Existenz, Objekte und Eigenschaften

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Ipsissimus
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Fr 11. Okt 2013, 14:41 - Beitrag #1

Existenz, Objekte und Eigenschaften

Abgetrennt aus "Masse durch Quarks" - Traitor

Zitat von janw:Die Masse also ein Zusammenwirkungsprodukt, bzw. eigentlich Masse an sich inexistent, da nur Ausdruck der Kraftwirkungen?


Zitat von Traitor:Immer dieser Fetisch mit "existent" und "inexistent". Auf welcher Ebene, nach welchen Kriterien?

Nach "es existiert nur, was sich nicht auf grundlegendere Erklärungen zurückführen lässt" existiert Masse nicht, denn "Masse" ist immer nur Kurzform für "lokalisierte Interaktionsenergie im Ruhesystem des betrachteten Interaktionspartners". Ein Grundanteil kommt vom Higgs, weiter können andere Fundamentalfelder dazu beitragen ("Selbstenergie" des Teilchens im jeweiligen Feld), bei zusammengesetzten Systemen dazu noch die Wechselwirkungen der Konstituenten (inkl. virtueller) untereinander.

Nach "es existiert, was wechselwirkt" (ontologisch fragwürdigerweise ausgedehnt auf Eigenschaften) existiert Masse, denn als schwere Masse ist sie die "Ladung"sgröße der Gravitation. Zudem als träge Masse Grundgröße der Kinematik.

Letztlich sind beschreibende Konzepte immer nur nützlich oder nicht, und der Grad dieser Nützlichkeit hängt von der Detailliertheit der aktuellen Betrachtung ab.

Zitat von Ipsissimus:warum nur entlockt mir das ein Schmunzeln^^ vielleicht weil das so weit von dem entfernt ist, was sich Normalo als festen Unterbau des Universums vorstellt wie ... ja, Treibsand von festem Boden^^

Existenz als ein ziemlich aufgeblähtes Nichts^^ das finde ich spirituell und sonstwie äußerst befriedigend^^

Zitat von janw:Masse als emergente Erscheinung, trifft es das besser?

Ipsi, Existenz als attribuiertes Nicht vielleicht?

Zitat von Ipsissimus:da hätte ich nichts dagegen, Jan^^ aber Traitor wahrscheinlich^^

Zitat von Traitor:
Zitat von Ipsissimus:vielleicht weil das so weit von dem entfernt ist, was sich Normalo als festen Unterbau des Universums vorstellt wie ... ja, Treibsand von festem Boden^^
Treibsand kann anscheinend überraschend stabil sein, wenn man ihn als Modelliermasse nutzt. ;)

Zitat von Ipsissimus:Existenz als ein ziemlich aufgeblähtes Nichts^^^
Zitat von janw:Ipsi, Existenz als attribuiertes Nicht vielleicht?
Hier ging es bisher um "Existenz" als "Eigenschaft des Existierens", dazu wären als sinnvolle Aussagen, die sprachlich in die Richtung gehe, nur Verneinungen denkbar wie "Es gibt keine Existenz" oder "Nichts existiert". Direkt Sinn ergeben eure beiden Floskeln nur für die Bedeutung von "Existenz" als "Menge allen Existierenden" und sehr weiche "Nichts"-Begriffe (die nicht inhärent Nichtexistenz ausschließen). Das ist dann aber ein völlig anderes Thema.

Zitat von janw:Masse als emergente Erscheinung, trifft es das besser?
Nicht unbedingt, da es sich beim Elementarteilchen mit oder ohne Higgswechselwirkung ja nicht im eigentlichen Sinne um ein System einer höheren Komplexitäts- oder Betrachtungsstufe handelt. Die zusammengesetzte Masse zusammengesetzter Teilchen, um die es hier anfangs ging, kann man aber als schwache Emergenz, aka effektive Beschreibung, ansehen.

[...]



