Merseburger Zauberspruch, der Zweite

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Maglor
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Mo 31. Jan 2005, 20:51 - Beitrag #1

Merseburger Zauberspruch, der Zweite

Irgendwie habe ich die dunkle Vermutung, dass ich nicht der einzige bin, der sich für die germanische Mythologie interressiert.

1. Phol ende Uuodan vuron zi holza.
2. du uuart demo balderes volon sin vuoz birenkit.
3. thu biguol en Sinthgunt, Sunna era suister;
4. thu biguol en Friia, Volla era suister;
5. thu biguol en Uuodan, so he uuola conda:
6. sose benrenki, sose bluotrenki, sose lidirenki:
7. ben zi bena, bluot zi bluoda,
8. lid zi geliden, sose gelimida sin!

Und nun nocheinmal mit Untertiteln. :crazy:


1. Phol ende Uuodan vuron zi holza.
Fol und Wodan ritten in den Wald.
2. du uuart demo balderes volon sin vuoz birenkit.
Da ward Balders Fohlen sein Fuss verrenkt.
3. thu biguol en Sinthgunt, Sunna era suister;
Da besprach ihn Sinthgunt, [der] Sunna ihre Schwester;
4. thu biguol en Friia, Volla era suister;
Da besprach ihn Frija, [der] Folla ihre Schwester;
5. thu biguol en Uuodan, so he uuola conda:
Da besprach ihn Wodan, so gut er konnte:
6. sose benrenki, sose bluotrenki, sose lidirenki:
ob Knochenverrenkung, ob Blutverrenkung, ob Gliedverrenkung:
7. ben zi bena, bluot zi bluoda,
Knochen zum Knochen, Blut zum Blute
8. lid zi geliden, sose gelimida sin!
Glied zum Gliede, als ob [sie] geleimt wären!

Der zweite Merseburger Zauberspruch ist einer der wenigen überlieferten heidnisch motiviert verfaßten Texte. Daher stellt er eine der wenigen halbwegs sicheren Quellen zur Rekonstruktion eines westgermanischen Götterhimmels da.
Wodan und Friia kennt man als einzige sicher auch in nordischen Texte, als Odin und Frigg. Volla meinen manche als Entsprechung der der Fulla zu sehn. Sunna bedeutet Sonne. Bei Phol scheiden sich die Geister, manche vermuten er entspreche: Balder, Wodan, Sleipnir, Fohlen, Freyr, Thor, Paulus, Volla...
Mir stellt sich hier vor allem die Frage nach eventuellen Gestirnmythen.

MfG Maglor

janw
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Mo 7. Feb 2005, 11:37 - Beitrag #2

Maglor, mir ist so, als gäbe es in der germanischen Mythologie auch so einen Himmelswagen, in dem die Sonne über den Himmel fährt. Oder irre ich mich?
Seltsam an der Geschichte ist, daß da zwei in den Wald reiten und dann einem Fohlen der Fuß verrenkt wird. Ein Fohlen wird doch nicht geritten, oder?
Nun ja, mir will scheinen, daß die Zaubersprüche auch ein letztes Relikt von Schamanismus in Mitteleuropa offenbaren.

Maglor
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Mo 7. Feb 2005, 15:51 - Beitrag #3

Ich vermute ebenfalls eine Art Gestirnmythos hinter dem ganzen.
Tatsächlich ist die Vorstellung eines Sonnenwagens uralt, wie etwa dieses Geärt aus Trundholm.
Bild
Das merkwürdige an der Geschichte ist nur, das Wodan in der Frühzeit nahezu immer als ein Nachtgott auftritt.

MfG Maglor

aleanjre
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Mo 7. Feb 2005, 16:36 - Beitrag #4

Ich liebe Mythologien, und die germanische Sprache ist hochinteressant.

