Schwierige Entscheidung

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Ipsissimus
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Fr 21. Nov 2014, 13:58 - Beitrag #1

Schwierige Entscheidung

Während der Geburt ihres Kindes entschied sich die Amerikanerin Karisa Bugal, für ihren Sohn zu sterben. Wegen einer Fruchtwasserembolie war klar: Nur einer von beiden würde überleben können.


http://www.stern.de/panorama/fruchtwass ... 54484.html

Wie hättet ihr euch entschieden? Hättet ihr die Frau entscheiden lassen?

Feuerkopf
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Fr 21. Nov 2014, 19:35 - Beitrag #2

Während meiner ersten Schwangerschaft hatte ich eine ähnlich gelagerte Diskussion mit meinem Mann: Wie würde er sich entscheiden, hätte er zwischen mir und dem Baby zu wählen? Er überlegte keine Sekunde. Er sagte: "Ich entscheide mich immer für dich, denn dich kenne ich."
Ich als Mutter hätte mich spontan wahrscheinlich für das Baby entschieden, aber was weiß ich, wie ich denke, wenn es mir wirklich ans Leben geht?!

Traitor
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Mo 5. Jan 2015, 22:52 - Beitrag #3

Tatsächlich erscheint mir Feuerkopfs Variante als deutlich schwieriger: wenn eine Mutter sich entscheidet, sich selbst für ihr Kind zu opfern, entspricht das weitgehend klassischen Moral-, Ehre- und Vernunft-Vorstellungen. Aber der Fall, als Dritter über Mutter oder Kind entscheiden zu müssen, stellt eine fast immer als unantastbar angesehene Regel in Frage: dass Kinderleben besonders wertvoll seien. Warum eigentlich?
Die eine Standardantwort ist wohl, dass Kinder "noch mehr Potential haben", man nicht weiß, ob man nicht gerade die zukünftige größte Hoffnung der Menschheit opfert. Aber damit ist man schnell bei einer utilitaristischen Abwägung, die mindestens genauso schwer wie die rein emotionale ist: richtet man sich wirklich immer nach dem maximal denkbaren Potential eines Kindes? Oder wägt man ob, wie wichtig und besonders (objektiv und/oder subjektiv) ein Erwachsener sein muss, bevor man ihn doch einem durchschnittlichen "Kindeserwartungswert" vorzieht? Denn wieviel leichter ist es doch, ein neues Kind in die Welt zu setzen, das zumindest statistisch gesehen wieder ähnliches Potential haben dürfte, als einen Erwachsenen mit seinem einmaligen Werdegang und Gedankenhorizont zu ersetzen! Könnte man argumentieren.
Bleibt die zweite Standardantwort: das Kind kann sich ja nicht wehren, ist von einem abhängig, man muss ihm schon aus Fairness alles offenhalten. Aber es gibt ja genügend medizinische Varianten, bei denen das auch für den Erwachsenen gilt. Patientenverfügungen können da eine Teilentlastung bieten (decken die Standardvarianten Mutter-Kind-Situationen ab?), aber auch keine vollständige, da sie eben nie alle Eventualitäten voll informiert abdecken können.

Ipsissimus
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Di 6. Jan 2015, 14:04 - Beitrag #4

Ich würde mich auch immer für die Frau entscheiden. Und mehr noch: Ich würde, wenn es irgend in meiner Macht stünde, verhindern, dass die Frau aus der Situation heraus für das Baby entscheiden dürfte. Der springende Punkt scheint mir dabei die emotionale Belastung der Frau zu sein; unter einer solchen Last kann eigentlich kein Mensch sachliche Abwägungen treffen, es wäre also ein reiner Opfergang. Wenn die Frau mich hinterher dafür hassen würde - okay, damit müsste ich dann leben.

entspricht das weitgehend klassischen Moral-, Ehre- und Vernunft-Vorstellungen

Und gibst du ihnen recht, den klassischen Moral-, Ehre- und Vernunft-Vorstellungen? Aus meiner Sicht beruhen sie eher auf Stilisierungen statt echten Werten.

Traitor
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Di 6. Jan 2015, 22:23 - Beitrag #5

Ich bin gerade reichlich irritiert, wie sich deine Position hier mit der in "Todesstrafe anders herum" verträgt: reiner Selbstmord soll unantastbare Eigenentscheidung sein, Selbstopferung für ein Kind aber als zu unsachlich verhindert werden? Oder habe ich deine Position drüben zu überspitzt verstanden, und/oder ist der Unterschied, dass du drüben über eine gesetzliche/allgemeine Regelung redest, hier über deine persönliche Einstellung für den hypothetischen Fall, selbst betroffen zu sein?

Selbst tue ich mich auch schwer mit der Frage. Abstrakt neige ich dazu, meinem "könnte man argumentieren" tatsächlich zu glauben. Für den persönlichen Fall würde ich wohl auch versuchen, die Mutter zu überreden, sich selbst retten zu lassen; dabei aber hoffen, dass ich ihr trotzdem das letzte Wort lassen und eine Entscheidung gegen sie selbst, für das Kind akzeptieren würde. Falls sie nicht bei Bewusstsein und es rein meine Entscheidung wäre, würde ich es wohl genau wie du halten: mich für sie entscheiden und als Preis für diese Anmaßung die Möglichkeit auf mich nehmen, dass sie mich dafür hassen könnte.