"Existenz" als "Eigenschaft des Existierens", dazu wären als sinnvolle Aussagen, die sprachlich in die Richtung gehe, nur Verneinungen denkbar wie "Es gibt keine Existenz" oder "Nichts existiert"


hmmm ... meinst du damit "Existenz" ist eine Kurzformel für den Umstand, dass "etwas existiert" oder meinst du damit, "Existenz" sei eine Eigenschaft, die dem Existieren anhaftet? Je nach dem ergeben sich unterschiedliche Kommentare zum Rest. Im ersteren Falle verstehe ich deine Aussage zu sinnvollen Aussagen nicht, in letzterem Fall kommen wir in eine wüste Logikschleife^^

Traitor
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Fr 11. Okt 2013, 14:46 - Beitrag #2

"Existenz" als eine Eigenschaft von Objekten, die diese entweder haben oder nicht haben. Obwohl wir in Sachen Gödel ja schon gesehen haben, dass man darüber streiten kann, ob man sie tatsächlich auf eine Kategorienebene mit anderen Eigenschaften stellen kann.

Ipsissimus
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Fr 11. Okt 2013, 17:07 - Beitrag #3

es scheint schwierig, konkret von Objekten zu sprechen, wenn diese nicht existieren. Ja, ich weiß, Idee, Konzept, Kategorie, Modell, blablablubb^^ aber dann sprächen wir eben von Idee, Konzept usw. eines Objektes und nicht von einem Objekt. Anders gesagt, stellen wir ein Objekt fest, ist seine Existenz nicht nur implizit gegeben, sondern unvermeidbar, "Objekthaftigkeit" ist in gewisser Weise synonym zu "existent". "Lebendigkeit" kann ich als Eigenschaft von etwas Existentem akzeptieren, aber etwas Existentes damit zu charakterisieren, dass es existiert - was übrigens nicht dasselbe ist, wie von etwas zu sagen, dass es existiert - scheint mir eine arge logische Falle.

Traitor
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Sa 9. Nov 2013, 15:23 - Beitrag #4

Diese Schwierigkeit sehe ich überhaupt nicht. Ein Einhorn ist ein klar beschriebenes und konkretes Objekt, das entweder existiert oder nicht. Wenn es nicht existiert, ist es immer noch ein Objekt, aber halt keines unserer Wirklichkeit, sondern nur des denkbaren Objektzoos. Genauso beschreibt die Mathematik eine Unzahl denkbarer Objekte, von denen in der der Physik zugänglichen Wirklichkeit aber nur ein Bruchteil als existent realisiert ist.

Mit dem Unterschied zwischen Eigenschaften, die ein Objekt charakterisieren, und solchen, die es nur hat, willst du auf das heraus, was bei Gödel "essentielle Eigenschaften" hieß?

janw
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So 10. Nov 2013, 01:05 - Beitrag #5

Traitor, mit dem Objektbegriff käme man aber auf eine schiefe Ebene, Maurice hätte seine Freude.
Dann wäre nämlich alles ein Objekt, was jemand denken würde, auch das Cäsarsche Hangreh, und wir hätten dank Dürers Zeichnung ein weiteres Nashorn.

Padreic
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So 10. Nov 2013, 05:44 - Beitrag #6

Vielleicht kann ein Moderator die letzten Beiträge abtrennen zu einem Philosophiethread....

Die klassische Antwort darauf, wie man von der Nicht-Existenz von Objekten reden kann, hat Quine gegeben: On What There Is Gerade der Anfang, wo es um eben diese Frage geht, ist sehr gut lesbar, daher verzichte ich auf jede Zusammenfassung und empfehle die Lektüre.

Was Quine schreibt, ist sicherlich aber nicht das letzte Wort. Er stellt ganz korrekt fest, dass, wenn man von der Existenz, beispielsweise von Einhörner redet, man meint, dass der Begriff Einhorn eine Instanz hat. Wenn man keinen Allgemeinbegriff sondern einen singulären Term hat, sollte man vielleicht 'eine' durch 'die' ersetzen. Ob 'Einhorn' eine Instanz hat, hängt von der Welt und von der Bedeutung von 'Einhorn' ab. Quine scheint Bedeutungen durch Beschreibungen festzulegen. Wie Putnam und Kripke (in auch sehr lesenswerten und lesbaren Aufsätzen!) festgestellt haben, ist das problematisch.