Hm, ich kenne "Phol" nur als Entsprechung des Balder, habe aber noch nicht viele Quellen gelesen. "Sleipnir" - kann aber doch eigentlich nicht sein, denn das ist doch der Name von Wodans Pferd?
Von dem 2. Spruch habe ich schon mal eine im Wortlaut minimal variierende Übersetzung gelesen, wo es so klang, als ob nur Wodan ganz allein fähig war das Pferd zu heilen, wärend die anderen es vergeblich versuchten. Er gilt ja auch als Zauberer und ist Herr der Asen.
Hm, Sinthgunt kenne ich nicht (mehr), aber als Sunnas Schwester müsste es ja der personifizierte Mond sein.

Maglor
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Mo 7. Feb 2005, 16:44 - Beitrag #5

Tatsächlich gibt es von Phol zwei Lesarten. Einmal [Pol] und einmal [Fol] und daraus könnte man dann schließen, dass mit Fol auch eben wieder ein Fohlen gemeint ist.

Tatsächlich meinen manche in Sindthgunt den Mond zuerkennen, in Anlehnung an den skaninavischen Mythos Sonne und Mond seien Geschwister. Laut Grimm bedeutet Sinthgunt "wandelndes Gestirn" oder so was, dies treffe sowohl auch Sonne, Mond sowie Abenstern zu.

Eine These ist auch Folla und Sunna seien gar nicht Göttinnen, sondern lediglich ihre wörtliche Bedeutung sei hier gemeint, die als Eigenschaft der Göttin gedacht ist. Also Schwester wäre dann nur eine Metapher: Friya, die Schwester der Fülle und Sinthgunt, die Schwester der Sonne.

MfG Maglor

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Mo 7. Feb 2005, 18:50 - Beitrag #6

Auf der Suche nach Sinthgunt bin ich darauf gestoßen:

Der zweite Merseburger Zauberspruch
Wodan (Wotan, Odin) gelingt die Heilung Balders (Baldur, Phol, Fol, Vol, Pfaohl) Fohlen, nachdem die anderen Begleiter eine Heilung vergeblich versucht hatten:

Phol ende Uuôdan uuorun zi holza. Dû uuart demo Balderes uolon sîn uuoz birenkit. thû biguol en Sinthgunt, Sunna era suister, thû biguol en Frîia, Uolla era suister; thû biguol en Uuôdan sô hê uuola conda: sôse bênrenkî, sôse bluotrenkî, sôse lidirenkî: bên zi bêna, bluot zi bluoda, lid zi geliden, sôse gelimida sin!

Phol und Wodan ritten in den Wald. Da ward Balders Fohlen der Fuß verrenkt. Da besprach ihn Sinthgunth und Sonna, ihre Schwester, Da besprach ihn Frija und Volla, ihre Schwester; Da besprach ihn Wodan, wohl, wie (nur) er es konnte: "Sei es zur Beinverrenkung, sei es Blutverrenkung, sei es Gliedverrenkung: Bein zu Bein und Blut zu Blut, Glied zu Glied, als ob geleimt sie wären!"


Balder: Sohn Wodans und Frijas, Licht- und Frühlingsgott, Gott der Schönheit, Weisheit und Gerechtigkeit. Feind allen Unrechts.
Frija (Frigg): Wodans Frau, Göttin der Fruchtbarkeit, Begierde und der Liebe, Schutzgöttin des Lebens und der Ehe
Sinthgunt (Nott): Göttin der Nacht
Sunna (Dag): Gott des Tages, Sohn der Sinthgunt
Volla (Fulla): Schatzhüterin und Botin der Frija
Wodan (Odin): Oberster der Götter, Herrscher der Welt und der Menschen, Allvater

Die Merseburger Zaubersprüche gelten als einzige überlieferte Germanische Zaubersprüche mit heidnischem Inhalt. Sie wurden 1841 in der Bibliothek des Merseburger Domkapitels vom Historiker Dr. Waitz in einer aus dem 9.-10. Jahrhunderts stammenden theologischen Schrift gefunden. Die Zaubersprüche bestehen aus einem einleitenden und einem erzählenden Teil, denen die eigentliche Zauberformel folgt. So wie es früher schon einmal vorkam, so wird es auch jetzt wieder geschehen.


