Politisch Unkorrekte Kinderkassetten

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Malte279
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Sa 29. Okt 2005, 13:19 - Beitrag #1

Politisch Unkorrekte Kinderkassetten

Hi!
Ich höre sehr gerne Hörspiele wie z.B. ???. Rückblickend auf Hörspiele die ich früher oft und gerne gehört habe ist es teilweise aber nicht zu fassen wie vorurteilsbehaftet (insbesondere Frauenfeindlich) viele davon sind.
Besonders "TKKG" und "Die Fünf Freunde" sind da so extrem das es beinahe schon wieder lustig ist. Ich frage mich allerdings ob es nicht bei einigen Kindern ziemliche Spuren hinterlässt wenn sie ständig mit Sprüchen wie "Du bist eben so prima wie ein Junge" (Zitat aus: Fünf Freunde helfen einem Kameraden) aufwachsen, oder mit dem Vorbild eines 13/14 Jährigen der neben ständigen Matchosprüchen gegen seine Freundin (die bei jeder sich bietenden Gelegenheit entführt wird um von ihrem Kerl gerettet zu werden) alle Nase lang ausgewachsene Verbrecher zusammenschlägt (gemeint ist natürlich Tarzan/Tim aus TKKG).
Diverse anfallende Arbeiten bei den Fünf Freunden müssen immer von den Mädchen übernommen werden (d.h. von Anne da George ja "fast so gut wie ein Junge" ist). Das geht soweit, dass Julien (oder war es Dick?) in "Fünf Freunde als Retter in der Not" eine alte Frau beim Wäschewaschen sieht und (was für ein Gentelman) zu Anne sagt: "Anne, hilf ihr doch dabei!" Statt selber einen Handschlag zu tun.
Daneben werden bei den Fünf Freunden auch diverse fremdenfeindliche Dinge gesagt. Vielleicht könnte man geltend machen dass das Wort "Zigeuner" als die Geschichten verfasst wurden vielleicht noch nicht so rassistisch behaftet war wie heute (genau weiß ich das nicht), aber auch über einen südamerikanischen Indianerstamm heißt es dass sie zwar ganz nett seien aber "Trotzdem sind sie mir aus der Ferne lieber!" (Fünf Freunde und die Flugzeugentführer).
Ich glaube (hoffe) dass derlei Geschichten mich nicht in irgendeiner Weise in meiner Kindheit beeinflusst haben, aber was glaubt ihr was solche Geschichten für auswirkungen haben könnten?

aleanjre
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Sa 29. Okt 2005, 13:38 - Beitrag #2

Die Geschichten haben einfach nichts mit der Realität zu tun. Auch 8jährige wissen, dass Jugendliche, egal wie groß gewachsen sie sind, nicht eine fünfköpfige Bande erwachsener Schläger niedermachen können. Die Fünf Freunde stammen aus den 50ern, wenn ich mich recht entsinne, und da war eben vieles noch anders... und was die alles durften! Mal so eben ein paar Wohnwagen mieten und sich ganz allein durch die Lande bewegen...

Genauso, wie Kinder ganz genau wissen, dass es keine sprechenden Elefanten gibt, das Bürgermeister nicht raffgierig, faul und völlig inkompetent sind, das ein Zoo nicht mit nur einem einzigen Tierpfleger zu führen ist u.v.m.

In diesen Geschichten wird polarisiert, schwarz-weiß gemalt und jeder Charakter überzeichnet. Die Kinder lieben diese Parallelwelten, und ich wüsste nicht, dass aus Tarzans Machosprüchen Schaden entstanden wäre.

Lykurg
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Sa 29. Okt 2005, 18:35 - Beitrag #3

Enid Blyton, von der neben den Fünf Freunden auch die (von mir geliebte) "... der Abenteuer"-Serie, "Geheimnis um ..." (das ich gefressen habe), "Hanni und Nanni" und diverse andere erfolgreiche Kinder- und Jugendbuchreihen stammen, lebte von 1897 bis 1968. Dementsprechend finden sich darin auch die Menschenbilder und Stereotypen der Zeit. (Ich erinnere mich noch gut daran, daß ich mich (ich war wohl ungefähr acht) über die Beschreibung der schmutzigen, malerischen und halbverhungerten Griechen in "Die Insel der Abenteuer" doch ziemlich gewundert habe.)