Nehmen wir ein sehr deutliches (ausgedachtes) Beispiel: Mein Nachbarin hat mir erzählt, dass John ihr gestern in einer Kneipe ein Glas Bier über den Kopf geschüttet hat. Ich habe vorher von diesem John nie gehört. Sagen wir einmal, ich hätte den Verdacht, dass John gar nicht existiert. Was meine ich damit? Quine könnte sagen, dass 'John' in diesem Fall bedeutet: "Ein Mann mit dem Namen John, der gestern meiner Nachbarin in einer Kneipe ein Glas Bier über den Kopf geschüttet hat."
Was aber nun, wenn meine Nachbarin den Namen des Mannes falsch aufgeschnappt hat. In Wirklichkeit heißt Sean. Heißt das, dass John nicht existiert? Wohl kaum.
Ähnlich, wenn John vielleicht jemand ist, den sie nicht mag, und über den sie deshalb die erfundene Geschichte erzählt, dass er ihr Bier über den Kopf geschüttet hat. Man kann diese beiden Sachen auch kombinieren: Sean war gestern in der Kneipe nicht nett zu ihr und deshalb erzählt sie, dass dieser Typ, von dem sie glaubt, er heiße John, ihr Bier über den Kopf geschüttet hat. Damit wäre jeder Anteil meiner Beschreibung falsch und hätte keine Instanz. Heißt das, dass John nicht existiert? Mein intuitives Verständnis dieser Phrase sagt immer noch: Nein.
Mein Verdacht, dass John gar nicht existiert, wäre bestätigt, wenn sich heraus stellt, dass meine Nachbarin die ganze Geschichte samt John nur erfunden hat oder dass sie so viele Drogen genommen hat, dass sie John nur halluziniert hat.

Letztlich heißt das, dass die Bedeutung des singulären Terms 'John' für mich durch eine Referenzkette gegeben ist, bis hin zum "Taufakt". Zu sagen, dass John nicht existiert, heißt zu sagen, dass dieser Taufakt ohne Referenz auf die reale Welt lief.
Es ließe sich einwenden, dass im Falle einer Halluzination die Halluzination selbst eine reale Referenz ist (denn eine Halluzination als solche ist sicherlich real). Das ist weniger absurd als es sich anhört: Es könnte ja sein, dass meine Nachbarin in Wirklichkeit von einem Computerspiel geredet hat, wo ihr ein John ein Glas Bier über den Kopf gegossen hat; dann wäre das eine Grauzone der Existenz von John. So oder so lässt sich der Halluzinationsfall aber bereinigen, indem man hinzufügt, dass der Taufakt üblicherweise eine gewisse Beschreibungskomponente enthält wie "John ist dieser Mann dort." -- wenn John aber gar keine Mann sondern eine Halluzination ist, ist damit der Taufakt gescheitert, die Referenzkette läuft ins Leere und man kann sagen, dass John nicht existiert.

Ich denke, für singuläre Terme (aka Namen) funktioniert diese Sichtweise von Bedeutung üblicherweise ganz gut. Ganz in Reinform funktioniert sie nicht immer wie der Fall des Computerspiels zeigt; manche würden sagen, dass in diesem Fall 'John' so sehr der Beschreibung, die wir von ihm im Kopf haben (mit dem wesentlichen Attribut, dass er ein Mensch oder zumindest ein Wesen, das man anfassen kann, ist), dass John im Computerspielfall nicht existiert. Aber im großen und ganzen läuft man ganz gut damit.

Bei allgemeinen Termini wie 'Einhorn' (was sicherlich übrigens kein konkretes Objekt ist) ist die Sache vielleicht verwickelter, aber im Grunde doch ähnlich. Es gibt Termini wie "Hals-Nasen-Ohren-Arzt" oder dergleichen, die quasi nur über eine Beschreibung und mit sehr wenig oder keiner Referenzkomponente arbeiten. Bei Einhorn wäre ich mir nicht so sicher. Sagen wir einmal, dass wir in ferner Zukunft irgendwo in der Gegend von Alpha Centauri einen Planeten mit Vierbeinern mit einem langen Horn entdecken, die doch den üblichen Bildern von Einhörnern recht ähnlich sehen. Würden wir dann sagen, dass Einhörner existieren? Die Medien würden sicherlich so etwas sagen, aber sie sind eben auch die Medien. Ansonsten wäre wir da etwas unentschieden. Es sind eben sicherlich nicht die Einhörner, auf die unsere Referenzkette von Mythen verweist. Wir würden wohl dann (wie auch jetzt) feststellen, dass unser Begriff von 'Einhorn' ein wenig unklar ist.