(Quelle: stonepages.de)

Auf mehreren Seiten wurde statt "der" zwischen Frija und Volla ein gedankliches "und" eingesetzt, aber das kommt mir (und meinem stümpernden Laienverständnis) falsch vor.
"uuola" würde ich auch als "allein" auffassen, also tatsächlich als Betonung von Wodans überlegender Heilkraft. Das Sinthgunt die Göttin der Nacht und Mutter von Sunna sein soll, ist mythologisch gesehen eine nette Idee, widerspricht aber der Übersetzung selbst auf diese Seite. :rolleyes:

Man hat wohl Amulette aus dem 5./6. Jh. gefunden, die Odin als Pferdeheiler darstellen.

Hmmm, Friya steht selbst für die Fülle als Göttin der Fruchtbarkeit.

Maglor
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Mo 7. Feb 2005, 19:17 - Beitrag #7

Es ist eine Konstante der germanischen Mythologie, dass die Nacht älter ist als der Tag.
Allerdings hege ich große Zweifel an der Deutung Sinthgunt als Nachtgöttin, nicht zuletzt die abenteuerliche philogische Herleitung.
Nur zwei Verwandtschaftsverhältnisse können als gesichert gelten. In angelsächsischen Genealogien wird Balder der Sohn Wodans genannt. Noch häufiger freIlich sind die Belege, dass Frija die Ehefrau Wodans sein soll.

Meine private Theorie ist ja die folgende:
Wodan und Balder sind Reiter am Himmel; Wodan die Nacht und Balder der Tag. Wodan verschwindet im Wald, also die Nacht verschwindet unter der (bewaldeten) Horizontlinie. (Natürlich setze ich hier voraus, dass die Erde eine Scheibe ist und die Sonne sich um die Erde dreht!) Reitet Balder, als Tag oder auch als Sonne, am Himmel. Sein Fohlen bricht sich das Bein und der Lauf der Gestirne ist quasi unterbrochen. Nun erscheint Sinthgunt und versucht jenes Pferd mit Hilfe von Gesängen zu heilen, sie scheitert. (Sinthgunt denke ich mir als Ehefrau Balders, paralell zu Wodans Frau Frija.)
Nun versucht erst Frija ihr Glück. Erst Wodan, dem nächtlichen Stürmer, gelingt es das Pferd zu heilen. Also Balder, der lichte Tag, kann seinen Ritt in die Abenddämmerung erst fortsetzten, nachdem ihn Wodan, als Inkarnation der Nacht, geheilt hat. Sprich die Nacht wäre demnach stärker als der Tag und so weiter.

MfG Maglor

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Mo 7. Feb 2005, 22:57 - Beitrag #8

Hmmm...

So erst mal eine runde Theorie.
Und natürlich, in den nördlichen Ländern ist die Nacht länger als der Tag. Das wird aber nicht als "gut" empfunden. Loki wird als "dunkel" beschrieben, das Reich der Hel ist finster... Frija als die Fruchtbarkeitsspendende Göttin kann nicht wirklich die Hauptfrau eines Nachtgottes sein. Bäume gehören zu den wichtigsten Aspekten der germ. Mythologie, und die verbinde ich nun mal mit Licht, Sonne, Wachstum. Eine Religion, die sich auf die Nacht ausrichtet müsste doch viel mehr mit Sternen, Mondlicht usw. zu tun haben.
Wodan ist der Gott des Krieges. Nachts führt man keine Kriege.
Balder kenne ich auch als Sohn von Frija und Wodan. Er ist Lichtgestalt, Gott der Schönheit. Manchmal auch als personifizierter Frühling verstanden, weil er durch seinen eigenen blinden Bruder getötet wird und nach Ragnarök wiederkehrt. Seine Eltern haben ihn so sehr geliebt, dass sie jedes in der Erde blühende Ding in der Welt gebeten haben, ihrem Sohn keinen Schaden zuzufügen - ausgenommen die Mistel (die im Winter sowie März/April Heilkraft besitzt und sonst nicht!). Balder ist der Gatte von Nanna, einer Muttergöttin, und Vater des Forseit.