Daß die Reihen bis heute so erfolgreich sind, liegt wohl einfach daran, daß sie großartig erzählte, und daß ihr Themenbereich (Reise-Abenteuer-Freundschaft-Schatzsuche) bis heute nicht in entsprechender Qualität abgedeckt wird. Die Pottermania zeigt mE deutlich, daß ein erheblicher Bedarf an "aktuellen" Jugendbüchern besteht; daß sich das aber nicht auf Fantasy beschränken muß, wird sich möglicherweise in den nächsten Jahren herausstellen (oder eben nicht).

Traitor
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Sa 29. Okt 2005, 20:15 - Beitrag #4

Eingangs:
Genauso, wie Kinder ganz genau wissen, dass es keine sprechenden Elefanten gibt, das Bürgermeister nicht raffgierig, faul und völlig inkompetent sind, das ein Zoo nicht mit nur einem einzigen Tierpfleger zu führen ist u.v.m.
Den Artikel, auf den Alea offenbar anspielt, sollte sich jeder mal zu Gemüte führen! Herrlich. :D

@Malte: Ich denke, du übertreibst diese "Problematik" enorm.
Mit keiner der beiden von dir explizit angesprochenen Serien habe ich mich in meiner Kindheit viel beschäftigt (warum auch immer, vermutlich weil ich schon zuviel anderes gelesen und gehört habe, um für diese Zeit zu haben), also kann ich nicht hintergründig auf sie eingehen. Zum allgemeinen Unrealismus hat Alea sich bereits geäußert. Ich kann dann aber noch die von dir angeführten Beispiele kommentieren.

"Du bist eben so prima wie ein Junge" als frauenfeindlich zu interpretieren, ist schon arg inquisitorisch. Einem Jungen in den Mund gelegt, ist das eindeutig ein aus der Aufhebung der üblichen Vorurteile bestehendes Kompliment.
Das geht soweit, dass Julien (oder war es Dick?) in "Fünf Freunde als Retter in der Not" eine alte Frau beim Wäschewaschen sieht und (was für ein Gentelman) zu Anne sagt: "Anne, hilf ihr doch dabei!" Statt selber einen Handschlag zu tun.
Dies würde ich entweder als zeitbedingt normal oder sogar als ironischen Umgang mit der Haltung "das ist Frauenarbeit" betrachten.
Vielleicht könnte man geltend machen dass das Wort "Zigeuner" als die Geschichten verfasst wurden vielleicht noch nicht so rassistisch behaftet war wie heute
IMHO ist dies auch heute ein Wort, das nur dadurch als "rassistisch behaftet" gilt, dass alle "politisch Korrekten" krankhaft versuchen, es zu vermeiden. Und früher war es erst recht ein vollkommen normales Wort, das kannst du niemandem vorwerfen.
aber auch über einen südamerikanischen Indianerstamm heißt es dass sie zwar ganz nett seien aber "Trotzdem sind sie mir aus der Ferne lieber!"
Durchaus verständlich, dass Kinder dann doch lieber zuhause Indianerfilme sehen, als in einem südamerikanischen Indianerdorf zu hocken, oder? Was soll daran rassistisch sein?

PS: Faszinierend, wie genau gegensätzlich die politischen Unkorrektheiten der verschiedenen Hörspiele sein sollen.

janw
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Sa 29. Okt 2005, 22:52 - Beitrag #5

Die Sache ist nicht ganz neu. Vor einigen Jahren gab es mal in England eine Diskussion über die Bücher von Enid Blyton und das darin vermittelte Bild von Schwarzen und anderen Minderheiten. Insbesondere die Reihe "Noddy" wurde hier kritisch gesehen, und iirc wurde das Buch dann vom Verlag etwas überarbeitet, einige definitiv als diskriminierend zu verstehende Passagen wurden entfernt oder umgestaltet.
Die 5 Freunde habe ich auf Englisch gelesen, meine Schwester auch und mit Genuß. Für uns kam hier immer das gemeinsame Handeln als wesentliches Element zum tragen, jeder macht das, wozu er individuell am besten in der Lage ist.