Bei 'Masse' wäre ich aber sicherlich schnell dabei, dass sie eine solche nicht existiert. Es ist eine Eigenschaft. Und in meiner Ontologie existieren Eigenschaften als solche abstrakt nicht. Die angemessene Frage ist wohl, wie Traitor schon sagt, ob Masse ein nützliches und angemessenes Konzept ist, Dinge zu beschreiben. Wofür die Antwort wohl üblicherweise 'ja' sein dürfte.

Traitor
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So 10. Nov 2013, 13:35 - Beitrag #7

Ohne Wyman selbst gelesen zu haben, erscheint mir seine Position aus Quines Text heraus als die sympathischere. Quines Argumente gegen Wyman sind
1. persönliche Abneigung ("Wyman‟s overpopulated universe is in many ways unlovely. It offends the aesthetic sense [...])
2. unsaubere Behandlung von Begriffen mit inneren Widersprüchen ("round square cupola").
1. kann man getrost ignorieren; 2. scheint mir eine vom Hauptpunkt unabhängige Fragestellung zu sein, die man beispielsweise durch Hinzuziehen einer dritten Ebene "denkbar, aber schon rein logisch ausgeschlossen" zusätzlich zu "denkbar und rein logisch nicht ausschließbar" und "denkbar und empirisch vorgefunden" lösen kann. Schon das Benennen solcher widersprüchlicher Begriffe als "meaningless" zu bezeichnen, ist nur die radikaldenkbarste Variante, und natürlich nicht die produktivste.

Generell scheint Quine die Sache sehr vom sprachanalytischen Standpunkt her anzugehen, und nicht vom erkenntnis-/wissenschaftstheoretischen, bei dem ich eher das Gefühl hätte, dass er sich wirklich für die Sachfragen und nicht nur für deren Formulierung interessiert. So verliert er mich dann auch bei der Russelschen Beschreibungs-Methode. Sicher kann eine genauere Analyse des beschriebenen Objekts, als sie ein einfacher Name leisten kann, in vielen Worten und Satzteilen dabei helfen, genau herauszuarbeiten, welcher Aspekt der kritische ist bei der Beurteilung, welcher Teil der Aussage, in der der Name ursprünglich vorkam, genau falsch oder richtig ist. Aber auch wenn ich mich sprachlich-formell darum gedrückt habe, ein Substantiv zu benutzen, behandelt der Gedanke, den der Satz ausdrückt, doch immer noch ein Subjekt.
Von da habe ich erstmal nicht vollständig weitergelesen, aber zumindest noch gesehen, dass er einen ähnlichen Konter McX in den Mund legt. Soll der folgende Exkurs zu Attributen und "meaningfullness" darauf die Antwort geben? Dann sollte ich das noch zu Ende lesen. Erstmal aber noch zu deinem eigenen Beispiel:

Dein John-Beispiel zeigt meines Erachtens sehr gut, dass eine Russellsche Zerlegung dabei helfen kann, zu schärfen, was an der ursprünglichen Existenz-Nichtexistenz-Frage der kritische Punkt war; aber am Ende kann man rein sprachlich auch jede noch so komplizierte Beschreibung wieder in ein "Das Objekt, das folgende Beschreibung erfüllt, existiert oder nicht" rücktransformieren. Aber wenn du in die Zerlegung zusätzliche Annahmen einfließen lässt, dann musst du auch die äquivalente Existenzfrage entsprechend anpassen. Und gerade bei so einem Beispiel mit beschränktem Informationsfluss ist doch eigentlich offensichtlich, dass es nicht als binäres Problem mit sicheren Aussagen behandelt werden sollte, sondern als Inferenzproblem, das auch ein "man weiß es nicht" als Antwort erlaubt.

Fundamentale Unterschiede zwischen "John", "Einhorn" und "HNO" sehe ich für diese Frage auch nicht, nur unterschiedlichen Ballast an Konnotationen. Bei "John" muss man genauso spezifizieren, ob man wirklich nur "genau John" meint oder "John oder Sean oder so ähnlich", wie man bei "Einhorn" spezifizieren muss, ob man "Einhorn wie in unseren Sagen" oder "vierbeinig mit einem Horn, meinetwegen auch auf Alpha Centauri" meint.