Hm, ich sehe jetzt erst einmal keinen Grund, warum dieser Zauberspruch mehr sein soll, als das, was er aussagt - ein Spruch, Verletzungen von Pferden zu heilen. "Sei es Knochenbruch, sei es Bluterguss, sei es Verrenkung" (mal frei interpretiert) - alles häufige Verletzungen von Pferden. Würde es nur um die Verletzung von Balders Pferd gehen, hätte Wodan doch wissen müssen, was das Tier erlitten hat. Könnte es also nicht ein Geschenk an die Menschen sein, um diese Verletzungen zu heilen? Es macht Sinn, Wodan, der ja auch ein mächtiger Zauberer ist, diese Worte in den Mund zu legen. Zumal er ja auch als Heiler der Pferde verehrt wurde.

Der erste Zauberspruch handelt davon, die die Wallküren Kriegsgefangene befreien, Worte sprechen, die Fesseln abfallen lassen. Darin kann ich ebenfalls eher einen praktisch bezogenen Volksglauben sehen als ein mystisches Gleichnis.

Maglor
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Di 8. Feb 2005, 12:19 - Beitrag #9

Zum Thema, Wodan der Nachtgott:
Erst einmal sei gesagt, dass der Merseburger Zauberspruch freilich in Deutschland entstand, weshalb die Polarnacht und andere Phänomene, die sich nicht in Mitteleuropa finden lassen eine ziemlich geringe Rolle spielen.
Wodan ist zweifelsohne ein Nachtgott. Dies liegt vor allem darin begründet, dass er in erster Linie ein Totengott war. (Ziu und Tyr waren ja explizite Kriegsgötter.) Nicht zuletzt weil die Nacht den Toten gehört, gehört auch Wodan die Nacht. Ein gutes Beispiel ist das die Wilde Jagd Wodans, in der Wodan in nächtlichen Stürmen mit untoten Gefolge und wilden Hunden am Himmel herjagt. Wodan ist auch in der Edda noch dunkel, wenn gleich er auch in der Spätzeit (aus der der Merseburger Zauberspruch definitiv nicht stammt) immer mehr die Eigenschaften eines Lichtgottes annahm. Odin behält auch noch in Snorris Edda solch düsteres Beiwerk wie Wölfe und Raben.
Loki ist nicht primär dunkel, sondern viel mehr die leuchtende Lohe, das zerstörerische Feuer.

Zum Thema Zweck des "Zauberspruchs":
Ich habe, denke ich nicht behauptet, dass der Zauberspruch mehr sein soll als das, was er aussagt. Allerdings bezweifle ich, dass dies ein Spruch ist, der da zu dienen soll Pferde zu heilen. Es handelt sich viel mehr um einen Spruch, der beschreibt, wie Wodan Pferde heilt. Es heißt explizit, da sang Wodan, wie nur er es vermag. Der eigentliche Zauberspruch zur Heilung eines Pferdes soll das Besingen Wodans sein, welches allerdings hier nicht aufgezeichnet ist! Wohl aber kann dieser Spruch dazu gedient haben, die zaubrische Macht Wodans zu preisen oder anzurufen.

MfG Maglor
P.S. Der erste Merseburger Zauberspruch handelt von Disen und nicht von Walküren.

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Di 8. Feb 2005, 14:01 - Beitrag #10

Nur kurz, auf den Rest gehe ich dann heute Abend ein:

Im 1. Zauberspruch geht es um die Disen, ja. Nordische Fruchtbarkeitsgöttinen.
Den Walküren wurde zugeschrieben, dass sie mit dem Heer ritten, die im Kampf gefallenen mit ihrem Kuss zum ewigen Leben erweckten und die Kriegsgefangenen befreiten. Manche interpretieren die "idisen" demnach als Wodans Disen, und damit walkürenhafte Frauen. Mehr wollte ich damit nicht sagen.