Maglor
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Mi 7. Jan 2015, 00:25 - Beitrag #6

Wahrscheinlich wird sich das Kind, am Ende dafür hassen, dass es für den Tod der eigenen Mutter verantwortlich ist. Es hat es ja als Halbwaise schon schwer.
Auf solchen Kindern lasten eine schwere Schuld. Sie verhalten sich klischeehaft - so wie Schneewittchen oder Feanor - und leiden ihr ganzes Leben darunter.

Ipsissimus
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Mi 7. Jan 2015, 11:20 - Beitrag #7

reiner Selbstmord soll unantastbare Eigenentscheidung sein, Selbstopferung für ein Kind aber als zu unsachlich verhindert werden?

Das Selbstmordgesuch Bleekens ist die Folge langjähriger Ausgesetztheit an eine als unerträglich empfundene Situation. Ich schätze das so ein, dass dieser Selbstmordwunsch nicht mal einfach so aufblitzte und dann zu spontanem Antragsaktionismus führte, sondern allmählich entstand, sich verstärkte und durchdacht wurde.

Im Fall einer in den Wehen liegenden Schwangeren, die plötzlich erfährt, sie oder ihr ungeborenes Kind, gibt es im Allgemeinen wahrscheinlich keine derartige langjährige Auseinandersetzung. Ich könnte mir vorstellen, die Entscheidung der Frau zu akzeptieren, wenn es im Vorfeld eine Diskussion gegeben hätte, was im Ernstfall zu tun sei, so wie es Feuerkopf andeutete. Dann ist es möglich, eine gemeinsame Position zu finden. Aber ich bezweifele, dass eine derartige Diskussion zur Standardvorbereitung einer Geburt zählt.

Wenn also eine spontane Krise mit ausschließlich derart entsetzlichen Alternativen einsetzt, stehen eigentlich nur zwei Möglichkeiten im Raum: das Bauchgefühl der Frau, die ihr Kindchen retten will und dabei nicht an sich selbst denken kann, weil sie hormonell daran gehindert wird und durch die Situation bedingt auch gar nicht mehr in der Lage ist, eine rationale Entscheidung zu durchdenken, oder die Gedanken des Mannes, der vielleicht - hoffentlich - noch Reste rationalen Denkens bewahren kann, weil er letztlich eben nicht so bis über die Haarspitzen in der Situation drin steckt, wie die Frau. Die dritte Möglichkeit wäre es, die Entscheidung den Ärzten zu überlassen, aber ich bezweifele, dass die diese Entscheidung treffen wollen oder dürfen. Wenn doch, wäre es interessant zu wissen, wie Ärzte entscheiden würden und ob es einen Unterschied gäbe, wenn ein Arzt oder eine Ärztin die Entscheidung träfe.


Hast du dazu Statistiken, Maglor?

Maglor
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Mi 7. Jan 2015, 21:10 - Beitrag #8

Wozu dene Statisisken fälschen, wenn man Hermann Hesse zitieren kann. ;)
Aber wie willst du denn einmal sterben, Narziß, wenn du doch keine Mutter hast? Ohne Mutter kann man nicht lieben. Ohne Mutter kann man nicht sterben.

Ipsissimus
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Do 8. Jan 2015, 12:17 - Beitrag #9

na ja, eine Aussage wie
Auf solchen Kindern lasten eine schwere Schuld. Sie verhalten sich klischeehaft - so wie Schneewittchen oder Feanor - und leiden ihr ganzes Leben darunter.
sollte schon mit mehr als einem Hessezitat belegbar sein^^

Traitor
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Mo 12. Jan 2015, 18:52 - Beitrag #10

@Ipsissimus: Ok, mein Missverständnis aus dem anderen Thread war dann, dass ich die Rückfrage "Und wo steht geschrieben, dass nur vollstens reflektierte Entscheidungen zu respektieren seien?" als "ob die Entscheidung reflektiert ist oder nicht, darf keinen Unterschied machen" überinterpretiert hatte. Danke für die Aufklärung.

Eine Regelung, Schwangere in einer solchen Frage für hormonbedingt entscheidungsunfähig zu erklären, halte ich für nicht durchzusetzen und auch für nicht gerechtfertigkeit. Ist sie bei Bewusstsein, sollte es ihre Entscheidung sein, und wer (der Mann, wenn es einen gibt; oder die Eltern; oder wer auch immer berechtigt wäre, falls sie es nicht wäre; ist da die Reihenfolge eigentlich eindeutig?) sie ihr abnehmen will, kann nur darauf hoffen, dass sie diese freiwillig abtritt.

Spannend wäre neben deinen Fragen auch noch, ob man auf irgendeine Art gültige Verfügungen erlassen kann, um eigene ad-hoc-Entscheidungen in Extremsituationen durch vorausüberlegte zu ersetzen - vermutlich nicht, bei der klassischen Patientenverfügung ist das ja nicht vorgesehen.

Wenn man Maglors "wahrscheinlich" aus dem ersten Satz auch in den dritten kopiert und es nicht unbedingt als "mit P>50%", sondern nur als "es kann gut sein, dass" übersetzt, klingt mir das schon glaubwürdig. Als Zwangsläufigkeit aber sicher nicht.


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