Ach ja, Verständnisfrage:
Zitat von Quine:Existence is one thing, he says, and subsistence is another.
Wie ist hier "subsistence" zu verstehen? "Selbstgenügendheit" im Sinne von "innerer Nichtwidersprüchlichkeit"?

Ipsissimus
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So 10. Nov 2013, 15:15 - Beitrag #8

Ein Einhorn ist ein klar beschriebenes und konkretes Objekt, das entweder existiert oder nicht.
Erkenntnistheoretisch scheint mir das der Knackpunkt zu sein. Ich würde sagen, dass ein Einhorn eine klar beschriebene und abgegrenzte Idee für ein konkretes Objekt darstellt, dass ihm aber, soweit wir wissen, keinerlei Objekthaftigkeit zukommt, tricktechnische Spielereien in Fantasy-Filmen, die auf die Idee zurückgreifen, ausgenommen.

Ich sehe das zündende Element bei Quine nicht wirklich. Die ganze Anfangsproblematik scheint mir im Prinzip mit der Einführung ontologischer Ebenen - betreffend nicht nur die Frage, ob etwas existiert, sondern in welcher Weise etwas existiert - zufriedenstellend geklärt zu sein.

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So 10. Nov 2013, 15:39 - Beitrag #9

Wieso nennst du es denn überhaupt "ein konkretes Objekt", wenn es gar keine "unkonkreten Objekte" gibt? Ist es nicht sprachlich sparsamer und eleganter, realisierte wie nichrealisierte Ideen als "Objekt" gelten zu lassen, aber als "konkret" nur die realen (nach Padreic: mit einer Instanz versehenen) zu titulieren? ("konkret" hier in seiner Bedeutung als Gegensatz zu "abstrakt" verstanden, nicht als Synonym von "spezifisch", wie es in meinem Zitat gemeint und von Padreic korrekt kritisiert wurde.)

Zu sagen, etwas existiere oder nicht, und die Existenz könne dann auf verschiedenen "ontologischen Ebenen" liegen, sollte äquivalent dazu zu sein, von verschiedenen Modalitäten der Existenz zu sprechen, wie Wyman, oder nicht? Dann wären wir gegenüber Quine auf derselben Seite.

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So 10. Nov 2013, 15:46 - Beitrag #10

Habe ich? Wenn ich den Thread überfliege, finde ich von mir in dieser Hinsicht nur
es scheint schwierig, konkret von Objekten zu sprechen, wenn diese nicht existieren


Dass ein Einhorn ein ganz konkretes Objekt sei, ist ursprünglich eine Aussage von dir, die ich zitiert habe.

Der Rest deiner Ausführungen formuliert ja genau den Inhalt der Auseinandersetzung. Aus meiner Sicht macht es wenig Sinn, von "Idee als Objekt" zu sprechen. Dafür gibt es Begriffe wie "Konzept", "Phantasiegebilde" oder "Gedankenkonstrukt"

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So 10. Nov 2013, 16:04 - Beitrag #11

Ich hatte dein Aufgreifen der Formulierung im letzten Beitrag als eine bewusste Verschiebung der Bedeutung von "konkret" (wie in der Klammer ausgeführt) verstanden, aus der Gegenüberstellung von "Idee für ein konkretes Objekt". Meintest du es stattdessen rein zitativ, ohne dem Wort große Bedeutung beizumessen?

Die nützlichste Verwendung des Begriffes "Objekt" ist für mich eine, die nicht sehr weit über "etwas, das man mit einem Substantiv belegen kann" hinausgeht. Denn wenn man "Objekt" enger fassen will, braucht man einen neuen Begriff, der jene Klasse abdeckt. Da fällt mir am ehesten noch "Entität" ein, aber das hat bei zu vielen Leuten eine Konnotation von Lebewesen/Subjekt. Ein "Konzept", "Phantasiegebilde" oder "Gedankenkonstrukt" sind für mich Unterklassen von "Objekten", bei Nr. 2 und 3 gut erkennbar an den Umformulierungen "phantastisches Objekt" oder "in Gedanken konstruiertes Objekt".