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Do 10. Feb 2005, 10:56 - Beitrag #11

Sooo, hat ein bisschen länger gedauert, noch mal durch meine Quellen zu wühlen, die wunderbar unergiebig und einander widersprechend sind. :P

Die Zaubersprüche wurden zweifellos in Deutschland aufgeschrieben, so im 10. Jh., aber warum das geschehen ist, und wo der Ursprung der mündlichen Überlieferungen lag, weiß man nicht.
Was auch das Problem der Widersprüche wie auch der ungeklärten Frage aufwirft, ob Wodan nun ein Sonnen- oder Nachtgott hat. Mit der nächtlichen Jagd hast du Recht. Bei allem anderen gibt's genauso viele Stimmen dafür wie dagegen. Die Legenden wurden halt mündlich weitergetragen, über die Generationen verändert, und zum Schluß von christlichen Mönchen aufgeschrieben.

Ich habe sogar von einer These gelesen, dass Ragnarök einzig eine Erfindung der christlichen Missionare war, die die heidnische Bevölkerung darauf vorbereiten wollte, dass die Asen sterblich sind und letztendlich vergehen müssen, um Platz für eine neue Götterordnung zu schaffen.

Von Loki hatte ich bis jetzt immer den Eindruck, dass er erst dann zum Feuergott wurde, als die Christen anfingen mitzumischen - Bezug zum Teufel.

Maglor
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Fr 11. Feb 2005, 13:05 - Beitrag #12

Bei großen Teilen Ragnaräks und dem Baldermythos (von seiner Tötung und so) handelt es sich tatsächlich aller Sicherheit nach um spätheidnische Bilder in Anlehnung an das Christentum, wenn nicht um literarische Konstruktur isländischer Dichter der christlichen Zeit.
Loki scheint schon dem Namen nach ein Feuergott zu sein, "Lohe". Für ihn gibt es keine südgermanischen Belege. Ursprünglich scheint er ein ähnlich dem Tjalfi geeichter Begleiter Thors gewesen zu sein. Thor quasi als Donner und Loki wie Tjalfi als Blitz.

Der Mundart nach gelten die Merseburger Zaubersprüche als Reheinfränkisch, also scheint der, der sie ursprünglich aufschrieb, ein Hesse gewesen zu sein.

MfG Maglor

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Di 10. Jul 2012, 20:42 - Beitrag #13

Pikanterweise gibt es einen ähnliches Zauberspruch nahezu gleiches Alters - den Trierer Pferdesegen.
Auch ihr wird ein Mythos einer Pferdeheilung nacherzählt, danach wird allerfdings der Gott angerufen, um dem Zauberer bei der Pferdeheilungzu helfen.
Hier ist nicht Wodan der Vetrenär sondern Christus. Christus heilt das Pferd des heiligen Stephan.
Die Geschichte um Stephan Ritt zur mysteriösen Stadt Saloniun ist jedoch äußerst unbiblisch.

Tatsächlich kommt der heilige Stephanus in der Apostelgeschichte vor. Er gilt als der erste Märtyrer der Christenheit und soll durch jüdische Obrigkeiten gesteinigt worden sein, weshalb er besonders bei Kopfschmerzen oder Nierensteinen angerufen werden sollte.
Die Betonung des gewaltsames Todes Stephans ist eine interessante Parallele zur isländischen Baldr-Legende, in der der nordische Gott neben Pfeile und Speeren auch Steine eintstecken muss.
Zaubersprüche sind aus jener Zeit mehrfach überliefert, heidnische nur Ausnahmsweise.

Als Abbildung der Pferdeheilung werden zahlreiche Schaumünzen (Brakteaten) der Völkerwanderungszeit gedeutet.
Bild
Abgebildet ist ein als Wodan gedeuteter Humanoid, verschränkt mit einem Vierfüßer - Rind oder Pferd.
Auch im alttenglischen Neun-Kräuter-Segen tritt Woden als Heiler bzw. Schlangenbekämpfer auf.
In der eigentlichen Nordischen Mythologie scheint dieser Topos zumindest für Odin keine Rolle mehr zu spielen. Dafür heilt dort Thor den hinkenden Bock und bekämpft den midgardschen Leviathan.