Benjamin Blümchen lernte ich mit 15, 16 kennen, bei einem damals 12jährigen Freund im Dorf. Ich hab mich damals etwas gewundert über die recht eindeutige politische Weltbildvermittlung in der Reihe, gezielt werden Themen wie Korruption, Umweltverschmutzung, Umweltzerstörung, Straßenbaumabholzungen u.ä. thematisiert. Bekannte Themen für mich, da ich damals in der Jugendumweltbewegung aktiv war. Und doch, überzeichnet. Und das zeigt für mich, daß wohl etwas Absicht dahinter steckt.

Was ich davon halte?
Nun, das Bewußtmachen dessen, daß die Welt nicht FriedeFreudeEierkuchen ist, finde ich schon löblich, durchaus kein schlechter Kontrast zu Disney und Pop.
Wenn dadurch ein wenig an politischer Bewußtheit erreicht wird, kann das IMHO nicht schaden.
Ich habe aber für die Praxis eher die Befürchtung, daß sich vor allem Inhalte über Machtmißbrauch und Korruption der Bürgermeister festsetzen, weil die ja auch von den Eltern häufig repetiert werden. Der Staat ist ein guter Prügelknabe...und diese Erfahrung führt denn doch leicht in die Resignation.

Man kann über den Politologen in dem link schmunzeln, und doch muss ich ihm prinzipiell recht geben.
Die Zeit um 11-13 Jahre IST die Zeit, wo soetwas wie ein politisches Grund-Bewußtsein entsteht, ein Zeitfenster, indem die jungen Gehirne gezielt nach entsprechenden Inhalten suchen.
Es liegt letztlich bei den Eltern, was sie dann füttern, Disneys harmlose Figürchen, Yu-Gi Oh, eindeutige Klischees über gesellschaftliche Randgruppen wie in Noddy, 4 nette Jungen mit gemeinsamen Abenteuern und einer Schokoladensorte oder einen Elefanten, der zusammen mit seinem Freund zeigt, daß die Welt nicht immer rosig ist, es aber Möglichkeiten gibt, etwas zum Guten zu bewegen.
Aber sie sollten sich bewußt sein, daß sie da gerade etwas in Gang bringen.

Letztlich kommt es, denke ich, darauf an, daß das, was da gefüttert wird, vernünftig nachbereitet wird.

Nochmal speziell zu Enid Blyton: Die hier genannten Äußerungen über Indianer, Zigeuner (übrigens sehr wohl eine herabsetzende Bezeichnung, die auch als "ziehende Gauner" übersetzt wurde) sind vergleichsweise harmlos gegenüber dem, was in Noddy über Schwarze gesagt wird. Ich hab es leider nicht zitierbereit vorliegen, aber es ist durchaus geeignet, Ressentiments gegenüber Menschen dunkler Hautfarbe zu verankern. Wenn dann zu Hause noch abgelästert wird... :rolleyes:

Sicher haben die Bücher einen zeitdokumentarischen Charakter, aber das zu sehr zu betonen liefe darauf hinaus, alte Bücher mit heute wirklich nicht für Kinder erwünschten Inhalten besser zu beurteilen als neue Bücher mit denselben Inhalten.
In meinen Augen müßte es da eher heißen "auf die Inhalte kommt es an".

Padreic
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Sa 29. Okt 2005, 23:57 - Beitrag #6

Nebenbemerkung:
Zigeuner (übrigens sehr wohl eine herabsetzende Bezeichnung, die auch als "ziehende Gauner" übersetzt wurde)

Diese Übersetzung hat aber recht wenig mit der tatsächlichen Etymologie des Wortes zu tun und ist vermutlich nur reininterpretiert. Anders wäre es schon nicht zu erklären, dass in anderen Sprachen sprachlich sehr verwandte Begriffe benutzt werden. Und dass sie auch durchaus von Zigeunern (bzw. "Sinti und Roma", wobei dieser Begriff von ziganischen Gruppen, die weder Sinti noch Roma sind teilweise als diskriminierend gesehen wird) benutzt wird.
Näheres bei wikipedia

Ich glaube, ich habe von Enid Blyton vor allem die '...der Abenteuer', vielleicht auch ein paar 'Geheimnis um...' gelesen [Bill Cunningham (oder so ähnlich) war aber ersteres, oder?]. Ich glaube, ich habe da mehr eine Idee von (idealisierter) Freundschaft mitgenommen als irgendwelche Vorurteile...
Das "Kinderbuch", was mich am meisten geprägt hat, ist bei mir "Das fliegende Klassenzimmer"...übrigens meiner Meinung nach auch das beste mir bekannte ;).


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