Aber damit sind wir eben wieder auf Quines Ebene der reinen Sprachanalyse. Unsere (Jan, du, ich) ursprüngliche lag auch nur auf der, zwischen Wyman und Quine scheint es mir aber eigentlich darüber hinaus zu gehen, und Quine sich dann nur auf diesen Aspekt zurückzuziehen. Die tiefere Frage hinter der Wortebene ist eine nach Kategorien, egal wie sie jetzt sprachlich ausgedrückt werden. Immer noch keine nach der Welt an sich, aber immerhin eine Stufe tiefer und allgemeiner.

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Mo 11. Nov 2013, 14:23 - Beitrag #12

na ja, aus meiner Sicht ist das überhaupt kein sprachliches Problem, sondern eher das Problem einer kognitiven Verwirrung, die darin besteht, nicht zwischen Weisen der Existenz - aka ontologischen Ebenen (o.E.) - zu unterscheiden. Völlig unabhängig von sprachlichen Aspekten sind verschieden die Weise, in der ein Baum existiert (o.E.1), die Weise, in der Patriotismus existiert (o.E.2), die Weise, in der eine Kategorie existiert (o.E.3) und die Weise, wie ein Einhorn existiert (o.E.4). Eine Analyse könnte bestenfalls zu feineren Abstufungen führen, aber keine Analyse der Welt wird etwas daran ändern, dass im essentiellen Sinne o.E.1 "gemeine Objekt-Realität" und o.E.2 "Prozess- oder Ablauf-Realität" ist, während o.E.4 weder mit gemeiner noch mit Prozess-Realität zu tun hat. Dieses Punktes sind wir uns übrigens so sicher, dass wir Leute, die Einhörner oder Drachen sehen, in die Klapse stecken und auf Schizophrenie oder Halluzinationen behandeln.

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Di 12. Nov 2013, 10:17 - Beitrag #13

Das ist eine mögliche Lösung des Problems. Eine inhaltlich volläquivalente, nur sprachlich andere sind Wymans Existenz-Modalitäten (zumindest bezüglich deiner oE1+4, wie er zu Abstrakta steht, geht aus Quines Sekundärtext nicht hervor, müsste man recherchieren).
Quine scheint beide nicht zu mögen, da beide die Verwendung von "existieren"/"sein" für seinen Geschmack unzulässig ausweiten, wenn auch mit Beifügungen.

Als problematisch an deiner Variante sehe ich an, dass sie einen axiomatisch klingenden Begriff wie "ontologische Ebene" mit empirischen Erkenntnissen vermischt (die Trennung von 1 und 4). Aber das macht die klassische Leib-Seele-Trennung auf verschiedene ontologische Ebene natürlich aus nicht-fundamentalistischer Position auch.

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Di 12. Nov 2013, 11:58 - Beitrag #14

Ich sehe noch nicht, dass die skizzierte Ordnung ontologischer Ebenen empirisch wäre; sie kann wahrscheinlich als kategorial aufgefasst werden. Es scheint mir aber unvermeidbar zu sein, dass sich kategoriale Begriffe auf reale, aka empirische Sachverhalte beziehen dürfen müssen; unsere gesamte Wissenschaft hängt davon ab, inklusive der Naturwissenschaften. Insofern verstehe ich nicht, was das Problematische daran sein soll.

"Existenz-Modalität" ist bereits begrifflich nichts anderes als eine "Weise der Existenz" aka ontologische Ebene, von daher warte ich immer noch auf eine Erläuterung, welcher Erkenntnisgewinn damit einher geht, den älteren Begriff durch den neueren zu ersetzen.

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Di 12. Nov 2013, 13:02 - Beitrag #15

Deine Ordnung der Ebenen ist kategorial-axiomatisch, aber die Zuordnung von Objekten/"Objekten" zu den Ebenen ist empirisch. Erst muss man ein Einhorn postulieren (Mit unbekannter Ebene? Vorläufig in 4? Vorläufig in 1? In neuer Ebene 5 "existiert in unbekannter Weise"?) und dann empirisch nachprüfen, ob man eines findest, es also 1 oder 4 ist.