Anaeyon
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Di 10. Jul 2012, 21:18 - Beitrag #14

Zitat von Maglor: und soll durch jüdische Obrigkeiten gesteinigt worden sein, weshalb er besonders bei Kopfschmerzen oder Nierensteinen angerufen werden sollte.


Man verzeihe mir, dass ich nichts zum Thema beitragen kann, aber bitte sag mir, dass das nicht ernst gemeint ist Bild

In deinem vorletzten, etwas länger zurückliegenden Post schriebst du, dass es sich bei Ragnarök größtenteils um christliche Manipulation handelt. Das klingt mit dortiger Begründung auch überhaupt nicht abwegig, aber ist das historisch belegt? Sterbliche Götter wären doch für Heiden nicht allzu untypisch, oder ist die "Kreislauf der Natur, alles wird geboren und stirbt wieder"-Geschichte eher eine Eigenschaft des modernen Heidentums?

janw
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Mi 11. Jul 2012, 01:31 - Beitrag #15

Zitat von Anaeyon:In deinem vorletzten, etwas länger zurückliegenden Post schriebst du, dass es sich bei Ragnarök größtenteils um christliche Manipulation handelt. Das klingt mit dortiger Begründung auch überhaupt nicht abwegig, aber ist das historisch belegt? Sterbliche Götter wären doch für Heiden nicht allzu untypisch, oder ist die "Kreislauf der Natur, alles wird geboren und stirbt wieder"-Geschichte eher eine Eigenschaft des modernen Heidentums?

Ana, solche Vermischungen von religiösen Mustern werden als Synkretismus bezeichnet und sind im Überschneidungsbereich von Christentum und Naturreligionen gar nicht selten, z.B. Candomble in Brasilien.
Zeitlich würde das für die Merseburger Zaubersprüche und den Pferdesegen auch passen, der anzunehmende Entstehungszeitpunkt um 6/700 n.Chr. fällt in die Berührungszeit der nach der Völkerwanderung neu etablierten Bevölkerung mit der beginnenden Etablierung christlicher Machtstrukturen im Zuge der Sachsenkriege.
Allerdings setzt diese Theorie voraus, daß die verbreitete Volksreligion der nichtchristianisierten Bevölkerung tatsächlich um die nordischen Gottheiten gekreist hat.
Im Wege, daß Skandinavier (Goten) im Zug der Völkerwanderung nach Mitteleuropa gelangt sind, wäre das durchaus denkbar, allerdings wird ein größerer Teil der Neueinwanderer als Elbgermanen bezeichnet, die möglicherweise andere Religionen gehabt haben mögen.
In meinen Augen könnte hier also eine klischeehafte Vorstellung von "den Germanen" mit zur Theoriebildung beigetragen haben.

Maglor
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Mi 11. Jul 2012, 14:42 - Beitrag #16

Synkretismus ist das richtige Stichwort.
Problematisch ist, dass es so gut wie keine Quellen aus vorsynkretischer Zeit. Die Goten wurden bereits im 4. Jahrhundert bekehrt. Die isländischen Sagen wurde im 13. Jahrhundert aufgeschrieben. Fast 1000 Jahre später rühmten isländische Skalden noch die Heldentaten gotischer und fränkischer Könige.

Das Christentum trat während der Völkerwanderungszeit mit der germanischen Religion in Kontakt. Manipulation wil ich das nicht nennen. Es war eine gegenseitige Beeinflußung.
So dürfte der Stephanus Attribute Balders angenommen haben, sein Namenstag am 26. Dezember deutet sogar auf einen Gestirnsmythos hin. Aber auch der isländischer Baldr dürfte Attribute Stephans angenommen haben.

Der isländische Mythos beschreibt Baldr als den hellen, unschuldigen Gott, der vom blinden Hödr auf Betreiben Lokis getötet wird. (Hier wieder eine weitere Analogie zur Apostelgeschichte: Saulus - der spätere Paulus - wird teilweise für den Tod des Stephanus verantwortlich gemacht. Das Motiv des blinden Paulus findet sich im Damaskus-Erlebnis.)
Abweichend von der isländischen Überlieferung beschrieb Saxo Grammaticus in seiner etwas älteren Dänen-Geschichte eine ganz andere Version von Balders Tod. Hier tötet Höther den Halbgott Balder mit einem Zauberschwert, weil Balder Höther die Frau ausgespannt hat. Vom unschuldigen, durch und durch guten Märtyrer - dem Baldr der Edda - fällt hier jede Spur. Loki kommt erst gar nicht vor.

