haben, nicht gleichzeitig ein Mangel ist. Beispielsweise, am 28.8.2013, um 20:17 in Charlottesville zu sein bringt für einen Menschen einen Mangel mit: Er ist nirgendwo anders zur selben Zeit. Dagegen bringt beispielsweie die Hauptstädte aller Bundesstaaten der USA zu kennen, nicht direkt einen Mangel mit sich. Daraus würde folgen, dass Gott, wenn er denn an einem Ort ist, wohl an allen Orten zugleich ist; und dass er die Hauptstädte von allen Bundesstaaten der USA kennt. Beides wäre wohl vom klassischen christlichen Gott exemplifiziert. Ich finde das ein ziemlich cleveres und tiefsinniges Konzept, auch wenn es sehr schwierig sein sollte, präzise zu machen, was man hier genau mit Mangel meint. Wenn man voraussetzt, dass man hier eine konsistente Theorie von entwerfen kann, finde ich alle von Gödels Axiomen zumindest plausibel (wenn auch nicht vollkommen zwingend).
Man beachte, dass es gewissermaßen ein Wiederaufgriff des naiven Anselm-Arguments ist, da es das Gute mit 'Sein im höchstem Maße' in Verbindung oder sogar Identität setzt. Es ist auch konsistent mit den üblichen mittelalterlichen Metaphysiken von Thomas von Aquin, Duns Scotus etc. Es ist interessant zu beobachten, dass von diesen metaphysischen Grundsätzen, die doch recht weitgehend platonisch-aristotelischen Ursprungs sind, der Gottesgedanken sich fast zwingend ergibt.
Diese Arten von Metaphysiken sind sicherlich aber heute nicht mehr so en vogue. Fast genausowenig wie alle, die das Gute als objektiv betrachten. Und das scheint mir geradezu zwingend zu sein für Gödels Argument; Axiom 4 ist beispielsweise sehr zweifelhaft, geht man von einem subjektiven Begriff des Guten aus. Auch ziehe ich mit Lykurg in Zweifel, dass die üblich moralisch-ästhetischen Begriffe des Guten rein genug sind, damit beispielsweise alles von etwas positivem notwendig nach sich gezogene auch positiv ist oder damit, wenn F positiv ist, auch notwendigerweise F zu haben positiv ist. Obgleich der Begriff des Notwendig-Nach-Sich-Ziehens (d.h. in jeder möglichen Zukunft oder sogar in jeder für uns vorstellbaren Welt) so stark ist, dass Axiom 2 vielleicht doch unproblematisch wäre.
Alles in allem ist natürlich vollkommen klar, dass es sich hier nicht um einen zwingenden, für jeden einleuchtenden Beweis handeln kann. Dann hätte Gödel ihn wohl auch veröffentlicht
. Was bleibt, ist ein Argument dafür, dass jemand, der eine objektive Theorie des Guten vertritt, schon sehr nah daran ist, einen Gott annehmen zu müssen. Und ich finde, dieses Argument ist erstaunlich subtil und schwer zu widerlegen.
Edit: @Ipsi: Eine starke Polarität setzt Gödel aber nicht voraus. Es ist nicht jede Eigenschaft positiv oder ihre Negation positiv. D.h. er teilt nicht alles in gut und böse ein. Aber wie gesagt: eine "objektive" Theorie des Positiven muss m. E. schon reingesteckt werden, damit das Argument richtig läuft.