Die Verwendung des Wortes "ontologisch" scheint mir immer den Anspruch zu erheben, etwas besonders allgemeingültiges, grundlegendes auszusagen; protowissenschaftlich und protoempirisch zu sein. Wenn du diesen Anspruch nicht erhebst, seist du von der Kritik ausgenommen.

Das mit der Modalität ist wirklich nur eine sprachliche Umformulierung - setzt man daran an, dass das Verb "existieren" auf verschiedene Arten verstanden wird, oder fügt man ihm einen "auf Ebene X"-Qualifikator (ist das eine korrekte Übersetzung von "qualifier" im grammatikalischen Sinne?) hinzu. Einen Erkenntnisgewinn behaupte ich dafür somit auch nicht, höchstens ein Umgehen der obigen Verwirrung ob überzogener Implikationen des O-Wortes. Um zu wissen, ob Wyman einen Erkenntnisgewinn behauptet, müsste man ihn lesen.

Ipsissimus
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Di 12. Nov 2013, 14:29 - Beitrag #16

(klassische) Ontologie entspricht dem Bereich "allgemeine Metaphysik" (im Gegensatz zu "spezieller Metaphysik") in älterer Philosophie, bei der es um mögliche Systematiken grundlegender Typen von Entitäten geht. Es werden also "Dinge" wie konkrete und abstrakte Gegenstände, Eigenschaften, Sachverhalte, Ereignisse, Prozesse sowie deren strukturelle Beziehungen diskutiert. Besondere Allgemeingültigkeit war vielleicht ursprünglich mal als Anspruch damit verbunden, aber ich denke, den meisten Philosophen dürfte klar sein, dass Axiome gesetzt werden, wenn sie im Sinne der zugrundeliegenden Absichten nützlich sind, nicht weil sie von göttlicher Absolutheit herrührende Allgemeingültigkeit beanspruchen können.

Ich bezweifele, dass die Zuordnung eines Einhorns empirisch erfolgen kann, da sich die Nichtexistenz des Nichtexistenten weder logisch einwandfrei noch empirisch abgeschlossen nachweisen lässt. Sprich, wir sind für die Zuordnung auf unser Wissen über die Entstehung des Begriffes oder Konzeptes angewiesen.

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So 17. Nov 2013, 13:09 - Beitrag #17

Ganz so optimistisch wie du bin ich bezüglich der "meisten Philosophen" nicht. ;) Gleichzeitig nicht so pessimistisch, was reine Absichtengeleitetheit angeht, denn es gibt ja neben Gott und Absichten auch noch andere Kriterien wie Konsistenz, Erkläreffektivität und -effizienz usw.

Wie soll die Zuordnung des Einhorns denn erfolgen, wenn nicht empirisch? Du schlägst "über die Entstehung des Begriffes oder Konzeptes" vor. Du ordnest das Einhorn also nur deshalb in E4 ein, weil es aus Mythen stammt? Zahlreiche afrikanische Tierarten galten zeitweise als Fabelwesen auf der gleichen Stufe mit Einhörnern und Greifen, bis sich empirisch zeigte, dass diese doch real zu beobachten sind, jene nicht.
Natürlich kann so eine Zuordnung nur in positiver Richtung erfolgen. (Und auch in dieser "einwandfrei" und "abgeschlossen" nur innerhalb der üblichen Fehlergrenzen.) Was man beobachtet hat, ist E1. Was man nicht zu beobachten versucht hat, ist E4. (Oder vielleicht doch E5?) Was man zigmal zu beobachten versucht hat, aber nicht findet, bleibt E4 (wandert in E4?). Vielleicht findet man aber ja einen Grund, dass es gar nicht auf E1-Weise existieren kann, weil dies die Existenz anderer tatsächlich beobachteter E1-Entitäten ausschlösse, oder weil es gegen beobachtete Naturgesetze (auch E1?) verstöße. Dann könnte es endgültig E4 (oder E6?) sein.

Wie die fragenden Klammern schon andeuten, gefällt mir dein E1-E4-System auch nicht sonderlich gut. Aber falls ich es annehme, sehe ich keinen Weg darum, Empirie als Einordnungskriterium zu nutzen. Denn E1 und E4 unterscheiden sich eben primär durch ein empirisches Kriterium, nicht durch die Konstruktion der Objekte, wie gegenüber E2+E3.


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