Maglor
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Mo 30. Nov 2015, 17:10 - Beitrag #17

Der Zusammenhang zwischen Stephanus und Balder geht sehr tief.
Ökumenisches Heiligenlexikon]
Der Stephanus-Tag wurde schon seit der Einführung des Weihnachtsfestes als Fest am Tag nach dem Fest der Geburt Jesu begangen, wodurch die Freude über die Geburt und die Trauer über die Bedrohtheit des Lebens ganz nahe zusammen gesehen wurden. Möglicherweise durch Verdrängung eines heidnischen Winterfestes wurde Stephanus Patron der Pferde und des Gedeihens in Feld und Haus. Pferde werden in seinem Namen gesegnet; am Stephanstag wechselten Pferdeknechte und Kutscher ihren Arbeitgeber.

Eine wichtige Verbindung ist auch die Versöhnung mit den Mördern. Während seiner Steinigung bittet Stephan noch um Vergebung für seine Peiniger. "Auf die Knie gestürzt rief er noch einmal laut: "Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!" Mit diesen Worten starb er." (Apostelgeschichte 7, 60)

Nach dem Weltenbrand auf der neueren besseren Erde versöhnt sich Baldur mit seinem Mörder, dem blinden Hödur.
Zitat von Der Seherin Gesicht:Da werden unbesät die Äcker tragen,
Alles Böse bessert sich, Baldur kehrt wieder.
In Heervaters Himmel wohnen Hödur und Baldur,
Die walweisen Götter. Wisst ihr, was das bedeutet?

Bedeutsam ist auch die Verbindung zwischen Stephanus und Paulus bzw. Saulus. Saulus ist bei der Steinigung Stephans anwesend. In der Apostelgeschichte ist es Saulus, der geblendet durch die Erscheinung des Herrn bei Damaskus vom Pferd stürzt und zum Paulus wird. Der Christenverfolger von einst wird zum Heiligen, schlussendlich als Märtyrer wird mit Stephanus vereint. Wisst ihr, was das bedeutet?

Ipsissimus
Dämmerung
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Mo 30. Nov 2015, 20:08 - Beitrag #18

Bei Phol scheiden sich die Geister, manche vermuten er entspreche: Balder, Wodan, Sleipnir, Fohlen, Freyr, Thor, Paulus, Volla...

Paulus?

Maglor
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Mo 30. Nov 2015, 23:04 - Beitrag #19

Im Grunde ist es also nichts neues. ;) Apollon ist noch in die Reihe der mutmaßlichen Phole einzureihen.

Die Konstellation von Saulus und Stephanus als Kontrahenten in der Apostelgeschichte ist hoch interessant. Während der Steinigung des Stephanus bewachte der junge Saulus die abgelegten Kleider der Henker.

$this->bbcode_list('3')"Saulus aber hatte Wohlgefallen an seinem [Stephanus] Tode." Apostelgeschichte 8,1
Das Problem bei Paulus ist, dass er im Heiligenkult kaum eigenständig vorkommt, sondern meistens in der Regel in Verbindung mit Petrus. Der Charakter des Paulus ist vielleicht auch gar nicht so wichtig.
Laut englischer Wikipedia gibt es noch einige ähnliche Zaubersprüche aus dem germanischen Sprachbereich. Alle möglichen Personen treten als Pferdeheiler auf: Jesus, König Olaf der Heilige, Frigg, Paulus.

Der meiner Meinung nach interessanteste Vetrenär ist jedoch meiner Meinung nach Eligius. Er stand als Schmied, Münzmeister und Bischof in Diensten eines merowingischen Königs. Er brach einem Pferd ein Bein hab, beschlug es mit einem Hufeisen und anschließend schmiedete die Knochen wieder zusammen.


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